Berufstätige Familien sind häufig derart stark auf Anschlag, dass sie vergangene Zeitperioden oft nur noch in Dekaden und grauen Haaren wahrnehmen.
Plötzlich sind weitere zehn Jahre vergangen und beim Anblick einer schon lange nervenden Alltagsgewohnheit des Partners wird einem bewusst, dass keinerlei Paarleben mehr existiert.
In diesem Artikel beleuchte ich einige klassische Situationen und Herausforderungen nebst Mutter-, Vater- und Kindsperspektive und gebe Dir im Anschluss einige Anregungen, mit den kommenden Jahren umzugehen. Falls Dir Bekannte oder Verwandte mit ähnlichen Geschichten einfallen, freuen wir uns über Deine Artikelempfehlung, Kommentare oder Teilung.
Interessanterweise lässt sich für nahezu alle berufstätigen Eltern sagen, dass sie gern glücklicher wären und ihren Alltag lieber besser und wertgeschätzter auf die Reihe bekommen würden, als sie es gefühlt erleben. Viele Paare zeigen nach außen das perfekte Funktionieren von Beruf, Familie und Paarleben so lange, bis plötzlich ihre Trennung das gesamte Umfeld erschreckt.
“Wie konnte das sein? Sie waren doch immer so glücklich!” spekuliert dann die Nachbar- und Followerschaft. Waren sie das wirklich oder hat die betreffende Familie lediglich mit allen Mitteln versucht, genau das zu sein und entsprechend auszudrücken?
Erwartungszertifikat Elternschaft
Vor lauter Alltagsaufgaben geraten Eltern häufig in eine derartig hoch gesetzte Anspruchsspirale, dass ihre eigentlichen Bedürfnisse, Gefühle, Neigungen und Charakterzüge verhungern.
Sie sind so sehr mit dem Erfüllen aller Erwartungen des Umfeldes beschäftigt, dass sie dabei gern ihre häufig noch dem eigenen Elternhaus entstammenden Erwartungen mit ihren wahren Bedürfnissen verwechseln. Nicht zuletzt deshalb, weil den meisten Menschen präsenter bewusst ist, wie wenig deckungsgleich ihr Leben zu den Erwartungen der Gesellschaft läuft. Die Stimmigkeit stattdessen anhand der wirklichen Bedürfnisse auszurichten, ist eine gern als Egoismus betitelte Fähigkeit, die “man” lieber meidet.
Und so hetzen Eltern zwischen mehrtäglicher Nahrungsversorgung, Wäschebergen und Staubverdrängen, beruflichen Herausforderungen, Vorsorgeterminen, Elternabenden und Ehrenamtsstammtischen, Weiterbildungen und “Verdammt, der Sport bleibt schon wieder auf der Strecke!” hin und her. Während sie abends auf der Couch in ihren Newsstreams verständnisfreie Ratschläge kinderloser Stimmen verdauen, sind sie meist mit Beginn des Abendfilms bereits eingeschlafen. Solche Alltagstage noch völlig ohne die Verzerrung anrufender Kindergärten und Schulen oder schlafloser Nächte wegen kranker Kinder und den neuesten Organisationsaufträgen besonders engagierter junger Lehrer betrachtet, geht es von morgens bis abends darum, alle Anforderungen zu erfüllen. Keine Zeit zum Jammern, schließlich wollten beide doch Kinder und welch Shitstorm oder Therapieempfehlungen könnte auf sie niederprasseln, wenn sie offen ausdrücken würden, wie beschissen es ihnen damit manchmal geht.
Leider steht nicht die Persönlichkeitstestung und -entwicklung in unseren Erziehungsgewohnheiten und Lehrplänen, sondern der perfekte Drill. Der klassische Deutsche ist besser vertraut mit Perfektionismus und Mahnverfahren, mit den Regeln guter Zielerreichung und Nachteilen des Bildungs- und Statussystems für seine Kinder, als mit der Frage, wie zum Geier er denn nun eigentlich glücklich werden kann, darf, möchte, soll.
Vollzeit fälschlich verschlafen
Eltern tragen das enge Korsett ihres Alltags auf schmerzenden Schultern und vergessen dabei völlig sich selbst. Da sie von allen Seiten vermittelt bekommen, dass es auch wirklich noch nicht genug ist und ihre Leistung zu wünschen übriglässt, wagen sie dieses allerwichtigste Stabilisationsfundament nicht näher zu betrachten.
In der Arbeit sind sie diejenigen, die die besten Urlaubswochen des Jahres belegen dürfen und sowieso immer außertourlich kommen und gehen. Die Väter entziehen sich häufig den Teambildungspartys und Feierabendbieren und Mütter in Teilzeit kriegen sowieso nichts mit, weil ihre wenigen Stunden keinerlei Pausenteilnahmen und informellen Runden ermöglichen. So verpassen beide Seiten, völlig gleichgültig nach welchem Familienmodell aufgeteilt, essentielles Insiderwissen ihrer Firmen und Kollegen.
