Einsamkeit - eine Erfahrung

25. März 2020 - Persönlichkeitsentwicklung

Einsamkeit – ein hartes Wort. Kalt und schneidend zugleich. „Betrifft mich nicht“, werden Sie vielleicht denken.

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In den letzten Wochen sind jedoch immer mehr Menschen durch Quarantäne Maßnahmen, Ausgangsbeschränkungen und Kontaktbeschränkungen aufgrund des Coronavirus Covid-19 in den unfreiwilligen „Genuss“ der Einsamkeit geraten. Und ein Ende ist derzeit noch nicht in Sicht.

Aber auch unabhängig vom derzeit weltweitpräsenten Coronavirus ist der Begriff Einsamkeit mittlerweile in der Gesellschaft angekommen. In England wurde 2018 gar ein Ministerium für Einsamkeit ins Leben gerufen. Laut dem deutschen Zentrum für Altersforschung fühlen sich „immer mehr Menschen in Deutschland (…) einsam“. TAZ und Stern beleuchteten in den vergangenen Jahren ausführlich die „Einsamkeit in der Gesellschaft“  und die Süddeutsche Zeitung beobachtete am 27.09.2019 gar eine neue „Volkskrankheit Einsamkeit“.

Ist Einsamkeit eine Krankheit?

Aufgrund der aktuellen Bedrohungslage durch das Virus erscheint Ihnen vielleicht eine mögliche Quarantäne als eher unbequeme Massnahme. Der Begriff der Einsamkeit ist jedoch auch im wichtigsten, weltweit anerkannten Klassifikationssystem für medizinische Diagnosen (dem ICD 10) erfasst.  Darin wird „Alleinleben allgemein zu den möglichen Faktoren, die den Gesundheitszustand beeinflussen und zur Inanspruchnahme des Gesundheitswesens führen können“ beschrieben.  Das verheißt nichts Gutes. Tatsächlich ist der Begriff Einsamkeit eher negativ behaftet. Wer sich einsam fühlt, der leidet darunter und ein Leiden wird häufig auf einen Mangel zurückgeführt. Dient das Gefühl der Einsamkeit also lediglich als Weckruf für den betroffenen Menschen?

Warum fühlen wir uns einsam?

Zum Thema Einsamkeit wird seit langem geforscht und Einsamkeitsforscher John T. Cacioppo vergleicht die Einsamkeit mit dem Hungergefühl. Durch dieses Gefühl bemerken wir auf sehr unangenehme und schmerzhafte Weise,  dass es uns an etwas fehlt. Aber an was? An sozialen Beziehungen. Und wir leiden tatsächlich darunter. Das weiß jeder, der sich schon einmal einsam und abschnitten von der Welt gefühlt hat. Das Gute ist, -  wir können Abhilfe schaffen. So wie Hunger durch Nahrungsaufnahme gestillt wird, können wir auf Menschen zugehen und soziale Beziehungen oder neue Bekanntschaften knüpfen und vertiefen.

Im Zeichen einer Isolationsmaßnahme oder Quarantäne ist das jedoch nicht möglich. Zumindest temporär. Für alle anderen sollte dies ein leichtes sein.  Aber ist das wirklich so?

„Komm doch einfach raus aus deinem Schneckenhaus und geh doch mal unter die Leute“.  Das klingt für Betroffene oft wie Hohn und ist meist leichter gesagt als getan. Was, wenn ich mich in einer Art „inneren Quarantäne“ befinde? Mich schützen will oder nicht aus meiner Haut (oder meinem Haus) heraus traue?

Abgesehen davon hat ein einsamer Mensch in den vielen Fällen auch Niemanden, der das Leiden erkennt, motiviert und unterstützt. Häufig fühlen sich chronisch Kranke oder verwitwete Menschen im Alter einsam. Oder Menschen, die sich rund um die Uhr um einen Angehörigen kümmern und ihn pflegen. Da wird es dann schon schwierig einfach mal rauszugehen und mit Menschen in Kontakt zu treten. Mit „echten“ Menschen wohlgemerkt. Denn obwohl wir heute in den sozialen Netzwerken oftmals Unmengen von Kontakten und „Freunden“ haben, kann die durch das Medium reduzierte Form der Kommunikation das Gefühl der Einsamkeit nicht aufhalten. Die Distanz in den sozialen Medien vermittelt uns kaum Wärme und Gefühle.  Diese wären aber wichtig, denn gerade einsame Menschen sehnen sich nach Nähe, Sicherheit, Geborgenheit und Schutz. Ein echter Mensch aus Fleisch und Blut, der einen in die Arme nimmt. Ein respektvolles Gespräch oder Telefonat auf Augenhöhe mit einem mir wohlgesonnenen Menschen.

