Bindungsangst

Eine Welt bricht zusammen

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Anne und Bernd treffen sich seit ein paar Wochen regelmäßig. Sie sind verliebt in einander und haben Sex. Für Anne fühlt es sich so an, als würde ihr Traum in Erfüllung gehen. Da gesteht ihr Bernd, dass er sich gerade nicht fest binden möchte. Eine Welt bricht zusammen.

Ist das nur ein Klischee? Ehrlich gesagt, nein. So oder so ähnlich spielt es sich tagtäglich ab. Woran liegt das und ist das Bindungsangst?

Die Mangel-Druck-Dynamik

Ich arbeite seit 14 Jahren als Paartherapeutin und habe ca. 2000 Paare kennenlernen dürfen.

Meist hat einer von beiden Wünsche, Sehnsüchte, möchte mehr Kontakt, mehr Nähe, mehr Liebe, leidet ganz allgemein gesprochen unter Mangel. Der andere empfindet Druck. Er möchte selbstverständlich nicht Schuld sein, am Leid des Partners oder der Partnerin. Er oder sie ist ihm natürlich auch nicht egal. Vielleicht fühlte er sich am Anfang als Retter und kriegt jetzt zunehmend das Gefühl nicht mehr auszureichen. Er fühlt sich zuständig gemacht und glaubt auch selbst verantwortlich zu sein, für das Glück und Wohlergehen des anderen. Um so mehr Mangel der empfindet, umso mehr Druck entsteht bei ihm. Das Gefühl von Druck beschreiben viele als „In die Enge gedrängt“ oder „es reicht nie“.

Wenn jemand unter Druck sich dann Mühe gibt, füllt es den Liebestank des anderen auch nicht unbedingt, da die Mühe selbst mitgefühlt wird. So, als wäre man ein Punkt auf der To-do-Liste des anderen. Das Bedürfnis nach proaktiven Liebesbeweisen oder nach mehr Verbundenheit nimmt vor lauter Verunsicherung durch die Doppelbotschaft sogar noch zu. Das ist ein Teufelskreis.

Die ersten Bindungserfahrungen prägen uns

Entscheidend für unser Erleben und unsere Sicht auf die Welt und auf Beziehungen sind unsere allerersten Erfahrungen als Kind. In unserer Herkunftsfamilie hatten wir alle irgendeine Art Job oder Rolle. Jeder ist ein Teil des Systems Familie. Sei es mitten drin oder am Rand.

Meist empfindet eine große Schwester oder ein großer Bruder Verantwortung für die Geschwister. Sollte denen etwas zustoßen würde er oder sie sich schuldig fühlen.

Ein anderes Kind glaubt vielleicht ein Kaspar sein zu müssen, um die Mutter aufzuheitern.

Eine Tochter spürt die Schwermut des Vaters und möchte für ihn da sein.

Ein Sohn wird von der Mutter mit Liebe überschüttet und traut sich nicht, eigene Wege zu gehen.

So manch ein Kind fühlte sich nicht dazugehörig oder störend. Manche wurden nie wirklich angeschaut, versuchten niemandem zur Last zu fallen und niemand hatte Zeit für sie, keiner interessierte sich wirklich für ihre Bedürfnisse und Gefühle.

Zu wenig Zuwendung führt zur Erfahrung von Mangel

Wenn Zuwendung zu wenig vorhanden war, bleibt die Sehnsucht danach mächtig. Man konnte kein Gespür dafür entwickeln, wie willkommen und liebenswert man eigentlich ist. Selbst wenn es dann jemanden gibt, der einen liebt, ist man noch unsicher, ob das wirklich stimmt und kann es nicht fühlen. Manchmal kann das für den Partner den Eindruck erwecken, als handle es sich um ein Fass ohne Boden.

Zu viel Verantwortung führt zu einem Gefühl von Druck und Enge

Wenn hingegen Nähe damit verbunden war, es anderen recht machen zu müssen, nur akzeptiert zu werden, wenn man sich verbiegt, fühlt sie sich nicht mehr erstrebenswert an. Das Bedürfnis nach Verbundenheit bleibt zwar bestehen, der Preis dafür erscheint aber sehr hoch und bedrohlich. Was für eine Bredouille!

