Am Anfang einer Beziehung ist alles rosarot. Wir zeigen und sehen nur unsere guten und großartigen Seiten. Die, die uns weniger oder nicht gefallen, sehen wir erst später.
Wenn sich zwei Menschen kennenlernen, ist das immer aufregend und interessant, weil beide ein eigenes Leben mitbringen. Darin gibt es viel zu entdecken und zu bestaunen. Nähe, Zärtlichkeit, Sexualität und Sinnlichkeit werden ausgetauscht. Wir fühlen uns, in unseren Bedürfnissen endlich erfüllt. Diese wundervolle Zeit hält aber nicht ewig an. Der Alltag kehrt irgendwann ein. Die Berührungen und gemeinsamen Zeiten werden weniger. An diesem Punkt der Beziehung wird die emotionale Abhängigkeit spürbar.
Männer wie Frauen können gleichermaßen betroffen sein, wobei die Anzahl der Frauen doch etwas höher liegt.
Was bedeutet emotional abhängig in einer Beziehung zu sein?
Emotional abhängige Menschen kennen Gefühle der Angst, Unruhe und Enttäuschung, wenn die Erwartungen an den Partner und ihre Bedürfnisse nach Nähe, Halt, Aufmerksamkeit, Wertschätzung und Sex nicht mehr ausreichend erfüllt werden. Sie sind sozusagen abhängig von der Liebe, Anerkennung und Bestätigung des Partners und können sich nicht vorstellen, ohne den anderen zu leben.
Sie wollen am liebsten alles mit diesem, einen Menschen gemeinsam erleben. Der eigene Freundeskreis wird mit der Zeit vernachlässigt. Ihr Fokus liegt absolut beim Partner. Sie können nicht begreifen, dass die intensive Zeit des Anfangs vorbei ist. Die eigenen Hobbys erscheinen nicht mehr so wichtig. Damit möglichst viel Nähe und gemeinsame Zeit entsteht, richten sie die Hobbys nach dem Partner aus.
Das Bedürfnis nach der Bestätigung und Zuneigung ist groß. Auf alle Handlungen, Emotionen und Signale des Partners wird akribisch geachtet und jede Veränderung bringt Ängste mit sich. „Wieso gibt er mir heute Morgen keinen Kuss? Mag er mich nicht mehr? Wieso hat sie das Treffen mit den Freunden, einem entspannten Abend in Zweisamkeit mit mir, vorgezogen?“ Es besteht der permanente Zwang zu kontrollieren was der andere denkt und fühlt, sowie der Versuch die Gefühle des Partners aktiv zu beeinflussen. Bei der kleinsten Unregelmäßigkeit oder Verstimmtheit des Partners tritt Verunsicherung ein und es wird sofort versucht Beweise zu finden, dass man noch geliebt wird. Eifersucht, Klammern und Kontrolle entstehen aus der ständigen Angst den Partner zu verlieren.
Eigene Entscheidungen werden kaum noch getroffen, eigene Wünsche und Grenzen verleugnet. Die Zeitplanung und Termine werden verstärkt nach dem Partner ausgerichtet, damit möglichst viel gemeinsame Zeit entsteht.
Emotional abhängige Menschen passen sich der Meinung und den Bedürfnissen des Partners an, aus Angst den anderen zu verletzen, ihn zu verstimmen und dadurch abgelehnt zu werden. Harmonie ist essenziell, denn nur so fühlen sie sich geliebt und sicher. Nach und nach verschwindet das eigene Leben, es wird das Leben des anderen gelebt und das oftmals nicht bemerkt. Sie geben so viel von sich selbst auf und erwarten das natürlich auch vom Partner.
