Die menschliche Fähigkeit, denken zu können hat für uns Menschen viele Vorteile: wir können planen, vorausschauen, Konsequenzen unseres Handelns absehen. Ein großer Nachteil des Ganzen ist aber, dass wir ein Stück weit unflexibel geworden sind.
Wo Tiere ganz instinktiv auf veränderte Umweltbedingungen reagieren und beispielsweise weiterziehen, wenn es nichts mehr zu fressen oder zu trinken gibt, stehen wir da und hadern damit, dass "nichts mehr so ist wie früher". Da beweisen wir häufig Ausdauer und können uns richtig festbeissen. Solange, bis wir tatsächlich anfangen zu leiden - allerdings meistens nicht primär an den "veränderten Umweltbedingungen" wie einer Trennung oder einer Arbeitslosigkeit, sondern darunter, dass der Ist-Zustand nicht mehr mit dem Soll-Zustand, den wir uns gedacht und konstruiert haben, übereinstimmt. Übertragen auf die Tierwelt würde das bedeuten, dass Tiere in der Steppe an die Stelle traben, an der sich in den letzten Jahren immer ein Wasserloch befunden hat, feststellen, dass das Wasserloch ausgetrocknet ist aber nicht weiterziehen, sondern dort bleiben, sich grämen, wie ungerecht das Leben sei und schlussendlich verdursten - obwohl sich fünf Kilometer weiter ein neues Wasserloch gebildet hat.
Wenn wir so ein Verhalten bei Tieren oder anderen Menschen beobachteten, würden wir vermutlich verständnislos mit dem Kopf schütteln. Wenn wir aber selbst betroffen sind, sind wir manchmal regelrecht betriebsblind und erkennen nicht, dass wir versuchen ein totes Pferd zu reiten. Wir wollen einfach krampfhaft unser selbst gestecktes Ziel erreichen.
Wenn ein Klient nach vielen Jahren immer noch verletzt ist, weil ihn der Partner verlassen hat, dann erkennt er möglicherweise gar nicht, dass die Zeit weiter und weiter läuft. Das Festhalten an der Verletzung lässt ihn in der Vergangenheit verharren und viele Jahre herschenken, in denen er schon längst wieder eine neue - und glückliche - Beziehung haben könnte. Hier wäre es gut, im ersten Schritt Frieden zu schaffen - Frieden mit dem Ex-Partner aber in erster Linie Frieden mit sich selbst. Denn häufig stecken in Vorwürfen, die wir anderen, in diesem Fall dem Ex-Partner, machen auch Vorwürfe, die wir uns selbst machen.
Würde es sich in diesem Beispiel um einen selbstbewussten und selbstsicheren Menschen handeln, würde er die Trennung vermutlich als das erkennen, was sie ist. Eine Trennung. Nicht mehr und nicht weniger. Er würde wissen, dass so etwas passieren kann und dass es nicht, beziehungsweise nicht alleine, seine Schuld ist. Es hat vielleicht einfach nicht mehr gepasst.
Ein unsicherer Mensch kommt durch eine Trennung stark ins Schwanken. Sein Selbstkonzept - möglicherweise hat er sich als "richtig" wahrgenommen, gerade weil er einen Partner hat - funktioniert nicht mehr und anstatt sich mit sich selbst auseinanderzusetzen, beißt dieser Mensch sich an der Trennung und am Ex-Partner fest. All die negativen Gefühle, die er eigentlich sich selbst betreffend hat, werden nun auf den Partner projiziert. Und da negative Gefühle sich selbst betreffend beständig nachwachsen, wird diese Projektion auch immer neues Futter bekommen. Neue Perspektiven und Handlungsmöglichkeiten zu entwickeln setzt also voraus, dass man die Dinge so sieht, wie sie sind und nicht so, wie sie sein sollten, wie man sie am liebsten hätte oder so, wie sie am wenigsten schmerzen.
