In den letzten zwanzig Jahren hat die Zahl der Familien (inkl. Alleinerziehender) abgenommen. Lt. Statistischem Bundesamt (vgl. Zensus 2021) gibt es seit 1996 einen Rückgang um ca. 13 Prozent.
Gleichzeitig ist die Elternschaft ein Phänomen der Lebensmitte geworden, da beide Geschlechter zunehmend später in eine Elternschaft einmünden. Die Zahlen spiegeln einen Freiheitstrend wider, bei der der Fokus junger Menschen auf der Selbstverwirklichung in Beruf und Freizeit liegt. Die Trendumkehr kommt häufig dann, wenn das Ticken der biologischen Uhr in den Dreißigern bei Frauen zunehmend lauter wird. Spätestens dann müssen sich zumindest Frauen für oder gegen eine Elternschaft entscheiden.
Nun gibt es für Paare gute Gründe pro und contra Familienplanung. Egal in welche Richtung sie sich entscheiden, hält das Leben für jede Beziehung Herausforderungen bereit. Kinderlosen Paaren drohen eventuell gesellschaftliches Unverständnis oder die Angst, etwas im Leben zu versäumen. Möglicherweise braucht es auch eine Anpassung des Freundeskreises, der sich vielleicht sukzessive in Richtung Kinder orientiert. Eine wichtige Frage könnte sein, mit welchem verbindenden Inhalt sich ein Paar anstatt Kindern in den nächsten 20 Jahren definieren könnte.
Paare, die sich für Kinder entscheiden, sehen sich stattdessen mit anderen Sorgen und Nöten konfrontiert. Typische Fragen sind: Wie können wir der Verantwortung für ein Kind gerecht zu werden? Wie kommen wir mit einem veränderten Alltag und neuen Rollen klar? Wer von uns beiden steckt einem Kind zuliebe was zurück? Vor allem das erste Kind bringt eine massive Lebensumstellung mit sich, vor allem für Frauen. Der heutigen Studienlage entsprechend verbleiben Väter in der Regel in einer Vollzeit-Berufstätigkeit, bei Frauen sieht es anders aus. Sie gehen meist in den ersten Lebensjahren in Elternzeit, um ihre Arbeit meist mit dem Kindergarteneintritt der Kinder wieder aufzunehmen. Da ca. 80% der Zehnjährigen ein Geschwisterchen (siehe Statistisches Bundesamt) haben, gilt es für Eltern bald nicht nur Zeit, Aufmerksamkeit und Energie auf ein Kind, sondern auf ein weiteres Kind, Job, Partner/Partnerin, Sexualität, Verwandte, Freunde, Hobbies, Haus/Wohnung/Garten, ggf. Haustier und Umwelt/Gesundheit aufzuteilen. In jedem der genannten Lebensbereiche sind die Ansprüche in der heutigen Zeit für gewöhnlich hoch. Unserer Kultur der Maximierung entspricht es, überall ein sehr gute bis zumindest gute Bilanz für sich selbst ziehen zu wollen. Was kann beim Spagat zw. Berufstätigkeit und Elternschaft helfen?
Elterliches Wohlbefinden aushandeln
Die Eltern bilden den Kern jeder Familie, mit dem aus Sicht der Kinder alles steht oder fällt. Das gemeinsame Familienleben kann nur dann dauerhaft gut gehen, wenn Mama und Papa mit sich im Reinen sind. Nur wenn sie gesund, belastbar und zufrieden sind, können sie über den Marathon-Lauf einer Elternschaft hinweg Kraft für die Bedürfnisse des Nachwuchses aufbringen. Es ist notwendig, ein Alltagsmodell zu finden, mit dem sich beide Elternteile wohlfühlen. Zur Not mit Hilfe langwieriger Verhandlungen. Diese sollten allerdings vor der Entscheidung für ein Kind ausgefochten sein, da unausgetragene Konflikte später leicht zum Beziehungskiller werden können. Es sollte in der Partnerschaft gut vorbesprochen sein, wer wieviel arbeiten wird, wer für welche Erziehungs- und Haushaltsaufgaben zuständig ist und wer nach der Geburt noch wieviel Zeit für eigene Bedürfnisse zugestanden bekommt. Von Aufopferung oder Verausgabung den Kindern zuliebe ist abzuraten, auch von einem zu großen Verzicht wichtiger persönlicher Lebensinhalte.
Spielräume als Paar aufmachen
Für den Erhalt der Paarbeziehung und der Intimität braucht es Zeit und die innere Ruhe, sich auf den anderen einzulassen. Da der Alltag dies nicht von selbst hergibt, müssen Paarzeiten initiativ vorgesehen und eingerichtet werden. Es empfiehlt sich die Nutzung kleinerer Freiräume (z. B. einen bewussten gemeinsamen Fernseh- und Kuschelabend auf der Couch) sowie regelmäßige größere Begegnungen im Alltag (z. B. einen Tag pro Monat in der Arbeit freinehmen und gemeinsam Frühstücken oder in die Therme gehen, wenn die Kinder in der Kita betreut sind). Falls nötig, Unterstützung organisieren, um Zeit zu gewinnen (z. B. Haushaltshilfe, Großeltern, Babysitter*in etc.). Sexualität ggf. zu Zeiten einrichten oder verabreden, wenn die Kinder außer Haus sind oder schon bzw. noch schlafen.