Wenn beide emotional abhängige Menschen sind, geht der Plan auf und sie werden einen Tauschhandel leben. „Ich erfülle deine Bedürfnisse und du meine.“ Ist der Partner allerdings nicht emotional abhängig wird es kritisch, denn allzu schnell fühlt dieser sich eingeengt und seines eigenen Raumes beraubt. Meistens suchen sich emotional abhängige Menschen, unbewusst, sehr selbständige und freiheitsliebende Partner. Er ist dann wie ein Spiegel. Wenn Sie genau hinschauen sehen Sie dadurch ihre eigene Abhängigkeit und zusätzlich was sie mehr in ihr eigenes Leben bringen sollten, nämlich Eigenständigkeit.
Kommt es schließlich zur Trennung, weil die ständigen Kontrollen, die Unselbständigkeit und das Klammern nicht mehr ausgehalten werden, fallen emotional abhängige Menschen in ein tiefes Loch. Der Trennungsschmerz ist oftmals sehr intensiv und es treten Entzugserscheinungen auf, die einem Drogenentzug gleichkommen.
Wie kommt es zu einer emotionalen Abhängigkeit in einer Beziehung?
Wie wir als Erwachsene unsere Paarbeziehungen leben, hängt von unseren Erfahrungen der Kindheit ab. Kinder lernen von ihren Eltern. Leben die Eltern selbst eine emotional abhängige Beziehung, ist die Chance groß, später ebenfalls diese Form der Beziehung zu führen.
Eine große Rolle spielt auch, in welchem Maße sich unsere Selbstbestimmung und unser Selbstbewusstsein entwickeln durften. Erfährt ein Kind viel Kritik und Ablehnung ist eine freie Entfaltung in ein selbstbestimmtes Leben nicht möglich. Es wird sich den Werten und Wünschen der Eltern anpassen, um ein wenig Liebe, Nähe und Wertschätzung zu empfangen und der Angst vor dem emotionalen Verlassenwerden zu entgehen.
Auch frühkindliche Bindungstraumen spielen für die Entwicklung einer emotionalen Abhängigkeit eine große Rolle. Vielleicht hatte die Mutter eine Wochenbettdepression oder konnte, aus diversen anderen Gründen, ihrem Kind keine oder nur wenig Zuwendung schenken. Unser Grundvertrauen und ein Gefühl von Sicherheit hängen sehr von unseren Beziehungen in den ersten Lebensjahren ab. Wird die Bindung zum Kind, durch Krankheit, Tod, Trennung oder Überforderung unterbrochen, entstehen Gefühle der Unsicherheit und Verlustangst. Das Kind bezieht eine Abwendung immer auf sich selbst. „Irgendetwas muss nicht in Ordnung mit mir sein, dass Mama verärgert oder traurig ist und sich abwendet.“
Bei allen Traumata, so auch beim frühkindlichen Bindungstrauma und Verlusttrauma, spaltet sich unsere Persönlichkeit in verschiedene Anteile. Ein abgespaltener Persönlichkeitsanteil ist das verletzte Kind von damals. Dieser Teil bleibt in der Vergangenheit und den damaligen Gefühlen von Unsicherheit, Angst und Misstrauen hängen. Er sucht und kämpft um Zuwendung, ist bereit sich dafür selbst zu opfern und hat permanente Angst verlassen zu werden. Der Mensch ist erwachsen geworden und meistert wahrscheinlich seinen Job und sein Leben. In seinen Beziehungen wirkt jedoch sein verletztes Inneres Kind auf der Suche nach Liebe, Geborgenheit und Zuwendung. Was die Eltern damals nicht geben konnten wird nun beim Partner gesucht, ja sogar verlangt. Der andere soll für die Erfüllung all der Sehnsüchte zuständig sein. Ist dieser dazu nicht in der Lage, wird mit Groll, Enttäuschung und Angst reagiert. Unser Partner kann die Sehnsüchte unseres Inneren Kindes nicht stillen, denn es sind kindliche Sehnsüchte, nach der liebevollen Zuwendung einer Mutter oder eines Vaters. Die fürsorgliche Liebe einer Mutter zum Kind ist völlig anders als die Liebe zwischen zwei erwachsenen Menschen, die normalerweise ganz klar für sich selbst sorgen können. So bleibt es ein unendlicher Kampf und eine unendliche, nie ganz erfüllte Sehnsucht.
