In unserer Welt, die größtenteils davon geprägt ist zu funktionieren, Leistungen zu erbringen, sich selbst zu optimieren, bleibt oft das Bewusstsein für die wahren inneren emotionalen Bedürfnisse auf der Strecke.
Das hat gerade in Partnerschaften fatale Folgen. Durch das Funktionieren im Außen verlieren die Partner den Zugang zu ihren eigenen Bedürfnissen, können diese nicht mehr zeitnah empfinden und damit auch nicht in der Partnerschaft kommunizieren. Vieles ist am Außen orientiert und das Innere verkümmert, wie ein Muskel, den man nicht mehr trainiert, … und irgendwann schmerzt es, man fühlt sich nicht mehr wohl, man fühlt sich nicht gesehen und auch nicht verstanden. Und lange Zeit sieht die Partnerschaft und das Familienleben nach außen noch immer nach „heiler Welt“ aus. Wenn die Unzufriedenheit immer größer wird, neigen manche Partner dazu, an dem anderen herumzunörgeln, er solle etwas ändern oder sie ziehen sich innerlich zurück und sprechen nicht mehr. Um dieses Thema zu bewältigen bzw. zu verbessern, ist es wichtig, dass beide Partner bereit sind, in sich hineinzuspüren, was denn die wichtigen grundlegenden Bedürfnisse in der eigenen Partnerschaft und im eigenen Leben sind.
Emotionale Vernachlässigung liegt also vor, wenn das, was jeder Mensch in einer Partnerschaft bekommen sollte, nicht mehr fließt oder vielleicht auch, wenn einem Partner im Laufe der Zeit bewusst wird, dass es noch nie wirklich geflossen ist. Solche Defizite fallen oft dann erst auf, wenn man z.B. bei anderen Paaren vieles sieht und spürt (und wenn es nur im Film ist), was in einer Partnerschaftlich grundsätzlich möglich ist und dann plötzlich wieder eine natürliche Sehnsucht nach dem lange Verschollenen aufersteht. Das wäre an sich ein guter Vorgang, da der Partner, der das entdeckt, einfach nur einfühlsam, aber auch deutlich, dem anderen beschreiben müsste, was ihm bzw. der Partnerschaft fehlt. Das Gegenüber wiederum müsste es erkennen, einsehen und sogar noch einen Vorteil darin sehen, wenn er eben solches anstrebt. Soweit die Theorie. Jetzt zur Praxis.
In meiner Paartherapie erlebe ich bei solchen Konstellationen oft folgendes. Derjenige, der das Problem erkennt und es anzusprechen versucht, bringt es eventuell nicht genau auf den Punkt oder es wird nicht richtig gehört. Da der andere es möglicherweise auch noch als Vorwurf gegen sich gerichtet nimmt und zu bekämpfen versucht, wertet das Gegenüber dieses Kampfverhalten wiederum als Ursache des Problems. Es erfolgt nun auf mindestens einer Seite ein Rückzugsverhalten, wodurch der Teufelskreis perfekt ist. Ohne eine dritte Person, einen neutralen Moderator in Form eines Paartherapeuten, ist dies realistisch meist gar nicht zu schaffen, da man sich aus dem eigenen erschaffenen Gestrüpp der Gedanken- und Glaubenssätze oft gar nicht alleine befreien kann. Ein Wegbegleiter und Wegweiser ist hier sinnvoll, um Schritt für Schritt zu entdecken, was einem wirklich wichtig ist im Leben und in der Partnerschaft.
In so einer Paartherapie kommt dann erstmal zur Sprache, wie es jedem dabei geht und vor allem, was die Motivation jedes Einzelnen ist. Das führt recht schnell schon zu einer emotionalen Entlastung und man kann die Themen unter einer Moderation richtig, also gründlich angehen. Dabei können Tränen fließen bzw. Dinge zum Vorschein kommen, die schon lange jeder Person auf der Seele brennen, für die man aber bisher noch keine Worte gefunden hat oder sich in Befürchtung eines großen Streits einfach nur zurückgehalten hat. Wenn man aber einmal soweit ist, dass zwei Menschen wieder sprechen können, geht es dann darum, festzustellen ob auch jeder bereit und vor allem in der Lage dazu ist, einer emotionalen Vereinsamung entgegenzuwirken.
So kann es z.B. sein, daß sich jemand in die Arbeit geflüchtet hat, vielleicht sogar mit der guten Absicht, für seine Familie Geld zu verdienen, sich selbst und seine Frau dabei aber vernachlässigt bzw. evtl. schon verloren hat (ein ganz typisches Beispiel, dass ich oft schon erlebt habe). Nun dreht es sich darum, sowohl von den eigenen Emotionen täglich! zu erzählen, als auch, wenn möglich, im Laufe der Zeit auch nach der emotionalen Befindlichkeit des anderen zu fragen. Dabei wird Interesse und Wertschätzung vermittelt, was wiederum zu einem positiven Kreislauf führt. Die gegenseitige Liebe wächst durch das Interesse und vor allem auch das gegenseitige Verständnis. Ist dieses Verständnis nicht vorhanden oder einfach durch Verschiedenheit nicht möglich, dann könnte eine Trennung der einzig sinnvolle Weg sein.
Zusammenfassend sei nochmal aufgezählt, was jeder von beiden tun kann, um emotionaler Vernachlässigung in der Ehe und Partnerschaften vorzubeugen:
- Jeden Tag dem Partner erzählen, was einem gerade wichtig ist oder mit was man sich beschäftigt oder was gerade mit einem selbst los ist.
- Aus echtem und ehrlichem Interesse heraus immer mal wieder den anderen fragen, wie es ihm gerade geht.
- Wenn der andere etwas von seiner Welt preisgibt, ernsthaft und willentlich versuchen, das zu verstehen.
- Wenn man das Gefühl hat, den anderen gar nicht oder in bestimmten Punkten nicht zu verstehen, dann möglichst sofort! wiederum mit echtem Interesse nachfragen.
- Bei seelischer Unstimmigkeit, so lange Interesse an den Belangen des anderen, aber auch an der eigenen Situation zeigen, bis man sich angenähert hat.
- Gelingt in der beschriebenen Weise keine Annäherung (auch nach Paarberatung nicht), ist eine Trennung ein guter Weg, um einen wirklich passenden Partner finden zu können. Alles ist besser als emotionale Vernachlässigung.
Das Wichtigste also, um emotionaler Vernachlässigung vorzubeugen, ist seelisches Interesse am anderen, Sprechen, Sprechen und nochmals Sprechen und schließlich LIEBE.
Autor: Jürgen Kühn
Thema: Emotionale Vernachlässigung in der Ehe
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