Dauerstress – und seine Folgen

11. Juli 2019 - Lifestyle

Eine Ermutigung zum Ausstieg aus dem „Hamsterrad“ der ständigen Überlastungen

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Den Begriff „Stress“ oder „Dauerstress“ benutzen viele Menschen jeden Tag. „Ich bin im Stress“, sagen wir oder „Ich halte diesen Stress nicht mehr aus“.

Was jedoch ist „Stress“? Wo kommt der Begriff her?

Den Begriff „Stress“ prägte in der Mitte der 1930er-Jahre der ungarisch-kanadische Mediziner Hans Selye. Er wird auch als „Vater der Stressforschung“ bezeichnet.

Meine eigene Definition für Stress: Ein System (Körper, Psyche, Geist) ist mit erhöhten Anforderungen und Reizen (Stressoren) aus dem eigenen Umfeld (z.B. Arbeitsplatz, Familie, Wohnsituation), der Umwelt (z.B. Luftverschmutzung, Lärm, Wetter) oder aus dem eigenen Inneren (z.B. Schmerzen, „Gedankenkarussell“) konfrontiert. Dauer und Art der Belastung – sowie die eigene Konstitution, die eigenen Fähigkeiten, Stressoren in Schach zu halten - entscheiden über das individuelle Empfinden von Stress, den eigenen Stress-Level.

Was der eine Mensch als sehr stressig empfindet, kann für einen anderen die pure Freude sein. Denken Sie zum Beispiel an Fallschirmspringer. Allein beim Gedanken daran, zittern mir die Knie. Ein Fallschirmspringer dagegen wird sich schon morgens darauf freuen, dass er mittags aus dem Flugzeug springen kann. 

Das Erleben von „Stress“ oder „Dauerstress“ ist also immer auch ein sehr individuelles Erleben. Und es ist nicht jeden Tag gleich. Heute macht es uns wenig aus, dass wir im Stau stehen, morgen sind wir schon beim ersten Gedanken an einen möglichen Verkehrs-Stau schlechtgelaunt.    

Hohe Belastungen fordern unser System (Körper, Psyche, Geist) zu einer Reaktion heraus. Entweder legen wir an Tempo, Kraft und Dynamik zu, um eine Situation / eine Aufgabe zu lösen (Der Chef will kurz vor Feierabend noch einen Bericht haben) oder wir versuchen uns der Situation zu entziehen (Bitte am Sonntag keinen Besuch von der Schwiegermutter) oder wir schaffen es gar nicht – unser System bricht zusammen. Wir werden krank.

In der Natur gibt es kein System, dass immer nur aktiv, dass immer nur angespannt ist. Kein Tier, keine Pflanze ist immer aktiv. Im Gegenteil – es gibt in der Natur starke Rhythmen, die natürlich auch uns Menschen beeinflussen.

Einige natürliche Rhythmen sind für uns gut und einfach zu erkennen. Meistens sind das die Rhythmen, die sehr deutlich sind, zum Beispiel Tag und Nacht, Windstille und Sturm, die Jahreszeiten.

Besonders der Tag-Nacht-Rhythmus – Helligkeit und Dunkelheit, das Licht haben enormen Einfluss auf unser Wohlbefinden, auf unsere eigene innere Uhr. Sie haben sicherlich schon bemerkt, dass Sie im Sommer – in der hellen Jahreszeit – länger wach sind, weniger schlafen und sich dennoch am nächsten Morgen erholt fühlen. Während es Ihnen im Winter – in der dunklen Jahreszeit – schwerfällt, nach Einbruch der Dunkelheit noch lange aktiv zu sein.

Das Licht ist einer unserer äußeren „Haupttaktgeber“. Leider ignorieren wir oft in unserem täglichen Leben diese natürlichen Rhythmen, diese natürlichen Taktgeber. Ignoranz – oder auch Unkenntnis - von natürlichen Rhythmen führt zu Ungleichgewichten und irgendwann kann genauso ein Ungleichgewicht im Empfinden von Stress enden.

