Autorin: Marion Schön
Die Diätetik oder Chinesische Ernährungstherapie gehört neben der Akupunktur, der Arzneimittellehre, Tuina und Qi Gong zu einer der 5 Säulen der Traditionellen Chinesischen Medizin. Sie nimmt in diesem System eine viel bedeutendere Rolle als in der westlichen Medizin ein. Präventiv werden Wohlbefinden und Gesunderhaltung gestärkt, aber auch die Entstehung und der Verlauf von Krankheiten können positiv beeinflusst werden.
Die Nahrungsmittel werden als Hauptenergiequelle und als mildes Arzneimittel mit wichtigem therapeutischem Wert betrachtet. Dies ist ebenso einfach wie wirkungsvoll. Die Ernährungsempfehlungen nach diesem Prinzip nutzen die energetische Wirkung der Nahrung auf den Körper, stärken gezielt den Organismus und bringen den Energiehaushalt wieder ins Gleichgewicht. Ziel der Ernährung nach TCM ist ein starkes Qi und die Balance von Yin und Yang.
Anders als in der westlichen Medizin werden die Lebensmittel ihrem Temperaturverhalten, der Geschmacksrichtung und dem Funktionskreis zugeordnet.
Temperaturverhalten
Das Temperaturverhalten beschreibt die energetische Dynamik eines Lebensmittels auf den Organismus. Die Einteilung erfolgt in: heiß, warm, neutral, kühl und kalt.
So zählen beispielsweise getrockneter Ingwer, Zimt, Curry und Chili zu den Gewürzen mit heißem Temperaturverhalten. Sicherlich kennt jeder den stark wärmenden Effekt eines mit Chili oder Curry gewürzten Gerichts, mitunter kommt man regelrecht ins Schwitzen.
Zu den Nahrungsmitteln mit warmen Temperaturverhalten gehören Wacholder, Thymian, Rosmarin, aber auch Fenchel, Frühlingszwiebel und Pastinake. Sowohl heiße als auch warme Nahrungsmittel wirken wärmend und somit Yang stärkend auf den Körper. Diese Wirkung können wir etwa bei einer beginnenden Erkältung nutzen. Hier haben wir es meistens mit einem Angriff von Wind Kälte zu tun. Um die Kälte zu vertreiben, sollten wir warme bis heiße Nahrungsmittel zu uns nehmen, die das Schwitzen und Öffnen der Poren unterstützen und somit den pathogenen Faktor ausleiten. In diesem Fall kann eine leichte Gemüsesuppe mit Frühlingszwiebeln oder geraspeltem Rettich oder ein Ingwertee mit Datteln, Sternanis und Nelken wunderbar die Kälte aus dem Körper ausleiten und ein tieferes Eindringen des pathogenen Erregers verhindern. Ein übermäßiger Verzehr von warmen und heißen Lebensmitteln kann, je nach Konstitution des Patienten, innere Hitze begünstigen und sollte in diesem Fall gemieden werden.
Kühle und kalte Nahrungsmittel wirken kühlend, sie stärken das Yin und beruhigen den Geist. Lebensmitteln mit kaltem Temperaturverhalten sind unter anderem Joghurt, Tomate, Wassermelone und Algen. Kühles Temperaturverhalten weisen beispielsweise Weizen, Champignon, Radieschen, Brokkoli und Mungbohnen auf. Die Yin stärkende Wirkung des Weizens kann typische Wechseljahresbeschwerden wie Hitzewallungen, Nachtschweiß und Schlafstörungen lindern.
Diese Symptome sind meist ein Hinweis auf ein zu schwaches Yin, woraus eine leere Hitze entsteht. Das bedeutet das schwache Yin kann das Yang nicht mehr ausreichend ankern und das Yang steigt nach oben. So werden in einem bekannten chinesischen Rezept „Gan Mai Da Zao Tang“ die kühlende und Yin stärkende Wirkung des Weizenkeims in Kombination mit Süßholz und Chinesischen Datteln bei Schlafstörungen, innerer Unruhe und depressiver Verstimmung angewendet. Im Übermaß verzehrt, können kühle und kalte Nahrungsmittel wiederum innere Kälte und Feuchtigkeit erzeugen.
