Der Tod eines nahestehenden Menschen löst bei den meisten Menschen tiefe Verzweiflung aus.
Ähnlich starke Trauerreaktionen wie der Verlust einer Bezugsperson können insbesondere bei Kindern auch Ereignisse wie der Tod eines Haustiers, die Trennung der Eltern, ein verlorenes Kuscheltier, der Umzug der Freundin, das Ende der Kindergartenzeit oder Abschiede auf Zeit auslösen. Dennoch geht jeder Mensch auf seine eigene Art und Weise mit Verlusterfahrungen und der Bewältigung von Trauer um.
Doch wie sieht Trauer bei Kindern konkret aus? Durchleben auch Kinder die einzelnen Phasen der Trauer? Und wie können wir als Erwachsene Kinder und Jugendliche bei der Trauerbewältigung unterstützen?
Eins vorweg: Kinder trauern anders als Erwachsene. Sie leben im Moment. Das heißt, es ist nicht ungewöhnlich, dass sie in einem Moment weinen und im nächsten Moment wieder anfangen zu spielen und unbeschwert und fröhlich sind. Ihre Trauer zeigt sich also oft sprunghaft. Gefühle von Trauer und Glück können rasch wechseln und sind in den jeweiligen Momenten auch echt. Diese plötzlichen Wechsel schützen die kindliche Psyche vor Überbeanspruchung. Wir sollten Kindern zugestehen, zu lachen, auch wenn gerade ein Todesfall passiert ist. Wir tun ihnen unrecht, wenn wir ihnen unterstellen, sie würden nicht trauern, nur, weil sie zwischendurch glückliche Momente erleben. Häufig wird das Thema Verlust im Spiel aufgegriffen oder es werden alternative Ausdrucksformen wie Malen gewählt, um die Gefühle auszudrücken, die das Kind womöglich noch nicht in Worte fassen kann. Der Trauerprozess verläuft bei Kindern und Jugendlichen in Schüben. Trauerreaktionen werden häufig durch situative Auslöser hervorgerufen, beispielsweise wenn das Kind abends alleine im Bett liegt und diese Zeit früher häufig mit der verstorbenen Bezugsperson verbracht hat.
Die vier Phasen der Trauer
Die Trauerforschung, allen voran die Schweizer Psychologin Verena Kast, hat vier Phasen im Trauerprozess beschrieben. Ihr Modell soll sowohl Trauernden selbst als auch Trauerbegleitern helfen, die mit einem Verlust einhergehenden Gefühle besser zu verstehen und verarbeiten zu können.
Die erste Phase unmittelbar nach dem Tod eines geliebten Menschen ist gekennzeichnet durch ein Nicht-Wahrhaben-Wollen. Teilweise steht der Trauernde unter Schock und leugnet zunächst den Verlust. In dieser Phase ist es wichtig, Kindern den Tod als eindeutige Realität zu vermitteln und sie intensiv zu begleiten, sie also mit ihren Gefühlen nicht alleine zu lassen.
In der zweiten Phase tauchen häufig starke Emotionen auf. Neben der Trauer ist hier insbesondere Wut zu nennen, vor allem, wenn Eltern(teile) sterben. Diese Wut richtet sich teilweise direkt gegen den Verstorbenen, weil er den Trauernden alleine zurücklässt. Wut ist oft eine Gegenkraft zum Erleben totaler Ohnmacht und von daher wichtig. Bei Kindern tritt neben der Wut häufig Angst auf, von weiteren wichtigen Bezugspersonen (z.B. dem zweiten Elternteil) ebenfalls alleingelassen zu werden bzw. sie zu verlieren. Darüber hinaus können in dieser Phase auch Schuldgefühle auftreten. Sollte dies der Fall sein, ist es ganz wichtig, dies offen zu thematisieren und den trauernden Kindern und Jugendlichen klarzumachen, dass sie nicht verantwortlich für den Tod sind und keine Schuld daran haben.
Es ist völlig normal, dem Verstorbenen gegenüber ambivalente Gefühle zu haben, vor allem, wenn die verstorbene Person einseitig positiv dargestellt wird. Es dürfen durchaus auch negative Seiten angesprochen werden, um dem Kind zuzugestehen, dass auch diese Gefühle ihre Berechtigung haben und da sein dürfen. Andererseits ist auch eine kindliche Identifikation mit dem Verstorbenen durch phasenweise Idealisierung völlig in Ordnung, weil Kinder dadurch das Gefühl haben, die verstorbene Person nicht vollständig zu verlieren.
