Psychisch kranke Menschen erkennen

19. Juni 2018 - Gesundheit

„Wie erkenne ich psychisch kranke Menschen?“ oder „Wie erkenne ich, ob ich selbst psychisch krank bin?“ Das sind schwierige Fragen, welche mit steigenden Zahlen an psychischen und psychosomatischen Erkrankungen immer wichtiger werden.

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Ob im privaten oder beruflichen Umfeld, fast jeder kennt einen Menschen, der an einer psychischen Erkrankung leidet, schon einmal gelitten hat, oder hatte selbst schon psychische Probleme. In den letzten 10 Jahren haben psychische Erkrankungen wie Depression, Burnout oder Angststörungen immer mehr zugenommen. Berichte von Krankenkassen und Ärzten zeigen, dass seit 2006 Krankschreibungen aufgrund psychischer Erkrankungen stetig zugenommen haben (Quelle: https://de.statista.com/themen/1318/psychische-erkrankungen/).

Nicht selten kommt es vor, dass psychische Störungen lange nicht richtig erkannt werden, weder von der betroffenen Person selbst, noch von den Mitmenschen. „Die/Der ist auf einmal irgendwie komisch oder anders“ wird vielleicht bemerkt. Leider aber wird oft der Ernst der Lage nicht erkannt und der Betroffene bekommt meist erst spät die richtige Hilfe und Unterstützung. Nicht selten geschieht dies erst, wenn schon ein Notfall, wie ein Suizidversuch oder ein psychischer Zusammenbruch, eingetreten ist. Wird eine psychische Krankheit längere Zeit nicht behandelt, kann es auch zu einer Chronifizierung kommen. Deshalb ist es hilfreich, das eigene Bewusstsein und Auge zu schärfen und Warnsignale für psychische Belastungen und Krankheiten frühzeitig zu erkennen.

Was bedeutet „psychisch gesund“?

Um erkennen zu können, ob man selbst oder eine andere Person unter einer psychischen Krankheit leidet, kann es helfen, sich bewusst zu machen, was „psychisch gesund“ bzw. „psychisch krank“ bedeutet.

Die Weltgesundheitsorganisation WHO definiert psychische Gesundheit als „Zustand vollständigen physischen, geistigen und sozialen Wohlbefindens“.  Psychische Gesundheit ist demnach genauso wie die körperliche Gesundheit die Grundlage für Leistungsfähigkeit und Wohlbefinden in Beruf und Privatleben.

Was bedeutet „psychisch krank“?

Das Internationale Klassifikationssystem der Krankheiten (ICD) beschreibt „Psychische Störungen und Verhaltensstörungen“ als „häufige, intensive und lang andauernde Normabweichung des Erlebens, Befindens und Verhaltens“ (ICD-10, Kap. V (F)). Im ICD-10 werden Krankheitsbilder wie zum Beispiel Depression, manisch-depressive Erkrankungen, Angststörungen und Schizophrenien beschreiben.

Psychische oder seelische Störungen gehen also meist mit von der Norm abweichenden Veränderungen des Erlebens und Verhaltens einher. Sie können zu Abweichungen der Wahrnehmung, des Denkens, des Fühlens und der Selbstwahrnehmung führen, was die Betroffenen verunsichert, ihnen Angst macht und sie in ihrer Freiheit einschränkt. Die Selbstregulationskompetenzen sind dabei meist stark eingeschränkt, was bedeutete, dass Betroffene trotz verstärkter Bemühungen, Willenskraft oder Disziplin sich und ihren Zustand nur schwer oder gar nicht beeinflussen können. So sind psychische Erkrankungen mit deutlichem persönlichem Leidensdruck bzw. Belastungen und Problemen in mehreren Lebensbereichen verbunden. Dabei wird auch die Verbindung von Körper und Seele deutlich. Wenn die Psyche leidet, ist auch der Körper mit betroffen, da Menschen mit einer psychischen Erkrankung sich meist auch körperlich unwohl fühlen, sich schlechter ernähren, weniger bewegen, stark unter Stress und Anspannung stehen und so auch oft das Immunsystem in Mitleidenschaft gezogen wird.

