Sabine ist 58 Jahre alt und Henning kurz vor seinem 60. Lebensjahr, sie bewohnen eine Eigentumswohnung, nachdem die beiden Kinder, Jonas - inzwischen 29 Jahre alt und Jana – inzwischen 26 Jahre alt, ausgezogen sind. Das eigene Reihenhaus ist jetzt zu groß für Sabine und Henning allein. Die schicke Eigentumswohnung hat den Wohlfühlfaktor und lässt sich über den Hausverkauf finanzieren. Jonas lebt mit seiner Freundin in einer anderen Stadt und plant mit ihr sein eigenes Familienmodell. Jana ist seit einiger Zeit in einer Wohngemeinschaft und plant noch einige Zeit im Ausland zu verbringen. Sabine und Henning haben den Abnabelungsprozess der Kinder gut verkraftet und ihre beiden Kinder bis zur Eigenständigkeit und bis zur weitestgehend finanziellen Unabhängigkeit unterstützt. Die Kinder sind jederzeit in der neuen Wohnung, im Gästezimmer, willkommen. Sie arbeiten beide noch sehr engagiert und haben sich ansonsten ihren Hobbys zugewandt, Henning ist passionierter Hobbyfotograf und Sabine liebt es, Yoga zu praktizieren.
Sie haben es gut verkraftet, dass ihre beiden Kinder eigene Wege suchen und sich entfalten, wie es sich für sie richtig anfühlt. Sie telefonieren oft und sehen sich regelmäßig. Die Kinder erzählen aus ihrem Alltag, von der Arbeit und dem Studium, dem Nebenjob, den Erlebnissen. Alle zusammen diskutieren gerne über gesellschaftliche Themen, Essen gemeinsam oder unternehmen auch gemeinsame Ausflüge.
Es klingt geradezu ideal, ja, für diese Familie ist es das! Wie haben sie das geschafft? Gibt es auch Unstimmigkeiten? Ja, die gibt es, doch sie werden auf den Tisch gebracht und geklärt, so wie es eben schon von Anfang an in dieser Familie praktiziert wurde. Sie legten und legen viel Wert auf Gespräche, miteinander reden und nicht nur übereinander reden.
Susanne ist 59 Jahre alt und Stefan ebenso. Sie haben zwei Söhne, beide sind jetzt 33 Jahre alt. Stefan und Susanne leben seit sechs Jahren getrennt, Stefan mit seiner neuen Partnerin und ihrer 19 jährigen Tochter und Susanne allein. Die beiden Söhne, Mathias und Markus leben jeweils allein in verschiedenen Wohngemeinschaften und sind wirtschaftlich unabhängig. Sie unterstützen Susanne in ihrer neuen Situation, soweit sie können, doch sie klammert sich sehr an die Söhne und möchte Ihnen zusätzlich aufzeigen, dass sie andere Lebensformen anstreben sollten. Stefan hält kaum Kontakt zu ihnen. Beide Formen des Umgangs nerven die erwachsenen Söhne zusehends. Markus hat jetzt einen Arbeitsvertrag mit einem schweizerischen Unternehmen abgeschlossen, um in der Schweiz zu leben und somit weit entfernt von seinen Eltern zu leben. Mathias schaut sich auch in einer anderen Stadt nach einem passenden Jobangebot um. Er kann das Lamentieren seiner Mutter nicht mehr ertragen und die Gleichgültigkeit seines Vaters schmerzt, solange er noch in greifbarer Nähe wohnt.
Was ist hier schiefgegangen? Zwei Familien – zwei völlig verschiedene Ausgangssituationen, dennoch fällt eines auf: Die Kommunikation und der Umgang miteinander sind signifikant verschieden. Während in der ersten Familie Respekt und Kommunikation selbstverständlich sind, fehlen sie in der zweiten Familie.
Eine gute, offene Kommunikation, gegenseitiger Respekt, Rücksichtnahme und Akzeptanz sind ganz wichtige Stützpfeiler für ein gutes, vertrauensvolles Verhältnis zwischen Eltern und Kindern.
Soweit so gut, doch wie bekommen Familien den Wandel der Zeit, das Erwachsenwerden, das Loslösen gut in der Praxis hin.
Wie gestaltet sich das Verhältnis zu erwachsenen Kindern? Wenn es früher nicht so gut war oder in der Ablösephase eskaliert ist (Pubertätszeit/Adoleszenz), kann es wieder hergestellt werden? Warum wird es schlechter? Was kann ich tun, um das Verhältnis zu lockern?
Die erwähnten Stützpfeiler helfen zur Besserung oder Erhaltung des guten Verhältnisses zu erwachsenen Kindern, dazu jetzt einige Erläuterungen:
1.) Gute, offene Kommunikation – was kann das konkret bedeuten?
