Ein starker Raucher bekommt von Freunden den Rat, mit dem Rauchen aufzuhören. Schafft er es daraufhin sein Verhaltensmuster zu ändern? Meistens nicht. Der starke Raucher überhört den freundschaftlichen Rat, vergisst ihn schnell, hält das Gerede von der Gesundheitsschädlichkeit für maßlos übertrieben, behauptet, er rauche gerne und genussvoll, oder er ist überzeugt, dass die Sucht ihn fest im Griff hat und jeder Versuch, mit dem Rauchen aufzuhören, scheitern wird.
Der Rat von Freunden zeigt nicht die beabsichtigte Wirkung, weil er auf eine Änderung des Verhaltensmusters abzielt: vom Nikotin zu lassen. Der Raucher dagegen folgt einem tief liegenden Bedürfnis, das ihm häufig selbst nicht bewusst ist. Nikotinkonsum ist Mittel zur Befriedigung dieses Bedürfnisses
Könnte der starke Raucher seine Bedürfnisse benennen, wäre vielleicht das Bedürfnis nach Ruhe und Wohlgefühl, nach Wachheit und Steigerung der Aufmerksamkeit, Zugehörigkeit und Geselligkeit der Grund für sein Rauchen, oder schlicht das Bedürfnis nach Suchtbefriedigung.
Da Nikotin-Sucht kein anderes Verhalten außer Rauchen zulässt, ist hier der Entzug notwendige Voraussetzung um dieses Verhaltensmuster ändern zu können. Der Entzug und die lebenslange Abstinenz als Verhalten können nur gelingen, wenn das Verhalten von einem Bedürfnis nach selbstbestimmtem und gesundem Leben getragen wird, und von allen anderen Bedürfnissen, die zur Nikotinsucht geführt haben. Diese Bedürfnisse bewusst zu machen ist der psychotherapeutische Teil des Entzugs.
Verhaltensmuster ändern, kann man nur, wenn der Betreffende den Zusammenhang zwischen Bedürfnis und Verhalten erkennt – der Zusammenhang ist oft nicht bewusst. Und wenn der Betreffende andere Verhaltensmuster annimmt, die sein Bedürfnis besser befriedigen. Guter Rat allein ist verschwendet.
In der humanistischen Psychologie geht man davon aus, dass hinter jedem Verhaltensmuster eine gute Absicht steckt. Wohl gemerkt, eine gute Absicht aus der Sicht des Menschen, der sich auf eine bestimmte Weise verhält, nicht aus der Sicht der vom Verhalten Betroffenen. Der starke Raucher zum Beispiel, der Zugehörigkeit und Geselligkeit sucht – somit eine für sich gute Absicht verfolgt – kann eine Belastung für Angehörige und Freunde sein.
Wie kommen wir zu Verhaltensmustern? Verhalten wird erlernt, und zwar durch Konditionierung. Konditionierung heißt: wenn ich mich x verhalte, dann bekomme ich y. Wobei y etwas Erstrebenswertes ist. Wenn die Konditionierung einmal gesetzt ist, dann verhalte ich mich noch lange Zeit x, obwohl ich y – das ich immer noch für Erstrebenswert halte – nicht mehr bekomme.
Zum Beispiel unser Raucher: es mag einen Augenblick oder eine Phase in seinem Leben gegeben haben, in der er gelernt hat, dass er sich mit Rauchen (Verhalten x) seine Bedürfnisse (erstrebenswertes y) erfüllen kann. Ist diese Konditionierung einmal gesetzt, wird das Verhalten beibehalten, selbst wenn der Betreffende spürt, dass die Bedürfnisbefriedigung nicht mehr (so gut) funktioniert. In solchen Augenblicken der Frustration entsteht eine, in der Regel unbewusste Rechtfertigungen für die ständige Wiederholung des Verhaltens: Wenn es dieses Mal nicht funktioniert, dann sicher das nächste Mal. Was einmal geklappt hat, das wird auch wieder klappen. Bis dahin rauche ich erst mal eine!
In der Verhaltenspsychologie nennt man das Reiz-Generalisierung:
Konditionierungen werden in bestimmten Kontexten geprägt und dann auf viele andere Kontexte übertragen. Jedes Verhaltensmuster ist gut in einem Kontext, aber nicht in allen. Beispiel: Vor vielen Jahren war „musste“ man rauchen, um zu einer Clique zu gehören. Damals befriedigte das Verhalten ein Bedürfnis nach Zugehörigkeit. Heute gibt es die Clique von damals nicht mehr. Aber das alte Gefühl von Zugehörigkeit ist immer noch da, so lange die Zigarette glüht.
Um Verhaltensmuster ändern zu können, gibt es 4 Möglichkeiten:
1. Die hinter einem Verhaltensmuster stehenden Bedürfnisse verändern sich. Würde unser starker Raucher sein Bedürfnis nach Zugehörigkeit aufgeben, würde er sein Verhaltensmuster ändern. „Aussteiger“, die ihr Leben grundlegend verändern, verändern oft auch ihre Bedürfnisse. Würde sich unser Raucher etwa für ein Leben als Einsiedler entscheiden, hätte er keinen Grund mehr, zu rauchen.
2. Die Verhaltenserwartungen zur Bedürfnisbefriedigung verändern sich. Würde sich unser starker Raucher an Menschen orientieren, bei denen Nichtrauchen Zugehörigkeit sichert, würde mit dem Rauchen aufhören. Bei vielen Rauchen gibt es die Angst, (rauchende) Freunde zu verlieren, wenn sie nicht mehr rauchen.
3. Der Mensch sieht ein, dass sein Bedürfnis durch ein anderes Verhalten befriedigt wird. Würde unser starker Raucher andere Wege finden, seine Freunde zu behalten, selbst wenn er eine Zigarette ablehnt, würde er mit dem Rauchen aufhören.
4. Bedürfnisse stehen im Widerspruch zueinander, und ein Bedürfnis lässt einem anderen den Vortritt. Würde unser starker Raucher sein Bedürfnis nach Gesundheit und langem Leben, Fruchtbarkeit und Potenz, gesundem Aussehen und attraktiver Erscheinung, körperlicher Fitness, Kontrolle über das eigene Verhaltensmuster oder mehr Geld zur Erfüllung eigener Wünsche vor sein Bedürfnis nach Zugehörigkeit stellen, würde er mit dem Rauchen aufhören.
Und wie geht das in der Praxis? Hier geht es darum, unbewusste Konditionierungen aufzudecken, gegensätzliche Bedürfnisse in Kontakt miteinander zu bringen und zu versöhnen und neue Verhaltensmuster zu entwickeln und zu erproben, die bestehende Bedürfnisse befriedigen. Je komplexer die Bedürfnisse sind, die ein Verhaltensmuster befriedigt, und je störender die Verhaltensmuster im Alltag sind, umso nötiger ist professionelle Unterstützung.
"Ratschläge kann man geben, aber das Verhalten kann man nicht beibringen."
François VI. Duc de La Rochefoucauld (1613 - 1680), franz. Offizier, Diplomat und Schriftsteller
Weitere Informationen zum Thema - Menschliche Verhaltensmuster
Autor: Dr. Detlef Schönherr
Thema: Verhaltensmuster ändern
Webseite: http://www.schoenherrc4.de