Wenn wir nachts nicht schlafen, sondern Probleme wälzen, fehlt unserem Körper die Erholung. Bei einer Nacht ist das üblicherweise für unseren Körper kein Problem. Wir sind am nächsten Tag zwar müde, in der Folgenacht bekommen wir dann jedoch die Erholung, die wir brauchen. Wenn wir jedoch regelmäßig und immer wieder nachts nicht durchschlafen oder insgesamt nur wenig schlafen, dann kann unser Körper „antworten“. Mit starker Tagesmüdigkeit, die bis zum Wegnicken am Tag führen kann. Mit Magen- Darm-Problemen, mit Kopf- und Gliederschmerzen, mit Nacken- und Rückenschmerzen – fast jedes Körperteil kann von solchen Rhythmusstörungen direkt oder indirekt betroffen werden. Und jeder Körper kann anders reagieren.

„Stress / Dauerstress“ kann jeden Körperteil, jedes Körpersystem negativ beeinflussen, unser Denken manipulieren, uns erschöpfen und krank machen.  

Selten lassen sich jedoch Stressoren nur dem Körper oder nur der Psyche, nur dem Geist zuordnen. Zwar ist das stundenlange Sitzen auf einem Bürostuhl scheinbar in erster Linie ein körperlicher Stressor, jedoch leiden wir auch mental.  

Ein inneres Erleben von Stress löst eine Stress-Reaktion aus. Eine Stress-Reaktion kann vom inneren Gedanken „Mannoman, ist das heute wieder ein voller Tag“, bis hin zur Entwicklung von manifesten Störungen reichen.

Schulmedizin und Naturheilkunde sind sich darüber einig, dass „Stressoren“ eine Vielzahl von Störungen und Erkrankungen auslösen, unterstützen oder sogar Heilung verhindern können.

Wer nach einem Herzinfarkt so weiter macht wie bisher, der muss sich nicht wundern, wenn ein weiterer Herzinfarkt folgt. Wer seinen Körper immer wieder mit schlechtem Essen quält (zu viel Zucker, zu viel schlechte Fette, stark behandelte Nahrung), der muss sich nicht wundern, dass sich Körperfette ansammeln, die Gelenke schmerzen, das Blutgleichgewicht durcheinander gerät.

Stress/Dauerstress hat – ebenso wie seine Auslöser, die Stressoren – viele Gesichter.

Arbeitsüberlastungen können ebenso im Empfinden von Stress enden, wie Ärger in der Familie, Sorgen um den Arbeitsplatz, finanzielle Nöte oder schlicht Bewegungsmangel.

Für besonders empfindliche, sensible oder auch hochsensible Menschen können auch Wetterwechsel oder zu warme, zu kratzige oder zu enge Kleidung Stress bedeuten. Gleiches gilt für erkrankte Menschen. Wenn wir krank sind, nehmen wir vieles intensiver wahr.

In meiner Praxis erlebe ich oft, dass viele Stressoren nicht bekannt sind. Oder wussten Sie, dass unser Körper mit Stress-Symptomen (z.B. Kopfschmerzen, Mattigkeit, Konzentrationsschwäche) reagieren kann, wenn wir über den Tag nicht genug Wasser trinken? Dass unser Körper auf falsche Lebensmittel mit Unwohlsein, Bauchschmerzen, Magen-Darm-Problemen antworten kann?

Als ganzheitliche Therapeutin strebe ich danach, alle Möglichkeiten in Betracht zu ziehen, um den individuellen Empfindungen von Krankheit oder Störung auf die Spur zu kommen. Daher bin ich ein Fan von exakter Diagnostik. Und hier plädiere ich immer wieder dafür, dass Schulmediziner und naturheilkundliche Therapeuten „an einem Strang ziehen sollten“ – zum Wohle des Patienten.

