Unsere Muskeln haben die Fähigkeit zur Anspannung und Entspannung. Den ausgeglichenen Spannungszustand, der auch in Ruhe aufrecht erhalten wird, nennt man Muskeltonus.
Dieses Gleichgewicht zwischen An- und Entspannung immer wieder herzustellen, ist ein komplexer lebenswichtiger Prozess, der vom zentralen Nevensystem (ZNS) oder vom vegetativen Nervensystem (VNS) gesteuert wird. Ständige Anspannung bezeichnet hier einen permanent erhöhten Muskeltonus.
Das ZNS ist verantwortlich für die Skelettmuskulatur, also für alle Bereiche, die wir mit unserem Willen bewegen. Das VNS, das autonom ist und nicht willentlich gesteuert wird, versetzt unsere Organe und vitalen Funktionen in die Lage ihre Aufgaben wahrzunehmen, ohne dass wir daran denken müssen. ZNS und VNS stehen in ständiger Verbindung miteinander.
Die Fähigkeit, Muskeln anspannen zu können, ist lebensnotwendig, da ansonsten keinerlei koordinierte Bewegung unseres Skeletts möglich wäre. Wichtig ist allerdings, dass nach der Anspannung die Muskulatur wieder auf ein gesundes Maß entspannt wird. Auch unsere inneren Organe, die mit Muskeln ausgekleidet sind (intramurales System), sind auf das Zusammenspiel von An- und Entspannung angewiesen um funktionieren zu können.
Ständige Anspannung führt zu einem permanent erhöhten Muskeltonus. Dies kostet den Körper auf Dauer sehr viel Energie, da die Muskulatur neben ihrer Funktion als Teil des Bewegungsapparates auch das größte Stoffwechselorgan des Körpers ist. Die Folgen permanenter Verspannungen können vielfältig sein. Betroffene leiden primär meist unter Schmerzen, die grundsätzlich ein Warnsignal darstellen. Auch unspezifische funktionelle Störungen der Organe oder schnelle Ermüdbarkeit treten auf. Diese Beschwerden kommen zustande, weil durch die verspannte Muskulatur Nerven und Blutgefäße eingeengt werden, so dass Muskeln oder auch innere Organe in ihrer Funktion eingeschränkt werden.
Was können nun die Ursachen für ständige Anspannungen sein? Auf der körperlichen Ebene kommen Fehlstellungen des Skeletts in Frage. Ganz besonders häufig finden sich hier Anomalien des Fußskeletts, Verschiebungen von Wirbeln oder des Kiefers. Häufig bedingen sich diese Fehlstellungen gegenseitig. Der Körper versucht, die notwendige Statik aufrecht zu erhalten, wobei muskuläre Verspannungen entstehen. Wiederum kann es durch ständige übermäßige Spannungen in der Muskulatur zu Fehlstellungen kommen. Auch eine ungesunde Ernährung, eine zu geringe Wasseraufnahme, Bewegungsmangel und vor allem eine flache Atmung sind Faktoren, die zur Verschlimmerung der des Problems beitragen.
Dass unsere Darmflora eine große Rolle bei der Entstehung und Aufrechterhaltung von Spannungszuständen spielt, ist noch wenig bekannt. Im Darm wird der Neurotransmitter Serotonin gebildet. Er ist unter anderem verantwortlich für Entspannung, aber auch für die Bildung des Hormons Melatonin, das für einen gesunden regenerierenden Schlaf zuständig ist. Die Darmgesundheit ist also von größter Bedeutung. Ein hoher Zuckerkonsum sowie die häufige Aufnahme von stark verarbeiteten Nahrungsmitteln wirken dieser entgegen. Sehr vorteilhaft ist es, fermentierte Lebensmittel, zum Beispiel Sauerkraut und Naturjoghurt, in die Ernährung zu integrieren. Durch die Fermentierung entstehen Bakterien, die unserem Darm gut tun und die Darmflora stärken. Eine Ernährung, die auf zu viel tierischem Eiweiß beruht, führt zur Übersäuerung des Gewebes, was auch unweigerlich zu Problemen in der Muskulatur führt.
Weiterhin ist es wichtig, ausreichend stilles Wasser zu trinken; ausreichend heißt 35 Milliliter pro Kilogramm Körpergewicht. Nur so können die Organe überhaupt gut funktionieren. Umweltgifte wirken zunehmend belastend auf den Organismus ein, da sie im Bindegewebe gespeichert werden und somit auch die Muskulatur in ihrer Funktion beeinträchtigen. Deshalb müssen die entgiftenden Organe (Nieren, Leber, Darm, Lunge) in ihrer Funktion unterstützt werden. Dies geht nur mit genügend Wasser, aber auch ausreichender täglicher Bewegung.
