Wie funktioniert eine Fernbeziehung?

12. November 2018 - Lifestyle

Als man mich bat, einen Artikel zum Thema zu schreiben, war für mich gerade eine zweijährige Fernbeziehung zu Ende gegangen.

fernrohr-teleskop

Ich fragte mich, bin ich der Richtige für so was? Dann dachte ich: wenn nicht ich wer dann — habe ich doch einige Erfahrung mit dem Thema wie eine Fernbeziehung funktioniert.

Meine Definition von Fernbeziehung: Eine Fernbeziehung ist für mich eine Beziehung von zwei Menschen, die ihren dauerhaften Lebensmittelpunkt so weit voneinander entfernt haben, dass eine weitere Reise erforderlich ist, um sich zu treffen. Wenn zwei Menschen, die bisher zusammen gelebt haben, sich unterwöchig trennen, weil z.B. einer der Partner in einer anderen Stadt eine Arbeitsstelle annimmt, mag vieles von dem hier beschriebenen auch zutreffen.

Eine Fernbeziehung hat Vor- und Nachteile. Ein Vorteil ist, dass man am Wochenende in einen anderen Lebensraum eintauchen kann. Das kann sich wie ein Kurzurlaub anfühlen und der Zeit, die man miteinander verbringt, eine besondere Qualität geben. Ein Nachteil ist, dass man sich nicht einmal spontan besuchen kann und auch keinen Alltag miteinander teilt.

Dies kann in einem anderen Licht betrachtet allerdings auch ein Vorteil sein, weil die abnutzende Alltäglichkeit entfällt.

Schwellensituationen in der Fernbeziehung

Eine Fernbeziehung bringt zwei wichtige Schwellensituationen mit sich. Die erste Schwelle ist die Schwelle der Begegnung. Die Partner treffen sich nach mehreren Tagen oder gar Wochen, die jeder einzelne in seinem eigenen Raum verbracht hat, jeder mit seinen  Bedürfnissen, die diese Schwelle herausfordernd machen können.

Im einfachsten Fall sind die Bedürfnisse ähnlich: zum Beispiel wenn es beide kaum erwarten können einander die Kleider vom Leib zu reißen. Das macht ein gemeinsames Ankommen einfach. Im Fall meiner Partnerin und mir war das anders gelagert. Ich hätte zwar durchaus häufig dieses Bedürfnis gehabt, meine Partnerin kam jedoch in Kontakt mit Erinnerungen aus der Kindheit, in denen ihre Mutter dem damals auch unter der Woche abwesenden Vater mit Groll begegnet war, weil sie sich von ihm allein gelassen fühlte. So war unsere Begegnung eher von dem Bedürfnis meiner Partnerin geprägt, sich langsam miteinander „aufzuwärmen“ und ich war aufgefordert, mein Bedürfnis von spontanem Wiedersehenssex zurückzuhalten.

lebenspartnerschaft

Man kann sich vorstellen, dass eine solche Situation leicht zu einem Konflikt führt. Daher ist es besonders wichtig, in die Begegnung, deren Verlauf die Qualität des ganzen Wochenendes bestimmen kann, Bewusstsein zu bringen. Das kann dadurch geschehen, dass beide Partner sich erst mal einen Raum für Austausch nehmen: Wie geht es dir, wie geht es mir? Hierbei kann Erlebtes aus der Woche geteilt werden ­— allerdings möchte ich dazu einladen, dabei einen besonderen Fokus auf die Gefühle zu richten, die in der Situation der Begegnung auftauchen.

Als Form hierfür hat sich für mich das Zwiegespräch sehr bewährt. Hierbei sitzt man sich gegenüber und sorgt dafür dass man ungestört ist von irgendwelchen äußeren Einflüssen. Dann beginnt einer der Partner für eine bestimmte Zeit, 15 oder 20 Minuten sind empfehlenswert, fühlend zu erzählen. Der andere Partner hört einfach nur zu. Dann gibt es einen Wechsel und der andere Partner hat Fühl- und Redezeit. In einem dritten Block von 15 oder 20 Minuten kann ein Austausch über das Erzählte erfolgen.

