Achtsamkeit im Alltag

19. März 2020 - Persönlichkeitsentwicklung

Man hört es immer öfter, ja es ist dabei, ein regelrechter Modetrend zu werden - Achtsamkeit.

kleines-maedchen-schaut-auf-die-wiese

Und das nicht ohne Grund, denn dieses „Achtsam sein“ kann sicher den meisten Menschen auf die eine oder andere Weise gut tun. Was verbirgt sich also dahinter?

Die Quelle der mittlerweile in der wissenschaftlichen Psychologie salonfähig gewordenen achtsamkeitsbasierten Verfahren finden wir im Buddhimus. Hier sind u.a. die vier Grundlagen der Achtsamkeit beschrieben: nämlich Achtsamkeit auf den Körper, die Gefühle, den Geist und auf dessen Objekte. Wenn man sich nun einen speziellen Aspekt dieser vierfachen Beobachtung näher verdeutlicht, gelangt man zu einer aus meiner Sicht überaus wichtigen Erkenntnis: für eine Beobachtung bedarf es immer eines Beobachters und eines beobachteten Objekts. Dabei sind Beobachter und Objekt der Beobachtung zwei verschiedene Instanzen. Was ist daran nun so wichtig?

kleines maedchen schaut blumen an

Bei unserem Beispiel mit der Blume ist alles noch ganz klar und einfach. Der Beobachter (nennen wir ihn Ich-Instanz) betrachtet die Blume (Objekt). Beide Instanzen unterscheiden sich eindeutig, sind räumlich voneinander getrennt und wir können ohne weiteres unterstellen, dass der Beobachter sich bewusst ist, dass er die Blume dort vorn sieht. Er wäre ganz sicher nicht versucht, sich mit ihr zu verwechseln.

kleines maedchen pflueckt blume

Berührt nun aber unser Beobachter die Blume und beobachtet nicht mehr die Blume an sich, sondern das samtige Gefühl, das durch die Berührung des Blütenblatts auf der Haut seiner Hand entsteht, sieht das schon etwas anders aus. Nach wie vor gibt es zwei Instanzen, die Ich-Instanz beobachtet das Objekt (samtiges Gefühl an der Hand). Fragten wir nun aber nach dem Objekt der Beobachtung, würden wir in den allermeisten Fällen zur Antwort bekommen „Meine Hand.“ Der Beobachter wäre sich also in diesem Fall nicht mehr bewusst, dass er eben nicht identisch mit seiner Hand ist. Analoges gilt für Gedanken und Gefühle. Auch sie sind nicht identisch mit dem Ich des sie Wahrnehmenden, sondern sie sind einfach beobachtete Objekte. Da sie sich aber im Körper des Beobachters befinden, werden sie im Normalfall nicht als vom Ich getrennte Beobachtungen erkannt. Daraus folgt, in solchem (Normal-)Fall identifiziert sich der Mensch mit seinen Wahrnehmungen, er verschmilzt mit ihnen.

Lassen Sie mich zum besseren Verständnis diese beiden „Betriebszustände“ des Menschen schematisiert und stark vereinfacht gegenüberstellen.

1. Der von Achtsamkeit gekennzeichnete Zustand:

Hier ist das gesamte Bewusstsein präsent und offen dem Hier und Jetzt zugewandt. Das bewusste Ich bleibt sich seiner selbst bewusst. So seltsam das jetzt erscheinen mag, dieses Selbst-Bewusstsein fühlt sich ganz unspektakulär an. Man bemerkt einfach, dass man  Gedanken, Gefühle und Sinneswahrnehmungen empfängt. So können alle diese Wahrnehmungen im Bewusstsein ankommen, ohne sofort unbemerkt in ein Verhältnis zu früheren Erfahrungen gebracht zu werden. Das heißt, sowohl Sinneseindrücke, wie auch Gedanken und Gefühle werden nicht sofort bewertet, sondern zunächst einmal unzensiert aufgenommen.

2. Der von den meisten Menschen hierzulande als normal empfundene, von geteilter Aufmerksamkeit gekennzeichnete Zustand:

Hier ist das bewusste Ich mit seinen Wahrnehmungen verschmolzen.