Zuhause kaum den Fuß in der Tür, erhalten sie entweder die noch kleinen Kinder vom Partner direkt übergeben nach dem Motto: “Endlich bist du da, hier nimm, ich kann nicht mehr!” oder werden von allen Seiten gleichzeitig belagert, weil Partner und Kinder ihren ebenso wichtigen inhaltsreichen Tag endlich berichten wollen.
Kind, Karriere oder gleich ins Kloster
Jene Partner die kinderbedingt den häuslichen Part übernommen haben, leiden häufig unter enormem Einfältigkeitsstress. Sie fühlen sich plötzlich intellektuell weniger beansprucht, weniger wert und entsprechend weniger wahrgenommen. Die organisatorischen und lärmbedingten Höchstleistungen ihres Tages, scheinen gegen die spannenden Probleme “echter Arbeit” kaum mithalten zu können. Gleichzeitig sind sie so müde und kaputt, dass sie nicht angemessen interessiert auf die Ausführungen des arbeitenden Parts eingehen können. Derjenige wiederum, der nun bereits direkt an der Haustür überfallen wird und in der Regel noch keinerlei Abschaltminute von der Arbeit hatte, vermutlich auf dem Heimweg noch Einkäufe und Apothekenkram erledigen musste, ist mit seinem Geist oft noch im letzten Berufsgespräch beschäftigt. Möglicherweise hatte er einen demotivierenden ärgerlichen anstrengenden Tag. Aber seine griesgrämige Miene in der Eingangstür speist beim Partner die falschen Filme und somit wird prompt das nächste Drama ausgelöst.
Während der häusliche Partner den Berufstätigen manchmal als viel zu wenig präsent kritisiert, muss dieser zusehen, das Geld für alle Rechnungen zu verdienen und die Erwartungen der Chefetage zufriedenzustellen. Nicht selten mit ständiger Handyverfügbarkeit und doofen Kommentaren der Kollegen bei allzu häufigem Homeoffice-Einsatz.
Gehen dahingehend beide arbeiten, werden die familiären ToDo‘s leider erstrecht nicht weniger, doch müssen halbwegs fair auf allen Schultern verteilt werden. Bei festen Arbeitszeiten und leichten Aufgabengebieten gerade noch machbar. Sobald jedoch unterschiedliche Arbeitszeiten, berufliche Selbstansprüche, möglicherweise Überstunden, Auslandseinsätze oder einseitige Rollenerwartungen aus geschichtlichen Gewohnheiten zum Tragen kommen, wird es noch komplizierter. Steht bei einem von beiden der nächste Karrieresprung an, torpediert dieser zugleich den Wunsch und das Versprechen, endlich mehr Zeit für die Familie zu investieren. Wie erholsam klingt doch da der Gedanke an ein einsames fernes Kloster.
Frontalszene Haustür
So stoßen beide Seiten mit absolut überhöhtem Stresslevel aufeinander und fallen stets aufs Neue in die Erwartungsspirale. Gleichzeitig wuseln die Kinder mit eigenen Wünschen, Berichten und dem steten Gefühl, dass ihren Eltern aber auch alles scheißegal zu sein scheint. Schon wieder standen sie bei der Lehrerin doof da, weil sie X und Y und auch schon wieder Z vergessen haben. Nachbar Lukas-Marcel bekommt zu Hause immer alles pikobello vorbereitet, kontrolliert, erinnert und erledigt. Da machen ja auch nicht die Kinder ihre Hausaufgaben, sondern deren “Wir haben heute … auf”-Eltern.
Beide Elternteile verzweifeln zuweilen am Gefühl, die Erwartungen der Anderen nicht erfüllen zu können, weder des Partners, noch der Kinder oder des Berufs. Da entzündet sich all der Schlamassel nicht selten an ungeliebten Kleinigkeiten und lästigen Regelaufgaben. Während die Eltern sich fragen und beweisen, wer von beiden eigentlich mehr arbeitet, rätseln die Kinder, wie die Eltern es bloß schaffen, mit ihrem langweiligen Kram derart viel Zeit zu verschwenden. Insbesondere jene Kinder von zwei berufstätigen Eltern sind in ihrer Selbständigkeit gefordert, weil sie im Gegensatz zu anderen Gleichaltrigen oft mehr von allein liefern und bedenken müssen als Kinder von behütenden Eltern.
