Neulich saß in meinem Unterricht ein neuer Teilnehmer mit Handschuhen, Kappe und Mantel bekleidet. Er hielt den Blick zu seinem Tisch gesenkt und machte keinen Mucks.
Er hatte offensichtlich keine Lust meinem Unterricht zu folgen. In der anschließenden kurzen Pause sprach er andere Teilnehmer an und unterhielt sich. Dann holte er sein Handy heraus, tippte eifrig und schrieb Zahlen auf einen Block. Dies setzte er auch im wieder begonnenen Unterricht fort, woraufhin ich ihn bat, das Handy wegzustecken. Dem folgte er mit einer unwilligen, provozierend langsamen Geste und einem abweisenden Gesichtsausdruck.
In einem späteren Einzelgespräch erklärte ich ihm, dass mich sein Verhalten irritierte und fragte, was er in dieser Unterrichtsstunde gedacht hat. Er meinte, er habe doch nichts falsch gemacht. Er habe genau zugehört und nicht gestört, da er nichts gesagt habe und meinen Anweisungen sei er sofort gefolgt.
Hat er nicht kommuniziert, weil er nichts sagte? Oder hat er nicht nicht kommuniziert? Habe ich nur interpretiert? Habe ich ihm Desinteresse und Provokation nur unterstellt? Wie kam ich eigentlich darauf, dass er überhaupt keine Lust auf Unterricht hatte?
Lassen Sie uns die Situation einmal genauer anschauen. Dabei ist es hilfreich zu verstehen, woraus Kommunikation besteht und wie sie funktioniert.
Wie funktioniert Kommunikation und woraus setzt sie sich zusammen?
Um kommunizieren zu können, müssen drei Voraussetzungen erfüllt sein:
- Es bedarf mindestens zweier Individuen: Eines in der Funktion des Senders und eines in der Funktion des Empfängers.
- Der Empfänger muss fähig und bereit sein wahrzunehmen.
- Es wird eine Botschaft vermittelt.
Wir unterscheiden drei Hauptbereiche: analoge, digitale und mediale Kommunikation. Im folgenden Text befassen wir uns mit den drei Unterbereichen non-verbal, para-verbal und verbal.
Der Teilnehmer aus dem Eingangsbeispiel kommunizierte sein Desinteresse über analoge Kommunikationsformen. Er machte para-verbal deutlich, dass er eigentlich gar nicht hier sein wollte, indem er Mantel, Kappe und Handschuhe erst gar nicht auszog. Durch seinen körperlichen und mimischen Ausdruck unterstrich er diese Haltung non-verbal. Vermutlich tat er dies unbewusst, denn dass er eine Botschaft an mich übermittelte, war ihm nicht klar.
Sprachliche Kommunikation
Sprachliche, verbale Kommunikation gehört zur digitalen Kommunikation. Hier werden Befindlichkeiten, Gefühle und Intentionen in Gedanken und anschließend in einzelne Laute und Silben (hier: digits) – also die Sprache – umgewandelt. Wir kennen den Begriff vorwiegend im Zusammenhang mit Maschinenkommunikation oder dem Internet. In Wirklichkeit handelt es sich auch bei der menschlichen Sprache um eine Übersetzung, also eine zeichenhafte Äußerung von Gedanken oder Gefühlen in Abgrenzung zur analogen Kommunikation.
Sprache wird durch einen Akt des bewussten oder unbewussten Denkens gelenkt und ausgelöst. Soweit sie sich in unserem bewussten Denken vollzieht, können wir sie mit entsprechenden Kenntnissen den Erfordernissen anpassen. Wir möchten etwas beim Empfänger bewirken: beispielsweise Fakten oder Meinungen mitteilen oder ein Ziel verfolgen und eine Reaktion auslösen, nämlich dass er etwas denkt, fühlt oder tut.
Zahlreiche Kommunikationstrainings lehren, wie man seine Ziele z.B. mit positiven Formulierungen besser erreicht und wie man sprachliche Fallen erkennt und vermeidet. Wir lernen, dass es günstiger ist, in Ich-Botschaften zu sprechen, weil eine Du-Botschaft als Angriff verstanden werden kann und die Kommunikation dadurch gefährdet wird. Und wir hören von einem „Eisberg-Modell“.
Ein Eisberg zeigt über der Wasseroberfläche nur ein Siebtel bis ein Neuntel seiner gesamten Größe. Dieser Teil symbolisiert das Bewusste. Der Rest befindet sich unter der Wasseroberfläche und steht für das Unbewusste. Mit diesem Bild wird das Verhältnis zwischen Bewusstsein und Unterbewusstsein dargestellt. Wir können daraus ableiten, dass der unbewusste, nicht-sprachliche Anteil in der Kommunikation deutlich mehr Gewicht hat, als der bewusste, gesprochene.
