Seine wahren Potenziale entfalten – was genau soll das heißen?
Die meisten Menschen haben immer mal wieder das Gefühl in ihrem Leben: irgendwie lebe ich nicht das, was ich mir eigentlich wünsche, oder: irgendwie müsste doch mehr möglich sein, oder auch: irgendwie scheine ich mir immer wieder selbst im Weg zu stehen. Kennen Sie so etwas?
Die wenigsten Menschen scheinen ihre eigentlichen Möglichkeiten, ihre Potenziale wirklich auszuschöpfen. Und dabei gibt es einen riesigen Markt an Büchern, Medien und Workshops, die uns versprechen, wie wir es endlich schaffen, glücklich, reich und erfolgreich zu sein. – Dass es so unglaublich viele Empfehlungen, Ansätze und Methoden gibt, spricht eigentlich gleichzeitig dafür, dass sie alle nicht das halten können, was sie versprechen. Sonst müssten inzwischen alle Menschen – zumindest in unserer doch recht begüterten westlichen Welt, längst nur noch glücklich, zufrieden und erfolgreich sein.
Falls Sie diesen Artikel lesen, um nun endlich von mir die perfekte Lösung zu finden, wie Sie ihre wahren Potenziale entfalten, um künftig nur noch glücklich, zufrieden und erfolgreich zu sein, muss ich Sie ent-täuschen. Wenn Sie aber an einigen hilfreichen praktischen Werkzeugen interessiert sind, die Ihnen helfen können, ihr Leben optimaler zu gestalten, mehr über Ihre wahren Wünsche und Möglichkeiten zu erfahren, dann kann dieser Text eine Hilfe für Sie sein. Dabei habe ich nicht den Anspruch, das Thema hier erschöpfend zu behandeln. Dazu wäre ein ganzes Buch nötig. Aber wir können einige wesentliche Aspekte anreißen und darlegen, die dann hoffentlich hilfreich für Sie sind.
Auf welche Weise behindern wir denn unsere wahren Potenziale?
Im Laufe unseres Lebens machen wir viele unterschiedliche Erfahrungen. Aus der Entwicklungspsychologie wissen wir, dass dabei die ersten Jahre unseres Lebens besonders prägend sind und eine Menge von dem bestimmen, wie wir uns später im Leben fühlen und verhalten. Hatten wir Eltern und andere wichtige Bezugspersonen, die unser Selbstbewusstsein und Vertrauen vorwiegend gestärkt haben, so wirkt sich das anders aus, als wenn unsere nähere Umwelt uns immer wieder Botschaften vermittelt hat wie: Du taugst nichts, aus dir wird nie etwas, das lernst du sowieso nie, dazu bist du einfach zu dumm, zu zerstreut und Ähnliches. Wir alle haben im Laufe unseres frühen Lebens zahlreiche Glaubensmuster über uns und die Welt gespeichert, die bis ins hohe Alter in uns wirken, vorwiegend im Bereich des sogenannten Unbewussten oder Unterbewusstseins. Diese haben unsere Gewohnheiten und Haltungen beeinflusst, und sie scheinen oft eine enorme Anziehungskraft zu besitzen, sodass wir immer wieder Erfahrungen machen, die diese Muster zu bestärken scheinen. Meistens allerdings haben diese Muster nicht das Geringste mit der Wahrheit zu tun, sondern es sind halt einfach nur Muster, die wir geneigt sind, mit der Wahrheit zu verwechseln.
Zu diesen Mustern gehören auch unsere Wertmaßstäbe und alles, was wir als inneren Kritiker (auch innerer Richter genannt) internalisiert, das heißt in unserm Innern gespeichert haben. Auch einschränkende Glaubenssätze gehören zu möglichen Hindernissen.
Manchmal sind aber auch verschiedene Aspekte unserer Lebensführung dafür verantwortlich oder tragen dazu bei, dass wir unsere eigentlichen Möglichkeiten nicht ausschöpfen. Beispiele sind unausgeglichene Ernährung, Rauchen, Alkohol, Drogen, mangelnde Bewegung und insgesamt mangelndes Gleichgewicht zwischen Beruf und Freizeit.
Einer oder viele? – Wer bin ich und wenn ja, wie viele?
Wir sind nicht die kongruenten menschlichen Einheiten oder Persönlichkeiten wie wir oft glauben. Die meisten von uns kennen Goethes Aussage im Faust: „Zwei Seelen ruhen, ach, in meiner Brust ...“ Und dabei sind es in jedem von uns nicht nur zwei, sondern ganz viele unterschiedliche Seiten oder Anteile, die in uns wirken. Diese Seiten sind zu einem Thema durchaus nicht immer der gleichen Meinung. Sie scheinen oft wie in unterschiedlichen Welten zu leben, in denen bestimmte Dinge des Lebens aus einer jeweils ganz eigenen „Brille“ betrachtet werden. So gibt es in uns zum Beispiel kindliche Anteile, ängstliche Anteile, eifersüchtige und neidische Anteile, ebenso wie mutige, zielstrebige, draufgängerische, lebensfrohe, erwachsene, ja sogar weise Anteile.