Ein Teil des Bewusstseins ist dabei meist mit Gedanken ausgefüllt, die es von der aktuellen, realen Situation ablenken. Er beschäftigt sich sozusagen weitestgehend mit sich selbst, ohne es zu bemerken. Der andere Teil nimmt die aktuelle Realität zwar wahr, aber lediglich in mehr oder weniger begrenztem Umfang, abhängig davon, wieviel die Gedankenbeschäftigung für sich beansprucht. In diesem Zustand „funktioniert“ der Mensch weitestgehend aufgrund relativ automatisch ablaufender Muster. Er ist sich dessen aber nicht bewusst, dass seine Worte und Handlungen zum größten Teil auf früher gelernten Automatismen beruhen. Da ein Teil seiner selbst quasi abwesend ist, kann er logischerweise nicht vollständig mit der aktuellen Situation interagieren, sondern eben nur zum Teil. So ist es de facto unmöglich, die Welt um sich herum in allen Facetten sowie sich selbst in dieser Welt zu erkennen, geschweige denn, all dem gerecht zu werden.

Dass der achtsame Zustand seinem Anwender mannigfaltige Vorteile bringt, haben zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen belegt. Unter anderem sind das geringere Stressanfälligkeit, weniger Ängste, ein allgemein positiveres Lebensgefühl, bessere Konzentration, ja sogar positive physiologische Auswirkungen, z.B. auf das Immunsystem, wurden nachgewiesen.

Durch das bewusste Erleben und Wahrnehmen des aktuellen Augenblicks in allen seinen Facetten wird dieser nicht bewertet, sondern einfach pur bemerkt, erfasst, erforscht. Das wiederum bedeutet, absolut präsent mit allen Sinnen im Hier und Jetzt zu sein, ganz ohne im Hintergrund ablaufende Gedanken.

Diese sind nun aber mehr oder weniger unbemerkt unsere ständigen Begleiter. Dabei bewirken sie nicht nur, dass ein Teil unserer bewussten Aufmerksamkeit vom tatsächlichen Erleben weg und mit den Gedanken hin zu Vergangenem oder in Zukunft Erwartetem / Befürchtetem abgelenkt, sondern dabei in aller Regel auch noch mit unangenehmen Inhalten beschäftigt ist.

Eine Menge Gründe für den Wunsch, möglichst häufig und lange im Zustand der Achtsamkeit zu leben. Wie geht das?

Kommen wir zunächst zurück auf den buddhistischen Ursprung.

Das Prinzip der Achtsamkeit wird von Buddhisten häufig in Form von Meditation kultiviert und trainiert. Auf diese Weise wird es als Gewohnheit etabliert und kann so in das Erleben des Alltags immer mehr einfließen. Als optimales Ergebnis wird jegliches Alltagsphänomen auf ebendiese achtsame Weise wahrgenommen, das achtsame Erleben wird zum gewohnten (Alltags-) Bewusstsein.

Die Meditationspraxis hat darüber hinaus noch den Effekt, eine tiefe Entspannung bei klarem Geist zu ermöglichen. Das Zusammenwirken von Entspannung und Achtsamkeitspraxis kann deren positive Wirkungen auf Körper und Geist vervielfachen.

Der große Nachteil, man benötigt viel Zeit dafür.

Die gute Nachricht für alle Meditationsmuffel – es gibt Alternativen.

Vor mehr als 40 Jahren entwickelte der Amerikaner Jon Kabat-Zinn sein Programm zur achtsamkeitsbasierten Stressreduktion MBSR. Seitdem hat es ungezählten Menschen rund um die Welt bei Depressionen, Ängsten, Schlafstörungen, chronischen Schmerzen und anderen Beschwerden geholfen. Vermittelt wird diese Methode, die meditative Elemente enthält, meist in Kursen in kleineren Gruppen. Da das viele Krankenkassen für ihre Mitglieder fördern, lohnt es sich dort nachzufragen, wenn man auf diesem Weg die Achtsamkeit in seinem Alltag etablieren möchte. In der Regel dauern die Kurse acht Wochen, in denen man zusätzlich zum Kursbesuch ca. 30 bis 60 Minuten für das tägliche Training einplanen sollte.

Doch auch wer das nicht in seinen Tagesablauf platzieren kann oder möchte, hat durchaus die Möglichkeit, alltäglich und mit wachsender Routine Achtsamkeit zu praktizieren. Um sich an den achtsamen Zustand zu gewöhnen, ist es meines Erachtens nach nicht unumgänglich, zu meditieren. Es kommt vielmehr darauf an, sich immer wieder in den achtsamen Zustand zu bringen. Das ist allerdings ein Vorhaben, das nicht in ein paar Tagen zu bewältigen ist. Da wir es gewohnt sind, unseren Alltag mehr oder weniger versunken im Autopiloten-Modus zu erleben, bedarf es regelmäßiger Besinnung und dem folgend „Aufwachen“ in den präsenten Zustand. Je öfter es gelingt, aus der Versunkenheit aufzutauchen und je länger das Verweilen im achtsamen Zustand andauert, desto größer die Gewöhnung, um diesen als regulär und normal zu etablieren.