Neutrale Lebensmittel wirken harmonisierend und ausgleichend. Sie sollten regelmäßig in den Speiseplan eingebaut werden, da sie Yin und Yang gleichermaßen nähren, das Qi stärken und den Mensch dadurch in eine gute Balance bringen. Die meisten Grundnahrungsmittel wie z.B. Getreide, Kartoffeln, Hirse oder Reis gehören dazu.
Zubereitungsart
Aber nicht nur die Auswahl der Lebensmittel hat einen Bezug auf ihre Wirkung, sondern auch die Art der Zubereitung ist daran beteiligt. Ein gedünstetes Gericht oder blanchiertes Gemüse wird eher das Yin nähren, wohin gegen lange gekochte Speisen wie z.B. Eintöpfe, Suppen oder das Braten eine Yang stärkende Kraft auf den Körper ausüben.
Die Geschmäcker
Ein weiteres wichtiges Zuordnungsmerkmal sind die Geschmäcker. Die Chinesische Ernährungslehre kennt fünf Geschmacksrichtungen: sauer, bitter, süß, scharf und salzig. Laut TCM ernährt der Geschmack die Organe. Jede Geschmacksrichtung ist einem Element und seinem dazu gehörenden Funktionskreis zugeordnet.
Der saure Geschmack wird dem Element Holz zugeordnet und beeinflusst Leber und Gallenblase. Schon bei der Vorstellung in eine Zitrone zu beißen, lässt sich der Effekt des sauren Geschmacks sehr gut nachempfinden. Er wirkt zusammenziehend, Yin nährend und Säfte bewahrend, d.h. er ist dabei behilflich den Körper bei Trockenheit und Substanzmangel zu nähren und zu befeuchten. So werden in der TCM gerne Bocksdornfrüchte (Gojibeeren) bei trockenen Augen, verschwommener Sicht und Nachtblindheit eingesetzt.
Die Augen als Sinnesorgan sind dem Element Holz zugeordnet. Auch werden Nahrungsmittel mit einer stark adstringierenden Wirkung (Heidelbeere, Johannisbeere) bei einem Flüssigkeitsverlust wie z. B. bei Durchfall verwendet.
Allerdings muss man bei Ansammlungen von Feuchtigkeit vorsichtig den sauren Geschmack dosieren, da er die Anhäufung von Flüssigkeiten begünstigt. Weiterhin sollte die adstringierende Wirkung bei beginnender Erkältung gemieden werden. Sauer besitzt die Eigenschaft äußere pathogene Faktoren wie z.B. Wind und Kälte noch mehr in das Körperinnere zu ziehen. So ist aus Sicht der TCM eine heiße Zitrone in diesem Stadium kontraindiziert. Hingegen wird die nach innen und unten leitende Wirkung eines ungesüßten Kaffees in Kombination mit einem Spritzer Zitronensaft bei aufsteigendem Leber Yang wie z.B. Kopfschmerzen wunderbar Abhilfe schaffen. Durch den bitteren Geschmack des Kaffees und der zusammenziehenden Kraft der Zitrone wird die hochschießende Energie wieder sanft nach unten geleitet. Ein übermäßiger Verzehr aber kann Qi- und Blutstagnationen verstärken. Daraus resultiert ein erhöhter Muskeltonus, Sehnen und Bänder werden starr und sind nicht mehr ausreichend flexibel. Eine genaue Diagnose bei der therapeutischen Anwendung von Nahrungsmitteln ist also unverzichtbar.