Das führt häufig zu inneren und auch äußeren Konflikten. Die eine Seite von uns mag so etwas sagen wie: „Toll, lass uns das machen!“, aber eine andere könnte starke Bedenken, Sorgen oder sogar Ängste dagegen haben. Manchmal erleben wir uns als die erwachsenen, kompetenten Menschen, die wir eigentlich sind. Wir sind dann sozusagen der Chef oder die Chefin in unserem inneren Team. Manchmal scheint der Chef aber nicht zu Hause zu sein und wir verwechseln uns mit ängstlichen, oder anderen allzu kindlichen Anteilen. Und auf einmal benehmen und fühlen wir uns wieder wie damals als wir noch Kinder und in vieler Hinsicht unselbständig waren. Ein solches Verhalten ist im Erwachsenenleben selten hilfreich, aber es passiert uns allen immer wieder. Sie brauchen sich dazu nur die Politik anzuschauen. Was sehen Sie da leider nur allzu oft? – Einen Kindergarten! Wie ein weiser Mann (Hameed Ali Almaas) des öfteren gesagt hat: „Der einzige Unterschied zwischen dem üblichen Erwachsenenleben und einem Kindergarten ist der, dass der Kindergarten als solcher definiert ist.“ In Amerika ist ein trotziges
Kindergartenkind oder Pubertärer mit paranoiden und egozentrischen Zügen ja sogar Präsident geworden. Also lassen Sie den Kopf nicht hängen, auch Sie sind nur ein Mensch.
Was können wir tun?
Alte hinderliche Muster loszuwerden ist nicht immer leicht. – Aber machbar! Dabei müssen sie gar nicht unbedingt verschwinden (das gelingt tatsächlich relativ selten), wir brauchen sie nur als das zu erkennen, was sie sind: Schall und Rauch, Ideen und Gewohnheiten im Kopf, die zwar einen starken Einfluss auf unser Erleben haben, aber absolut nichts mit der tatsächlichen Wirklichkeit zu tun haben. Wir erschaffen uns durch diese alten Muster, ohne es bewusst zu wollen, bislang immer etwas, was wir dann als Wirklichkeit erleben. Aus einer konstruktivistischen, hypnosystemischen Sicht erschaffen wir unser Erleben der Welt immer wieder ganz eigenständig durch die Art, wie wir unsere Aufmerksamkeit fokussieren, sprich ausrichten. Wir hypnotisieren uns (wie Gunther Schmidt immer gerne sagt) den ganzen Tag, ohne es zu wollen, durch den Alltag und wundern uns über die Ergebnisse. Was aber in die eine Richtung funktioniert, das funktioniert auch in die andere.
Erste Voraussetzung: Unsere hinderlichen Muster, Glaubenssätze, inneren Kritiker und
Wertmaßstäbe erkennen! Erst dann können wir beginnen, sie auf hilfreiche Weise zu verändern.
Was unterstützt uns für unsere wahren Potenziale?
Hier einige Fragen, die Ihnen helfen können:
- Tue ich eigentlich das, was mich wirklich erfüllt?
- Tue ich eigentlich das, was ich möchte, oder bin ich laufend dabei, die Wünsche und Ziele Anderer zu erfüllen?
- Was ist es, das mich antreibt?
- In welchen Bereichen/Tätigkeiten meines Lebens entsteht Freude?
- Was sind meine Wertvorstellungen? Und auf welche Weise könnten die dazu beitragen, meine Ziele zu erreichen oder auf welche Weise könnten sie mich auch behindern?
- Was sind typische Aussagen meines inneren Richters/inneren Kritikers
- Unterstützt mich das in dem was ich tue oder behindert es mich?
- Was sind meine bisherigen Erklärungen dafür, dass ich meine Potenziale nicht ausgeschöpft habe? Woran sind zum Beispiel vergangene Projekte gescheitert? Ist das wirklich wahr, oder urteile ich aufgrund von Glaubensätzen und –Mustern?
- Suchen Sie nicht die Schuld bei Andern! Die anderen Menschen können Sie nicht ändern, aber sich selbst.
Gesundheit als Schlüssel zur Potenzialentfaltung
„Die Gesundheit ist zwar nicht alles, aber ohne Gesundheit ist alles nichts“ - dieses berühmte Zitat Arthur Schopenhauers macht deutlich, dass mentale und körperliche Gesundheit notwendige Voraussetzungen dafür sind, dass wir unsere eigenen Potenziale entdecken und entfalten können. Aber welche Faktoren tragen überhaupt zu Entstehung und Aufrechterhaltung unserer Gesundheit bei? Nachdem sich Wissenschaftler lange Zeit fast ausschließlich mit der Entstehung und Behandlung von Krankheiten beschäftigt haben, hat der Medizinsoziologe Aaron Antonovsky mit seinem Konzept der Salutogenese eine neue Perspektive eröffnet: Gesundheit ist nicht nur die Abwesenheit von Krankheit und damit durch ihre Beseitigung wiederhergestellt, sondern ein Zustand völligen psychischen, physischen und sozialen Wohlbefindens, deren Entstehung und Aufrechterhaltung sich erforschen lassen. Zentral ist für Antonovsky ein allgemeines Kohärenzgefühl, das sich darauf bezieht, wie Menschen die Welt und ihr Leben darin im Allgemeinen betrachten. Dieses Gefühl setzt sich aus drei Faktoren zusammen, die der Gesundheit direkt zuträglich sind:
- Verstehbarkeit,
- Bedeutsamkeit und
- Handhabbarkeit
Menschen müssen Dinge, die sich in der Welt um sie herum ereignen, verstehen, das heißt sie irgendwie einordnen können. Sie brauchen das zuversichtliche Gefühl, dass das, was sie tun, in irgendeiner Weise sinnvoll ist. Und sie müssen es als machbar wahrnehmen, die Anforderungen des Lebens mithilfe der ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen zu bewältigen. Wer das Gefühl hat „Das verstehe ich nicht“, „Was soll das bringen?“ oder „Das kann ich sowieso nicht“, wird sich außerordentlich schwer tun, seine eigenen Potenziale zu entfalten.
