Intuitiv richtig entscheiden

01. November 2018 - Persönlichkeitsentwicklung

Warum man besser auf sein Bauchgefühl hören sollte

„Ich weiß auch nicht, warum ich mich für den entschieden habe. Es war einfach nur so ein Gefühl“, erzählt mir der Nachbar neulich bei einem lockeren Gespräch am Gartenzaun. Ich bin ein wenig erstaunt, denn sonst ist er ja mehr derjenige, der alles genau plant und möglichst nichts dem Zufall überlässt.

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Insbesondere bei größeren Anschaffungen, wie einem neuen Auto. Angesichts der aktuellen Diesel- und CO-2-Debatte, sei er ohne sichere Entscheidungsgrundlagen anfangs richtig frustriert gewesen, berichtet er mir weiter. Er hatte tagelang hin und her überlegt und dann irgendwann einfach aus dem Bauch heraus entschieden. Mit seiner Wahl habe er ein gutes Gefühl und sei sich sicher, die richtige Entscheidung für die Zukunft getroffen zu haben.

Auch wenn Bauchgefühl und Intuition bis dato in der Öffentlichkeit gerne etwas belächelt werden, steht mein Nachbar mit seinem Vertrauen darauf keinesfalls alleine da. Wie aktuelle Statistiken belegen, finden es selbst junge Menschen, im Alter von fünfzehn bis fünfundzwanzig Jahren 1, mehrheitlich extrem wichtig, sich bei ihren Entscheidungen ganz klar auch von ihren Gefühlen leiten zu lassen. Ebenso schwört rund die Hälfte aller Manager bei schwierigen Fragestellungen auf den Ratgeber Bauch, was sie natürlich im Nachhinein mithilfe des passenden Zahlenmaterials gerne etwas wissenschaftlicher begründet. Trotz aller technischen Errungenschaften, ist das Bauchgefühl auch im einundzwanzigsten Jahrhundert nicht wegzudenken und das aus gutem Grund.

Wie die Wissenschaft heute weiß, sind das Gehirn und der Magen-Darm-Bereich über die sogenannte „Darm-Hirn-Achse“ miteinander verbunden. Einer der ersten Wissenschaftler, der auf diesen Zusammenhang stieß, war der Pathologe Leopold Auerbach (1828-1897). Im Zuge seiner Forschungen Mitte des neunzehnten Jahrhunderts, machte er eine interessante Entdeckung. Ihm fiel auf, dass die Nervenzellen der Darmwand und die des Gehirns sich einander sehr ähneln. Wie später bekannt wurde, setzt sich diese Ähnlichkeit weiter bis hin zum Verhalten dieser Zellen fort. Hirn und „Bauchhirn“ 2 reagieren erstaunlich ähnlich auf bestimmte körpereigene Botenstoffe. Das Glückshormon Serotonin zum Beispiel, löst im Kopf inniges Wohlbefinden aus. Gleichzeitig nimmt es im Darm extrem positiven Einfluss auf dessen rhythmische Tätigkeit. Diese wiederum sorgt, im wahrsten Sinne des Wortes, für ein angenehmes Bauchgefühl. Dinge, die also im Gehirn ein Wohlgefühl auslösen, bewirken auch ein paar Etagen tiefer ein angenehmes „Feeling“. Man könnte also sagen, durch die nervliche Verschaltung des Gehirns mit dem Bauchbereich, werden Gedanken auf gewisse Weise fühlbar gemacht.