Der bittere Geschmack ist dem Element Feuer und dem Funktionskreis Herz und Dünndarm zugeordnet. Bittere Nahrungsmittel unterstützen und stärken, durch die Hitze klärende und Feuchtigkeit ausleitende Wirkung, das Herz und die von ihm kontrollierten Blutbahnen. Den anregenden Effekt auf Herz und Kreislauf spüren wir beim Konsum von Kaffee, Tee, Kakao und Rotwein. Bitter ist absenkend und trocknend, fördert die Verdauung, beseitigt Nässe und Feuchtigkeit und begünstigt die Diurese. Indikationsgebiete sind vor allem Nahrungsstagnationen, Nässe- und Feuchtigkeitsansammlungen sowie Schleimerkrankungen. Alle sehr bitter schmeckenden Kräuter wie Thymian, Rosmarin, Oregano, Wermut wirken Wasseransammlungen entgegen. Dem Nährboden von Pilzerkrankungen, auch als Feuchtigkeit im unteren Erwärmer bekannt, wird durch die Auswahl bitterer Kräuter keine Chance gegeben. Die Verwendung von bitteren Kräutern und Gewürzen unterstützt und verstärkt die Verdauung. Durch die Bitterstoffe wird die Produktion von Speichel, Magensaft, Gallenflüssigkeit und Bauchspeicheldrüsensekret angeregt. Der durch die Bitterkomponenten aktivierte Stoffwechsel signalisiert Sättigung und reduziert Heißhunger auf Süß. Da der natürlich bitter schmeckende Geschmack meist als unangenehm empfunden wird, wurde im Lauf der Jahre ein Großteil dieser Stoffe weggezüchtet. Kräuter, Salate und Gewürze müssen daher für therapeutische Zwecke gezielt ausgesucht werden. Im Übermaß verstärken bittere Lebensmittel Yin- und Blutleere, so dass sie den Schlaf stören und andere Beschwerden wie innere Unruhe oder auch Obstipation verstärken.
Der süße oder auch neutrale Geschmack ist dem Element Erde zugeordnet. Er stärkt den mittleren Erwärmer mit den Organen Magen und Milz. Die Vorliebe auf Süß ist angeboren und schon im Mutterleib nimmt das Ungeborene den süßen Geschmack des Fruchtwassers wahr. Im Laufe der Evolution hat der Mensch gelernt, dass der süße Geschmack genießbar d.h. für ihn nicht giftig ist und er ihn für die Energiegewinnung verwenden kann. Süß wirkt entspannend und harmonisierend, weshalb bei Stress oftmals Lust darauf verspürt wird. Um jedoch die positiven Wirkungen zu nutzen, muss auf die natürliche Süße zurückgegriffen werden, die beispielsweise in Grundnahrungsmitteln wie Getreide, Gemüse und Hülsenfrüchten enthalten sind.
Sie wirken aufbauend, ernährend, befeuchtend und geben Energie. Als optimaler Start am Morgen empfiehlt sich ein gekochter Getreidebrei. Ein warmes Frühstück hält lange satt, gibt den nötigen Energie-Kick für den Tag und wärmt angenehm. Heißhunger auf Süß wird dadurch der Vergangenheit angehören. Der süße Geschmack verteilt das Qi gleichmäßig im ganzen Körper und sollte den Hauptanteil unserer Nahrung ausmachen. Zur Verbesserung der Bekömmlichkeit und Anregung der Verdauung werden die anderen vier Geschmäcker in kleineren Mengen z.B. in Form von Küchenkräutern gezielt verwendet. Ein übermäßiger Verzehr süßer Speisen schwächt die Mitte und verursacht Feuchtigkeits- und Schleimerkrankungen, die auf lange Sicht zu gesundheitlichen Problemen wie Übergewicht, Ödemen, Müdigkeit oder vermehrter Produktion von Schleim in den Atemwegen etc. führen.