Gute, offene Kommunikation beinhaltet klare und direkte Fragen, ob Verständnisfragen oder Spiegelfragen zum richtigen Verstehen des gemeinten Inhalts, (z.B. „Ich habe verstanden, dass Du es so und so meinst … - Ich verstehe es so, dass Du …“). Kein Ausschweigen, um der Harmonie willen, denn am Ende zahlt es sich nicht aus. Ehrliches Interesse am Anderen zeigen und auch ehrliche Abgrenzung, wenn es zu viel ist oder unpassend. Darüber sprechen, wenn verschiedene Ansichten aufeinanderprallen und gleichzeitig ausreden lassen, zuhören, was der andere sagt und erst dann mitteilen, wie die eigene Sicht ist oder was verstanden wurde und sich vom eigenen Denken unterscheidet.
Ausreden lassen, Zuhören und auch respektieren, dass es verschiedenen Sichtweisen geben darf. Verschiedenen Umgang in Sachen Erziehung, Freizeitgestaltung, Berufsausübung, etc. Nicht immer wiederholen, wie es früher war – „Wir haben es aber so oder so gelernt, gemacht, machen müssen… - wir hätten uns aber nicht erlaubt, wir konnten nicht, da gab es nicht …“ Darin stecken Vorwürfe an die jüngere Generation, die nicht gerechtfertigt sind. Jede Generation hat ihre Zeit und auch die erwachsenen Kinder, die viel von den Eltern lernen, aufnehmen, adaptieren, dürfen ihre eigenen Wege entfalten und ganz anders handeln, als ihre Eltern es erwarten.
Gut ist dabei, darüber zu sprechen ohne es zu bewerten, vorzuwerfen oder anzuklagen. Vielleicht ist es ja auch so, etwas Neues anzunehmen und die Impulse der Kinder helfen den Eltern, Dinge auszuprobieren, anzunehmen oder den Horizont zu erweitern. Die Kinder haben viele Jahre von ihren Eltern angenommen und gelernt, sich angepasst und mitgemacht. Nun ist es durchaus möglich, den Regler ein bisschen zu verschieben oder manchmal auch umzudrehen.
2.) Gegenseitiger Respekt – wie ist es gemeint?
„Respekt vor dem Alter“ ist so eine konventionelle gesellschaftliche Norm, die besagt, der „Ältere“, „Lebenserfahrernere“ hat aufgrund der Lebenserfahrung recht. Diese Haltung ist legitim und doch nur die halbe Wahrheit, denn der „jüngere“ Mensch mag weniger Lebenserfahrung haben, ist dennoch weniger starr in seinen Mustern, innovativer und flexibler im Denken und mit seinen Handlungsmöglichkeiten.
Beides ist wertvoll, Lebenserfahrung und Handlungsflexibilität! Somit ist gegenseitiger Respekt, Begegnung mit Offenheit für den Anderen und Verstehen wollen für die Sicht und Perspektive des Anderen enorm wichtig! Respekt vor dem eigenen Kinde, welches seine eigene Persönlichkeit entwickelt und entfaltet, durchaus konträr zu meinen Werten und Sichtweisen, ist nicht abzulehnen, es kann auch für mich, als Eltern, als „alter Hase“ hilfreich oder zumindest erweiternd sein. Das Kind hat jederzeit den gleichen Respekt verdient, den ich für mich, als Eltern(teil) einfordere.
3.) Rücksichtnahme – worauf genau ist es bezogen?
Rücksichtnahme bedeutet nicht einseitig Rücksicht zu nehmen, es beruht auf Gegenseitigkeit. Will das erwachsene Kind eine bestimmte Verhaltensweise aus Überzeugung leben, zum Beispiel vegan leben, nehmen Eltern Rücksicht, wenn sie zum Essen einladen. Das erwachsene Kind nimmt sicher auch Rücksicht, wenn Eltern bestimmte Dinge nicht Essen mögen.
Das ist ein Punkt, anzunehmen und zu berücksichtigen, dass das eigene erwachsene Kind eine gewisse Lebensführung gewählt hat. Es bleibt das Kind, das Eltern aufgezogen haben, es hat jetzt seinen eigenen Weg gewählt und darauf dürfen Eltern genauso Rücksicht nehmen, wie Kind auf Eltern.
4.) Akzeptanz und Freiheit - Wem oder was gegenüber?