Ähnlich wie Antonovsky beschreibt auch Ortwin Meiss Faktoren, die für das Erreichen von mentaler und körperlicher Gesundheit ausbalanciert sein wollen. Vielleicht hilft es Ihnen, anhand der folgenden Fragen einmal herauszufinden, inwieweit diese Komponenten in Ihrem Leben erfüllt sind:
- Wie sehe ich die Zukunft? Gibt es etwas Positives, auf das ich mich hinbewege? Oder bin ich pessimistisch, ohne oder mit schlechter Perspektive?
- Identifiziere ich mich auf positive Weise mit den Dingen, die ich tue? Oder tue ich etwas, das ich eigentlich gar nicht tun will?
- Erlebe ich mich als Handelnder, als jemand, der sein Leben selbst bestimmen kann, oder fühle ich mich von außen bestimmt – als Opfer der Umstände?
- Habe ich erfüllende soziale Beziehungen, gar keine oder belastende?
Sollten Sie nun feststellen, dass Sie sich gerade weniger gesund fühlen, vielleicht eher im Dunklen bewegen und bevor an Potenzialentfaltung zu denken ist, erst einmal wieder den Weg ins Licht finden möchten, so ist das keine Schande, sondern der erste bahnbrechende Schritt. Gesundheit und Potenzialentfaltung sind nicht getrennt voneinander zu sehen, sondern bedingen sich gegenseitig: Einem gesunden Menschen wird es leichter fallen, seine Potenziale zu entfalten. Und ein Mensch, der die Möglichkeit hat, seine Potenziale zu entfalten, hat gute Chancen, gesund zu bleiben. Nicht zuletzt ist solch ein Mensch glücklicher und zufriedener in seinem Leben.
Klarheit im Kopf: Wie rede ich eigentlich mit mir?
Vielleicht fragen Sie sich jetzt gerade, wie Sie herausfinden können, was genau Sie glücklicher und zufriedener macht. Was treibt Sie an und was hält Sie noch davon ab, das zu tun, was Sie wirklich wollen, was Ihnen wirklich wichtig ist?
Um der Antwort auf diese Frage näherzukommen, hilft es, Klarheit und Ordnung in Ihre Gedanken zu bekommen. Wir alle reden in Gedanken mit uns selbst. Das ist kein Zeichen von angehender Verrücktheit, sondern ein normaler Prozess, um Eindrücke und Erlebtes zu verarbeiten. Den wenigsten ist allerdings bewusst, dass dieser sogenannte innere Dialog nahezu ohne Unterbrechung bei jedem von uns stattfindet. Indem wir unseren eigenen Gedankendialog einmal bewusst beobachten, können wir Klarheit darüber gewinnen, was uns im Leben eigentlich wirklich antreibt und welche Gedanken uns dabei im Weg stehen, unsere Ziele zu erreichen.
Erlauben Sie sich doch einmal 10-20 Minuten Raum nur für sich selbst zu nehmen.
Konzentrieren Sie sich zunächst eine Weile bewusst auf Ihren Atem. Seien Sie dann einmal ganz offen, welche Gedanken in Ihnen hochkommen. Stellen Sie sich zum Beispiel Fragen, wie
- „Was geht mir gerade durch den Kopf?“,
- „Was beschäftigt mich?“,
- „Welche Wünsche und Bedürfnisse kommen auf?“,
- „Wie fühle ich mich emotional und was spüre ich in meinem Körper?“.
Erlauben Sie sich mit Neugierde zu beobachten, was in Ihnen auftaucht. Was auch immer da ist, es ist okay. Vielleicht tauchen auch Erinnerungen an vergangene Situationen auf oder aber schon Erkenntnisse, die Sie in der Zukunft nutzen können.
Es ist sinnvoll, die eigenen Beobachtungen auf irgendeine Weise festzuhalten. Sie können Ihre
Ideen schriftlich aufzeichnen oder auch mit einem Audio-Aufnahmegerät aufnehmen. So können Sie sich den Dialog zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal anschauen und nachvollziehen. Ich hatte bereits die vielen unterschiedlichen Anteile erwähnt, die in jedem von uns wirken. Letztendlich zielt diese Übung auch darauf ab, den Chef oder die Chefin in unserem inneren Team zu stärken. Durch das interessierte und urteilsfreie Beobachten unserer inneren Stimmen stärken wir unser bewusstes Ich, dass unsere inneren Aspekte ausbalancieren und in Harmonie führen kann. Wir schaffen Klarheit und einen bewussten Umgang mit unseren vielfältigen inneren Einstellungen. Voraussetzung dafür, dass wir unsere eigenen Gedanken einmal bewusst wahrnehmen können, ist ein Moment der Stille – nur für uns.
Erfolg durch Stille
Aber wie finden wir Ruhe in einer immer lauter und hektischer werdenden Welt? Das Bedürfnis nach Stille ist groß und so ist es nicht verwunderlich, dass sich immer mehr Menschen zu den stetig wachsenden Angeboten im Bereich Achtsamkeit und Meditation hingezogen fühlen. Die Wirksamkeit von Achtsamkeitsansätzen aus fernöstlichen Kulturkreisen wird seit einigen Jahren von Medizin und Psychologie erforscht und der Nutzen für unsere körperliche und seelische Gesundheit ist vielfach nachgewiesen. Aber inwiefern kann Meditieren helfen, unsere Potenziale zu entfalten? Eine regelmäßige Meditationspraxis hilft uns dabei, dem wieder näher zu kommen, was – als wir noch klein waren – unser Denken, Fühlen und Handeln maßgeblich geprägt hat: unseren eigenen Körper- und Sinneserfahrungen und damit unserer Intuition. Den Zugang hierzu haben viele von uns in einem auf Effektivität und Effizienz ausgerichteten Bildungssystem verloren, in dem nur rationaler Verstand und Logik gefragt sind. Für Offenheit, Interesse, Neugier und Kreativität ist in solch einem leistungsorientierten Bildungssystem kein Raum.