Ihr Partner kann diese Sehnsucht nicht erfüllen, wer dann? Wer vermag ihnen den Halt, die Geborgenheit, Nähe und Liebe geben, die sie sich ersehnen?
Wenn sie erwachsen sind, nur Sie selbst. Es braucht eine wirkliche und liebevolle Zuwendung zu sich selbst und damit zu dem verletzten Inneren Kind- Anteil. Diese beginnt mit der Erkenntnis eine Abhängigkeit in Beziehung zu haben. Ein Alkoholiker wird erst einen Entzug beginnen können, wenn er begreift und ja dazu sagt, dass er alkoholabhängig ist. Warum dieser Vergleich? Abhängigkeit in Beziehung ist ebenfalls eine Art der Sucht. Die eigene liebevolle, mütterliche Zuwendung beginnt mit einem Ja zur Abhängigkeit. Wichtig ist, sich selbst dafür nicht zu verurteilen oder zu kritisieren. Es ist wie es ist. Das ist der Startpunkt, um unabhängig zu werden.
Jedes Mal, wenn die Gefühle von Eifersucht, Angst, Unruhe und Enttäuschung sich zeigen, ist auch das verletzte Innere Kind anwesend. Es sind dessen Gefühle. Jedes Mal, wenn Sie sich verbiegen, anpassen, ihre Grenzen ignorieren, sich selbst vergessen und alles für den Partner tun, hat dieser Teil die Führung übernommen. Das zu wissen und wahrzunehmen ist der nächste Schritt. Es reagiert lediglich ein Teil ihrer Persönlichkeit, ein sehr junger, verletzter Anteil. Ein anderer Teil ihrer Persönlichkeit ist erwachsen geworden. Dieser weiß, dass das Leben auch allein und ohne Partner zu meistern ist und schön sein kann. Wir haben alle Zeiten des Alleinseins, Single sein erlebt und konnten darin auch viele Dinge genießen. Sich immer wieder zu erinnern, aus der Position des verletzten Kindes auszusteigen und in den erwachsenen Anteil zu gehen, ist essenziell.
Nun ist es aber wichtig, diesen jungen, verletzten Anteil nicht abzulehnen, sondern mit ihm in Verbindung zu gehen, ihn wahrzunehmen, zu beruhigen und zu unterstützen. Das ist der dritte Schritt auf dem Weg aus der emotionalen Abhängigkeit.
Nehmen Sie sich ein Fotoalbum ihrer Kindheit. Sehen und fühlen Sie dieses Kind von damals. Schauen Sie genau hin und nehmen Sie wahr, wie es dem Kind geht. Vielleicht kommen Erinnerungen, aus der Zeit damals. Versuchen Sie zu fühlen, an was es dem Kind gemangelt hat und was es braucht, um die alten Ängste loszulassen und Vertrauen zu gewinnen. Nehmen Sie sich täglich Zeit, um sich diesem Teil zuzuwenden.
Der vierte Schritt besteht darin, aus der Erwachsenen Position heraus, das Leben wieder in die eigenen Hände zu nehmen und zu gestalten. Bauen Sie sich wieder ein eigenes Leben auf.
Hier ein paar wichtige Anregungen dazu:
- Was waren meine Hobbys und Leidenschaften? Was habe ich früher gerne gemacht?
- Wie steht es um meinen eigenen Freundeskreis? Welche Kontakte möchte ich wieder mehr beleben? Es wird ihnen guttun, ihr soziales Netz zu erweitern. Umso mehr tiefe Beziehungen sie zu Mitmenschen haben, umso weniger abhängig fühlen sie sich von einem einzelnen.
- Wo sind meine Grenzen und an welchen Stellen und in welchen Situationen übergehe ich sie? Welche Dinge mache ich für meinen Partner und was interessiert mich wirklich?
- Versuchen Sie herauszufinden, was zu Ihnen und ihrem Leben gehört und wo sie eher das Leben ihres Partners leben. Sortieren Sie gut und sagen Sie mutig Nein, zu allem, was nicht ihnen entspricht. Erlauben Sie sich, wieder mehr sie selbst zu sein.
