Klassische Konditionierungen im Alltag

10. Januar 2020 - Persönlichkeitsentwicklung

Hiermit möchte ich Sie einladen, sich mit dem Thema „Klassische Konditionierungen im Alltag“ zu beschäftigen.

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Was ist klassische Konditionierung?

Klassische Konditionierung ist eine von dem russischen Physiologen Iwan Pawlow begründete behavioristische Lerntheorie, die besagt, dass einer natürlichen, meist angeborenen, sogenannten unbedingten Reaktion durch Lernen eine neue, bedingte Reaktion hinzugefügt werden kann. Er trainierte einen Hund, indem er ihn stets nach einem Glockenton fütterte. Nach einigen Versuchen reichte der Glockenton aus, um den Speichelfluss des Hundes anzuregen – damit war der Hund auf den neuen Reiz konditioniert.

Als klassisches Konditionieren bezeichnet man das Verbinden von verschiedenen Reizen. Es findet immer eine Koppelung von „neutralem Reiz“ (NR) und „unbedingtem Reiz“ (UR) statt. Dadurch entsteht aus dem „neutralen Reiz“ ein „bedingter Reiz“ (BR).

Klassische Konditionierung findet allerdings nur statt, wenn beide Reize unter bestimmten Voraussetzungen auftreten und möglichst nahe nebeneinander liegen. Nur dann verbindet das Gehirn sie.

Die klassische Konditionierung spielt nicht nur bei Tieren, sondern auch beim Menschen eine große Rolle und findet ständig in vielen Alltagssituationen statt.

Schon im täglichen Leben eines Kleinkindes beginnen die Konditionierungen. Wenn zum Beispiel das Kind die Brust der Mutter sieht, versteht es, dass danach der Geschmack von Milch folgt. Der vertraute Geruch der Mutter kann mit Liebe und Sicherheit assoziiert werden.

Die Verbindung dieser Reize kann durch Training (zum Beispiel eine Gegenkonditionierung) verstärkt, verändert oder wieder gelöscht werden.

Bei der klassischen Konditionierung wird also eine Assoziation zwischen Reiz und unwillkürlicher Reaktion hergestellt.

Beispielsweise werden im Laufe unseres Lebens bestimmte Gerüche und Geräusche mit Situationen und Gefühlen verbunden, die uns dadurch ein Leben lang in Erinnerung bleiben können. Und jedes Mal, wenn wir dann einen bestimmten Duft wahrnehmen oder eine bestimmte Melodie hören, taucht vor unserem geistigen Auge die an diesen Duft oder diese Melodie gekoppelte Situation wieder auf. Diese Situationen können mit Freude verbunden sein, wie auch mit Angst oder Unbehagen. Dies hängt davon ab, welche Erfahrungen die Menschen gemacht haben. Zum Beispiel verbinden Sie mit einem bestimmten Lied, das Sie als Verliebte(r) gehört haben besondere Emotionen? Es handelt sich auch hierbei um Verknüpfungen mit einer (oder mehreren) Situation(en). Oder denken Sie beim Riechen einer bestimmten Duftnote an eine bestimmte Person? Auch das ist vermutlich eine Assoziation mit einer Person und der Duft ist nur der konditionierte Reiz, der zuvor ein neutraler Reiz war.

Konditioniert werde können auch Bilder, Musik, Bewegungen, Worte, Sätze, Orte und alle anderen Eindrücke.

Die Farben können auch unterschiedlich konditioniert sein. Als Kunsttherapeutin, wenn wir das vom Klienten erstellte Bild analysieren, frage ich immer meine Klienten nach Assoziationen zu den benutzten Farben. Diese Assoziationen zu verstehen hilft mir, bei meinen Klienten eine bestimmte Emotion, Erinnerungen und vielleicht sogar ein Verhalten hervorzurufen.

Es gibt noch zahlreiche Beispiele für klassische Konditionierung, die wir im Alltag finden können. Zum Beispiel wenn eine Person von ihrem Gegenüber angelächelt wird (Koppelung der Person mit sozialer Zuwendung) oder mit dieser im Rahmen einer Partnerschaft Zärtlichkeit oder Liebe erlebt, wird diese Person (die ursprünglich ein neutraler Stimulus war) zu einem positiven konditionierten Stimulus.

In der Schule bzw. im Unterricht können Konditionierungen emotionaler Reaktionen stattfinden, die langfristige Folgen haben (z. B. Lernfreude vs. Schulangst). Lehrer, Klassenzimmer, Schule etc. können z. B. zu angstauslösenden Stimuli werden, wenn sie mit sehr negativen Erlebnissen gekoppelt wurden. Dies kann bis zu Bildungsfeindlichkeit oder Abneigung gegen Bücher führen.

