Bei einer Anpassungsstörung zeigen sich psychische Störungen des Wohlbefindens, die im zeitlichen, inhaltlichen und direktem Zusammenhang mit psychosozialen Belastungen, einschneidenden Veränderungen und Krisen entstehen. Die Belastung muss identifizierbar sein und darf nicht von extremem oder katastrophalem Ausmaß sein. Ob jemand unter einer Anpassungsstörung leidet, ist abhängig von der persönlichen Veranlagung, seinen Bewältigungsmöglichkeiten und der Art der Belastung. Jedenfalls gehen die Reaktionen auf die aktuelle Belastungssituation über eine "normale" oder zu erwartende Reaktion hinaus!
Direkte Ursachen wie außergewöhnliche Lebensveränderungen oder -entscheidungen und Lebenskrisen (sogenannte „life events“) können zu einer Anpassungsstörung führen. Die Anzeichen sind unterschiedlich und zeigen sich innerhalb von ein bis drei Monaten nach Beginn der Belastung wie folgt:
Depressive Verstimmung, gesteigerte Sorge, Ängste, Schlafstörungen, Gedankenkreisen, Freudlosigkeit, verändertes Sozialverhalten, Gefühl von Überforderung alltäglicher Aufgaben, Kontaktlosigkeit/sozialer Rückzug, körperliche Beschwerden (Magen-Darm-Trakt, Herz-Kreislauf-Probleme, Kopfschmerzen, Verspannungen, Konzentrationsschwierigkeiten)
Was sind außergewöhnliche Lebensveränderungen?
- Trennung / Scheidung
- Geburt eines Kindes
- Elternschaft
- Umzug
- Arbeitsplatzwechsel
- Arbeitslosigkeit
- Rückkehr nach längerem Aufenthalt im Ausland
- Unfall
- Todesfall
- Ruhestand
- Schulbesuch/-wechsel
- Emigration, Flucht
- Schwere Erkrankung
Betroffene äußern sich zum Beispiel wie folgt: "Nichts ist mehr wie früher" oder "nichts ist mehr wie es einmal war" oder " wie soll ich das bloß schaffen?" Nach den geltenden Definitionen ist eine Anpassungsstörung auf längstens 6 Monate begrenzt. Bei lang anhaltender Belastung, kann die Symptomatik im Zusammenhang mit depressiven Reaktionen bis zu zwei Jahren anhalten.
Welche Ursachen hat eine Anpassungsstörung?
Jeder Mensch erlebt im Laufe seines Lebens Veränderungen und Situationen, denen er sich erst einmal nicht gewachsen fühlt. Einiges ist anders als bisher und nicht sofort steht eine Lösung oder ein entsprechender Umgang mit der Veränderung zur Verfügung. Den einen gelingt die Bewältigung aus eigener Kraft und ohne negative Folgen. Zu einer gestörten Anpassung kommt es genau dann, wenn die Bewältigungsmechanismen, die eine Anpassung an die Veränderungen ermöglichen würden, nicht mehr ausreichen oder nicht aktiviert werden können. Die Betroffenen versuchen dann, die Situation entweder nicht wahrzunehmen, sich abzulenken oder der Situation auszuweichen. Mögliche Fragen, um eine Anpassungsstörung abzuleiten, können sein:
1. Gibt es ein Erlebnis oder Ereignis in den letzten Wochen, das sie belastet?
2. Haben sich ihre Freude und ihr Interesse nach diesem Ereignis verändert?
3. Hat Ihre Konzentrationsfähigkeit seitdem nachgelassen?
4. Ist Ihnen alles zu viel?
5. Haben Sie ein Gefühl von ungewohnter oder anhaltender Traurigkeit?
6. Fühlen Sie sich in letzter Zeit gereizter als vor dem Ereignis?
Fallbeispiele aus meiner Praxis:
1. Eine junge Frau kehrt nach einen Jahr Bundesfreiwilligendienst im Ausland in ihre Heimat zurück. Sie ist nach dem Abitur für ein Jahr nach Afrika gegangen, um Kinder in der Vorschule zu unterrichten. Nach ihrer Rückkehr fing sie an, sich in ihrem Zimmer zu verkriechen. Sie zog sich immer mehr zurück. Es fiel ihr unglaublich schwer, etwas zu unternehmen oder Organisatorisches zu bewältigen. Ihre Freunde, die sie im Ausland kennengelernt hatte, zerstreuten sich in alle Himmelsrichtungen und ihre Freunde in Deutschland hatten sich bereits nach dem Abitur in andere Städte zum Studium verabschiedet. Den in Deutschland als selbstverständlich empfundenen Luxus und Wohlstand, brachten sie jetzt in einen Solidaritätskonflikt, der ihre Gedanken zunehmend negativ beeinflusste.