Ohne es selbst zu merken, haben die meisten von uns, unter diesem Leistungsdruck, ihre eigenen Interessen, das Vertrauen in sich selbst und damit die Fähigkeit, die eigenen Potentiale zu entfalten, verloren.
Meditation bedeutet, den eigenen Geist zu beruhigen. Wir schärfen unsere Wahrnehmung für innere und äußere Vorgänge und beobachten diese, ohne zu werten. Auf diese Weise erreichen wir einen Zustand tieferen Gewahrseins, verbunden mit innerer Ruhe und Konzentration. Wir lernen dadurch, Signale aus unserem Körperinneren achtsam wahrzunehmen und können diese – neben unserem Verstand und logischem Denken – in unsere Entscheidungen und Überlegungen mit einbeziehen. Beim Meditieren wird die Tätigkeit des Großhirns auf das Stammhirn verlagert und wir bekommen einen leichteren Zugang zu unserer Intuition und unserem ureigensten Selbst. Wir lernen uns selbst besser kennen und können nach und nach unser kreatives Potenzial entfalten, indem wir mit der Weisheit unseres Körpers verbunden sind. Durch regelmäßiges Meditieren erwecken wir also diejenigen Teile unseres Gehirns, die uns dabei helfen, unser höchstes Potenzial zu entfalten und zu erhalten.
Um diesem Ziel näher zu rücken, können Sie beginnen, eine einfache Sinnesmeditaion in Ihren Alltag zu integrieren.
Meditation der Sinne
Setzen oder legen Sie sich zunächst bequem hin und konzentrieren sich auf Ihren Atem. In welchem Bereich Ihres Körpers können Sie Ihren Atem besonders wahrnehmen? Nun können Sie nach und nach ihre Aufmerksamkeit auf die verschiedenen Sinneswahrnehmungen richten.
Was können Sie mit Ihren Augen alles wahrnehmen? Vielleicht erscheinen Bilder, Farben oder Formen vor Ihrem inneren Auge, wenn Sie die Lider geschlossen haben. Was können Sie fühlen, wenn Sie Ihren Tastsinn aktivieren? Wandern Sie mit Ihrer Aufmerksamkeit durch Ihren Körper und registrieren Sie Ihre Körperempfindungen. Welche Sinneseindrücke nehmen Sie durch Ihre Ohren auf? Lauschen Sie eine Zeit lang auf alle Geräusche, die in Ihrer Wahrnehmung auftauchen. Und dann Ihre Nase: Können Sie etwas riechen? Welche Düfte erfüllen den Raum? Nehmen Sie sich Zeit, um die verschiedenen Sinneswahrnehmungen auftauchen zu lassen und genießen Sie die Eindrücke, ohne sie zu bewerten. Und wenn Sie unkonzentriert oder ungeduldig werden, hilft es Ihnen vielleicht sich zu erinnern: „Alles Große braucht Stille, um im Menschen geboren zu werden“ (Anselm Grün). Sich immer mal wieder zu besinnen, kann wahre Wunder bewirken.
Atmen hilft!
In nahezu jeder Entspannungs- und Achtsamkeitsübung werden wir zunächst aufgefordert, unsere Aufmerksamkeit auf unseren eigenen Atem zu richten. Aber warum ist das so? Atmen funktioniert automatisch. Wir atmen andauernd, ohne darüber nachzudenken. Der Vorgang des Atmens ist etwas Selbstverständliches, um das wir uns weiter keine Sorgen machen müssen. Gleichzeitig können wir ohne die Atmung nicht überleben. Jede Zelle unseres Körpers braucht den Sauerstoff aus der Luft, um zu überleben. Wird die Atmung unterbrochen, erleidet das Gehirn schon nach wenigen Minuten irreversible Schäden. Atmung kann also als ein
Grundrhythmus organischen Lebens bezeichnet werden. Bei jedem Atemzug tauschen wir Kohlendioxidmoleküle aus dem Körper mit Sauerstoffmolekülen aus der Luft. Wir befreien uns so von Abfallstoffen und führen uns frische Energie zu. Dieser rhythmische Vorgang des Atmens steht somit in engster Verbindung mit unserer Lebendigkeit. Zudem unterliegt er einem ständigen Wandel. Je nachdem, ob wir zum Beispiel Angst haben, gestresst sind, freudig erregt oder entspannt sind, atmen wir ganz unterschiedlich. Die Atmung sagt also viel über unsere Gefühlslage aus und kann umgekehrt auch bewusst eingesetzt werden, um unseren aktuellen Gemütszustand zu beeinflussen.
Ich möchte Ihnen eine einfache Entspannungsübung vorschlagen, durch die Sie in Kontakt mit Ihrem Atem kommen können.