Viele Menschen in Deutschland vermissen das aktuell im März 2020 ganz intensiv. Aber auch vor dem Ausbruch von Covid-19 fühlte sich  schon jeder sechste Bürger oft und jeder zweite Deutsche zumindest manchmal einsam. Dies belegen die ernüchternden Zahlen der Bundesregierung. Im Januar 2019  hatte bereits eine Studie des Hamburger Marktforschungsinstitut SPLENDID RESEARCH 1.006 Deutsche zwischen 18 und 69 Jahren zum Thema befragt.

Bitte Abstand halten!

Eine wichtige Empfehlung zum Schutz vor dem Coronavirus ist der Abstand zu anderen Menschen. Ich isoliere mich und darf keine Nähe zulassen. Abstand wahren, denn damit nehme ich dem Virus die Chance sich durch Körperkontakt und Tröpfcheninfektion zu übertragen.

Jedoch fühlen sich auch unabhängig von der derzeitigen Extremsituation nicht nur ältere Menschen heutzutage einsam. Es sind auch Menschen,  die in ihrer Bewegung eingeschränkt sind oder nach einem langen gemeinsamen Leben mit dem Partner nach dessen Tod plötzlich alleine da stehen. Auch Armut ist in jedem Alter ein Risikofaktor um in die Einsamkeit abzurutschen. Auch Menschen, die in der Schule oder am Arbeitsplatz gemobbt werden, kennen dieses Gefühl. Wer seine sozialen Beziehungen nicht pflegt oder nicht pflegen kann, kann sich sehr schnell, sehr bald sehr einsam fühlen. Weil keiner mehr da ist. Aber auch Menschen in leeren und distanzierten Partnerschaften kennen dieses Gefühl: in der Zweisamkeit ganz einsam zu sein. Ohne respektvolle und liebevolle Gefühle, ohne Worte und ohne Nähe. Wir können uns sogar in einer großen Menschenmenge oder unter vielen Menschen einsam fühlen. Die Anonymität der Masse tötet dann die Individualität.

Ich fühle mich so alleine. Bin ich einsam?

Vermutlich ahnen Sie es schon, Einsamkeit und Alleinsein haben tatsächlich Gemeinsamkeiten. In beiden Fällen bin ich mit mir selbst alleine. Der Zustand der Einsamkeit ist jedoch nicht selbst gewählt. Ich leide darunter. Die Psychologie grenzt das klar ab und bezeichnet die Einsamkeit als „ein subjektives  Phänomen, das nicht mit Alleinsein oder objektiver Isolation gleich zu setzen ist“.

Alleinsein wiederum ist ein selbstgewählter Zustand. Eine wichtige Konstellation, bei der ich mich nur mit mir selbst beschäftige. Bei der ich mir selbst genug bin. Das ist vielleicht auch der Schlüssel zur Tür aus der Einsamkeit. Mich selbst nehme ich überall hin mit. Eine gute Nachricht.

Ein wichtiger Aspekt hierbei ist der eigene Wille. Denn manchmal braucht es in Situationen keine anderen Menschen. Manchmal tut es unglaublich gut alleine zu sein. Alleine mit sich selbst.

Wenn ich ganz alleine mit mir selbst bin, dann lasse ich mich auf mich selbst ein. Ich bin neugierig darauf mich kennenzulernen, meine Vorlieben, meine Stärken, meine Wünsche und Sehnsüchte. Das heißt aber auch meine Schwächen und Schattenseiten anschauen zu dürfen und aushalten zu müssen. Manchmal sogar in meine Abgründe zu blicken. Das ist nicht immer angenehm und tut oftmals richtig weh. Aber es hilft mir mich so anzunehmen, wie ich bin, mich selbst zu respektieren und zu lieben. Und wenn ich mich selbst liebe, dann finde ich vielleicht auch die Kraft und das Vertrauen wieder auf andere Menschen zu zugehen. Den ersten Schritt zu tun. Wenn ich mich selbst nicht mag, dann muss ich mich nicht wundern, wenn mich andere Menschen auch nicht mögen. Wenn niemand auf mich zugeht oder mich anspricht. Ich strahle dann  - oftmals unbewusst - eine Abwehrhaltung aus. „Rühr mich nicht an“ ist als Widerstand und zum Schutz vor Viren aller Art sinnvoll. Für den gesunden Umgang mit anderen Menschen hat es jedoch die genau gleiche abschreckende Wirkung. Was das langfristig für ein wohltuendes und bereicherndes Zusammenleben von Menschen in Beziehungen und in einer Gesellschaft bedeuten würde? Ich mag es mir ehrlichgesagt nicht vorstellen.

