Als mein Vater verstorben war, saßen wir Geschwister mit meiner Mutter zusammen und sprachen über die Gestaltung der Traueranzeige.
Auf meinen Vorschlag, dass wir als Trauernde einfach unsere Namen und den Zusatz „mit Familie“ verwenden könnten, entgegnete meine Schwester, dass das so nicht ginge, denn schließlich sei ich keine Familie mehr (Ich war zu diesem Zeitpunkt erst vor kurzem geschieden worden, habe aber Kinder).
Daher bewegt mich die Thematik „Familie" und was bedeutet das eigentlich? Wie definiert man Familie und wo kann man sich als Familie wahrnehmen mit all den Facetten, die das Wort bietet?
Familie gibt emotionale Stabilität und fördert jedes einzelne Mitglied, indem der Fokus auf die positiven Handlungen und Eigenschaften gerichtet wird. Dadurch verstärken sich diese und das Unvollständige verliert an Kraft.
Glück hat, wer noch den klassischen Familienverband erlebt. Das Ehemodell „bis dass der Tod uns scheidet“ ist noch immer der Traum vieler Heiratswilligen. Leider sieht die Realität oft anders aus, viele Ehen schaffen es nicht, über die ersten paar Jahre hinweg bestehen zu bleiben. Die Kinder verlieren manchmal nicht nur den Kontakt zu einem Elternteil, sondern auch zu Großeltern, Tanten und Onkeln. Natürlich gibt es immer wieder Ehepaare, die es schaffen, gut und freundschaftlich miteinander umzugehen und den Kindern auch den Kontakt zu weiteren Verwandten zu ermöglichen. Die Regel ist dies leider nicht. So bleibt vom Traum einer Bilderbuch-Familie manchmal nur das Ankommen in der Realität - als alleinerziehender Elternteil, oft gekoppelt mit vollständiger Berufstätigkeit.
Klassische Familie und die Herausforderung sie zu leben
Im Laufe der Zeit hat sich das Familienmodell sehr verändert, waren noch vor 25 Jahren zumindest auf dem Land die Frauen nach der Geburt der Kinder mit den drei Ks (Kinder, Küche, Kirche) beschäftigt und gingen höchstens einer geringfügigen Arbeit nach, hat sich dies in den letzten Jahren sehr verändert, sei es weil die Frauen nicht mehr auf Beruf und Karriere verzichten möchten, oder weil die steigenden Lebenshaltungskosten es erfordern. Tatsache ist, dass viele Kinder bereits von klein auf in Betreuungsstätten gebracht werden und dort, umgeben von fremden Menschen, aufwachsen. Viele Großeltern, sofern sie überhaupt in der Nähe wohnen, stehen noch im Berufsleben und haben deshalb auch nicht die nötige Zeit um ihre Enkel zu betreuen.
Dadurch lernen die Kinder oft das Eingebunden sein in die Familie gar nicht kennen oder verbringen nur einen Bruchteil der Zeit mit ihren Eltern oder Großeltern.
Das Wohnmodell hat sich ebenfalls sehr verändert, nur noch wenige Familien wohnen mit den Großeltern im gleichen Haus. Stand früher die Versorgung im Vordergrund, sei es die der Kinder oder die der alt gewordenen Eltern, richtet sich heute der Bedarf mehr an die emotionale Versorgung aus. Die gemeinsame Zeit ist zu einem kostbaren Gut geworden und wird leider nur zu oft von Leistungsdruck und schulischen Erwartungen gefüllt.
Zeit als Familie zu verbringen ist wertvoller denn je. Wenn die Eltern Zeit finden, um mit den Kindern zu Spielen, Kochen, Basteln, oder zu Handwerken, wird ein guter Grundstock für das Selbstvertrauen der Kinder gelegt. Bereits Konfuzius sagte:
„Sage es mir, und ich werde es vergessen. Zeige es mir, und ich werde es vielleicht behalten. Lass es mich tun, und ich werde es können.“
Um in der Kindererziehung dieser Weisheit Raum geben zu können, bedarf es eines guten Zeitmanagements. Richtet sich der Fokus weg von der schulischen oder beruflichen Leistung, ist die Familie ein Rahmen, in dem sich die Kinder und auch die Erwachsenen wohlfühlen können und sich leistungsfrei angenommen und geliebt fühlen können.