Diese Form hat sich für mich in der Arbeit mit Paaren sehr bewährt, weil sie uns von unseren üblichen Kommunikationsmustern befreit, die häufig darin bestehen hintergründig emotional über vordergründige Sachthemen zu diskutieren.

Die zweite große Schwelle ist die Schwelle des Abschieds, bestimmt sie doch häufig das Grundgefühl, mit dem die Partner wieder in ihr jeweils eigenes Feld zurück kehren. Auch hier ist es empfehlenswert, einen Raum zu schaffen, in dem die bewusste Trennung auf Zeit vollzogen werden kann.

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Zwischen diesen beiden Schwellen liegen die gemeinsame Zeit und die Trennungszeit.

Die Gestaltung der gemeinsamen Zeit

Die Fernbeziehung bietet die Chance, die gemeinsame Zeit zu einer besonderen Qualitätszeit werden zu lassen. Hierzu wollen allerdings Alltagstätigkeiten von jedem einzelnen eher in die Trennungszeit verlegt werden, soweit das möglich ist. Wenn das nicht möglich ist, empfiehlt sich ein gemeinsamer Austausch darüber, was an dem Wochenende erledigt werden will. Dies am besten schon im Vorfeld, so dass jeder Partner weiß, was ihn an dem Wochenende erwartet.

Die Gestaltung der Trennungszeit

Machen Sie mit Ihrem Partner auch klar, wie sie während der Trennungszeit in Verbindung bleiben möchten. Auch hier kann eine Asymmetrie in den Bedürfnissen zu Konflikten führen. Zum Beispiel wenn ein Partner jeden Tag telefonieren möchte, während der oder die andere vielleicht maximal einmal während der Trennungszeit in Kontakt treten möchte. Die Herausforderung ist, wie in einer normalen Beziehung auch, eine stimmige Lösung zu finden. Hierbei kann sehr unterstützend sein, dass beide Partner sich darüber klar werden, wo ihre eigenen Bedürfnisse Ihren Ursprung haben. Auch hierfür ist das Zwiegespräch, in dem geübt werden kann, tiefer in Kontakt mit den eigenen Gefühlen zu kommen, sehr wertvoll. In meiner eigenen Fernbeziehung hat sich ein Kontakt per Videokonferenz unter der Woche sehr bewährt. Auch hier kann die Form des Zwiegesprächs angewendet werden.

Warum eine Fernbeziehung?

Sie könnten sich natürlich fragen, warum soll ich eine Fernbeziehung führen? Oder: warum passiert ausgerechnet mir das, einen Partner am anderen Ende der Republik oder gar in einem anderen Land kennen zu lernen? Ich betrachte die äußeren Umstände immer als Spiegel unserer inneren Gefühlswelten. Womöglich gibt es auch in Ihnen ein Spannungsfeld zwischen einem Teil, der sich Nähe und Bindung wünscht und einem anderen, der die Autonomie und Unabhängigkeit liebt. Eine Fernbeziehung manifestiert dieses Spannungsfeld auf einer äußeren Ebene. Manchmal wird diese Polarität auch von den beiden Partnern repräsentiert: der eine wünscht sich möglichst schnell zusammenzuziehen der andere will das nicht oder meint das nicht zu können. Auch hier können Konflikte auftreten, die nicht so schnell gelöst werden können, außer beide Partner sind bereit, sich ihre Gefühle hinter ihren Bedürfnissen anzuschauen.

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Entscheidend ist, sich bewusst zu werden, dass das Spannungsfeld von Autonomie und Bindung in jedem Menschen angelegt ist. Die Fähigkeit sich in diesem Spannungsfeld mit möglichst wenig inneren oder äußeren Konflikten zu bewegen, nennt sich „Innere Freiheit“. So ist für mich die Fernbeziehung der Weg, eine innere Freiheit zu gewinnen unabhängig von den äußeren Umständen.

Autor: Michael Engel
Thema: Wie funktioniert eine Fernbeziehung
Webseite: http://engel-psychotherapie.de

Autorenprofil Michael Engel:

Michael Engel ist Heilpraktiker Psychotherapie und berät in seiner Praxis in Darmstadt Männer, Frauen und Paare.

#Beziehung, #Liebe

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