Nicht-sprachliche Kommunikation
Da sich das Unterbewusstsein ohne Übersetzung direkt über den Körper in Mimik und Gestik ausdrückt, gehört die non-verbale Kommunikation zu den analogen Kommunikationsbereichen.
Reden wird oft mit Kommunikation verwechselt, so wie der junge Mann mit seinen Handschuhen. Und doch hat er Botschaften übermittelt, nämlich nicht-sprachlich durch sein Verhalten, seine Gestik und Mimik. Hier wird deutlich, dass Kommunikation nicht nur Sprechen ist und sich aus weiteren Elementen zusammensetzt.
Körpersprache und Mimik sind nur mit sehr viel Selbstbeobachtung kontrollierbar. Ein bekannter Erforscher der Körpersprache ist Samy Molcho. Als Pantomime und Schauspieler beobachtete er Menschen in allen möglichen Situationen und erlernte, welche Gesten und Körperhaltungen Ausdruck für welche inneren Haltungen und Gefühle sind. Er erlangte durch jahrelange Beobachtung und Training den bewussten Einsatz von Körpersprache. Im Alltag sind wir uns unserer non-verbalen Botschaften oft jedoch nicht bewusst und können dies auch nur selten steuern. Umgekehrt nehmen wir sie bei anderen auch eher unterbewusst wahr. Unser Körper drückt Emotionen und Bedürfnisse unbewusst und direkt, ohne das Mittel der Sprache aus. Deshalb können sich gesprochenes Wort und Gestik auch widersprechen und zu Doppelbotschaften und damit zu Missverständnissen führen.
Doppelbotschaften entstehen, wenn wir etwas anderes sagen, als wir denken und fühlen. Wir können zwar unsere Sätze perfekt formulieren und dem anderen genau das sagen, was er hören möchte oder was uns zum Ziel bringt. Die Körpersprache aber kann etwas über unseren inneren Zustand verraten: Würden Sie Ihrem Vorgesetzen glauben, wenn er sagt, dass er Ihre Arbeit schätzt und Sie dabei nicht ansieht, sondern weiter in seinen Unterlagen blättert? Vermutlich entsteht in Ihnen ein Spannungsgefühl „hier stimmt was nicht“. Das durch die non-verbale Botschaft entstandene Gefühl passt nicht zu der akustischen Botschaft.
Para-verbale Kommunikation
Neben der non-verbalen gibt es auch noch die weniger bekannte para-verbale Kommunikation. Damit sind Bereiche gemeint, die weder sprachlich noch nicht-sprachlich vermittelt werden. Denken Sie noch einmal an den Unterrichtsteilnehmer. Seine Straßenkleidung hatte er anbehalten. War es nicht nachvollziehbar, dass ich dies als eindeutiges Zeichen wahrnahm, dass er eigentlich nicht hier sein wollte? Oder hatte er einen Hautausschlag, den er verdecken wollte? Sicher wissen wir es nicht.
Para-verbale Elemente könnten von enormer Tragweite sein. Stellen Sie sich folgende Situation vor: Es ist Sommer und die Mittagshitze drückt. Eine junge blonde Frau in Minirock und trägerlosem Top wartet an einer Bushaltestelle. Sie geht auf dem Bürgersteig auf und ab. Andere Wartende sind ähnlich leicht bekleidet.
Vermutlich würden Sie nicht weiter darüber nachdenken. Und nun stellen Sie sich dieselbe Frau wieder an der Bushaltestelle vor. Der Unterschied: Es ist Mitternacht, herbstlich kalt, die Straße menschenleer. Was denken Sie nun? Welcher Film läuft in Ihrem Gehirn ab?
Vielleicht ist das für Sie immer noch okay. Aber es gibt sicher einige Menschen, die die zweite Situation nicht neutral einschätzen und diese junge Frau als Freiwild betrachten. Es ist also nicht etwas, das diese Frau verbal oder non-verbal ausdrückt, es ist nur die äußere Situation, die die Einschätzung para-verbal verändert: Die Kleidung, die Tageszeit, der Ort, die Temperatur, allein oder in einer Gruppe zu sein.
Wie eine Situation vom Empfänger einer Botschaft aufgenommen wird, hängt übrigens außerdem von seinen Werten und Normen ab, die ihm durch Erziehung, Erleben und Kultur vermittelt wurden.