Als Faustregel für eine gelingende, wohlwohlende Atmosphäre für die Kinder und auch die Erwachsenen könnte beispielsweise gelten, dass auf eine Kritik mindestens zwei ehrliche, lobende und anerkennende Aspekte zur Sprache kommen.
Alleinerziehende mit Kindern
In diesem Familienmodell ist es wohl die größte Herausforderung, als Elternteil nicht auf der Strecke zu bleiben und sich völlig in der Rolle der Mutter oder des Vaters zu verlieren.
„Sorge zuerst für dich selbst! Dann sorge für deine Kinder und deinen Mann / Frau! Und wenn du etwas übrig hast, dann sorge auch für andere Menschen! […]“ (Jeanne Ruland)
Dies verliert man als alleinsorgender Elternteil schnell aus den Augen, falls man es je überhaupt gelebt hat. Die eigenen Bedürfnisse wahr zu nehmen und ernst zu nehmen hat nichts mit Egoismus zu tun, sondern entspricht der Vorbeugung gegen Burnout und der Tatsache, dass man nur etwas geben kann, wenn man auch etwas hat. Lieber 10 Minuten Kraft tanken und dann der Familie wieder zu Verfügung stehen, als sich nur durch den Tag zu schleppen und voller negativer Gedanken zu sein.
Weitere Familienformen
Patchworkfamilien entstehen immer häufiger und stellen durch die Verschiedenheit der unterschiedlichen Mitglieder eine klare Forderung nach Gelassenheit in den Raum. Kinder aus möglicherweise andersartigen Erziehungsstilen sollen sich nach dem Wunsch der Eltern ganz harmonisch miteinander vertragen. Oft gelingt dies auf ganz schöne, angenehme Weise, doch manchmal stellt sich die erwünschte Harmonie nicht ein. Um trotzdem eine wohlwohlende Atmosphäre zu schaffen, ist es hilfreich, wenn die neuen Partner ihre eigenen rosaroten Wünsche durchschauen und im Alltag die Kinder als Individuen sehen können. Jeder Mensch hat ganz eigene wundervolle Seiten und Talente und braucht die Anerkennung eben dieser, anstatt verglichen zu werden.
Pflegefamilien, Familien mit gleichgeschlechtlichen Partnern, Adoptiveltern, Familien in denen die Partner nicht verheiratet sind - es gibt noch viele weitere Familienmodelle, die einer Erwähnung wert sind. Im Grunde sind die Herausforderungen ähnlich. Wenn das Familiensystem gesund ist, fühlen sich alle Mitglieder wohl und können sich perfekt entwickeln.
Zweck der Familie und heutiges Familienbild
Stand in früheren Zeiten die Versorgung und Ernährung der Familienmitglieder im Vordergrund, weil oft die Großeltern und ledige Onkel und Tanten mit im Haushalt lebten, hat sich die Gewichtung heute in Richtung emotionale Versorgung und Stabilität gewandelt. Die Familie ist die Übungswiese für den Umgang miteinander und für die Beziehungsfähigkeit im Leben. Wie wir den Umgang miteinander in der Familie erleben, prägt unser eigenes Verhalten. Wir lernen als Kinder, wie man mit Unstimmigkeiten und gegensätzlicher Meinung umgeht und wenn die Familie eine gesunde Substanz hat, machen wir dort die Erfahrung, dass jedes Familienmitglied den Willen zur Akzeptanz der anderen mitbringt und die Bereitschaft, sich auch nach einem Streit wieder zu versöhnen und wieder miteinander am Tisch zu sitzen.
