Narzissmus: Nur ein Charakterzug oder eine Krankheit?

Sich selbst zu lieben, ist der Beginn einer lebenslangen Romanze. - Oscar Wilde -

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Woran erkennt man einen Narzissten?

Kennen Sie einen Narzissten? Vielleicht ja und Sie wissen es bloß nicht? Woran erkannt man also, ob man einen Narzissten oder eine Narzisstin vor sich hat?

Umgangssprachlich bedeutet Narzissmus, dass jemand sich zu sehr liebt. Ist das auf den ersten Blick nicht etwas Gutes? Schließlich heißt es doch immer, wenn wir uns selbst nicht lieben, können wir auch niemand anderen lieben… Die Psychotherapeutin und Narzissmus-Expertin Dr. Bärbel Wardetzki sagt, dass narzisstische Züge jeder von uns habe: „Die brauchen wir, um unser Selbstwertgefühl stabil zu halten.“ Wir alle brauchen Bestätigung in Form von Lob und Anerkennung. Dies stärkt unser Selbstwertgefühl. Das Problem beginnt erst dann, wenn jemand ständige Bewunderung braucht, um sich überhaupt als etwas wert zu fühlen. So wie das bei einem Narzissten der Fall ist.

Das würde man auf den ersten Blick gar nicht vermuten, denn ein narzisstischer Mensch hält sich für wichtiger als andere, findet sich und seine Fähigkeiten einfach großartig und außergewöhnlich. Niemand kann ihm das Wasser reichen. Andere behandelt er eher herablassend und er hat den Wunsch, andere zu dominieren. Er verhält sich rücksichtslos und egoistisch anderen Menschen gegenüber. Empathie ist ein Fremdwort für ihn. Ganz im Gegensatz zu diesem aufgeblähten Ego steht die extreme Empfindlichkeit Kritik gegenüber. Kritik wird ignoriert, da das schwache Selbstwertgefühl nur über die Bewunderung durch sein Gegenüber aufgepeppt werden kann. Kritik ist daher bedrohlich und hat bei ihm kleinen Platz. Kritik oder Zurückweisung kann ihn aber auch in tiefe Selbstzweifel, Depressionen oder in eine Lebenskrise stürzen.

Aber eins muss man einem Narzissten zugutehalten: Er ist ein Meister des ersten Eindrucks! Bei anfänglichen Begegnungen erscheint er als witzig, unterhaltsam und charmant. Doch recht schnell verwandelt sich die anfängliche Sympathie seines Gegenübers in Ablehnung. Da ist der Narzisst meist dann sowieso schon weitergezogen, denn wirkliche Nähe macht ihm Angst. Auch deshalb bleiben seine Beziehungen meist oberflächlich. Typischerweise macht er die anderen für seine Probleme verantwortlich.

Unterschied zur narzisstischen Persönlichkeitsstörung

Der Übergang von einer persönlichen Eigenschaft hin zu einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung ist fließend. Im Wesentlichen sind die Symptome die gleichen. Nur ist bei einer Persönlichkeitsstörung das Verhalten sehr verstärkt und das Umfeld leidet extrem darunter. Dr. Wardetzki beschreibt diese Menschen wie ein Fass ohne Boden: „Zuspruch kann innerlich nicht gespeichert werden und es muss immer mehr Bestätigung von außen kommen.“ Der Narzisst selber hat keinerlei Krankheitseinsicht. Er kommt gar nicht auf die Idee, dass sein Verhalten für andere problematisch sein könnte. Da er sich selbst für großartig hält, muss der Fehler beim Gegenüber liegen.

Man unterscheidet zwei extreme Formen bei der narzisstischen Persönlichkeitsstörung: Den oben beschriebenen Großartigkeits-Exhibitionismus und die Verletzlichkeits-Sensibilität. Letztere gelten als heimliche Narzisst*innen, da sie sehr empfindlich und introvertiert wirken und auf den ersten Blick kaum als Narzisst*innen zu erkennen sind. Sie sind sehr zurückhaltend, eher beobachtend und hypersensibel. Die Arroganz und Egomanie ist ihnen gemeinsam mit dem ersten Typus.

Insgesamt sind etwa 1% der Bevölkerung in Deutschland betroffen. 75% davon sind Männer und 25% Frauen. Wenn man sich jetzt fragt, wie man eigentlich herausfindet, ob jemand eine narzisstische Persönlichkeitsstörung hat, lautet die Antwort: Einfach fragen! Es mag unsereins seltsam vorkommen, aber, wenn man Betroffene fragt, ob sie narzisstisch seien, antworten sie tatsächlich mit JA. Dies hängt damit zusammen, dass sie dies nicht als eine negative Eigenschaft ansehen. Na klar lieben sie sich selbst. Schließlich sind sie doch auch toll, oder? Warum sollte das schlimm sein?

Wie entsteht Narzissmus?