Wenn man weiß, wo man steht, ist es leichter zu entscheiden, wo man hinmöchte
Eine andere Falle ist die, zu wissen, wo man steht und auch zu wissen, dass man da weg möchte aber nicht zu wissen, wo man hinmöchte. Hier wirkt eine starke Weg-Von-Motivation, die häufig dafür sorgt, dass man permanent vom Regen in die Traufe kommt. Wer immer nur auf der Flucht vor unliebsamen Situationen ist, wird kaum das Gefühl haben, seinem Leben wirklich eine Richtung zu verleihen.
Stellen Sie sich vor, Sie haben einen Angestellten, der sehr unzufrieden mit seiner Arbeitsstelle ist. Grundsätzlich wäre es sicherlich eine gute Idee, diese Stelle zu kündigen. Wenn er aber unter großem Leidensdruck überhastet kündigt und dann vier Wochen Zeit hat, um einen neuen Job zu finden, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass der neue Job nicht unbedingt passender ist, als der vorherige. Würde dieser Mensch rechtzeitig wahrnehmen, dass dies nicht der passende Job ist und sich dann bereits Fragen stellen wie "Wie möchte ich arbeiten?" oder "Ist meine Berufswahl von vor xx Jahren noch grundsätzlich die richtige für mich?", dann steigt für den Betreffenden die Chance, einen Arbeitsplatz zu finden, der bei ihm nachhaltig für Zufriedenheit und Erfüllung sorgt.
Neue Perspektiven entwickeln sich aus dem, was in einem Menschen angelegt ist
Neue Perspektiven zu entwickeln heißt eigentlich, sich selber zu verstehen und nach seinen eigenen Bedürfnissen zu leben. Natürlich kann ein Mensch sich auf seinem Weg weiterentwickeln, sogar eklatant, aber seine ganz individuelle Zusammenstellung von Wünschen, Bedürfnissen, Veranlagungen, Ressourcen und Fähigkeiten gibt diesen Weg vor. Ich bin ich und du bist du. Nur wir selbst müssen akzeptieren und annehmen, warum wir Dinge auf unsere spezielle Art und Weise angehen.
Manchmal ziehen wir falsche Schlüsse aus unseren Beobachtungen oder vergleichen uns mit anderen, so dass wir auf Ideen kommen, die zwar sehr mächtig sind mit unserem Leben aber gar nichts zu tun haben. "Erst, wenn ich Millionär bin, kann ich wirklich glücklich sein" beispielsweise. Oder man beobachtet, wie ein Freund mit einer anderen Haarfarbe immer die hübschesten Freundinnen hat und färbt seine Haare genauso, weil man denkt, dass die Haarfarbe dabei eine Rolle spielt. Beide Beispiele haben mit dem jeweils eigenen Leben überhaupt nichts zu tun, sorgen aber dafür, dass sich ein Tunnelblick bildet, den es wieder zu weiten gilt.
Zusammenfassung
Neue Perspektiven und Handlungsmöglichkeiten zu erarbeiten bedeutet:
- Festzustellen, wo man sich überhaupt gerade befindet. Als ob man mit seinem Boot gerade durch einen Sturm gefahren ist und sich jetzt erst einmal orientieren muss, um den neuen Kurs bestimmen zu können.
- Den Punkt, an dem man sich in seinem Leben gerade befindet, anzuerkennen.
- Gegebenenfalls erst einmal "sacken lassen", das bedeutet Gefühle und Gedanken, die mit dieser Anerkennung einhergehen, zuzulassen.
- Neuorientierung: wo möchte ich denn jetzt eigentlich hin und wie könnte ich das erreichen?
- Im richtigen Moment handeln.
- Sich und seinem Weg treu zu bleiben und sich nicht durch Vergleiche mit anderen selbst zu schwächen.
- Phasen der Ungewissheit aushalten können.
- darauf zu vertrauen, dass Sie Lösungen finden werden.
Autor: Jan Göritz
Thema: Neue Perspektiven und Handlungsmöglichkeiten
Webseite: https://www.jangoeritz.de