Das Familienmodell der heutigen Zeit ist für mich die Ohana
Ohana ist das im polynesischen Raum verbreitete Wort für Familie und beinhaltet viel mehr als nur den engen Kreis der Verwandten aus den Blutslinien. Die Ohana bietet den Menschen ein vielfältiges Spektrum von Verbundenheit und Wertschätzung. Die Ohana ist anders, es gehören Menschen dazu, mit denen wir uns gut verstehen, die uns durch Freundschaft und Liebe wertvoll geworden sind. Es wird auf das Verbindende geschaut - es gibt keinen Konkurrenzdruck, denn wer zur Ohana gehört ist immer willkommen, unabhängig davon, was den Menschen gerade bewegt. Die Liebe und Akzeptanz der Ohana ist für alle eine Bereicherung. Jeder einzelne wird unterstützt, gehört und wahrgenommen, genauso wie er ist.
Wachsen Kinder in dieser Wertschätzung auf, eröffnet sich ein sehr weites Erfahrungsfeld. Es kann sein, dass die Ohana weltweit verstreut lebt und es nicht oft möglich ist, sich zu sehen und zu treffen, und doch ist gleichzeitig dieses starke Gefühl der Zusammengehörigkeit spürbar. Völlig unkompliziert werden Feste miteinander gefeiert und eine Atmosphäre der Geborgenheit geschaffen. Wieso soll die Familie eigentlich traditionell die Weihnachtstage miteinander verbringen, wenn viel Negatives vorgefallen ist und es eher wie eine Zwangsveranstaltung als ein freudiges Aufeinandertreffen ist? Wenn die Eltern bereits im Vorfeld genervt sind und sich nicht auf die Feiertage freuen können, macht es denn dann wirklich Sinn, nur weil es schon immer so war, diese Traditionen aufrecht zu halten?
Folgen wir dann wirklich dem Impuls der Liebe in uns oder geben wir letztendlich unseren Ängsten Raum? Den Ängsten nicht verstanden zu werden, nicht mehr geliebt zu werden, Unfrieden zu produzieren? Jedoch, wo fühlen wir uns wirklich frei und mit wem sind wir gerne zusammen, wo wissen wir uns verstanden und akzeptiert? Wenn es nicht die Herkunftsfamilie ist, dürfen wir uns erlauben, um uns unsere eigene Ohana zu versammeln.
Unsere Kinder können dann wieder erfahren, wie es ist, wenn Menschen füreinander einstehen, zueinanderstehen und auch verzeihen können. Ein wunderschönes Ritual kann es sein, wenn jemand einen Fehler begangen hat, dass die Ohana sich trifft und alle über die Person etwas Gutes sagen. In diesem Moment, wenn von gemeinsamen schönen Erlebnissen erzählt wird und das Positive, die guten Eigenschaften, Talente und Fähigkeiten der Person in den Mittelpunkt gerückt werden, verliert das schlechte Verhalten an Gewicht und alle können wieder aufatmen. Wenn jeder gut über das Familienmitglied gesprochen hat, wird das Fehlverhalten nicht mehr erwähnt und man kann wieder mit viel mehr Gelassenheit und Liebe in den Alltag gehen.
Ein gesundes Familienmodell lehrt uns, unabhängig von Blutslinien, Groß- und Kleinfamilien, einen wertschätzenden, konkurrenzfreien Umgang miteinander, das Vergeben von Fehlern und das emotionale Aufgefangen werden in der Liebe und Akzeptanz der Familie. Familie ist ein Ort der Geborgenheit und des sich Ausprobierens und sich Erfahrens, in dem Wissen, dass auch wenn die anderen denjenigen nicht verstehen können, sie doch bereit sind, ihn und seine Wahrnehmung der Welt zu respektieren und das Gefühl zu vermitteln „so wie du bist, bist du völlig okay.“
Genau das brauchen unsere Kinder, Reibungs- und Selbsterfahrungspunkte in dem Wissen, dass es die Familie gibt, die sie emotional trägt und durch Höhen und Tiefen begleitet, hinein in ein souveränes, konfliktfähiges Erwachsenenleben mit der Ausrichtung das Gute und Verbindende in den menschlichen Beziehungen, sei es in der Arbeitswelt, im Freundeskreis oder in Partnerschaften, zu sehen.
Autor: Anita Agnes Aumer, Heilpraktikerin für Psychotherapie
Thema: Familie - Was bedeutet Familie? Was ist Familie?
Webseite: http://www.lebensquell-anita-aumer.de