- Verabreden Sie sich mit Freunden und unternehmen Sie Dinge, die Ihnen Spaß machen, auch allein.
- Suchen Sie sich ein neues Hobby, etwas, dass sie wirklich begeistert. Dabei lernen sie vielleicht auch neue Menschen kennen. Richten Sie ihre Zeit und ihre Termine nicht nach ihrem Partner aus. Fangen Sie an und gestalten sie ihr Leben neu.
- Stärken Sie ihr Selbstbewusstsein, indem sie sich selbst würdigen. Was finden sie gut an sich? Was zeichnet sie aus? Was haben sie schon alles geschafft? Was können sie richtig gut? Wichtig ist, dass sie aufhören sich mit anderen zu vergleichen. Fangen Sie an stolz auf sich und ihr Handeln zu sein. Schreiben Sie ein Wertetagebuch und tragen Sie regelmäßig ihre Fähigkeiten und Stärken ein und was alles großartig an ihnen ist.
- Lernen Sie allein zu sein. Nehmen Sie sich Zeit für sich selbst und erforschen Sie was sie wirklich wollen und ihnen Freude macht.
Ja, es kann sein, dass sich ihr Partner über ihre Veränderung wundern wird und vielleicht das eine oder andere nicht gut findet. Auch er muss sich an die neue Situation erst gewöhnen. In diesen Momenten könnten die alten Ängste erneut auftauchen. Ihr verletztes Inneres Kind bekommt Angst, wenn es sich selbst folg und sich selbst lebt. Es befürchtet, deswegen abgelehnt und verlassen zu werden. An dieser Stelle braucht es erneut Schritt 2 und 3, die Erinnerung, dass sie mehr sind, als dieser Anteil und ihre eigene, liebevolle Zuwendung.
Sie sind erwachsen geworden und können nun allein überleben und es sich, auf ihre Art und Weise, schön machen. Selbst wenn sich jemand von ihnen abwenden sollte, gibt es noch andere Menschen, die an ihrer Seite sind.
Auf jeden Fall werden sie für ihren Partner wieder wesentlich interessanter, wenn sie ihr eigenes Leben gestalten. Das beste und wichtigste ist jedoch, dass sie Vertrauen gewinnen, auch allein, mit sich selbst, viele Momente freudig genießen zu können. An diesem Punkt gibt es keine Abhängigkeit mehr.
Allerdings sitzen die alten Muster oftmals sehr tief, da diese schon in der Kindheit entstanden sind. Wenn es immer wieder sehr schmerzhaft wird und sie allein nicht klarkommen, gibt es die Möglichkeit therapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Tiefe Muster, die sie über Jahre mit sich herumtragen, benötigen einen liebevollen und geduldigen Weg zur Lösung.
Meine Herzensmission ist es Menschen in ihren Krisen und schwierigen Lebenssituation zu begleiten.
Autor: Sylvia Michael
Thema: Abhängigkeit in Beziehungen
Webseite: http://herz-ueber-kopf.info
Autorenprofil Sylvia Michael:
Schwerpunkte: Paar- und Sexualtherapie, Beziehungs-Coaching, Selbstfindung, Krisenintervention, und Mediation, Therapie bei Zwängen, Süchten und chronischen psychischen wie physischen Erkrankungen Unternehmenscoaching für Teambuilding in bestehenden Organisationen
Ausbildung: diplomiert in Prozessorientierter Psychologie am Institut für Prozessarbeit Zürich/Schweiz, zertifiziert als Systemischer Business- und Unternehmer Coach, staatlich zugelassene Heilpraktikerin, arbeitet im deutschsprachigen Raum als prozessorientierte Therapeutin und Systemischer Coach, in eigener Praxis sowie medial über Skype-Video. Ein weiteres Tätigkeitsfeld stellt die Arbeit als freie Fachreferentin und Autorin dar.
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