Ich möchte hier darauf hinweisen, dass Achtsamkeitspraxis nicht gleichbedeutend mit Entspanntheit ist. Vielmehr wird durch das präsente und bewusste Erleben dessen, was ist, Entspannung sozusagen als Nebenwirkung erzielt. Damit ineinandergreifend wächst die persönliche Resistenz dem im Alltag permanent vorhandenen Stress gegenüber ganz von selbst.

Es gibt eine Menge Anregungen, meist in Form von Techniken bzw. Übungen, die man, je häufiger desto besser, im Laufe des Tages anwenden kann. Zu finden sind sie in Büchern, Zeitschriften und natürlich auch im Internet. So sollte es kein Problem sein, etwas Geeignetes für sich auszuwählen und zu praktizieren. Wenn man sich darauf konzentriert, einige wenige dieser Tools regelmäßig anzuwenden um mit der dadurch erreichten Präsenz immer vertrauter zu werden, lässt der Erfolg in Gestalt von mehr Lebensfreude, Gelassenheit und Wohlbefinden nicht lange auf sich warten. Zumindest in der Theorie!

Praktisch ist es meiner Erfahrung nach meist so, dass wir uns zwar vornehmen, die Techniken möglichst oft anzuwenden, aber dass diese gute Absicht beim Versinken in den Alltag und dessen gewohnte Gedankenmühlen mit untergeht. Man vergisst schlichtweg das Aufwachen in die Präsenz über lange Zeitspannen und merkt dann mit sich hadernd, dass man sich wieder die meiste Zeit des Tages vom Autopiloten hat chauffieren lassen.

Um es wirklich zu schaffen, seinen Alltag mit immer mehr Präsenz zu gestalten und sich ihm somit immer weniger auszuliefern, empfehle ich einen kleinen Trick. Damit man sich immer und immer wieder daran erinnert, dass man ja eigentlich sein Leben verbessern wollte, kann man kleine Gedankenstützen im gewohnten Umfeld verteilen, die wie ein Wecksignal wirken. Das kann ein Ton vom Handy sein, der in regelmäßigen oder willkürlichen Abständen ertönt, aber auch etwas, das man am Körper hat, wie zum Beispiel ein Schmuckstück, kann uns hier gute Dienste leisten. Immer wenn man diesen Schmuck fühlt, sieht oder sonst wie bemerkt, ist es Zeit für ein Aufwachen in die Achtsamkeit. Wer mag kann auch ein Symbol, wie ein Smiley, eine Blume oder ähnliches verwenden. Weiterhin eignen sich auffallende Steine, Muscheln oder Kerzen, an Stellen platziert, die häufig ins Auge fallen.

Es würde den Rahmen dieses Artikels sprengen, die einzelnen Tools genauer zu betrachten. Ich empfehle, einfach auszuprobieren, wodurch man am leichtesten und am alltagstauglichsten in die Beobachter-Instanz wechseln kann. Aus meiner Sicht ist dabei nicht nur wichtig, dass diese Technik schnell und überall anwendbar ist, sondern auch, dass sie möglichst unbemerkt von unseren Mitmenschen praktiziert werden kann. Da jedes erfolgte Erwachen in den Achtsamkeitsmodus uns vertrauter damit macht, geht es hier nicht darum, etwas besser oder schlechter zu machen, sondern einzig und allein, es überhaupt zu tun. Schließlich gibt es kein „ein bisschen achtsam“, entweder ist man präsent oder eben auf Autopilot.

Glücklicherweise existieren, wie bereits erwähnt, mittlerweile eine Menge Angebote, auf die jeder bei seinem ganz persönlichen Weg in die Achtsamkeit zurückgreifen kann. Zwar gibt es hier keine weniger oder mehr Talentierten, denn alles Notwendige wurde uns bereits in die Wiege gelegt, dennoch unterscheiden sich unsere Charaktere und Erfahrungen so massiv, dass es kein Nonplusultra geben kann. Für manchen ist es deshalb sicher hilfreich, von einem Coach oder Therapeuten Orientierung und ein wenig Starthilfe zu bekommen. Die Routine kann man sich ohnehin nur selbst verschaffen.

Also ausprobieren und dann praktizieren, was am besten funktioniert, ob allein oder mit Gleichgesinnten - es lohnt sich!

Autor: Sabine Schmidt-Weidner
Thema: Achtsamkeit im Alltag
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