Wenn man als Kind dafür herhalten musste, die Mutter glücklich zu machen oder den Vater stolz; oder wenn man früh lernen musste, einen alkoholisierten Elternteil in Schach zu halten, um den anderen oder die Geschwister vor ihm zu schützen, dann trägt das dazu bei, dass dieser Mensch auch als Erwachsener mit Bindung und Nähe Angst und Überforderung assoziiert. Die Sehnsucht nach Zugehörigkeit und Verbundenheit bleibt zwar meist bestehen, aber ebenso die damit verbundenen unguten Gefühle von Verpflichtung, Versagensangst, Schuld, Zuständigkeit und Enge. So entsteht eine Ambivalenz in Bezug auf Beziehungen. Man wird passiv oder zögerlich, man glaubt sich schützen zu müssen und wehrt den eigentlich geliebten Partner ab. Die eigenen Bedürfnisse nach Nähe werden quasi aus Gewohnheit verdrängt, man selbst braucht nichts und meint, für den anderen dasein zu müssen.

Für den Partner oder die Partnerin kann sich das anfühlen, als würde er oder sie am ausgestreckten Arm verhungern. Außerdem kann es auch wütend machen, in die Rolle der angeblich fordernden und nie zufriedenen Person gedrängt zu werden.

Komm her, geh weg – ein unsäglicher Teufelskreis

Diese beiden Extreme sind in den meisten von uns unterschiedlich stark ausgeprägt. Besonders leidvoll wird es, wenn trotz allem die Liebe groß ist und die körperliche Anziehung, die Leidenschaft, im wahrsten Sinne des Wortes, auch. Dann mag man sich nicht trennen, kommt aber auch nie richtig zusammen.

Es sieht immer wieder so aus, als könnte jetzt alles gut werden. Kurz bevor dann eine verbindliche Entscheidung getroffen werden müsste, wird der ambivalente Bindungstyp einen Streit vom Zaun brechen. Er oder sie braucht einen Grund sich zurück zu ziehen. Die Angst, man könnte sich in eine Art Zwangslage hineinmanövrieren, sich anketten lassen oder sich selbst zu stark verpflichten, wird zu groß. Das Engegefühl tritt in den Vordergrund, die Zuneigung in den Hintergrund und die Sehnsucht nach Freiheit scheint unermesslich. Viel größer, als die, nach Nähe.

Es dauert dann meist eine Weile, bis sich der Anteil, der sich auch verbinden möchte, wieder meldet. Er kriecht langsam, wie unter einem Schildkrötenpanzer hervor. Eine neue Runde beginnt. Ein ewiges JAIN.

Zwischen Autonomie und Verbundenheit: Ein sehr aktueller Drahtseilakt

Stephanie Stahls Bücher zu diesem Thema sind allesamt Bestseller geworden Ich denke, das liegt an ihrer genauen und detaillierten Beobachtung. Und auch daran, dass das Thema immer mehr an Bedeutung gewinnt, in unserer zunehmend individualisierten Gesellschaft. Es ist ein Phänomen unserer Zeit. Es geht um die Balance zwischen Autonomie und Verbundenheit, die ganz neu austariert werden muss, in Zeiten von Emanzipation und Selbstverwirklichung. Die Ehe ist ein Auslaufmodell. Bindung und Beziehung aus materiellen Sicherheitsgründen wird immer unbeliebter.

Wobei ich an dieser Stelle bemerken möchte, dass es auch eine rückläufige Bewegung gibt. In einer Zeit der Verunsicherung, in der es fast keine Tabus mehr gibt, möchten viele junge Paare sich wieder treu sein und zelebrieren die Romantik auf längst antiquiert geglaubte Art und Weise. So bewegt sich das Pendel eben nicht nur im Individuum von einem Extrem zum anderen, sondern es gibt auch in größeren Zusammenhängen diese Pendelbewegung. Entwicklung vollzieht sich ja meist nicht geradlinig, sondern eher nach dem Motto: Zwei Schritte vor und einer zurück. Immerhin, so käme man auch voran. Die Richtung jedenfalls, scheint mir, war bislang eindeutig: Emanzipation, Individualität, Unabhängigkeit. Ob es dabei bleibt? Mal sehen.

Was Paare in Zukunft verbindet, dürfte sehr unterschiedlich sein. Daher sollte man seine Erwartungen kommunizieren, nicht davon ausgehen, dass irgendetwas selbstverständlich wäre. Und dann das, was einen tatsächlich miteinander verbindet, nutzen. Als einen Grund - zum feiern!

Autor: Nina Zucker
Thema: Bindungsangst
Webseite: https://www.paartherapie-hamburg-nz.de

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