Neben den sprichwörtlichen Schmetterlingen im Bauch, gibt es da aber auch Situationen im Leben, die sich weniger gut anfühlen. „Davor habe ich schiss“ oder „jenes bereitet mir Bauchschmerzen“ sind Redewendungen, die sicherlich jeder kennt. Tatsächlich reagiert der Körper auf stress- und angstauslösende Situationen damit, sich auf eine mögliche Auseinandersetzung oder eine Flucht aus der Gefahrenzone vorzubereiten. Das Blut wird von den inneren Organen in die äußeren Extremitäten abgezogen, um für die Stresssituation besser gewappnet zu sein. Puls und Blutdruck steigen, die Muskeln werden angespannt und auf „Betriebstemperatur“ gebracht. Der Körper schaltet vom Regenerations- in den Abwehrmodus und dies spüren viele am deutlichsten in Form eines Grummelns in der Bauch- und Darmregion. Das auftretende Gefühl ist also eine spürbare Reaktion des Körpers auf einen äußeren Impuls. Der Mensch ist damit in der Lage, externe Einflüsse nicht nur rein rational bewerten, sondern auch körperlich „aufspüren“ und dementsprechend schneller darauf reagieren zu können. Mit anderen Worten: Was von Kopf in Richtung Bauch funktioniert, gelingt uns auch in die andere Richtung. Das Bauchgefühl wird auf diese Weise zum Frühwarnsystem in unbekannten oder schwierigen Lebenssituationen. Im Gegensatz zur bewussten Wahrnehmung mittels der menschlichen Sinnesorgane, die vom Gehirn aktiv gesteuert werden, ist der Bauch nicht auf Sicht- oder Körperkontakt angewiesen. Als Teil des vegetativen Nervensystems, genauer gesagt des enterischen Nervensystems, arbeitet das „Bauchhirn“ quasi autonom, also ohne die Notwendigkeit einer bewussten Steuerung und Fokussierung durch den Kopf.

Wer jetzt daraus aber schlussfolgert, das Gehirn käme bei reinen Bauchentscheidungen kaum oder gar nicht zum Einsatz, der irrt. Kopf und Bauch sind in diesem Prozess sogar in einem sehr regen Austausch miteinander. Das Gefühl gibt ähnlich einem Kompass dabei lediglich die Richtung vor, um unbekanntes Terrain für das Gehirn besser erschließbar zu machen. Stehen wir zum Beispiel vor einer wichtigen Entscheidung, so können wir unseren Körper gezielt dazu nutzen, herauszufinden welche Alternative sich einfach besser „anfühlt“. Was auf den ersten Blick etwas „unwissenschaftlich“ anmuten mag, hat aber einen zu tiefst pragmatischen und logischen Hintergrund: Das Gehirn kann unbekannte Situationen oft nicht sinnvoll bewerten. Ihm fehlen schlicht die notwendigen Vergleichswerte in Form eigener Erlebnisse. Es kramt in seinem Speicher nach ähnlichen, bereits erlebten Vorgängen, wird dabei aber nicht fündig. Angst und Unsicherheit kommen auf. Ähnlich wie ein „fauler Schüler“, der während der Klassenarbeit mit schweißnassen Fingern und aufgesetzt unauffälligem Blick auf dem Blatt des Tischnachbarn krampfhaft nach der richtigen Lösung sucht, verhält sich auch das menschliche Gehirn. Es orientiert sich ersatzweise einfach an Erfahrungen aus „zweiter Hand“, sprich Einschätzungen und Meinungen anderer. Dieser Suchvorgang bereitet vielen Menschen nicht nur Kopfschmerzen und schlaflose Nächte, sondern macht sie überdies hinaus auch besonders anfällig für „gut gemeinte Ratschläge“ des eigenen Umfelds.

Nutzer der emotionalen Intelligenz des eigenen Körpers sind somit klar im Vorteil. Diese beschleunigt nicht nur die Entscheidungsfindung um ein Vielfaches, sondern „objektiviert“ und individualisiert gleichzeitig den gesamten Prozess. Im Unterschied zur reinen Kopfentscheidung, die manchmal Stunden oder Tage in Anspruch nehmen kann, liefert das Gefühl in der Bauchregion binnen Bruchteilen von Sekunden eine individuelle Entscheidungsgrundlage, die vom Gehirn dann weiter bearbeitet werden kann. Zudem ist der Vorgang, bezogen auf die eigene Person, immer zu hundert Prozent passgenau, da die empfundenen Emotionen nicht von Fremdmeinungen oder gesellschaftlichen Zwängen abhängig sind. Gefühle sind in diesem Zusammenhang „unbestechlich“, denn sie sind von Mensch zu Mensch verschieden und so individuell wie der eigene Fingerabdruck. Positiver Nebeneffekt also: Die ungewollte und „ungeprüfte“ Übernahme fremder Ansichten und deren Einfluss auf die eigene Entscheidungsfindung, kann auf diese Weise also ganz leicht vermieden werden.