Mit dem Arbeitgeber verhandeln
Moderne Arbeitszeitmodelle und Personalkonzepte kommen Eltern in Form von Gleitzeit und Homeoffice entgegen. Da Männer in der Familie lt. Statistik meist den Part des Ernährers in Vollzeitanstellung übernehmen, sehen sie sich im Job arbeitgeberseitig oft mit einer Erwartungshaltung ohne Abstriche konfrontiert. Sollte der eigene Arbeitgeber wenig für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie anbieten, so ist auch in diesem Bereich zu Verhandlungen zu raten. Alternativ kommt ein Arbeitgeber- und/oder Jobwechsel in Betracht.
Offenheit für Fremdbetreuung
Berufstätigkeit und Fremdbetreuung gehen zwangsläufig Hand in Hand. Je höher die gewünschte Arbeitszeit beider Elternteile ist, umso mehr Offenheit braucht es für Fremdbetreuung. Gleichzeitig muss gerade in ländlichen Regionen vorab geklärt werden, wie realistisch es ist, die gewünschte Betreuung vor Ort zu finden. Sollte dem nicht so sein, ist bleibt vorab innerhalb der Partnerschaft zu verhandeln, wer beruflich wieviel mehr als gewünscht zurückstecken wird oder nach einer externen Lösung zu suchen (z. B. Umzug zu den Großeltern, Au-Pair oder Umzug in einen anderen Ort mit einer guten Betreuungsstruktur). Wichtig: Gerne großzügig planen d. h. mehr Betreuungszeit als nötig buchen, um flexibel sein zu können.
Erwartungen runterschrauben
Berufstätige Eltern sehen sich mit vielfachen Erwartungen konfrontiert: eigene Erwartungen, Erwartungen des Umfelds und gesellschaftliche Standards. Gleichzeitig haben sie diverse Rollen inne wie z. B. Mama/Papa, Chef*in/Mitarbeiter*in, Tochter/Sohn, Freund/Freundin, Hausfrau/Hausmann etc. Das kann eine fröhliche Burnout-Einladung sein, wenn dem nicht aktiv Grenzen entgegengesetzt werden. Es gilt mit früheren Erwartungshaltungen zu brechen und neue Erwartungen aufzustellen, die realistisch zu den Möglichkeiten passen. Bewusstes Reflektieren und Bilanzieren hilft dabei, am besten mit einem regelmäßigen Austausch in der Partnerschaft. Reduktion ist v. a. auch bei einem hohen „Mental Load“ bei Müttern wichtig. Darunter ist zu verstehen, dass Frauen durch die Teilzeittätigkeit meist parallel in den Job der Familienmanagerin gehen. Berufstätigkeit und Familienmanagement bedeuten aber ein hohes Risiko für eine Überfrachtung mit vielen kleinen Infos, an die es im Alltag ständig zwingend zu denken gilt. Die konsequente Reduktion von Aufgaben (z. B. durch eine weitere Reduktion des Arbeitszeitanteils oder eine Haushaltshilfe), eine geringere Anspruchshaltung (z.B. in Haushalt, Erziehung, Job etc.) und eine extrem gute Organisation in allen Lebensbereichen können mildern.
Helfer*innennetz für Alleinerziehende
Eine besonders hohe Last tragen alleinerziehende Elternteile, der Statistik zufolge in der Regel Mütter. Meist ein Dilemma: Finanziell bedingt ist eine Berufstätigkeit häufig in einem vglw. höheren Anteil notwendig, gleichzeitig ist aber durch die soziale Lage besonders viel Erziehungs-, Betreuungs- und Organisationsaufwand von derselben Person zu leisten. Gerade in dieser Konstellation sollten alle Register an möglicher Unterstützung gezogen werden, sowohl familiärer- als auch staatlicherseits. Teils kann auch der Aufbau privater Netzwerke mit anderen Frauen gelingen, in denen die Kinder wechselweise betreut werden. Speziell in der Situation als alleinerziehendes Elternteil ist ein besonders bewusster Umgang mit dem eigenen Kräftehaushalt anzuraten. Die eigene Anspruchshaltung sollte dazu regelmäßig in Bezug gesetzt werden. Ganz bewusst sollten kleine persönliche Highlights im Alltag gesetzt werden, um Kraft zu tanken.
Zusammenfassend können verschiedene Maßnahmen dabei helfen, Familie und Beruf unter einen Hut zu bekommen. Es braucht eine angemessene Erwartungshaltung an sich als berufstätiges Elternteil und eine Treue zu sich selbst trotz des massiven Rollenwandels. Verhandlungsbereitschaft bezüglich Partnerschaft, Nachwuchs und Job sollte mitgebracht werden.
Autor: Marion Stelter
Thema: Doppelbelastung Familie und Beruf
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