Wir können davon ausgehen, dass viele Ängste über klassische Konditionierung erlernt sind. Ein Kind beispielsweise wird von einem Hund angegriffen und gebissen. Ab diesem Zeitpunkt weint das Kind jedes Mal, wenn es einen Hund sieht. Der Hund (NR) ist zwar ursprünglich neutral, aber das Kind verbindet ihn mit dem Schmerz (UR). Eine ähnliche Erklärung gilt für die Angst vor Schlangen, Spinnen, vor Höhen, engen Räumen und vielen anderen Dingen und Situationen, vor denen Menschen oft irrationale Angst haben.

Ein anderes Beispiel: Ein Kind, das regelmäßig vom Arzt eine schmerzhafte Spritze bekommt, fängt an zu weinen. Irgendwann reicht dann vielleicht schon der Anblick eines weißen Kittels, um das Kind zum Weinen zu bringen. Der ursprünglich neutrale Reiz „weißer Kittel“ wird also mit dem schmerzhaften Reiz „Spritze“ assoziiert und führt dann – auch ohne Spritze – zum Verhalten „Weinen“.

Noch ein Beispiel aus meiner Praxis

Ein Kind aus einer Familie mit Migrationshintergrund in Berlin hatte eine negative Einstellung gegenüber der deutschen Sprache. Es schloss jedes Mal den Mund seiner Mutter, wenn diese deutsch sprach. Es schaltete den Fernseher aus, wenn deutsche Programme kamen. Es wollte gar nicht Deutsch lernen. Das jedoch wäre wichtig, um in Deutschland weiter gut aufzuwachsen und zu leben.

Das Kind begann den Kindergarten zu besuchen, als es noch nicht die deutsche Sprache beherrschte. Außerdem war es noch sehr an die Mutter gebunden. Nach einigen Tagen des Kindergartenbesuchs hatte das Kind die tägliche Trennung von der Mutter (eine stark negative Emotion) mit der deutschen Sprache assoziiert.

Wir standen vor der Aufgabe diese Assoziation zwischen Trennung und deutscher Sprache wieder zu lösen.

Auch bei Alkoholmissbrauch und -abhängigkeit spielen Prozesse der klassischen Konditionierung eine Rolle. So werden neutrale Reize, die immer wieder gleichzeitig mit dem Konsum von Alkohol auftreten (zum Beispiel eine bestimmte Umgebung, bestimmte Gerüche, bestimmte Personen), im Laufe der Zeit zu konditionierten Reizen, die den erneuten Alkoholkonsum umgehend auslösen können. So kann dann schon das Vorbeigehen an einer Kneipe oder das Geräusch beim Öffnen einer Bierflasche das starke oder unwiderstehliche Verlangen nach Alkohol auslösen.

Auch in der Werbung kann man das Konzept der klassischen Konditionierung entdecken. Ein Reiz, der eine positive Reaktion auslöst (z. B. fröhlich lachende Menschen, die Wohlbehagen auslösen), wird in Verbindung gebracht mit einem Produkt. Bei mehrfacher Wiederholung der Werbung wird so vom Konsumenten eine Verbindung zwischen der positiven Reaktion und dem Produkt hergestellt.

Im pädagogischen und insbesondere im schulischen Kontext können einige Aspekte der (Lern-) Motivation durch Mechanismen der klassischen Konditionierung erklärt werden.

Zum Beispiel kann ein neutrales Schulfach (NS) an Attraktivität gewinnen, sofern die Lehrkraft den Unterricht spannend und abwechslungsreich gestaltet. Die positiven Emotionen, die durch die Lehrkraft kommuniziert werden, können sich mit dem Schulfach koppeln, wodurch schließlich das Schulfach alleine positive Gefühle auslöst und so einen Anstieg der Motivation bewirkt.

Wenn wir wissen, was klassische Konditionierung ist und wir den Wirkungsmechanismus der klassischen Konditionierung verstehen, können wir die klassische Konditionierung bewusster im Alltag anwenden.

Autor: Maria Mazerat-Khaikin
Thema: Klassisches Konditionieren im Alltag
Webseite: https://www.potsdam-kunsttherapie.de

Autorenprofil Maria Mazerat-Khaikin:

Quellen:

• Stangl, W. (2020). Klassische Konditionierung - Klassisches Konditionieren: Signallernen, Reiz-Reaktionslernen, S-R-Lernen
www.therapie.de/psyche/info/index/diagnose/alkoholsucht/ursachen-diagnose/
https://paeda.fandom.com/de/wiki/Anwendungsgebiete_der_Klassischen_Konditionierung
www.fairtich.de/paedagogik/RoeGy_EF_Lerntheorien.pdf
www.brgdomath.com/psychologie/lernen-und-gedächtnis-tk-3/klassische-konditionierung/
https://de.wikipedia.org/wiki/Farbe#Das_visuelle_System
www.hypnose-burgdorf.ch/konditionieren.shtml
https://99designs.de/blog/design-tipps/bedeutung-der-farben/
www.skincair.com/de-de/magazin/faszination-duefte/

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