Allen verschiedenen Theorien mehr oder weniger gemeinsam ist, dass sie von einer Wechselwirkung zwischen Genen und Umwelteinflüssen ausgehen. Der Samen wird bereits in der Kindheit durch ungünstige Interaktionen mit den Bezugspersonen gelegt.

kind mit krone strenger blick

Kinder brauchen neben Liebe und Geborgenheit auch klare Grenzen, damit sie Empathie, den Umgang mit enttäuschenden Erfahrungen und die Fähigkeit erlernen, sich auch mal zugunsten anderer zurückzunehmen. Wenn die kindlichen Bedürfnisse von den Eltern dauerhaft vernachlässigt werden, hat dies sehr negative Auswirkungen auf die Entwicklung der Kinder. Emotionale Verwahrlosung ist eine mögliche Ursache für die Entwicklung von Narzissmus. Die Verwahrlosung kann sich entweder darin zeigen, dass die Kinder permanent entwertet werden und dadurch ein zu geringes Selbstwertgefühl entwickeln. Sie fühlen sich ungeliebt und nie gut genug. Dies versuchen sie dann unbewusst über die Bewunderung durch andere, nach der sie ständig auf der Suche sind, auszugleichen. Aber auch Kinder, die von ihren Eltern übermäßig verwöhnt wurden und deren Wünsche von ihren Augen abgelesen wurden, können narzisstische Züge entwickeln. Sie werden letztendlich genauso wenig gesehen und angemessen gespiegelt wie die emotional vernachlässigten Kinder und brauchen diese Bestätigung auch von außen. Kinder, denen keine Grenzen gesetzt werden, entwickeln ein unrealistisches Selbstbild, das von Perfektionismus geprägt ist.

Ist Narzissmus heilbar?

Die narzisstische Persönlichkeitsstörung ist im engeren Sinne keine Krankheit. Vielmehr ist die Persönlichkeit tiefgreifend gestört. Insofern kann man nicht unbedingt von einer Heilung sprechen. Dennoch können bei etwa der Hälfte der Betroffenen die Symptome durch Therapie gelindert werden.

Allerdings begeben sich Narzist*innen nicht in Therapie, da sie ihr Verhalten nicht als ein Problem einschätzen. Sie begeben sich wegen anderer psychischer Erkrankungen wie z.B. Essstörungen, Suchterkrankungen oder Depression in Behandlung. Oder sie kommen wegen familiärer Probleme oder wegen einer persönlichen Niederlage, wie z.B. dem Verlust ihres Jobs. Dann hängt es davon ab, ob sie bereit sind an ihrem Narzissmus zu arbeiten oder nicht, sofern die Therapeutin oder der Therapeut diesen zum Thema machen. Letztendlich geht es nicht darum, Betroffene zu völlig anderen Menschen zu machen. Vielmehr geht es darum, extreme Verhaltens- und Denkweisen zu verändern und somit ein besseres Leben zu führen. Dies setzt voraus, dass sie bereit sind, sich mit eigenen Schwächen und selbstüberschätzenden Größenfantasien auseinanderzusetzen.

Fallbeispiel Narzissmus

„ „Ich komme nur zu Ihnen in die Praxis, weil meine Frau droht, sonst mit der Scheidung ernst zu machen“, stellt Michael K., ein elegant gekleideter 45-jähriger erfolgreicher Unternehmer, gleich zu Beginn des Therapiegespräches fest. „Ich weiß gar nicht, was meine Frau hat, Sie kann sich die teuersten Designerklamotten kaufen, in der Stadt sind wir aufgrund meines erfolgreichen Unternehmens hoch angesehen und wir machen Urlaub an den tollsten Plätzen der Welt“, erklärt er. „Wissen Sie“, führt er weiter aus, „ich war schon immer sehr erfolgreich und beliebt, in der Schule war ich Schulsprecher und meinen Abschluss an der Uni habe ich mit 1,2 gemacht.“

Auf Ihre Frage, ob es denn Probleme in der Ehe gebe, antwortet er: „Ja, aber das verstehe ich ja nicht. Meine Frau hat mich immer für meine Erfolge bewundert und mich bei allem unterstützt. Und jetzt plötzlich hat sie ganz andere Vorstellungen. Neulich war unser Sohn ein paar Tage krank und ich sollte ihr bei der Pflege helfen, dabei war ich doch selbst so erschöpft und brauchte meine Ruhe. Da muss Sie doch Rücksicht auf mich nehmen!“ beklagt er sich.

"Und dass sich viele Frauen für mich interessieren, ist doch normal. „Macht macht eben sexy“, sagt er mit einem Zwinkern in den Augen zu Ihnen, "eine kleine Freundin steht einem Mann wie mir einfach zu."

„Wenn sie sich wirklich scheiden lässt, ist mein Ruf ruiniert, was sollen bloß die Anderen denken? Bitte machen Sie doch meiner Frau verständlich, dass eine Scheidung von mir überhaupt nicht in Frage kommt“, erklärt er am Ende der Sitzung.“

(zitiert von: https://heilpraktiker-psychotherapie-selbststudium.de/Fallbeispiel-Eine-Scheidung-kommt-nicht-in-Frage)

Verstärkt sich Narzissmus im Alter noch?

Studien legen nahe, dass narzisstische Züge wie Hypersensibilität und Selbstüberschätzung tatsächlich im Alter weniger werden. Möglicherweise vergessen Narzisst*innen im Alter einfach, wie narzisstisch sie in jungen Jahren waren. Ein weiter wichtiger Punkt ist, dass der Leidensdruck in der Regel in älteren Jahren steigt, so dass Therapien auch besser greifen können.

Autor: Marion Kellner, Heilpraktikerin für Psychotherapie
Thema: Narzissmus: Nur ein Charakterzug oder eine Krankheit?
Webseite: https://marion-kellner.de

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