Auch das soziale Umfeld ist meistens mit betroffen. Nicht nur der Betroffene leidet, psychische Erkrankungen stellen oft auch Belastungen und Einschränkungen für die Mitmenschen dar. Leistungsfähigkeit und Konzentration in der Arbeit können eingeschränkt sein und nicht selten sind bei psychischen Belastungen die sozialen Kompetenzen in Mitleidenschaft gezogen. Menschen mit einer psychischen Erkrankung fühlen sich oft weniger belastbar, leichter reizbar oder empfindlicher. Sie beziehen vieles schnell auf sich und fühlen sich schneller angegriffen und verletzt als psychisch ausgeglichene Menschen. So können auch Familie und Freunde mit betroffen und belastet sein. Der Umgang mit der kranken Person gestaltet sich schwieriger, die Bezugspersonen machen sich Sorgen, fühlen sich verunsichert, hilflos und nicht selten überlastet.

Wie kann ich psychische Erkrankungen erkennen?

Prinzipiell ist es nicht so einfach eine psychische Erkrankung bei sich oder anderen zu erkennen, da sich Menschen bei Veränderungen jeder Art erst einmal verunsichert fühlen. Zudem fällt es schwer, zu beurteilen, was eine stärkere Abweichung von der Norm ist. Es gibt Definitionen davon, was „normal“ ist, aber diese können immer nur Richtwerte darstellen, da jeder Mensch ein Individuum ist. Einen Richtwert kann dabei das „normale“ bzw. gewohnte Verhalten der Person darstellen. Gibt es hier plötzlich auftretende Veränderungen, welche über einen längeren Zeitraum hinweg anhalten, oder sehr starke Abweichungen, kann dies ein Hinweis auf psychische Probleme oder eine Erkrankung sein.

Erschwert wird das Erkennen von psychischen Krankheiten zusätzlich dadurch, dass diese immer noch tabuisiert und stigmatisiert werden, so dass sich Betroffene oft selbst nicht eingestehen möchten, dass sie psychische Probleme haben und dies vor sich selbst zunächst zu leugnen und auch vor anderen zu verbergen versuchen. Oft bemühen sich Betroffene sich eine gewisse Zeit „zusammenzureissen“ und zu überspielen, wie es ihnen wirklich geht. Nicht selten versuchen sie mit Ausreden oder Lügen ihrem Umfeld zu verheimlichen, dass sie etwas stark belastet. Dies ist meist aber nicht auf Dauer möglich, da es zu viel zusätzliche Energie kostet. So fallen psychische Veränderungen meist zuerst im näheren Umfeld auf, wo die Kontakte länger und enger sind.

Auch die Definition von psychischen Störungen kann zu deren Erkenne einige Anhaltspunkte liefern. Bei sich selbst oder bei Mitmenschen kann man psychische Probleme oft an Veränderungen im Verhalten, in den Emotionen und im emotionalen Ausdruck, in Lebendigkeit und Lebensfreude und im Aktivitätsniveau und Antrieb erkennen. Kurzzeitig treten diese Veränderungen bei jedem Menschen hin und wieder auf. Jeder hat mal einen schlechten Tag, oder schlechte Tage. Halten diese Veränderungen aber über längere Zeit an oder verschlechtern sich, können diese Hinweise für eine psychische Krankheit sein.

Anhaltspunkte für das Erkennen von psychischen Krankheiten können sein:

Beobachtet man einige oder viele dieser Warnsignale bei sich oder Menschen im Umfeld über einen Zeitraum von mehreren Wochen oder Monate hinweg, ist es wichtig einen Arzt zu konsultieren. Woran genau jemand leidet und in welcher Ausprägung, kann dann der Arzt oder Facharzt diagnostizieren und die entsprechende Behandlung einleiten.

Wie kann ich helfen? Was kann ich tun?

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Beobachtet man die genannten Signale über einige Zeit, ist es wichtig mit der betroffenen Person zu sprechen und sie zu unterstützen, Hilfe zu bekommen. Dies ist oft gar nicht so einfach, da man sich selbst unsicher fühlt und nicht weis, wie man das Thema ansprechen sollte, um die Person nicht zu verletzen.