Selbstdiagnosen oder Diagnosen aus dem Internet („Dr. Google“) sind üblicherweise nicht förderlich.  Sicherlich kann ein ständiger Nackenschmerz eine Reaktion auf übermäßigen Stress sein – das muss jedoch genau abgeklärt werden. Sicherlich können Bauchschmerzen, die immer vor einer Klausur auftreten, ein Hinweis auf psychischen Stress bedeuten – gleichzeitig rate ich davon ab, sich selbst rezeptfreie Beruhigungsmittel zu besorgen und zu hoffen, dass mit einer Pille alles gut ist.

In meiner Praxis erlebe ich immer wieder, dass Menschen jegliches Gefühl für den Rhythmus von Anspannung und Entspannung verloren haben. Sie wissen nicht mehr, wie „Entspannung geht“.

Auf eine meiner Fragen im Ersttermin „Wann haben Sie sich das letzte Mal entspannt gefühlt“ höre ich ganz oft sinngemäß „Keine Ahnung – lange her“ oder „Ich weiß gar nicht, ob ich schon jemals entspannt war“.

Beim konkreteren Nachfragen stellt sich oft heraus, dass jeder mit einer Vielzahl von gleichzeitigen Anforderungen im eigenen Leben umzugehen hat. Gerade die Gleichzeitigkeit von Ereignissen oder Anforderungen überwältigen uns oftmals. Das sich ständig drehende „Hamsterrad“ hat Einzug in unser Leben gehalten – wir sind immer aktiv, können nicht mehr oder zu wenig entspannen.

Noch Minuten vor dem Einschlafen haben wir das Mobiltelefon in der Hand – bei vielen ist es oftmals die ganze Nacht über an, liegt auf dem Nachttisch. Wir zappen stundenlang durch Fernsehprogramme, spielen nicht mehr in geselliger Runde, sondern allein vor dem Computerbildschirm.

Anstatt nach Feierabend in der Natur, im Wald spazieren zu gehen – es muss gar nicht eine Joggingrunde sein – um unseren Kopf freizubekommen, unser Herz von den Aufregungen des Tages zu beruhigen, schauen wir Krimis, die uns noch mehr aufregen und dessen Bilder wir mit in die Nacht nehmen.  

Dabei macht die Natur uns jeden Tag vor, wie wir dem Dauerstress entgegenwirken können. Die Natur lebt den Wechsel. Und „Wechsel“ ist auch gut für uns – der Wechsel zwischen Anspannung und Entspannung. Der Körper strengt sich an, der Körper möchte Erholung. Das ist m.E. das ganze Geheimnis einer effektiven Stress-Balance.

In den letzten Jahren ist der Begriff der „Work-Life-Balance“ (Arbeits-Lebens-Balance) sehr populär geworden. Gemeint ist, dass unsere Arbeitsstunden sich mit unseren freizeitlichen Lebensstunden in der Balancen befinden sollten.

Den Begriff „Balance“ mag ich sehr, zeigt er doch an, dass die Dinge im Gleichgewicht sind. Und Gleichgewicht bedeutet für Viele von uns auch gleichzeitig Wohlbefinden. Wenn wir intensiv über viele Stunden sitzend gearbeitet haben, dann braucht unser Körper auch intensive Bewegung, braucht Erholung und Regeneration. Ein ständig sitzender Körper verändert seine Muskelmasse, verändert die Länge bzw. Kürze von Muskeln. Das kann zu Nacken- und Schulterschmerzen, zu Rückenschmerzen führen.

Gleichzeitig hat Stress noch eine andere Facette. Und das sind unsere „inneren Antreiber“. Ich bin sicher, dass Sie auch schon mal Kontakt mit diesen inneren Stimmen hatten, die uns unüberhörbar ins Ohr flüstern „Das kannst Du nicht“, „Das darfst Du nicht“ und „Müßigang ist aller Laster Anfang“.

Der „innere Antreiber“ sagt auch Sätze wie „Nach diesem Stress musst Du Dir jetzt auch mal was gönnen“ – und wir gehen los und kaufen uns Kleidung, die wir nicht brauchen, essen Nahrung, die unser Körper nicht benötigt oder trinken Alkohol, um Erleichterung zu finden. Nichts davon ist jedoch Erholung oder Regeneration. Im Gegenteil – wir schütten das innere Erleben von Stress mit weiteren Aktivitäten zu.

