Ablösung von den Eltern im Erwachsenenalter

05. April 2019 - Lifestyle

Die Ablösung von den Eltern im Erwachsenenalter, sehe ich als notwendige Voraussetzung dafür, eine gesunde und stabile Beziehung zu sich selbst und anderen verwirklichen zu können.

maedchen spiegel kind

Von dieser Basis ausgehend ist es möglich, eine freie und authentische Partnerschaft zu führen, ohne sich in aufreibenden 'Mann-Frau-Spielchen' zu verlieren.

Hinsichtlich dieses Themas haben uns Naturvölker einiges voraus. Im Rahmen eines Rituals wird dort der junge Mensch gefeiert und dem Erwachsensein übergeben – ganz offiziell. Diese klar ausgerichtete, öffentliche Anerkennung wirkt neben der äußerlichen Trennung von den Eltern vor allen Dingen in dessen innerer Ausrichtung. So kann der Übergang in eine neue Lebensphase tatsächlich stattfinden, so dass die Ablösung von den Eltern auf natürliche Weise erfolgt.

Unser Kulturkreis sieht das nicht vor, auch wenn z.B. Zigaretten, Alkohol, der Führerschein usw. von Betroffenen gerne als Statussymbole gesehen werden, welche sie automatisch in den Erwachsenenstatus heben. Dies aber bewirkt noch lange keine Ablösung, ganz im Gegenteil, sie dienen lediglich der Beruhigung und als Ersatzmittel, um das 'Gummibandgefühl' der Abhängigkeit, wie ich es gerne bezeichne, besser aushalten zu können.

Ob du als erwachsene Person z.B. noch an die Mutter gebunden bist, erkennst du an deinem oft ziemlich unangenehmen Gefühl in deinem Inneren. Seismographisch genau offenbaren dir ferner deine Beziehungen, wo du in deiner Entwicklung stehst. Suche bei dir und nicht bei anderen, solltest du sie als eher anstrengend empfinden. Aufgrund von Schuldgefühlen und dem Gefühl, nicht zu genügen, neigen manche auch dazu, sich im Kontakt mit anderen unterzuordnen und sich anzupassen. Das Ganze kann sich allerdings auch in gegenteiligem Verhalten auswirken. Indem man sich über andere Menschen erhebt, Rechthaberei praktiziert und Kritiksucht übt, bewegt man sich mehr im Außen als bei sich. Darin versteckt sich der Versuch, ein inneres Ungleichgewicht zu kompensieren.

Um diese längst fällige Ablösung zu erzwingen, kommen manche Menschen auf die Idee, sich räumlich möglichst weit weg von der Bezugsperson zu entfernen. Doch egal, wohin du deinen Aufenthaltsort auch verlegst - das Gummibandgefühl bleibt bestehen. Selbst bis hin nach Timbuktu spürst du in Situationen deiner Bedürftigkeit den Sog dieses lästigen Dings.

fernrohr teleskop

Als wir auf die Welt kamen, hingen wir alle an der Nabelschnur und unsere Entwicklung sah vor, uns emotional in mehreren Entwicklungsschritten davon zu lösen, sofern unsere Eltern dies zulassen konnten. Dies konnte allerdings nur in dem Maße gelingen, in welchem sie wiederum die eigene Bedürftigkeit ihren Eltern gegenüber gelöst hatten. Doch perfekte Eltern gibt es nicht.

Sich zu gegebener Zeit ganz natürlich von den Eltern lösen zu können setzt voraus, dass deine Gefühle als Kind ernst genommen wurden. Wie z.B. war die Reaktion, wenn du dich verletzt hattest? Hörtest du Sätze wie 'Ein Indianer kennt keinen Schmerz', oder wurdest du abgelenkt mit den Worten 'Ist doch nicht so schlimm, du musst doch nicht weinen?' Vielleicht wurdest du auch 'ruhig gefüttert'? Durftest du deine Gefühle leben, ohne von der Bezugsperson dafür zensiert zu werden? Nimmst du aktuell wahr, was in dir vorgeht und vertraust deiner Intuition oder verlässt du dich tendenziell eher auf die Meinung anderer?

Ein Kind verspürt einen bestimmten Schmerz und das dazu passende Gefühl als seine authentische Reaktion und Realität. Unmittelbar und auf natürliche Weise antwortet sein Organismus darauf in Form von Emotionen wie Weinen, Schreien, Wut, Angst etc. Als vom Erwachsenen abhängiges Wesen aber orientiert es sich an dessen Verhalten. Empfindet nun dieser den Gefühlsausbruch des Kindes als störend, vermittelt seine Verhaltensweise dem Kind, sein Gefühl und seine Reaktion wäre 'nicht richtig'. Das Kind allerdings glaubt, es sei nicht richtig. Da es am Modell Bezugsperson lernt, stellt es automatisch die Meinung des Erwachsenen über seine eigene. Dabei unterdrückt es sein eigenes Gefühl zugunsten der Meinung und Reaktion des Erwachsenen. Es lernt also, mehr auf die Wahrnehmung anderer zu vertrauen, als auf die eigene. Passiert dies häufiger, wird das Kind sich immer weniger auf sein Gespür verlassen. Zugunsten der Bindung an die Bezugsperson wird es seine eigene Wahrheit so lange unterdrücken, bis es keine eigenen Gefühle mehr verspürt. Dafür sieht es sein Überleben als abhängiges Kind dieser Bezugsperson gesichert.