Trauernde brauchen in dieser Phase in erster Linie mitfühlende Begleitung und Menschen, die gut zuhören können. Für Kinder dienen in dieser Phase die trauernden Erwachsenen häufig als Vorbild. Es ist entscheidend, alle Gefühle - von Trauer und Aggression über Rückzug bis hin zu Regression (z.B. Daumen lutschen, einnässen, Schulversagen) -, zuzulassen und sie nicht zu unterdrücken. Erwachsene sollten ihren Kindern offen zeigen, dass sie traurig sind und weinen müssen. So lernen Kinder, dass es in Ordnung ist, Gefühle zu zeigen.
Die dritte Phase ist gekennzeichnet durch eine aktive Auseinandersetzung mit dem Verstorbenen. Ein bewusstes Abschiednehmen, beispielsweise durch Rituale oder auch Zwiegespräche mit dem Verstorbenen kann die Verarbeitung des Verlustes erleichtern. In dieser Phase können gehäuft Suizidgedanken auftreten, die sehr ernst genommen werden müssen und professioneller Hilfe bedürfen.
In der vierten Phase gelingt es dem Trauernden zunehmend, den Verlust zu akzeptieren und sich neu zu orientieren. Dennoch bleibt die Erinnerung ein wichtiger Bestandteil des Lebens.
Die hier skizzierten Phasen sind nicht statisch und können in ihrer Dauer und Intensität von Mensch zu Mensch variieren. Auch Rückschritte in frühere Trauerphasen können vorkommen.
Kinder und Jugendliche in ihrer Trauer begleiten
Wie Kinder den Verlust einer nahestehenden Bezugsperson verarbeiten, ist unter anderem altersabhängig. Säuglinge und Kleinkinder empfinden Trennungsschmerz, wenn eine vertraute Person fehlt, sie haben aber noch keinen Bezug zum Tod. Jüngere Kinder gehen davon aus, dass die verlorene Bezugsperson zurückkommen könnte. Erst im Alter von ca. 9-10 Jahren können Kinder den Tod als etwas Unwiederbringliches, Endgültiges verstehen und bewusst von der verstorbenen Person Abschied nehmen. Dieses Abschiednehmen sollte mit viel Einfühlungsvermögen begleitet werden. Kinder haben viele Fragen rund um das Thema Tod und die anstehende Beerdigung. Sie brauchen Erwachsene, die diese Fragen geduldig, einfühlsam, kindgerecht und vor allen Dingen ehrlich beantworten. Allzu belastende Details können dabei ausgelassen werden, lügen sollten Erwachsene jedoch nicht.
Vorsicht ist geboten bei Sätzen wie „Oma ist friedlich eingeschlafen.“, da dies bei kleineren Kindern Angst vor dem eigenen Einschlafen wecken kann. Auch rationale Erklärungen („Oma war sehr krank, jetzt hat sie keine Schmerzen mehr.“ oder auf ein Haustier bezogen „Lucy war doch schon alt.“) sind für Kinder oft wenig hilfreich. Sie möchten mit ihren Gefühlen ernstgenommen und verstanden werden. Hierfür bietet sich das von dem Psychologen Carl Rogers als Werkzeug für die Gesprächspsychotherapie entwickelte Aktive Zuhören an. Dabei geht es darum, die Gefühle des Gegenübers zu entschlüsseln und mit eigenen Worten wiederzugeben. Erwachsene sollten also ganz bei den Gefühlen des Kindes bleiben und dessen Empfindungen zuhören, anstatt auf die eigenen Gefühle umzuschwenken („Du vermisst Oma sehr.“ statt „Ich bin auch ganz traurig, dass Oma nicht mehr da ist.“). Es hat sich bewährt, gezielt Gesprächsanlässe zu suchen, beispielsweise durch gemeinsames Lesen entsprechender Kinderbücher. Trotz aller Trauer sollten möglichst viele Abläufe, wie Mahlzeiten, Gute-Nacht-Geschichte oder geliebte Aktivitäten (Spiele) und Interessen (Vereinssport) wie gewohnt beibehalten werden. Dies gibt Kindern Sicherheit.
