Den inneren Schweinehund überwinden

19. Juni 2018 - Persönlichkeitsentwicklung

Vor kurzem war ich zur Reha-Kur und staunte nicht schlecht, wie viel Raum gerade der Schweinehund bei den Rehabilitanden in Anspruch nahm oder vielleicht auch nur zugestanden bekam.

schweinehund

Egal ob es um die richtige Ernährung, Sport, Strategien im Umgang mit der Gesundheit oder Beziehungen – überall schien der Schweinehund sich querzulegen. Fast hatte man den Eindruck, die Verordnung der Kur hing maßgeblich mit diesem mysteriösen Geschöpf zusammen, welches unter dem Begriff „innerer Schweinehund“ seine Runden dreht.

Ein paar Tage dabei, hatte ich mein erstes psychologisches Einzelgespräch – wie es sich für eine gute Reha-Kur so gehört – und der Psychologe gestand mir, dass er sogar mehrere inneren Schweinehunde sein Eigen nennt. Nun wurde ich stutzig: springen die inneren Schweinehunde der Rehabilitanden etwa auf die Psychologen über? Und habe ich etwa auch einen? Oder sollte vielleicht einen haben, denn schließlich bin ich ja auch zur Kur?

Nun bin ich in einer anderen Kultur groß geworden und habe weder in meiner Kindheit noch in meiner Jugend einen Hinweis auf einen Schweinehund erhalten. In Deutschland dagegen tummeln sie sich geradezu, jeder weiß, wer damit gemeint ist. Oder etwa nicht? Und fehlt mir vielleicht am Ende so ein Tierchen zur Vervollständigung meiner Persönlichkeit? Was alle haben – möchte ich natürlich auch besitzen.

Woher kommt dieser Schweinehund?

Ich machte mich an die Recherche. Tatsache – deutsche Kreation. Lässt sich als Begriff nicht einmal in die andere Sprache übersetzen. Wenn man keinen Begriff dafür hat, scheint das Phänomen wohl unbekannt zu sein. Keine Schweinehunde in anderen Ländern? Nur in Deutschland? Kann so etwas möglich sein?

Die Information dazu im Internet übertraf alle meine Erwartungen. Ich sah die verschiedensten Bilder vom Schweinehund. Manchmal ganz niedliche dabei, so dass mein Kuschelreflex sich angesprochen fühlte. Ich fragte mich nur, warum man so ein drolliges Geschöpf unentwegt bekämpfen wollte. Wenn man einen Schweinehund hatte, dann war es irgendwie mit der Ruhe vorbei. Immer irgendwie Kampfbereitschaft. Irgendjemand wies auch auf die Bestechlichkeit des Schweinehundes hin und hatte Tipps, wie man den inneren Schweinehund überwinden könnte. Das Zusammenleben mit einem Schweinehund scheint mühsam zu sein, sinnierte ich so für mich allein. Sollte ich doch einen haben – wollte ich ihn wirklich kennenlernen? Sollte man schlafende Schweinehunde wecken?

Ich beschloss, vorsichtig zu sein. Denn eigentlich fehlte mir ja nichts – auch kein Schweinehund.

Es kam wie es kommen musste. An einem Samstag – meinem Nordic-Walking-Tag – hatte ich auf einmal keine Lust, meine Stöcke auszupacken. Früher – vor der Kur? – hätte ich vielleicht so etwas wie „na gut, dann eben heute nicht“ zu mir gesagt und mich vielleicht mit einem Buch in den Sessel gelümmelt, denn schließlich hatte ich eine harte Woche hinter mir. Doch jetzt schöpfte ich einen Verdacht: war das etwa der Schweinehund, der mich am gesunden Verhalten hindern wollte? Und habe ich ihn unbemerkt von der Kur mit nach Hause genommen?

Irritiert tastete ich mich ab. Wo verkroch er sich nur? Alles wie immer. Ich konnte einfach keinen Schweinehund in mir ertasten. Das Misstrauen blieb trotzdem. Wo kämen wir denn hin, wenn ich einem Schweinehund nachgeben würde? Also packte ich meine Stöcke aus und nahm den Kampf auf. So richtig Spaß machte es zwar nicht, ohne Lust wollte sich der Spaß nicht so richtig einstellen. Doch das edle Ziel – die Bekämpfung meines inneren Schweinehundes – war wohl der Verbissenheit meines angesagten Kampfes wert.

Was soll ich zu der weiteren Entwicklung der Bekämpfung meines inneren Schweinehundes sagen? Ich glaube, der machte sich nicht viel aus meinen Anstrengungen, falls es ihn gab. Doch mein Leben wurde tatsächlich viel anstrengender, verbissener. Viel mehr Physiotherapie wurde auf einmal nötig, um meine verkrampften Muskeln zu lockern. Der Spaß ließ nach, das schlechte Gewissen nahm zu. Immer, wenn ich keine Lust verspürte, witterte ich auch schon den bösen Einfluss meines inneren Schweinehundes. Ich las Ratschläge zum Thema, versuchte halbherzig diese in meinem Leben einzubauen und fühlte mich selten richtig gut. Vor allem dann nicht, wenn meine Unlust gewann und ich mir unterlegen vorkam.