Fremde Schubladen verlassen
Zwei Aspekte gehen in diesem Kontext meist völlig unter. Nämlich der systemische und der persönliche Bedarf. Meist werden nur “richtig oder falsch”-Fragen beleuchtet, Vor- und Nachteile verschiedener Modelle und Schubladen. Diese führen in die falsche Richtung. Denn erstens stehen sie meistens konträr zur Lebenswelt der so bewerteten Familie und zweitens dreht sich diese damit immer weiter in ihre nicht erfüllbare Erwartungsspirale.
Wenn überhaupt gibt es nur eine einzige allgemeingültige Regel und die lautet: NICHTS IST ALLGEMEINGÜLTIG. Und damit folgen nun ein paar Umdenkansätze und Empfehlungen hinaus aus diesen Zwangsjacken der Neuzeit.
Mentales Umdenken
Vor lauter Anspruchsdenken übersehen die Menschen gern, dass es nicht möglich ist, fehlerfrei und perfekt zu leben. Es ist absolut unmöglich, es allen Recht zu machen.
Es gibt keine idealtypische Familie. Hinter jeder verschlossenen Tür und manchmal auch sichtbar vor offenen, gibt es schwierige Zeiten, Konflikte und weniger vorbildliche Geschehnisse.
Viel wichtiger als fremde Erwartungen zu erfüllen, ist das Erkennen und Akzeptieren der eigenen. Nur wer sich selbst und die Motive und Werte des Partners kennen- und verstehen gelernt hat, öffnet ein Schloss ins Glück. Der eigene Zensor des Perfektionismus’ lässt sich nur zusammen mit der strengen Selbstbewertung ausschalten. Fremdbewertung wird immer stattfinden, vollkommen gleich wie angemessen oder nicht. Aber weder die fremde noch die eigene Bewertung führt zu gutem Befinden. Beides verursacht immer Stress und Unbehagen aufgrund von Fehlerfokussierung statt -toleranz.
Wer sich dagegen mit seinem eigenen Wesen, den inneren Werten und Lebensmotiven auseinandersetzt, erkennt die wahren Bedürfnisse seiner Seele und kann sich sein Leben entsprechend gestalten.
Beispielsweise würde eine Mutter durch den Abgleich ihrer individuellen Lebensmotive erkennen, weshalb sie sich in den Müttergruppen des Kindergartens unwohl und ungenügend empfindet und dagegen bei den Führungsthemen ihres Mannes und seiner Freunde viel gespannter zuhört. Oder aber ein Vater wesentlich besser verstehen, weshalb er sich mit seiner Frau stets aufs Neue zum Thema Sauberkeit streitet.
Effektive Glücksgestaltung hat nichts mit unrealistischen Traumvorstellungen zu tun, sondern mit konstruktiver und kreativer Akzeptanz der Gegebenheiten. Wer sich einigen psychologischen Grundlagen erschließt und den persönlichen Hintergründen mit einem verständnisvollen Lächeln begegnet, ist einen riesigen Schritt weiter in Richtung Lässigkeit. Wenn Eltern beispielsweise bewusst zur Kenntnis nehmen, dass es das Generationengesetz gibt, werden sie viel weniger persönlich verletzt auf die Auswüchse ihrer Pubertiere reagieren.
Jede neue Generation muss sich zunächst von ihren Eltern abgrenzen und unterscheiden, um eigene Werte und Maßstäbe zu erkennen und entsprechende Vorstellungen fürs eigene Leben zu entwickeln.
Die Resilienz und das Glücksempfinden von Kindern sowie ihrer Fähigkeit, sich später selbst ein glückliches Leben aufzubauen, entsteht keineswegs durch deren Abnahme aller Schwierigkeiten. Kinder berufstätiger Eltern sind weder schlechter dran, noch weniger geliebt. Viel wichtiger für deren Entwicklung ist die Art und Weise des Umgangs damit, die gemeinsame Kommunikation und das bewusste Schaffen besonderer Zuhör- und Erlebnismomente.
Wer als Kind gelernt hat, ein paar Minuten auf den Bus zu warten und selbständig einzusteigen, kann auch als Erwachsener mal zehn Minuten auf eine WhatsApp-Nachricht warten, ohne dass für ihn die Welt explodiert. Sich vor allem aber ein unabhängiges selbstwirksames und verantwortliches Leben aufbauen.
Paare die die typischen Eskalationsstufen von Ehestreits sowie die Stress- und Fluchtmechanismen von Menschen kennengelernt haben, können ganz anders mit ehelichen Konflikten umgehen und den Partner und sich selbst wieder leichter mit einem liebe- und verständnisvollem Blickwinkel betrachten.
Organisatorisches Umdenken
Nicht jeder Familie stehen Omas und Opas für die Betreuung und Unterstützung der eigenen Kinder zur Verfügung. Hier gilt es nicht nur, sich alternative Notfallnetze aus Nachbarn, Freunden und anderer Eltern aufzubauen.