Insbesondere im Kontakt mit Jugendlichen ist das gemeinsame Tun wichtig. Ein Spaziergang lädt durch die gemeinsame Blickrichtung eher zum Reden ein als ein Gegenübersitzen am Tisch. Da Jugendliche in der Regel nicht (oft) über ihre Gefühle mit Erwachsenen sprechen wollen, kann es durchaus helfen, von sich selbst zu erzählen, sozusagen als Türöffner.
Gleichzeitig ist wichtig, dass Erwachsene nicht in der eigenen Trauer versinken, sondern in ihre Elternfunktion zurückfinden, denn Kinder brauchen starke, verlässliche Eltern. Andernfalls besteht die Gefahr einer Rollenumkehr. Wenn Eltern über einen längeren Zeitraum als hilflos und verzweifelt erlebt werden, fühlen sich Kinder für sie verantwortlich und versuchen, sie zu trösten oder Kinder leugnen ihre eigenen Trauergefühle, um die Eltern nicht zusätzlich zu belasten. Insbesondere wenn ein Geschwisterkind stirbt, kann es vorkommen, dass das verbliebene Kind unbewusst Eigenschaften des verstorbenen Geschwisterkindes übernimmt, um die Eltern endlich wieder glücklich zu sehen. Aus diesem Grund sollten sich Eltern professionelle Hilfe suchen, wenn sie merken, dass sie aufgrund ihrer eigenen Trauer ihren Alltag nicht mehr bewältigen und ihrer Elternrolle nicht mehr gerecht werden können.
Gemeinsam geeignete Abschiedsrituale finden
Die Teilnahme an der Beerdigung kann für Kinder eine wichtige Erfahrung sein, um Abschied nehmen zu können. Hierbei sind vorbereitende Gespräche über den Ablauf einer Beerdigung, den Teilnehmerkreis und weitere Details immens wichtig. Auch der häufig übliche anschließende Wirtshausbesuch sollte thematisiert werden. Wenn das Kind es möchte, kann man gemeinsam mit ihm ein persönliches Ritual überlegen, beispielsweise ein Bild oder Erinnerungsstück, das in den Sarg gelegt wird, ein graviertes Steinherz mit persönlichen Worten oder eine eigene Grabkerze als Grabschmuck. Hierbei ist allein der Wunsch des Kindes entscheidend. Wenn langes Stillsitzen schwerfällt und schwer verständliche Trauerreden Kinder überfordern könnten, sollte über ein separates Abschiednehmen nachgedacht werden. Auch Rituale für den Geburtstag der verstorbenen Person (z.B. Lieblingskuchen backen, Blumen aufs Grab, Lieblingsmusik, alte Fotoalben anschauen) können gemeinsam überlegt werden, wenn das Kind dies möchte.
Professionelle Hilfe für Kinder und Jugendliche
Wenn Eltern bemerken, dass sich das Verhalten ihres Kindes stark verändert, es sich total zurückzieht oder sich häufig aggressiv verhält und den Spaß an früheren Hobbies oder den Kontakt zu Freunden ganz verliert, sollten sie auf professionelle Hilfsangebote für Kinder zurückgreifen. Dies können Trauerbegleiter, Kinderpsychologen oder mit dem Thema vertraute Heilpraktiker für Psychotherapie sein. Kindern und Jugendlichen tut es häufig gut, sich mit Gleichaltrigen auszutauschen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben, beispielsweise in speziellen Gruppen für trauernde Kinder (z.B. Lacrima) oder Chatforen (z.B. YoungWings). Wichtig ist ebenfalls, Lehrer:innen und Erzieher:innen des Kindes über den Todesfall zu informieren, damit sie auf eventuelle Verhaltensänderungen des Kindes adäquat reagieren können.
Abschließend sollten wir anerkennen, dass kindliche Trauer so individuell ist, wie wir Menschen selbst und sich nicht starr nach gesellschaftlichen Erwartungen und Normen ausrichten muss. Allein das Gespür dafür, was ein trauerndes Kind jetzt gerade braucht, sollte unser Handeln leiten.
Autor: Silvia Fritzsch, Heilpraktikerin beschränkt auf das Gebiet der Psychotherapie
Thema: Trauerphasen bei Kindern
Webseite: https://www.familie-und-ich-muenchen.de
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