So konnte es nicht weiter gehen. Irgendetwas musste geschehen. Ich wollte zurück in mein Leben ohne einen inneren Schweinehund. Ich wollte wieder mit einem ungestörten Gewissen und einem Buch am Wochenende im Sessel lümmeln und mich von den Strapazen und Anforderungen der Woche erholen oder mit Spaß auf meiner Walking-Piste unterwegs sein, ohne dass irgendwelche Schweinehunde das Ruder übernahmen.

Und so wagte ich ein Experiment. Ich tat einfach so, als hätte ich keinen inneren Schweinehund und könnte selbst für alle meine Handlungen Verantwortung übernehmen. Outsourcing adé.

Wie konnte ich meinen inneren Schweinehund überwinden?

Ich hörte auf, meinen vermeintlichen Schweinehund mit überzogenen Anforderungen an mich selbst und meinem schlechten Gewissen zu füttern. Ich hungerte ihn sozusagen aus.

Was hat sich dadurch verändert? Lust und Spaß kamen wieder in mein Leben. Wenn ich mal keine Lust hatte, dann plagte mich kein schlechtes Gewissen. War halt nicht mein Tag. Schlecht geschlafen vielleicht. Zu viel gearbeitet. Gerade anstrengend in der Familie. Oder Streit mit meiner Freundin. Was auch immer – ich wurde wieder barmherziger mit mir selbst. Und wenn die Unlust vorbei war, kam die Lust wieder. Das Leben wurde wieder leichter. Puh … ich musste mich nicht mehr als Schwein fühlen, wenn ich keine Lust auf einen Verwandtenbesuch hatte und musste mich auch nicht wie einen Hund dressieren, um hundertprozentige Leistung vorzuzeigen. Ich durfte einfach SEIN, wie ich BIN. Und nicht immer nur TUN.

Was lernte ich aus meiner inneren Auseinandersetzung mit meinem imaginären inneren Schweinehund? Und was kann ich an andere weitergeben?

Solange nicht ICH es bin, sondern der vermeintliche Schweinehund, kann ich ihn immer als eine Ausrede heranziehen. Schließlich würde ICH ja gerne, aber der Schweinehund lässt mich nicht. Der Andere – in diesem Fall der Schweinehund – hat Schuld. So habe ich eine Projektionsfläche. Das verhängnisvolle daran ist jedoch, dass ich meine eigenen Anteile, die mir (vermeintlich? Oder wirklich?) in die Quere kommen, nicht integriere und damit mich mit mir selbst in einem ständigen inneren Kampf befinde. Wer kann dabei gewinnen? Niemand. Und schon gar nicht ich selbst. Denn welcher Anteil in mir auch immer gewinnt, bin ich trotzdem gleichzeitig besiegt.

Ein „ja“ zu mir in meinem SEIN – komplett sozusagen – zu meinen Anteilen, die mir gefallen und ebenfalls zu denen, die mir vielleicht nicht ganz so oder vielleicht auch gar nicht gefallen, bringt auf längere Sicht viel mehr als die Verschiebung ins Abseits.

Das Leben ist Streben nach Balance.

Wenn ich mich überangesträngt habe, so habe ich ganz natürlich keine Lust auf eine weitere Anstrengung, sondern auf Erholung. Da hat das schlechte Gewissen nichts zu suchen.

Bin ich erholt, bekomme ich auch ganz natürlich wieder Lust auf Anstrengung. Glaubt ihr nicht? Ausprobieren!

Natürlich gibt es da auch manche Charaktereigenschaften. Weltfremd bin ich nicht. Mancher ist bequemer als ein anderer. Doch dafür gibt es – Gott sei Dank! – Beziehungen. Diese werden uns schon so weit bringen, dass wir uns hier und da auch überwinden wollen, sozusagen über den eigenen Schatten springen, um an Handlungsoptionen dazuzugewinnen und unsere sozialen Zugehörigkeitssehnsüchte zu stillen.

Letztlich geht es immer um das WOLLEN. Um mein WOLLEN. Um meinen eigenen WILLEN.

Der Beobachterposten mir selbst gegenüber bringt mich weiter. Was WILL ich? Und was WILL ich NICHT? Und WARUM? Und WAS will ich WANN?

Je mehr ich mich selbst kennenlerne, desto mehr werde ich mich auch schätzen lernen. Gesundes Selbstwertempfinden stellt sich ein. Das hilft mir, barmherzig zu werden. Mit mir selbst und mit anderen. Das entspannt. Ich muss nicht schlechter von mir selbst denken, als ich bin. Und von anderen auch nicht. Ich bin „so“, aber ich bin auch „anders“. Wenn die (gnadenlose) Bewertung abnimmt, nimmt die (wohltuende) Neugier zu. Und damit stellt sich mehr Spaß am Leben ein.

Voraussetzung? Ehrlichkeit. Schonungslose Ehrlichkeit vor sich selbst. Damit komme ich in meine reale Welt. Und nur das macht mich wirklich frei. Frei für Entscheidungen und für die Übernahme der Verantwortung für meine Entscheidungen. Dann ist mein Handeln integriert, dann bin ich authentisch.

Und kein Schweinehund kann mir dann meine Selbstbestimmung und Integrität rauben.

Autor: Olga Schürer
Thema: Den inneren Schweinehund überwinden
Webseite: http://www.lebens-zeit.net

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