Atemmeditation
Setzen Sie sich hierzu aufrecht und bequem hin und schließen Sie die Augen. Versuchen Sie dann einmal zu spüren, wo in Ihrem Körper Sie überall Atembewegungen wahrnehmen können. Wo nehmen Sie Ihren Atem am deutlichsten wahr? Vielleicht ist es das Heben und Senken der
Bauchdecke, vielleicht ist es das Weiten und Zusammenziehen des Brustkorbs, oder das Ein- und Ausströmen der Luft im Nasen- und Rachenbereich. Wenn Sie eine Stelle gefunden haben, an der Sie Ihren Atem gerade deutlich wahrnehmen können, lade ich Sie ein, Ihre Aufmerksamkeit nun dort ruhen zu lassen. Begleiten Sie mit Ihrer Aufmerksamkeit jeden einzigen Atemzug: das Einatmen, das Ausatmen und die Pausen dazwischen. Der Atem kommt und geht in seinem eigenen Tempo. Er hat seinen ganz eigenen Rhythmus und seine eigene Weisheit. Es gibt nichts zu verändern und nichts, was erreicht werden muss. Einfach nur wahrnehmen, wie es jetzt gerade ist.
Möglicherweise merken Sie zwischendurch, dass Ihre Aufmerksamkeit abgelenkt und anstatt bei Ihrem Atem, bei Geräuschen, Gedanken oder wo auch immer ist. Registrieren Sie das einfach nur freundlich, ohne zu bewerten, und bringen Sie sanft Ihre Aufmerksamkeit wieder zur Wahrnehmung des Atems zurück.
Stellen Sie sich nach einer Weile vor, Sie könnten mit jedem Ausatmen mehr und mehr loslassen. Alle Anspannung, die da vielleicht in Ihrem Körper ist, loslassen. Alle Gedanken, Sorgen und Zweifel mehr und mehr loslassen. Genau so, wie dieses Ausatmen ja jedes Mal ein Loslassen ist. So, wie Ihr Körper mit jedem Ausatmen, die verbrauchte Luft, das Kohlendioxid abgibt, können Sie auch alle anderen Dinge, die hinderlich, störend oder schädlich für Sie, Ihren Körper oder Ihre Seele sind, ganz einfach loslassen. Und es ist ganz egal, ob Sie ein Bild, ein Gefühl, einen Rhythmus oder einen Satz dazu haben – Ihr Unbewusstes weiß schon sehr genau, wie es das am besten macht, belastende Dinge loszulassen.
Und dann, nach einer weiteren Weile, können Sie beginnen, sich mit jedem Einatmen vorzustellen, positive, hilfreiche Dinge aufzunehmen. Alles, was Sie unterstützt, Ressourcen, aufzunehmen. Genau so, wie jedes Einatmen, den für den Körper so wichtigen Sauerstoff aufnimmt, können Sie Energie, Kraft, Weisheit, Gesundheit oder unterstützende Emotionen in sich aufnehmen – alles, was Ihr Organismus sagt, was er braucht und was ihm gut tut. Wiederholen Sie diese Übung am besten täglich und seien Sie gespannt, welch mächtiger Verbündeter Ihre Achtsamkeit auf den Atem in Ihrem Leben sein kann.
Wie lange sollten Sie diese Meditation machen? Das bleibt Ihnen überlassen. Schon kurze, regelmäßige Meditationen können eine große Veränderung bewirken. Vielleicht beginnen Sie mit 10 Minuten und steigern im laufe der Zeit bis zu 20 oder 30 Minuten. Sie können diese Übung aber auch, wann immer es passt, für wenige Minuten machen.
Potenziale entdecken – Ressourcen fördern
Während ich diesen Artikel schreibe, stellt sich mir fast zwangsläufig die Frage, welche verborgenen Potenziale denn da noch in mir schlummern, denen ich ans Tageslicht verhelfen könnte. Dabei fällt mir auf, dass ich unter meinen Potenzialen Fähigkeiten verstehe, von denen ich noch gar nicht ahne, dass ich sie in mir trage. In der Bedeutung des Wortes „Potenzial“ klingt für mich mit, dass es um Stärken geht, die tief in meinem Innern, unbewusst, liegen und darauf warten, sich entfalten zu können. Aber könnte ich nicht auf meinem Weg zunächst damit beginnen, Fähigkeiten und Stärken, von denen ich bereits weiß, dass ich sie habe, lernen zu nutzen? Hier würde man im Sprachgebrauch dann wohl eher von Ressourcen sprechen: Ich weiß um ihre Existenz, greife aber dennoch nicht auf sie zurück, weil ich zum Beispiel „gefangen“ bin in den Gewohnheiten und Routinen meines Alltags. Allerdings sind auch viele Ressourcen, die wir haben unbewusst und wollen erst noch entdeckt werden. Potenzialentfaltung ist also nicht nur herauszufinden, was noch alles in mir steckt, sondern auch der Prozess, indem ich mich selbst und meine Stärken besser kennenlerne und konkret und bewusst entsprechend meiner Ziele einsetze.
Stephen Gilligan, einer der bekanntesten Hypnosetherapeuten der Welt und Schüler des berühmten Arztes und Pioniers der klinischen Hypnose, Milton H. Erickson, gibt uns mit seinen Ansätzen der sogenannten „generativen Trancen“ ein Instrument an die Hand, mit dem wir hilfreiche Dinge, zum Beispiel Ressourcen, auf kreative Weise ans Tageslicht befördern, aktivieren und nutzen können. Diese Methodik lässt sich nicht nur im Coaching- oder Therapiekontext, sondern auch privat wunderbar einsetzen. Eine seiner Übungen möchten wir Ihnen als Handwerkszeug mit auf den Weg geben.