Einerseits macht dieser Umstand das Kind wütend, andererseits aber darf es diese Wut nicht zeigen. Also drückt es die Wut weg. Denn würde es der Wut ihren natürlichen Lauf lassen, verspürte es die Angst, von der Bezugsperson verlassen zu werden und diese Angst ist - biologisch gesehen - berechtigt. Ohne den Schutz des Erwachsenen wäre ein kleines Kind tatsächlich gefährdet. Unterdrückte Wut aber bindet und das hat insofern Konsequenzen, dass in der Pubertät dadurch die Ablösung von der Bezugsperson verhindert wird. Das zieht Wutanfälle Pubertierender nach sich und Schuldgefühle, weil über der Wut ein furchteinflößendes Verbotsschild hängt, das der Wut den Weg in die Freiheit verwehrt. Hinzu kommt, dass der Jugendliche nach wie vor die Meinung anderer über die eigene stellt, auch wenn er versucht, dies nach außen zu verbergen, indem er sich (besonders) stark zeigt. In seinem Inneren sieht es oft anders aus.

Die Beziehung zu sich selbst verloren zu haben macht bedürftig nach jemanden, der einem sagt, wo es lang geht. Bedürftig trotz des Erwachsenenalters begibt man sich auf die Suche nach einem Menschen, der einem die Hand reicht und einem sozusagen als Richtschnur für das eigene Leben dient. Der Sicherheit wegen stellt man ihn erneut über sich, übergibt ihm jegliche Verantwortung und liefert sich ihm aus. Wie in dem Film 'Täglich grüßt das Murmeltier' beginnt das Dilemma der Kindheit sich zu wiederholen, nur mit vermeintlich neuen Darstellern, die aber nur die alten repräsentieren.

Dieses Ungleichgewicht einer 'Retter-Opfer-Dynamik' bestimmt dann die Beziehung, in der sich keiner auf Dauer wirklich wohl fühlt. Derart vorgeprägte Beziehungspartner finden auf fast magische Weise zueinander und erkennen sich, als hätten sie einen entsprechenden Hinweis auf der Stirn oder eine spezielle Duftmarke. Wer allerdings weiß, dass sich bei solchem Kennenlernen das altbekannte, heimische Feeling einstellt, den wundert das nicht. Auf diese Weise erkennen 'Vatermänner' passende 'Tochterfrauen' und 'Mutterfrauen' passende 'Sohnmänner'. Damit gehen sie Verbindungen ein, die ihnen bereits aus der Kindheit bekannt sind.

Problematisch wird es dann, möchte einer der Partner grundsätzlich lieber für sich sein, während der andere verzweifelt seine Nähe sucht. Er setzt dies mit Liebe gleich. In Wahrheit aber hat er nie aufgehört, nach der Nähe der Mutter zu suchen. Auch die ständige Angst davor, verlassen zu werden, während der andere seine Interessen verfolgt, führt zu Differenzen und Unverständnis. Repräsentativ für die damalige Angst vor dem Verlust der Mutterliebe und der Angst, von der Mutter verlassen zu werden, zeigt auch dieses Gefühl nur die altbekannte Sehnsucht eines Kindes.

Richtig unangenehm und zum 'Katz-Maus-Spiel' wird eine Beziehung mit dem Satz 'Wenn du mich wirklich lieben würdest, dann …'. Manchmal wird aus solchen Verbindungen eine 'On-Off-Geschichte', bis früher oder später ein Partner sie endgültig beendet. Da man sich allein aber nicht vollständig fühlt, wird schnellstmöglich ein 'besserer' Partner gesucht. Glückt die Suche, hat es anfangs oft sogar den Anschein, diesmal den 'Richtigen' gefunden zu haben, bis man merkt, dass man sich das, was man bereits hinter sich glaubt, erneut eingefangen hat.

Dies kann man so bis zu seinem Lebensende praktizieren. Solange ich den wahren Grund meines Scheiterns nicht bei mir, sondern beim anderen suche, wird sich meine Situation nicht verändern. Es zeigt mir lediglich auf, wie bedürftig ich noch bin und dass eine Ablösung noch nicht stattgefunden hat.