Raus aus der Passivität – der erste Schritt

Wie geht es dann aber weiter wenn sich nichts ändert? Wochenlange Quarantäne, monatelange Ausgehbeschränkungen und jahrelange Kontaktverbote? Lassen Sie sich ruhig dieses Szenario durch den Kopf gehen und überlegen Sie für sich, ob Sie das so wollen. Denn für viele Einsame im Alltag ist das heute schon fast Realität. Das Tragische ist, - wir sehen es ihnen oftmals überhaupt nicht an.

Als einsamer Mensch können Sie sich jederzeit folgende Frage stellen:  Bin ich es mir selbst wert nicht mehr einsam zu sein? Sie sagen JA?  Dann ist es Zeit für eine Veränderung und die Entscheidung etwas zu tun. Glauben Sie mir, - der Entschluss allein kann unglaublich kraftvoll sein. Ein volles JA aus ganzem Herzen kann Ihnen helfen die Kraft zu mobilisieren um den ersten Schritt zu machen. Der erste Schritt ist immer der schwerste. Also anfangen und einfach weiter gehen. Glauben Sie an sich und haben Sie keine Angst, sich ohne große Erwartungen anderen Menschen ein Stück weit zu öffnen, ganz vorsichtig. Doch wo finden Sie andere Menschen, auf Ihrem Weg aus der Einsamkeit? Ein Lächeln – erst zu sich selbst und dann zu anderen Menschen,  ein freundliches Wort können erste zaghafte Ansätze sein. Ein langvergessenes altes Hobby wieder aufleben lassen oder im Ehrenamt auf Gleichgesinnte treffen? Oftmals sehen wir durch eine Änderung des Blickwinkels neue Perspektiven und Wege. Und denken Sie daran, es ist zwar ein alter Spruch, aber er ist wahr: Wege entstehen dadurch, dass man sie geht.

Geben Sie sich also die Zeit langsam wieder wertvolle soziale Beziehungen aufzubauen. Schritt für Schritt wird es leichter werden. Nehmen Sie auch die kleinen Fortschritte und Veränderungen achtsam wahr. Erwarten Sie nicht zu schnell zu viel. Und lernen Sie wieder zu vertrauen. Vertrauen auf das Resonanzprinzip. Denn das was Sie aussenden, das ziehen Sie auch an. Und das Tolle ist, dass Sie das ganz genau steuern und ändern können. Wenn Sie an sich selbst glauben. Wenn Sie davon überzeugt sind, dass Sie es wert sind und es verdienen glücklich zu sein. Genau dann werden Sie auch der Einsamkeit immer mehr entkommen. Wenn Sie immer nur das Negative erwarten, dann werden Sie die positiven Entwicklungen nicht sehen können. Machen Sie die Augen auf!

Zurück auf LOS

Einsamkeit – ein starkes und schweres Wort. Immer noch. Einsamkeit kann jeden treffen. Besonders auch in der aktuellen Lage im Frühjahr 2020. Aber es gibt Wege und Möglichkeiten ihr zu entkommen. Ob aktuell mit der Möglichkeit des baldigen Endes der Quarantäne und der Beschränkungen oder aus einer sich langsam aufbauenden Loslösung der Abgrenzung und Isolation heraus. Wir bedauern Menschen, die einsam sind und können doch auch selbst ganz schnell und unerwartet vom Phänomen der Einsamkeit betroffen sein.

Das Coronavirus Covid-19 wird irgendwann vorüber sein. Um schmerzvolle, aber auch wertvolle Erfahrungen sind wir dann alle reicher. Und genau diese vorübergehende eigene Erfahrung der Einsamkeit kann helfen, dauerhaft leidende einsame Menschen zu erkennen und besser zu verstehen. Ihnen aus der Isolation heraus zu helfen, wenn sie sich denn helfen lassen wollen. Die stummen Schreie zu hören, die zaghaften Blicke zu sehen und ihnen die helfende Hand zu reichen. Mut zu machen, dann ist der Einsame gleich ein kleines Stückchen weniger einsam auf seinem langen Weg raus aus der Einsamkeit.

Eine sehr schöne Anregung dazu kann uns ein tibetisches Sprichwort geben:

„Begegnest du der Einsamkeit, - habe keine Angst. Sie ist eine kostbare Hilfe mit sich selbst, Freundschaft zu schließen.“

Autor: Ursula Jocham
Thema: Einsamkeit - eine Erfahrung
Webseite: https://www.humanchangemanagement.com

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