Ein Ansatz der Generativen Trance nach Gilligan
Im ersten Schritt möchte ich Sie einladen, die Augen zu schließen, tief ein und auszuatmen und ganz zu sich zu kommen. Spüren Sie einmal in den Bauch, Ihre Körpermitte, hinein und sagen Sie sich in Gedanken: „Ich bin hier“. Richten Sie dann Ihre Aufmerksamkeit auf Ihre Herzgegend und sprechen Sie zu sich „Ich bin offen“. Und auch ihrem Geist, dem bewussten Verstand, können Sie einmal Ihre ungeteilte Aufmerksamkeit widmen und sich bewusst machen:
„Ich bin wach“.
Was ist im Moment ihr Zentrum im Körper, Ihre gefühlte Mitte? Ist es eher im Bauchbereich? Ist es eher im Brustbereich? Nehmen Sie damit Kontakt auf.
Dann spüren Sie in sich hinein: Was ist heute wichtig? Was ist es, das ich mir im Moment wirklich wünsche? Was ist mein Ziel?
Wenn Ihnen ein Wunsch oder Ziel vor Ihrem inneren Auge erschienen ist, machen Sie einen kurzen, griffigen Satz daraus, der die Essenz ihres Wunsches ausdrückt:
„Das, was ich mir wirklich wünsche ist x“ Wobei x Ihr Wunsch ist.
X sollte nicht zu viele Worte umfassen. Vielleicht fünf oder sechs Worte. Spüren Sie nach, wie sich das anfühlt, diesen Wunsch so zu äußern. Gibt es eine positive Resonanz? Gibt es innerlich
Zustimmung wie „Ja, das passt, genau das ist es“? Fühlt es sich stimmig an?
Dann können Sie im nächsten Schritt Ressourcen einladen, die Ihnen bei der Umsetzung des Ziels helfen.
Stellen Sie sich vor, Sie öffnen sich dem Raum, dem Feld um sie herum und laden alle hilfreichen Ressourcen ein, die Sie unterstützen können. Ressourcen in diesem Sinne können ganz viele verschiedene Dinge sein: Menschen, die uns begegnet sind, Orte, Symbole, Melodien, Worte und Sätze, Gefühle, Protagonisten aus Filmen oder Büchern, Freunde, Lehrer, Spielzeuge, Hobbies, Aktivitäten. Es gibt im Grunde nichts, was nicht grundsätzlich als Ressource dienen könnte. Oft sind es sogar Ereignisse und Dinge aus unserer Kindheit.
Aber Sie brauchen nicht darüber nachzudenken. Vertrauen Sie ihrem sogenannten Unbewussten Wissen. Öffnen Sie sich und sprechen innerlich die Einladung an alle Ressourcen in Ihrem Leben aus. Dann seien Sie neugierig, wer oder was dieser Einladung sozusagen folgt. Was kommt Ihnen ganz spontan in Erinnerung? Wischen Sie nichts, was erscheint voreilig fort, weil Ihr Verstand meint, das wäre nichts Richtiges. Nehmen Sie möglichst vorurteilsfrei entweder das Erste, was sich meldet, oder, wenn es viele Dinge sind, das, wo am meisten „Kraft drin liegt“, das sie im Augenblick am intensivsten wahrnehmen.
Nehmen sie diese Ressource, dieses Ereignis, Symbol oder was immer es ist und tauchen ganz dort hinein. Erleben Sie es mit möglichst allen Sinnen wieder. Was genau gehört alles dazu? Was entfaltet sich ganz spontan, wenn Sie einfach mit dieser Ressource verweilen. Auch dieser Schritt ist weniger etwas kognitiv Bewusstes, sondern etwas, was sich aus dem unbewussten Wissen entfaltet.
Bitten Sie Ihr Unbewusstes Wissen, diese Ressource für Ihre Wünsche zu nutzen.
Sie können zum Schluss auch noch so etwas wie eine Reise in die Zukunft machen und sich vorstellen, Sie haben Ihr Ziel erreicht. Wie genau wird das sein? Wie wird Ihr Leben dann sein?
Was hat sich verändert? Was können Sie von diesem Punkt in der Zukunft aus sehen, was Sie unterstützt hat, dorthin zu kommen?
Beenden Sie diese generative Trance in Ihrer Zeit. Nehmen Sie sich die Zeit, die Sie brauchen und wiederholen Sie den Prozess regelmäßig. Zum gleichen Ziel oder später auch zu anderen.
Versöhnung mit unserem inneren Kritiker
Viele Menschen führen heute einen ständigen Kampf mit sich selbst: sie mögen sich selbst nicht leiden, wollen intelligenter, erfolgreicher, hübscher und damit letztendlich nur eins: liebenswerter sein. Durch den ständigen Vergleich mit vermeintlich glücklicheren und erfolgreicheren Menschen, fühlen sie sich nie gut genug. Doch wer ist das eigentlich, der uns da versucht einzureden, dass wir perfekt sein müssen und keine Fehler machen dürfen? Eingangs wurde er bereits erwähnt: unser innerer Kritiker. In der Psychologie steht diese Metapher für die Stimme in unserem Kopf, die uns so oft einzureden versucht, dass wir anders sein müssten. Der innere Kritiker hindert uns auf diese Weise oft daran, an uns und unsere Potenziale zu glauben und steht deren Verwirklichung damit maßgeblich im Wege. Um der Entfaltung unserer eigenen Potenziale selbst nicht mehr im Weg zu stehen, können wir uns mit den selbstkritischen und verurteilenden Stimmen in uns versöhnen. Das Wort Versöhnung stammt von dem
mittelhochdeutschen Begriff suene ab, der „Schlichtung“, „Friede“, „Kuss“ bedeutet. Es gilt also den Streit zwischen den ideell hohen Ansprüchen des Kritikers und der Realität zu schlichten, indem wir lernen, zärtlich mit unseren Fehlern und Schwächen umzugehen. Aber wie genau ist das möglich? Wir können in unserem Kopf eine neue Stimme etablieren, die im Gegensatz zu unserem Kritiker freundlich und liebevoll zu uns spricht. Wir können aufhören, so hart mit uns selbst ins Gericht zu gehen, und anfangen, uns selbst mit Akzeptanz, Fürsorge und Mitgefühl zu begegnen. Auch in Trance können wir inneren Stimmen lauschen und mit ihnen arbeiten, um Selbstzweifel, Ängste und negative Gedanken zu bändigen und stattdessen eine zuversichtliche Einstellung auf das eigene Können zu fördern.