Je öfter Entscheidungen aus dem Bauch heraus gefällt werden, desto leichter fällt auch mit der Zeit das Vertrauen in die eigene Entscheidungsfähigkeit. Wer diese Art der Entschlussfindung regelmäßig nutzt, erfährt mit jedem Erfolgserlebnis, wie die eigene Selbstsicherheit buchstäblich weiter wächst. Das Bauchgefühl ist also nicht nur ein exzellenter Berater, sondern auch ein starker und sicherer Verbündeter im Dschungel zunehmender Angst und Unsicherheit, die derzeit in wirtschaftlichen und sozialen Belangen immer weiter um sich greift. Es lässt sich zudem relativ einfach trainieren und in den eigenen Tages- oder besser Entscheidungsablauf integrieren. Vom morgendlichen Aufstehen bis zum Schlafengehen treffen wir unzählige kleine Entscheidungen. „Welche Jacke ziehe ich bei dem Wetter heute an? Vielleicht regnet es ja später. Was soll ich heute Mittag essen? Mir wäre so nach Fastfood, aber ob das mein Magen verkraftet? Ob die Umleitung auf dem Weg zur Arbeit wohl noch besteht? Wäre blöd, wenn ich wieder wenden und zurückfahren müsste“. All diese unscheinbaren Wahlmöglichkeiten bieten eine hervorragende Spielwiese, um die eigene Intuition relativ gefahrlos zu testen und zu verfeinern. Ein Training, das sich lohnt, denn mit einem wacheren „Bauchgefühl“ ist kein ängstlicher Blick in Richtung der „Höhle des Säbelzahntigers“ mehr nötig. Die Frage ob dieser heute zu Hause ist oder nicht, lässt sich danach sprichwörtlich im Vorbeigehen genauso souverän beantworten, wie viele andere wichtige Themen des privaten und beruflichen Alltags.

Das oft zu Unrecht belächelte, analoge Bauchgefühl liefert also auch im digitalen Zeitalter eine weitaus hochwertigere Entscheidungsqualität, als so mancher rein auf rationalen Fakten basierende Auswahlprozess. Bereichert um eine unbewusste Ebene, ermöglicht es eine individuelle und beschleunigte Entscheidungsfindung mit deutlich mehr „Weitblick“, da nicht nur bewusst wahrnehmbare Parameter mit ins Kalkül einbezogen werden können. Es bedarf lediglich etwas Mut und Selbstvertrauen, um diese, bei vielen Menschen etwas verstaubten, Fähigkeiten wieder hervorzuholen und zu reaktivieren. Aber Übung macht ja bekanntlich den Meister!

1 Quelle: Shell-Jugendstudie 2006 zur Wichtigkeit der Intuition zur Entscheidungsfindung (Alter 15-25 Jahre)
2 1862 beschrieb der Wissenschaftler den sogenannten Auerbachschen Plexus (Plexus myentericus), einem Geflecht aus Nervenzellen in den Muskelschichten des Magen-Darm-Trakts, welches die Peristaltik des menschlichen Verdauungssystems steuert.

Autor: Dirk Stegner
Thema: Intuitiv richtig entscheiden
Webseite: https://www.der-natur-coach.de

Autorenprofil Dirk Stegner:

dirk stegner

Der gebürtige Coburger, Jahrgang 1972, lebt und arbeitet als Natur-Coach, Autor und psychologischer Berater in seiner Heimatstadt Coburg, ganz im Norden Bayerns. Nach dem Studium der Wirtschaftsinformatik und der langjährigen Tätigkeit als IT- und Internetfachmann, begann er sich bereits vor mehr als 15 Jahren aufgrund eigener gesundheitlicher Probleme mit alternativen Behandlungsmethoden für stress- und angstbedingte Erkrankungen auseinanderzusetzen. Zahlreiche Ausbildungen hierzu folgten.

Dirk Stegner bietet auch regelmäßig Vorträge, Workshops und Seminare zu seinen Buchthemen an. Weitere Informationen zu aktuellen Terminen erhalten Sie hier:

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