Es ist wichtig, sich über die eigene Art der Kommunikation bewusst zu werden
Missverständnisse sind unangenehm, zeitraubend und führen zu Problemen und Fehlern. Sie beruhen auf Kommunikationsstörungen. In der sprachlichen Verständigung kennen wir z.B. das Aneinander-Vorbei-Reden, den anderen „auf dem falschen Fuß erwischen“, überreden, indoktrinieren, oder eine Botschaft wird vom Empfänger einfach anders aufgenommen, als vom Sender gemeint. Dafür kann es viele Gründe geben. Denn nicht nur die Fähigkeit zu hören ist dafür notwendig, sondern auch die Bereitschaft zuzuhören und die Botschaft aufzunehmen. Diese Bereitschaft setzt sich aus vielen Aspekten zusammen: Die Art der Beziehung zum Sender, die emotionale Situation des Empfängers sowie seine Bedürfnislage, Körperbefindlichkeit, Vorerfahrungen und einiges mehr.
So gibt es die 4-Ohren-Therorie (Friedmann Schulz von Thun), die annimmt, dass es vier verschiedene Arten gibt, eine Botschaft aufzunehmen. Hier ein Beispiel: Ich sitze bei einem Freund im Wohnzimmer und sage: „Ich habe Durst“. Mein Gastgeber als Empfänger der Botschaft nimmt dies als (1) neutrale Nachricht ‚sie hat Durst‘ und kommentiert es höchstens mit einem Hinweis, dass im Kühlschrank eine Flasche Wasser steht. Mit einem (2) Selbstoffenbarungs-Ohr hört er, dass ich etwas über mich sage und denkt, ‚sie ist weit mit dem Rad gefahren und fühlt sich jetzt nicht wohl‘. Mit dem (3) Beziehungs-Ohr hört er, dass ich ihn für einen schlechten Gastgeber halte, weil er kein Wasser angeboten hat. Mit dem (4) Appell-Ohr hört er eine Aufforderung heraus und geht zum Kühlschrank, um mir ein Glas Wasser zu holen. Jede dieser Reaktionen hängt von der psychischen Grundausstattung und den Lebenserfahrungen des Botschaftsempfängers ab.
Umgekehrt gibt es auch die sogenannte 4-Münder-Theorie. Das bedeutet, dass sehr wohl eine Absicht hinter dem neutral formulierten Satz „Ich habe Durst“ stehen kann. Und diese Absicht könnte sich über eine non-verbale oder auch eine para-verbale Ebene übermitteln: non-verbal z.B. über einen gequälten Gesichtsausdruck und das Abwischen von Schweiß auf der Stirn; para-verbal über ein durchgeschwitztes T-Shirt sowie die Situation, dass ich 20 Kilometer mit dem Fahrrad gefahren bin, um diesen Freund zu besuchen.
Es ist also sinnvoll, wenn wir uns mit unserer eigenen Art zu kommunizieren auseinandersetzen. Wir müssen genau zuhören lernen. Nicht HÖREN, sondern ZUHÖREN. Dazu gehört, einen Zweifel über das Gehörte und Wahrgenommene direkt auszuräumen. Es ist andererseits hilfreich, sich Rückmeldungen darüber zu holen, wie es ankommt, was wir sagen und wie wir es sagen. Das kann in Form von Feedback-Gesprächen sein oder im Alltag auch einfach, indem wir uns öfters einmal rückversichern, wie unser Gegenüber uns wahrnimmt. Es bedeutet, dass wir in eine Meta-Ebene gehen, um uns beim Kommunizieren in Gespräch, Diskussion, Austausch oder Streit zu beobachten.
Wahrnehmen = „für-wahr-nehmen“
Wahrnehmung ist übrigens eine der wesentlichen Voraussetzungen für Kommunikation. Was wir wahrnehmen, halten wir für die Wahrheit, oft für die einzige Wahrheit. Da jeder Mensch auf Basis seines „So-geworden-seins“ und seiner individuell ausgeprägten Sinne eine ganz persönliche Wahrheit hat, gibt es so viele Wahrheiten wie Menschen. Denn die Wahrheit ist nicht die Realität. Sie ist nur eine winzige, individuell gefilterte Spiegelung davon. Und so ist unsere Wahrheit keine Tatsache, sondern nur eine Meinung. Sie ist eine weitere Quelle für Missverständnisse und Auseinandersetzungen, wenn wir glauben, dass andere Menschen die Dinge ebenso sehen müssten wie wir selbst.