Trancearbeit zum inneren Kritiker
Brian Alman schlägt hierzu vor, eine belastend empfundene Situation wie auf einer Kinoleinwand auftauchen zu lassen und diese dann aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten und zu erleben.
Beginnen Sie damit, sich Zeit zu nehmen, nach Innen zu gehen. Nehmen Sie Ihren Atem wahr und erlauben ihn wie er ist. Wie auch immer Sie atmen, akzeptieren Sie es und verbinden sich mit ihm. Lassen Sie dann eine Weile mit jedem Ausatmen mehr und mehr los und nach einer weiteren Weile nehmen Sie in der Vorstellung mit jedem Einatmen hilfreiche Dinge auf. Dann gehen Sie nacheinander die folgenden Schritte durch:
Erleben Sie das belastende Ereignis wie in ihrem eigenen Film oder im eigenen Theaterstück. Schauen Sie dabei aus Ihren eigenen Augen und gehen die Situation noch einmal durch, als wäre es jetzt. Was ist geschehen, wer hat gegebenenfalls was gesagt oder getan? Wie ging es Ihnen damit?
Wechseln Sie dann in eine der mittleren Reihen, vielleicht etwa in die 5. Reihe des Kinos oder Theaters. Das ist der Platz Ihres inneren Kritikers, ihres inneren Richters. Schauen Sie wie aus seinen Augen auf die Situation im Film beziehungsweise auf der Bühne und erlauben Sie sich alles zu kritisieren, was sie dort sehen. Alles, was Sie dort falsch oder nicht gut genug machen. Jeden Fehler, jede Unvollkommenheit. Übertreiben Sie ruhig ein wenig mit der Kritik.
Der innere Kritiker ist eh immer mit dabei, ob Sie es bewusst merken oder nicht. Er hat in Ihrem „inneren Team“ so etwas wie lebenslange Mitgliedschaft. Unkündbar. Nun hat er die Gelegenheit, all seine Kritik loszuwerden. Wie können Sie körperlich ausdrücken, wie es dem Kritiker geht? Erlauben sie sich, das zu tun. Schwingt er die Fäuste, zeigt er mit dem Finger auf sie, schüttelt er resigniert den Kopf? – Tun Sie es! Lassen Sie den Kritiker sich austoben. Je besser er sich austobt, desto besser gelingt der nächste Schritt.
Als Nächstes lassen Sie den Kritiker dort auf seinem Platz zurück und begeben sich in die letzte Reihe des Kinos oder Theaters. Dort haben Sie einen wirklich angenehmen Abstand zu den Dingen im Film oder auf der Bühne und dem Kritiker. Dies ist der Platz der Liebe und des Mitgefühls, der Weisheit, des kreativen Unbewussten, frei von jedem Urteil. Erlauben Sie Ihrem Atem wieder zu sein wie er ist, lassen Sie mit jedem Ausatmen los und nehmen mit dem Einatmen hilfreiche Dinge auf. Dann schauen Sie durch diese Augen auf die Situation und den Kritiker.
Auf welche Weise verändert diese Position und der Blick aus diesen Augen Ihr Befinden? Welche neuen Eindrücke und Erkenntnisse gewinnen Sie?
Manchmal kann es hilfreich sein, dass die Person aus der letzten Reihe schließlich zusammen mit dem inneren Kritiker auf die Bühne geht beziehungsweise wie in den Film steigt. Dort treffen sie sich mit dem Protagonisten, das heißt mit Ihnen in jener Situation und besprechen das Ganze. Die Person aus der letzten Reihe kann dabei ein verständnisvoller und liebevoller Mediator sein.
Wenn sich schließlich alle wieder verabschieden, können Sie neugierig sein, wer zum Abschied wen umarmt. Zurück auf ihren Plätzen kann sich ein Gefühl von Frieden, Vertrauen, Balance und Akzeptanz einstellen: Es ist eine Brücke zwischen den widerstreitenden Seiten und Kräften entstanden. Die einzelnen Standpunkte dürfen bleiben, aber sie bekämpfen sich nicht mehr. Der liebevolle Beobachter aus der letzten Reihe kann von dort aus alles gut in Erinnerung bewahren.