Wichtig dabei ist, die kranke Person in einem ruhigen Moment anzusprechen und ihr die eigene Wahrnehmung bezüglich der wahrgenommenen Veränderungen zu schildern. Entscheidend dabei ist, von den eigenen Wahrnehmungen und Vermutungen zu sprechen und die Sorge um die Person auszudrücken. Somit vermeidet man, dass die andere Person sich angegriffen und in die Enge gedrängt fühlt. Sehr wichtig ist dabei auch zu fragen, wie es ihr wirklich geht, was sie bei sich selbst wahrnimmt und ihr auch zuzuhören. Gut gemeinte Ratschläge wie „Das wird schon wieder“ oder „Du musst Dich nur zusammenreißen“ sollte man vermeiden, da diese kontraproduktiv sind. Es ist hilfreich, zu versuchen, die Gefühle und Wahrnehmungen des Betroffenen nachzuvollziehen, und nicht zu versuchen sie ihm auszureden. Wichtig ist, dass der Betroffenen sich erst einmal angenommen fühlen kann mit dem was ist und sich nicht verurteilt fühlt. Dann ist es wichtig, professionelle Hilfe dazu zu holen und zu unterstützen, dass der Kranke zum Arzt geht. Hierbei kann es helfen, sich mehrere Menschen aus dessen Umfeld zur Unterstützung dazu zu holen, um dem Betroffenen zu helfen. Das können Freunde, Vertrauenspersonen, Familienangehörige, Hausarzt, Psychologen, Telefonseelsorge, Krisendienst oder der sozialpsychiatrische Dienst sein.

Wichtig kann auch sein, dass sich Angehörige und Freunde eines Betroffenen selber Hilfe suchen. Eine psychische Erkrankung ist nicht selten für das ganze Umfeld eine starke Belastung und kann bei Angehörigen selbst zu Überlastungsreaktionen führen. Hierfür gibt es spezielle Selbsthilfegruppen oder Therapeuten. Auch das Lesen von psychologischen Ratgebern kann hier schon etwas Hilfe leisten.

Stellt man bei sich selbst Symptome einer psychischen Krankheit fest ist es wichtig, sich so schnell wie möglich Unterstützung und Hilfe zu suchen. Je schneller man die entsprechende Hilfe bekommt, desto leichter und schneller kann meist auch die Genesung verlaufen. Denn wie bei körperlichen Krankheiten sind auch bei psychischen Erkrankungen bei längerem Andauern immer mehr Systeme in Mitleidenschaft gezogen und es besteht die Gefahr einer Chronifizierung. Zudem besteht bei psychischen Erkrankungen wie Depressionen oder Psychosen die Gefahr, dass der Betroffene als Kurzschlussreaktion oder tiefster Verzweiflung einen Suizidversuch oder Suizid begeht.

Daher ist es wichtig, sich so schnell wie möglich einer nahestehenden Person oder einem Arzt anzuvertrauen und sich Hilfe zu holen. Auch ist es immer möglich eine Krisenhotline oder Telefonseelsorge zu kontaktieren. Hier findet man rund um die Uhr und kostenlos kompetente Ansprechpartner, welche in der Not weiterhelfen können.

Auch wenn das Thema psychische Erkrankung viel Unsicherheit hervorruft oder Angst macht, ist es wichtig, sich damit zu befassen und gegebenenfalls zu handeln. Beobachtet man die Anzeichen bei sich oder bei anderen Menschen im Umfeld, ist es hilfreich trotz alles Scheu mit den Betroffenen zu sprechen und bei der Umsetzung der nötigen Schritte zu unterstützen bzw. sich die Hilfe zu holen.  Die bestehenden Hilfestrukturen zu nutzen und zu wissen, dass man dabei nicht alleine ist, kann vielleicht helfen, die eigene Unsicherheit und Hemmschwellen zu überwinden.

Autor: Dipl.Psych. Stephanie Neuwald
Thema: Psychisch kranke Menschen erkennen
Webseite: https://www.psychotherapie-neuwald.dehttps://www.stress-los.de

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