Wenn das Baby da ist, nimmt es allen Raum ein. Ungestört bist du nur noch, wenn es schläft. Es ist aber nicht unwahrscheinlich, dass es nicht gut schläft. Auch nachts nicht. Manchmal brüllt es ohne Ende.
Früher hat man versucht, schon dem Neugeborenen feste Zeiten beizubringen. Das war eine Variante des Kardinalfehlers der Kindererziehung: Babys mit einsichtsfähigen Erwachsenen zu verwechseln. Zum Glück hat man dazugelernt. Babys haben ihren eigenen Rhythmus. Man schadet ihnen nur, wenn man ihnen einen fremden aufzwingt. Vernünftige Lernerfolge kommen dabei nicht zustande.
Babys sind unbeschreiblich wunderbar und süß, aber nur, wenn sie gut drauf sind. Das entschädigt für vieles. Aber sie brauchen auch sehr viel Geduld. Wir haben alle unsere wunden Punkte. Wenn sie berührt werden, reagieren wir irrational. Es ist dann relativ egal, ob ein erwachsener Mensch bewusst und willentlich den Schmerz ausgelöst hat oder ein Tier oder irgendein Ding - wir reagieren unvernünftig emotional. Leider auch dem Baby gegenüber. Zum Beispiel fühlen wir uns persönlich angegriffen, weil es sich nicht beruhigen lässt. Es geht uns so wahnsinnig auf die Nerven. Wir erinnern uns nicht mehr daran, dass es nicht anders kann. Rücksicht und Verständnis hat es einfach noch nicht im Repertoire; umso mehr braucht es das von uns. Wenn wir darauf nicht achtgeben, werden wir ungerecht und machen ihm und uns selbst nur unnötigen Stress.
Der Stress setzt sich auch später fort. Es kann nicht anders sein und einen großen Anteil daran haben die Erziehungsfehler. Man kann und sollte sich viel Theorie aneignen, aber das meiste ist doch Learing by Doing, und da kommt manches anders als man denkt. Alle Eltern sind erst einmal blutige Erziehungsanfänger. Ihre eigenen Eltern haben manches falsch gemacht und sie wollen es jetzt besser machen. Aber wie?
Erziehung ist keine Einbahnstraße. Gut erziehen kann nur, wer sich dabei selbst erziehen lässt. Eltern zu werden bedeutet, sich in der Hochschule der Lebenskunst zu immatrikulieren. Jetzt sind wir richtig gefordert. Eigentlich bewegt man sich schon auf diesem Hochschulterrain, wenn man eine feste Paarbeziehung eingeht. Wenn ich mich wirklich auf dich einlasse, dann trete ich in einen schweren Studiengang ein. Aber genau das brauchen wir zur Persönlichkeitsbildung. Geduld zum Beispiel lernt man nur, wenn man auch wirklich Geduld braucht. Aber ohne Geduld gibt es kein gesundes Persönlichkeitswachstum. Wer immer gleich alles gerade so bekommt, wie es ihm passt, entwickelt keine Selbstdisziplin. Doch ohne Selbstdisziplin kommt man nicht weit in der Lebenskunst.
Früher war es einfach: Die Mädchen wurden schon als Kinder dazu erzogen, geduldig zu sein. Besonders in der Erziehung sind viele Frauen dafür auch besonders begabt. Aber die Frauengeduld war früher eine Geduld aus Prinzip. Vor allem diente sie dazu, es den Männern leicht zu machen. An der Ungeduld der Männer störte man sich nicht, wie auch an ihrem Narzissmus. Die Frauen waren dazu da, es ihnen bequem und schön zu machen und sich um das Lästige zu kümmern. Kindererziehung war für die Männer nur etwas, wenn sie sich dabei mächtig fühlen konnten.
Gott sei Dank funktioniert das heute lange nicht mehr so gut. Das macht jedoch den Hochschulstudiengang der Partnerschaft nicht leichter. Entweder stellen wir uns der Herausforderung und wachsen daran oder wir vertauschen Lebenskunst mit Lebenslüge. In vielen oberflächliche Beziehungen lebt man nicht wirklich miteinander, sondern eher nebeneinander und aneinander vorbei. Man fürchtet sich davor, sich zu sehr aufeinander einzulassen, oder man hat schon resigniert.
Mit einer oberflächlichen Beziehungsauffassung Kinder zu bekommen wird heißen, ihnen nicht die Nähe, Zuwendung und Fürsorge zu geben, die sie eigentlich brauchen. Wenn man genug Geld hat, lässt sich das schon irgendwie hinbekommen und man kann sich gut dabei fühlen, weil man sich vieles gönnt, was Spaß macht. Man unternimmt vielleicht sogar viel mit den Kindern, wenn sie größer werden. Aber man ist nicht wirklich für sie da.
Es ist gut, dass die kleinen Kinder auf den Wunsch der Erwachsenen nach Bequemlichkeit und Spaß keine Rücksicht nehmen. Darin liegt die Chance für ihre Eltern, sich dadurch erziehen zu lassen. Wenn sie den Zustand ehrlich akzeptieren, können sie in der Elternhochschule Geduld lernen, aber nicht nur dass, sondern auch Respekt, Einfühlung, Humor, Bescheidenheit und Dankbarkeit. Nicht nur mit ihren Kindern können sie das jetzt üben, sondern auch miteinander. Beide sind gestresst. Beide haben nur noch wenig Zeit füreinander und für sich selbst. Beide sind jetzt besonders auf einen fairen und freundlichen Umgang angewiesen.
Die Paarbeziehung kann sich nach der Geburt stark verändern, weil der neue Mensch alles verändert. In welche Richtung sie sich verändert, hängt von der Bereitschaft ab, das dankbar und mutig anzunehmen oder nicht. Dieser neue kleine Mensch, diese faszinierende Zwergenpersönlichkeit, soll es mir wert sein. Und du, meine Partnerin und mein Partner, sollst es mir wert sein. Wir sollen es uns wert sein. Daran führt kein Weg vorbei: Lebensqualität ist anstrengend. Aber ohne Qualität gibt es kein wahres Glück.
Autor: Dr. phil. Hans-Arved Willberg
Thema: Wie verändert sich die Paarbeziehung nach der Geburt?
Webseite: https://www.life-consult.org
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