Eine der häufigsten Ursachen eines ständig erhöhten Muskeltonus ist Stress. Unter Stress atmen wir flacher. Vor allem das Zwerchfell , ein sehr großer Muskel , ist dann in seiner Funktion eingeschränkt, was zu zahlreichen Dysfunktionen führen kann.
Leider werden die psychischen Ursachen ständiger Verspannungen oft nur unzureichend oder gar nicht berücksichtigt. Wie bei allen dauerhaften Beschwerden ist eine Besserung nur zu erreichen, wenn Körper und Psyche behandelt werden. Auf der psychischen Ebene können Alltagsstress aber auch tief liegende frühere Traumata ursächlich für das Problem sein. Traumata werden durch plötzliche oder auch längere Ausnahmesituationen hervorgerufen. Bei diesen Ereignissen bildet die Anspannung der Muskulatur zunächst einen Schutz, was in dem Fall überlebenswichtig sein kann, da wir so wichtige Bereiche unseres Körpers, aber auch die Seele schützen. Durch den Schockzustand sind wir dann allerdings nicht mehr in der Lage, die Muskeln wieder adäquat zu entspannen. Wir bleiben sozusagen in der Schockstarre, was der ständig erhöhte Muskeltonus symbolisiert. Die zentralen Bereiche hierbei sind der Kiefer und die Schulter- Nacken- Muskulatur. Bei der Mehrheit der Patienten findet sich hier die größte Anspannung. Der Kiefer ist das Gelenksystem, in dem enorme Kräfte wirken. Damit übt er Einfluss auf den gesamten neuromuskulären Bereich und somit auf das gesamte Körpersystem aus. Starke Spannungen im Kiefergelenk äußern sich auch im Bruxismus, dem so genannten Zähneknirschen. Da dieses im Schlaf unbewusst mit hoher Intensität geschieht, wachen viele Menschen morgens mit Nackenschmerzen oder vielfältigen anderen Spannungszuständen auf. Auch die Schulter- Nacken- Muskulatur ist sehr häufig betroffen. In einem Schockmoment oder längerer psychischer Belastung werden die Schultern nach oben gezogen. Dieser Zustand bleibt häufig auch erhalten, wenn es gar keinen Grund mehr dafür gibt.
Neben physiotherapeutischen und osteopathischen Behandlungen ist eine körperorientierte Psychotherapie sehr sinnvoll. Hierbei können unbewusste Bewegungsmuster bewusst gemacht werden. Kontraproduktive Verhaltensweisen im Alltag werden wahrgenommen und hinterfragt. Mittels geeigneter therapeutischer Methoden können Blockaden, die durch zurückliegende traumatische Ereignisse noch bestehen, aufgedeckt und gelöst werden. Neben dem Gespräch wären hier zum Beispiel der kinesiologische Muskeltest oder auch Hypnose- Anwendungen zum Aufspüren von Blockaden zu nennen. Zum Lösen dieser Zustände bieten sich u. a. EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing), die Klopfakupressur, bekannt als EFT (Emotional Freedom Techniques) oder/und auch die Hypnose an.
Wichtigstes Ziel einer psychotherapeutischen Behandlung ist es jedoch, die Selbstwirksamkeit des Patienten zu stärken und damit seine Resilienz zu erhöhen. Darunter verstehen wir die psychische Widerstandskraft. Hierfür gibt es viele sehr bewährte Methoden. Entspannung kann und muss trainiert werden. Dafür braucht es eine Struktur. Eine leicht zu erlernende Methode, die vor allem anfangs sehr gut geeignet ist, ist die progressive Muskelrelaxation nach Jacobson. Hierbei wird der Unterschied zwischen Anspannung und Entspannung spürbar gemacht. Eine weitere bekannte Methode ist das autogene Training. Dabei wird sowohl die Entspannung der Skelettmuskulatur als auch die Einflussnahme auf sonst autonome Prozesse trainiert. Die wichtigste Körperfunktion bei der Wiederherstellung des Gleichgewichts von An- und Entspannung ist der Atem. Viele Menschen, die unter ständiger Anspannung leiden, atmen zu flach. Ein Großteil der erlernbaren Entspannungsübungen zielt auf eine bewusste tiefe Atmung ab.
Sehr viele Patienten profitieren vom Erlernen achtsamkeitsbasierter Meditationstechniken. Sehr zu empfehlen sind ganzheitliche Ansätze wie Qigong, Tai Chi und Yoga, weil dabei Körper und Psyche als untrennbare Einheit gesehen werden.
Spannungszustände sind also sehr gut behandelbar und bieten dazu noch die Chance, die eigenen Lebensumstände zu hinterfragen und neue heilsamere Wege zu gehen.
Autor: Manuela Gerlach, Heilpraktikerin (Psychotherapie)
Thema: Ständige Anspannung im Körper
Webseite: http://www.institut-gerlach.de
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