Wir leben in einer Leistungsgesellschaft. Leistung ist unsere Währung. „Wer nichts leistet, ist nichts wert“, ist das Motto von Generationen. Das ist sicherlich sehr allgemein formuliert – jedoch zeigt es, was es uns auch so schwer macht, aus dem „Hamsterrad“ auszusteigen. In unserer Gesellschaft gibt es immer etwas zu tun. Wir kennen keinen Stillstand, wir kennen nur „höher, weiter, schneller“. Der Schreibtisch wird niemals leer, der Ärger mit dem Partner hört niemals auf und der Schmutz-Wäschestapel wird nicht kleiner.  

Und – um noch einmal zum Thema Licht und damit zu unserem natürlichen Taktgeber zurückzukommen – wir sind umgeben von künstlichen Lichtquellen. Helligkeit ist ständig verfügbar. Helligkeit zur falschen Zeit bringt unseren zarten, natürlichen Rhythmus jedoch empfindlich  durcheinander.

Immer gleich und immer verfügbar ist kein natürlicher Rhythmus, sondern ein von uns Menschen selbstgewählter. Wir können immer telefonieren, immer Fernsehen schauen, immer einkaufen, immer essen, immer trinken, immer auf dem Sofa rumliegen. Wir haben uns daran gewöhnt. Und wir wissen alle – Gewohnheiten zu ändern, das ist nicht so einfach.  

Heute möchte ich Sie ermutigen!

Fangen Sie an, sobald Sie diese Zeilen zu Ende gelesen haben. Stehen Sie auf und strecken Sie sich. Ziehen Sie sich Ihre Schuhe an und machen Sie einen Gang um den Block oder in den nächsten Wald. Verabreden Sie sich mit einer liebe Freundin, einem lieben Freund. Echte Kommunikation statt soziale Netzwerke.

Nehmen Sie Ihr Leben – wieder - in die eigenen Hände. Sorgen Sie gut für sich (es tut kein anderer, wenn Sie es nicht selbst tun). Bringen Sie die inneren Stimmen zum Schweigen, indem Sie Ihnen die Zunge rausstrecken. Entwickeln Sie wieder ein Gespür für das, was Ihr Körper wirklich braucht, was Ihre Psyche wirklich braucht, was Ihre Seele wirklich braucht.

Seien Sie geduldig und liebevoll im Umgang mit sich selbst. Oder in anderen Worten. Geben Sie nicht zu schnell auf. Was sich über Tage, Wochen, Monate (oft sogar Jahre) in Ihrem Verhalten aufgebaut hat, kann sich nicht in wenigen Stunden oder nach einer oder zwei Aktionen wieder abbauen.

Suchen Sie sich Gleichgesinnte, damit der eigene „Gewohnheits-Schweinehund“ sich nicht immer wieder in den Vordergrund drängen kann.

Zögern Sie nicht, sich fachkundige Unterstützung zu suchen. Ich erlebe in meiner Praxis immer wieder, dass auch kleine Veränderungen große Wirkungen haben können. Es müssen nur die richtigen, die individuellen Veränderungen sein. Die Veränderungen, die zu Ihnen und Ihrem Leben passen.

Es lohnt sich. Ein System, das wieder den Rhythmus aus Anspannung und Entspannung leben darf, ist leistungsfähiger, motivierter, fröhlicher, balancierter und damit in sich gesünder.

Ich wünsche Ihnen, dass Sie Ihren persönlichen Weg zwischen Anspannung und Entspannung finden und sich jeden Tag mehr darin üben, auf diesem Ihrem eigenen Weg ein Stück weiter zu gehen.  

Portrait Keßlau 

Autor: Devashakti Dagmar Keßlau
Thema: Dauerstress
Webseite: https://www.mensch-individuell.de

#Stress, #Probleme, #Unzufriedenheit

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