Nachdem wir ihre Situation besprochen haben, und Sie Vertrauen in die Behandlung bekommen hat, fing Sie an über ihre Trauer und den Abschied vom Aufenthalt im Ausland zu erzählen. Sie erlangte Zugang zu Ihren Gefühlen und konnte diese auch zum Ausdruck bringen. Nachdem es ihr gelang, sich emotional zu öffnen und ihre Einsamkeit wahrzunehmen, schaffte sie auch, die früheren Kontakte wieder aufzunehmen. Ihr halfen die Reflexion über ihre Gefühle, die sie bei ihrer Rückkehr zurück nach Deutschland, empfunden hatte. Sie holte sich Unterstützung von anderen Freiwilligen, mit denen sie sich regelmäßig traf und konnte sich im Alltag wieder gut zurecht finden und weitere Entwicklungsschritte gehen.
2. Ein 60-jähriger Mann erhält nach 35-jähriger Berufstätigkeit seine Kündigung. Er war selten krank und hat seine Arbeit gut gemacht. Es ist ihm völlig unverständlich, warum gerade er gekündigt wurde, hatte er sich doch für die Firma so eingesetzt als wäre es seine Eigene. Er fühlt sich ungerecht behandelt und versteht die Welt nicht mehr! Außerdem hat er überhaupt nicht damit gerechnet, vorzeitig in den Ruhestand geschickt zu werden. Da passierte etwas, auf das er gar nicht vorbereitet war. Die Kündigung hat ihn völlig aus der Bahn geworfen und er weiß nichts mehr mit sich und seiner unfreiwilligen Freizeit anzufangen.
Er ist zunehmend deprimiert und kann sich über nichts mehr freuen. Seine Familie und Umfeld versuchen, ihn zu unterstützen. Er hat Schuldgefühle, weil er meint, seiner Familie zur Last zu fallen. Das Ende des Berufslebens stellt für jeden einen entscheidenden Einschnitt dar. Jede Veränderung macht zunächst Angst! Es geht auch um Abschied von einer Zeit, die über viele Jahre eine zentrale Bedeutung in seinem Leben hatte.
Das Erforschen seiner Interessen und das Sprechen über die Zeit, die er jetzt mit Familie und Freunden verbringen kann, helfen ihm, neue Perspektiven zu entwickeln und sich allmählich mit der neu gewonnenen Freiheit anzufreunden. Die Gespräche zeigen deutlich auf, dass etwas Gewohntes aufhört und Neues auf ihn wartet.
Wie kann geholfen werden?
Theoretisch verschwinden die Beschwerden einer Anpassungsstörung nach einer gewissen Zeit. Aber es ist auf jeden Fall ratsam, sich Hilfe zu holen, um die Dauer zu verkürzen und/oder die Beschwerden zu lindern. Die erste Anlaufstelle sollte der Hausarzt sein, um eine organische Erkrankung als Ursache auszuschließen. Eine Psychotherapie kann meist schon mit einigen wenigen Stunden erfolgreich sein, um wieder in die eigene Stabilität und Lebensfreude zurück zu finden.
Hilfreich kann schon sein, die eigenen Gefühle und Empfindungen wahrzunehmen, ihnen Beachtung zu schenken und anzuerkennen. Die persönlichen Ressourcen und Bewältigungsstrategien zu aktivieren, hilft, wieder in Kontakt mit sich selbst zu kommen und Wege zu finden, mit der Veränderung zurecht zu kommen. Vielleicht erkennt der eine oder andere Leser/in in der Beschreibung seine/ihre Beschwerden wieder.
Wie bereits erklärt, können die Anzeichen in Art und Schwere variieren und auch der Leidensdruck ist individuell von Mensch zu Mensch verschieden. Somit hängt der Verlauf einer Anpassungsstörung ebenfalls vom Ausmaß der Belastung, der sozialen Unterstützung und der persönlichen Veranlagung ab. Wichtig zu wissen ist, dass Betroffenen grundsätzlich die Fähigkeit zur Selbstheilung natürlich gegeben ist, diese aktuell aber nur teilweise zur Verfügung stehen. Psychotherapie kann helfen, die Ressourcen zur Selbstheilung zu aktivieren, den Heilungsprozess zu begleiten und zu unterstützen.
Autor: Carola Ott
Thema: Anpassungsstörung
Webseite: http://www.carola-ott.de