Damit Potenzialentfaltung nicht in Stress ausartet
Bei allen gut gemeinten Vorschlägen, wie Sie Ihr Leben glücklicher, erfolgreicher und optimaler gestalten können, ist es mir wichtig Ihnen eins bewusst zu machen: Wir leben in einer Leistungsgesellschaft, in der Dauerstress und Erschöpfung bei vielen an der Tagesordnung stehen. Globalisierung und technischer Fortschritt haben uns nicht nur eine Welt scheinbar grenzenloser Möglichkeiten eröffnet, sondern auch einen massiven Leistungsdruck und eine spürbare Beschleunigung in nahezu allen Lebensbereichen bewirkt. In der Folge leiden immer mehr Menschen unter psychischen und psychosomatischen Problemen. In dieser HöherSchneller-Weiter-Gesellschaft kann auch das Vorhaben, über sich selbst hinauswachsen zu wollen, schnell nach hinten losgehen. Wie eingangs beschrieben, gibt es einen riesigen Markt an Büchern, Medien und Workshops, die uns versprechen, glücklicher zu werden. Es gibt – schmerzhaft – viele Alternativen, unser eigenes Potenzial zu entdecken, deren Menge den Rahmen eines einzigen Lebens maßlos sprengen. Wir haben also auch hier die Qual der Wahl und müssen Entscheidungen treffen, die automatisch das Gefühl auslösen, irgendetwas zu verpassen. Schneller als uns lieb ist, wird auch hier oft eine Stimme in uns laut, die stets mit erhobenem Zeigefinder fordert, dass wir dies oder jenes machen müssten, um mithalten zu können und nicht zu versagen. Auch wenn es um unsere eigenen Potenziale geht, dürfen wir also lernen, unseren inneren Kritiker zu besänftigen. In einer Gesellschaft, in der „Selbstverwirklichung“ großgeschrieben wird, kann sich auch Potenzialentfaltung schnell wie eine zwangsläufige Optimierung unseres Lebens anfühlen. Wir sehen uns verpflichtet, unbedingt herausfinden zu müssen, was wahrhaftig in uns steckt und gehen damit automatisch von einem grundlegenden Missstand in unserem Leben aus, der verbesserungswürdig erscheint. In diesem
Sinne wäre Potenzialentfaltung nicht mehr als ein weiteres Produkt unserer Leistungsgesellschaft. Durch eine intensive Beschäftigung mit dem Thema Selbstoptimierung und Potenzialentfaltung laufen wir außerdem Gefahr, das Gefühl zu bekommen, alles Negative, jegliches Leid ließe sich aus unserem Leben verbannen, wir könnten alles erreichen und wären immer glücklich. Wenn die Entfaltung unserer Potenziale in Größenwahnsinn und
Allmachtsphantasie ausartet, ist das womöglich nicht nur wenig nützlich, sondern gegebenenfalls sogar schädlich: Wir betrügen uns selbst, indem wir denken, dass wir alles Negative in unserem Leben vermeiden könnten. Wenn wir unseren Fokus also zu stark auf das Positive setzen und dem, was schwierig ist und Leid verursacht, keinen Raum mehr geben, tappen wir in eine Falle. Wir können nicht immer an unser eigenes Potenzial glauben und wir brauchen uns auf keinen Fall dafür zu verurteilen, wenn es uns nicht gelingt, positiv in die Zukunft zu denken. Das Leben hält nicht nur positive Dinge für uns bereit. Auch Negatives gehört dazu. Und diese Polarität ist es, die echtes Glück, wahre Zufriedenheit im Leben erst möglich macht. Weniger ist oft mehr! Zur wahren Potenzialentfaltung geht es oft vielmehr darum, herauszufinden, was lasse ich?, statt um das Noch-mehr-tun.
Autor: Elmar Woelm und Helena Wahl
Thema: Seine wahren Potenziale entfalten
Webseite: https://www.inhypnos.de
Autorenprofil Elmar Woelm und Helena Wahl:
Elmar Woelm, Ph.D. (USA, Kona Univ.) Mastertrainer für Hypnotherapie. Gründer und Leiter des Institut für Hypnotherapie und Hypnosystemische Lösungen Osnabrück (inhypnos). Heilpraktiker für Psychotherapie seit 2000.
Helena Wahl B.Sc. Psychologie mit dem Schwerpunkt Pädagogische Psychologie (Universität Hildesheim)
Quellennachweise und was hilft weiter:
- Antonovsky, Aaron u. Alexa Franke (1997): Salutogenese: Zur Entmystifizierung der Gesundheit. dgvt-Verlag.
- Alman, Brian (2014): Finde deine Stimme: Negative Selbstgespräche überwinden und die innere Weisheit entdecken. Carl-Auer.
- Gilligan, Stephen (2011): Liebe dich selbst wie deinen Nächsten: Die Psychotherapie der Selbstbeziehung. Carl-Auer.
- Gilligan, Stephen (2014): Generative Trance: Das Erleben kreativen Flows. Junfermann.
- Gilligan, Stephen u. Robert Dilts (2013): Die Heldenreise: Auf dem Weg zur Selbstentdeckung. Junfermann.
- Grün, Anselm (2014): 50 Engel für das Jahr. Ein Inspirationsbuch. Herder Verlag.
- Meiss, Ortwin (2018): Hypnosystemische Therapie bei Depression und Burnout. Carl-Auer. Woelm, Elmar (2017): Es ist schwer, die Tür zu finden, wenn es keine Wände gibt: Die Arbeit mit der Metapher des inneren Richters in der Hypnotherapie. Shaker Media.
Internetseiten:
Institut für Hypnotherapie und Hypnosystemische Lösungen Osnabrück:
https://www.inhypnos.de/
Ortwin Meiss, Milton Erickson Institut Hamburg:
https://www.milton-erickson-institut-hamburg.de
Stephen Gilligan
https://www.stephengilligan.com
Salutogenese (Antonovsky) Wikipedia
https://de.wikipedia.org/wiki/Salutogenese