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Sich dessen bewusst zu sein, heißt zu erkennen, dass ich noch an diesem Gummiband der Mutter oder der Bezugsperson hänge. Ich will noch etwas von ihr, was sie mir in meiner Wahrnehmung noch vorenthalten hat. Nach wie vor macht mich das unglaublich wütend. Darauf allerdings liegt immer noch der Deckel der Gefahr und des Schweigens.

Solange ich also ständig andere Personen verändern möchte und ihnen vorschreiben, wie sie sich mir gegenüber zu verhalten hätten, hänge ich noch in der Wiederholungsschleife. Dies gilt für alle Menschen meines Umfeldes, ob Partner, Kinder, Chef, Eltern, Nachbarn etc. An erster Stelle steht die Beziehung zu mir selbst als Grundlage für Beziehung schlechthin. Dazu gehört, gut mit mir allein sein zu können und den anderen mit sich zu lassen, wenn ihm danach ist. Anderen eigene Grenzen zu setzen und gleichzeitig die Grenzen anderer zu wahren führt zu wahrer Entspannung.

Für den Betroffenen fühlt sich ein derartiges Gefühlswirrwarr sehr real an. In Wahrheit aber zeigen sich Gefühle und Zustände, die der Kindheit angehören, damals aber ebenso empfunden wurden. Auch wenn diese im Jetzt des Erwachsenenalters nichts mehr zu suchen haben, erleidet in bestimmten Situationen das kleine Kind von damals die Wiederholung des bekannten Dramas noch heute.

Dies zu realisieren ist der erste Schritt zurück zu mir selbst. Wenn mir klar wird, dass nicht ich als Erwachsener, sondern das kleine Kind von damals leidet und dies ausschließlich nur mit mir zu tun hat, höre ich auf, andere für mein Unglück und meine Zustände verantwortlich zu machen. Die Macht für mich und mein Leben kommt zu mir zurück, sobald ich bewusst die Entscheidung dafür treffe. Damit übernehme ich die komplette Verantwortung für mich und alles, was sich in der Vergangenheit zugetragen hat. Meine ohnmächtige Rolle als Kind lege ich im Gegenzug dazu ab, denn das bin ich heute definitiv nicht mehr.

Um sich seinen Gefühlen wieder zu nähern, bedarf es eines längeren Prozesses, beeinflusst vom Verstand, der einen - wie die Bezugsperson als Kind – von den eigenen Emotionen fernhalten möchte. Kontinuierliches Wahrnehmen der eigenen Körperempfindungen, ohne diese als gut oder schlecht zu bewerten, führt direkt zurück zu unseren Gefühlen. Erlebe ich z.B. gerade Angst, verlasse ich meinen Verstand und suche in meinem Körper nach einer entsprechenden Empfindung, die sich als Druck oder Brennen, Kälte- oder Wärmegefühl oder anderes, oft in Höhe des Solarplexus, finden lässt. In der Bereitschaft, diese Körperempfindung so lange und immer wieder zu fühlen, bis sie sich verändert oder vollständig auflöst, liegt die buchstäbliche Lösung. Das erfordert geduldiges Üben und gleichzeitig den unbedingten Willen, der Sucht des Denkens ein Stoppschild vorzusetzen.

Als größte Baustelle des gesamten Geschehens sehe ich die Wut, die den Körper nicht von selbst verlassen wird. Um ihr aber genau dies erfolgreich zu ermöglichen, gibt es verschiedene Methoden. So kann man im Wald Bäume anschreien (die sich dafür gerne zur Verfügung stellen), Kampfsport betreiben oder sich dabei von einem selbst erfahrenen Therapeuten begleiten lassen. Nach erfolgreichem Abschluss wird oft zutiefst aufgeatmet. Neue Energie, die in der Wut gebunden war, wird frei und durchströmt den Körper.

Unter meiner Anleitung haben Betroffene ihre Wut auf die Mutter verloren, indem sie sich diese ihnen gegenüber auf einem Stuhl sitzend vorstellten. Dann nimmt das Ganze seinen Lauf und genau so, wie es zur Geschichte und Gesinnung des Betroffenen passt. Das funktioniert übrigens auch, wenn die Mutter bereits verstorben ist, was ich sehr begrüße, da eine ungesunde Bindung auch über den Tod hinaus bestehen bleibt.

Meine Einzelaufstellungen leben durch meine eigene Art der Gestaltung und mein Gespür, das sich auch in kniffligeren Situationen stets bewährt hat. Dieser sichere Rahmen erlaubt der Person, sich vertrauensvoll führen zu lassen, ohne dabei kontrollieren zu müssen. So kann der Prozess der Ablösung erfolgreich gelingen.

Autor: Belinda Geis
Thema: Ablösung von den Eltern im Erwachsenenalter
Webseite: http://www.belindageis-psychotherapie.de

#Erziehung, #Familie

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