Wahrnehmen wird oft nur mit Hören und Sehen gleichgesetzt. Aber wir haben noch mehr Sinne. Wir riechen, schmecken, tasten, fühlen – Temperaturen, Druck, sanfte Berührungen und Schmerz. Wir nehmen Helligkeit und Dunkelheit wahr, ob wir uns wohlfühlen oder nicht. Wir spüren unsere Emotionen und manchmal auch die unseres Gegenübers. Wir empfangen eine Menge Eindrücke unterbewusst: die Atmosphäre in einer Gruppe Menschen, Ordnung und Chaos, Schrilles oder Gedämpftes, Gehetztheit oder Trägheit.
Wie kommuniziere ich erfolgreich?
Kommunikation gilt dann als gelungen, wenn sie einen Zweck erfüllt und ein gesetztes Ziel erreicht. Dazu sollten wir uns einerseits Gedanken machen, was wir mit unserer Kommunikation erreichen wollen. Und andererseits wäre es günstig zu wissen, wie wir selbst als Teil der Kommunikation wirken. Und dies wiederum setzt voraus, dass wir uns die gerade auftauchenden Gefühle und Gedanken und die dahinter stehenden Bedürfnisse bewusst machen. Sie alle begründen, warum wir gerade so oder so reagieren möchten. Genau wie bei uns selbst finden diese Prozesse aber auch in unserem Gegenüber statt. Wenn wir uns in uns selbst einfühlen können, dann sollten wir das auch bei dem anderen tun. Sich z.B. während eines Konfliktgespräches in den anderen hineinzuversetzen, verändert die Sicht auf die Dinge und damit die eigene Gefühlslage. Hier können wir uns die Theorie der Gewaltfreien Kommunikation (Marshall Rosenberg) zunutze machen. Rosenberg postuliert, dass wir, bevor wir auf etwas reagieren und vielleicht etwas Verletzendes herausposaunen, einmal kurz in uns gehen. Wir sollten uns fragen: Was denke ich gerade über den anderen? Welche Gefühle kommen dadurch auf? Welches unerfüllte Bedürfnis steckt bei mir dahinter? Parallel dazu stellen wir uns vor, dass der andere vielleicht ebenfalls seine Bedürfnisse hat und ein ähnlicher Prozess bei ihm abläuft. Erst nach dieser Einfühlung, die etwas mehr Verständnis füreinander bewirkt, können wir in angemessener Weise reagieren. Dies kann zu einem besseren Gelingen der Kommunikation und dem Beilegen eines Konfliktes beitragen. Letztendlich ist es immer hilfreich, sich in den anderen hineinzuversetzen, was auch immer wir mit unserer Kommunikation erreichen wollen.
Fazit
Jeder Mensch hat das Recht sich zu äußern, solange es nicht die Grenzen des anderen überschreitet.
Formulieren Sie so, dass Sie eher in Ich-Botschaften sprechen. Greifen Sie nicht an und unterstellen Sie nichts. Wenn Sie eine Doppelbotschaft wahrnehmen oder einfach nicht sicher sind, fragen Sie nach. Beobachten Sie Ihre Körpersprache und Ihre Mimik während einer Kommunikations-Situation. Nehmen Sie bewusst wahr, welche para-verbalen Aspekte zu berücksichtigen sind. Rückmeldungen und Feedback-Gespräche können hilfreich sein. Testen Sie, zu welchem „Ohren-Typ“ und „Münder-Typ“ Sie gehören, dazu gibt es zahlreiche Tests im Internet. Üben Sie Gelassenheit, gehen Sie entspannt in eine Diskussion oder ein Konfliktgespräch und verhalten Sie sich so, wie Sie es sich von Ihrem Gegenüber wünschen. Werden Sie sich über Ihre unbewussten Motivationen klar, warum Sie so oder so kommunizieren. Verdeutlichen Sie sich, dass jeder Mensch Bedürfnisse und Gefühle hat. Gestalten Sie Ihre Kommunikation so, dass Situation, Atmosphäre, Gefühlslage und sprachlicher Ausdruck kongruent sind.
Denken Sie immer daran: Alles ist irgendwie Kommunikation. Sie können nicht nicht kommunizieren.
Ich wünsche Ihnen viel Erfolg!
PS: Ich gendere nicht. Frauen, Männer und alle weiteren Geschlechtsidentitäten sind Menschen. DER(!) Mensch.
Autor: Sabine Ramona Herrmann-Ikram, Heilpraktikerin für Psychotherapie
Thema: "Man kann nicht nicht kommunizieren." (Paul Watzlawick)
Webseite: https://www.hypnose-re.de