Das Thema Akzeptanz, Annahme gehört gewissermaßen zum Punkt Rücksichtnahme, nur ist es etwas weiter und schließt noch mehr die Freiheit ein, so zu leben, wie es das erwachsene Kind für sich gewählt hat. Vielleicht lebt das erwachsene Kind nicht traditionell, so wie die Eltern es sich vielleicht gewünscht haben, in ungewöhnlichen Partnerschaften oder in ungewöhnlichen Abläufen. Solange es damit zufrieden und davon überzeugt ist, ist es gut. Als Eltern ist es zu akzeptieren, denn es bleibt ja der Mensch, den die Eltern während der Kindheit und Jugend begleitet haben, welchen sie kennen und schätzen. Mit all seinen Facetten, die zu ihm gehören, ist er der Mensch, der den Eltern sehr nahe steht und verbunden ist. Die Verbundenheit bleibt und in dieser Verbundenheit, in dieser Bindung ist es (fast) selbstverständlich Akzeptanz entgegenzubringen und die Freiheit der Entfaltung anzunehmen. Vielleicht lebt das Kind auch längst vergessene Kindheitsträume der Eltern? Vielleicht hat es sich mehr erlaubt? Das ist ihm nicht vorzuwerfen.
Jede Generation hat eigene Sichtweisen und Lebenserfahrungen, Lebenserlebnisse absolviert und ihren eigenen Fokus. Anhand der Bindung möchte ich es kurz darstellen:
Bindung – die Bindung zwischen Eltern und Kind ist die erste Bindungserfahrung eines Menschen, wenn sein Leben beginnt. Da sich die ontologische Entwicklung auf Resonanz und Beziehung/Bindung stützt, ist es lebensnotwendig, eine Bindung einzugehen. Das Thema Bindung ist ein sehr komplexes und wichtiges Thema für die Persönlichkeitsbildung, für die die Menschwerdung und kann hier nicht ausführlicher erläutert werden. Fundiertes und wissenschaftliches Wissen ist nachzuschlagen bei Karin und Klaus E. Grossmann oder Karl-Heinz Brisch, als deutschsprachige Experten neben vielen anderen, wie Mary Ainsworth oder John Bowlby.
Wenn die Bindung in der Kindheit sich nicht stabil entwickeln konnte, sucht dieser Mensch in der Regel die (Ur-)Sicherheit, seine innere Sicherheit im Außen (außerhalb sich selbst).
Eine psychobiographische Betrachtung von Bindung zeigt auf, warum es manchmal zu Schwierigkeiten innerhalb der Eltern-Kind(er)-Beziehung kommen kann:
(Vor-)Geburt = Es werden die Wurzeln (Urvertrauen/Sicherheitsgefühl) gesetzt, Selbstregulation der eigenen Emotionen entwickelt, das Selbst des Kindes entwickelt sich über die Resonanz mit der Bindungsperson (Mama und/oder Papa).
Ab circa 14 Jahre = Es geht in die Jugend und das (Selbst-)Vertrauen bildet sich weiter aus, der Selbstidentifikationsprozess beginnt in den Fokus zu wandern, der Beruf, Partnerschaft, eventuell eigene Familie, Ablösen aus dem elterlichen Nest.
Ab circa 30 Jahre = Die eigene Identität festigt sich zusehends, Selbstsicherheit Akzeptanz, Haltung, Ehrlichkeit zu sich selbst, auch Wunden werden sichtbar.
Ab circa 65 Jahre = Das persönliche Wachstum ist entstanden, Erfahrungen, Erlebnisse wollen geteilt werden, ungelöstes Konfliktmaterial allerdings wird an die nächste Generation weitergegeben, eine gewisse Unbeweglichkeit kann entstehen …
Auch Bindungserfahrungen können in einem Menschen verändert werden, es gibt immer eine Chance, sich aufeinander zuzubewegen, wenn die Betroffenen bereit dazu sind.
Ist es nun in einer der Phasen, vor allem in den ersten beiden Phasen zu Schwierigkeiten in der Festigung der Sicherheit, des Vertrauens gekommen, schleppt dieser Mensch seine entstandenen Störungen mit, die sich potenzieren können. Da ist ein Ansatzpunkt für Eltern, auch noch einmal zu reflektieren, sich zu öffnen und dadurch zu korrigieren, sofern es noch möglich ist (Tod oder schwere Erkrankung verhindern es natürlich). Die Bindung kann jederzeit noch verändert/verbessert werden und somit das Verhältnis zueinander.
Das Fazit zum Abschluss: Um ein gutes Verhältnis zu den erwachsenen Kindern zu wahren oder zu bekommen, können Eltern Essenzielles beitragen. Mit einer Wertschätzung für die eigene Persönlichkeit des inzwischen flügge gewordenen Babys, mit Akzeptanz, Rücksicht, Kommunikation und auch gerne Humor, lässt sich ein gutes Verhältnis schaffen, jederzeit und (fast) immer wieder.
Autor: Maren Heucke, Heilpraktikerin für Psychotherapie/Logotherapeutin/geprüfte Psychologische Beraterin
Thema: Gutes Verhältnis zu erwachsenen Kindern
Webseite: https://www.beratung-bewegt-hh.de
Tel: 040 73434503
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