Während sich mancher Sport zusammen mit der einen oder anderen Fortbildung kombinieren lässt (beispielsweise Audiokurse und Lernvideos auf dem Crosstrainer hören), sind für das eigene Wohlbefinden gezielte Aus- und Paarzeiten essentiell. Gemeinsame Momente, Exklusivzeiten für jeden (auch sich selbst!) und gelebter Humor stärken die Resilienz und gemeinsamen Erinnerungen einer Familie wesentlich höher als das stete Hamsterrad der Bescheidenheit oder des Perfektionismus. In einem aktiven Berufs- und Familienleben ist das Verlassen planbarer Zeitfenster weder möglich noch das ursächliche Problem. Wichtig ist lediglich, den Terminplaner mit werthaltigen Inhalten zu füllen.
Solch fest fixierte Terminzeiten für die eigene Seele alleine und ebenso weitere für die Paarbeziehung sowie gemeinsame Familienzeiten können jedoch nicht pauschal für alle Familien gleich richtig verteilt werden. Paare mit hohem Familienmotiv werden entsprechende Familienzeiten von allein höher gewichten. Aber solche Ansprüche in Einklang mit niedrigen Familienneigungen zu bringen, ist die Kunst einer glücklichen Individualitätsgestaltung. Ein gutes Familien- und Entspannungsmanagement berücksichtigt die eigenen Bedürfnisse im Einklang mit jenen aller Familienmitglieder.
Die Fokussierung sollte der Frage “Was genau brauchen wir und wie setzen wir es möglichst nützlich um?” dienen und nicht jener, wie es der Meinung anderer nach sein müsste. Nicht alle Familien legen Wert auf Sport, Vereine oder Yoga, andere umso mehr.
Wesentlich motivierender und hilfreicher in der Orientierung an anderen Familien, ist nicht das Anhören oder gar ernst nehmen von Kritikern mit den Mokassins fremder Lebensmodelle, sondern wenn überhaupt das Betrachten von Gleichgesinnten.
Arbeitskontext wohlgesonnen reflektieren
Wer unter einem verständnisfreien Arbeitsumfeld leidet, kann versuchen, seine Kollegen durch Erzählungen oder Einladungen mehr am eigenen Leben teilhaben zu lassen. Oftmals merken diesen dann sehr schnell, dass der eigene Alltag wesentlich komplexer läuft, als bis dato vermutet.
Kollegen, die sich persönlich vernachlässigt fühlen, kann man durch kleine Gesten und Postit’s Wertschätzung und Interesse zukommen lassen. Auch ein offenes Wort über die Gesamtsituation und den eigenen damit verbundenen Gefühlen und Ängsten, vermag Kollegenherzen zu öffnen.
Wenn jedoch all solche Ansätze nichts helfen, Frust und Enttäuschung den Arbeitsalltag begleiten, läutet der Veränderungsalarm. Nicht jeder Job und jedes Team passen zum eigenen Wesen. Manche Phasen im Leben zeigen sehr deutlich, dass weder Akzeptieren noch Ignorieren funktionieren. In diesen Fällen steht ein Berufs-, Firmen- oder Branchenwechsel als letzte Blockade dem Glück im Weg.
Psychologischer Weg
Eine typ- und motivgerechte Lebens- und Prioritätengestaltung orientiert sich in erster Linie aber eben nicht an Fremden, sondern einzig und allein sich selbst. Am Ende ist alles eine Frage der eigenen Werte, Kommunikation, Prioritäten und persönlicher Neigungen. Entsprechend individuell und passend auf die eigene Familiensituation, lässt sich auch der Erziehungscocktail für die eigenen Kinder mischen. Einziger Bewertungsmaßstab sollte das eigene Lächeln sowie jenes von Partner und Familie sein. Dies bei gleichzeitiger Fehlertoleranz. Der Umgang mit Kindern in diesem Land liefert zuweilen den Eindruck, als seien diese aus Zuckerwatte und der kleinste Regentropfen würde sie in Luft auflösen. Kinder starker Familien können auch mit Negativstimmungen und Stress umgehen. Wenn sie als Mensch mit eigenen Gefühlen und Perspektiven ernst genommen werden.
Gern erstelle ich ein individuelles Persönlichkeits- und/oder Familienprofil auf der Grundlage des wissenschaftlich validierten Persönlichkeitstest Reiss Motivation Profile. Wer sich diesen Spezialblick in die eigene Persönlichkeit gönnt, profitiert von einem wesentlich höheren Selbst- und Fremdverständnis. Eine unglaublich befruchtende Basis für den gelingenden Balanceakt zwischen Familie und Beruf.
Autor: Tanja Schillmaier, Coaching
Thema: Familie und Beruf - Berufsfamilien am Erwartungsstrick
Webseite: https://www.chiemgaucoach.de
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