Der scharfe Geschmack ist dem Element Metall und dem Funktionskreis Lunge/Dickdarm zugeordnet. Wenn wir etwas Scharfes essen wie z.B ein Chiligericht wird uns warm und wir beginnen zu schwitzen. Der scharfe Geschmack bewegt die Energie nach oben und außen. Er ist dynamisierend, zerteilend und löst Stagnationen. Im Anfangsstadium einer Erkältung ist er ideal, um Pathogene nach außen an die Oberfläche abzuleiten. In alten Texten der Chinesischen Medizin steht geschrieben: „Das Scharfe tritt als Geschmack in den Körper ein und verlässt ihn wieder über den Schweiß.“ Diese ausdehnende Bewegung, also das Öffnen und Schließen der Poren wird auch Abwehr Qi (Wei Qi) genannt. Scharf stärkt also unser Immunsystem. Wie schon am Anfang erwähnt, kann eine wärmende, scharfe Suppe unsere Abwehr stärken. Durch die Förderung des Qi und Blutflusses wird zusätzlich die Verdauung angeregt, das Gefühl von Völlegefühl und Blähungen werden reduziert. Darüber hinaus wirkt die dynamisierende und anregende Kraft nebenbei als Tonikum bei niedrigem Blutdruck oder zur Libidosteigerung. Aber man sollte scharfe Nahrungsmittel mit Vorsicht einsetzen. Bei übertriebenem Genuss führen sie schnell zu Trockenheitszuständen und schädigen das Blut und die Körpersäfte. Wer unter Sodbrennen, trockener Haut, nächtlichem Schwitzen oder Verstopfung leidet, sollte daher scharfe Nahrungsmittel eher meiden.
Der salzige Geschmack ist dem Element Wasser und dem Funktionskreis Blase/Niere zugeordnet. In Maßen genossen stärkt salzig die Nieren. Es löst Stagnationen, wirkt befeuchtend und absenkend, fördert die Diurese und den Stuhlgang. So wird gerne vor Beginn einer Fastenkur mit Glaubersalz der Darm entleert. Das Glaubersalz weicht den Stuhl auf und wirkt abführend. Ein weiteres Anwendungsgebiet ist eine Rhinitis. Mehrmals tägliches Spülen der Nasengänge mit einer Kochsalzlösung z. B. mit einer Nasendusche wirkt wunderbar befreiend und Schleim lösend. Doch ein übermäßiger Verzehr salziger Speisen schwächt das Nieren-Qi. Durch den hohen Salzgehalt industriell gefertigter Lebensmittel wie Pizza, Wurst, Knabbergebäck etc. konsumiert der Großteil der Bevölkerung zu viel Salz. Die austrocknende Wirkung macht sich schnell durch ein erhöhtes Durstgefühl bemerkbar. Ein weiterer Effekt neben Durst ist die Entstehung von Hitze und eine Austrocknung der Körpersäfte. Dies wirkt sich schädigend auf die Gefäße aus, begünstigt einen Bluthochdruck und Herz Kreislaufprobleme. Zusätzlich wird der Hunger auf Süß verstärkt. Salz als Vertreter des salzigen Geschmacks ist in seiner Wirkung nicht mit der Gruppe der in der Natur vorkommenden salzigen Nahrungsmittel vergleichbar. Ihre Liste ist relativ klein. Vor allem Fische, Meeresfrüchte, Miso und Algen, die in Maßen genossen Knochen, Haare und ganz allgemein die Niere stärken, fallen darunter.
Allgemeine Empfehlungen
Möchten wir ein Gericht nach der Ernährungslehre der Chinesischen Medizin zubereiten, sollten wir bei der Auswahl der Lebensmittel auf regionale & saisonale Produkte und nach Möglichkeit auf Bio Qualität achten. Fertigprodukte oder industriell erzeugte Nahrungsmittel sind besser zu meiden. Am besten zwei gekochte Mahlzeiten am Tag genießen und den Verzehr von Rohkost relativ gering halten. Denn durch die Verstoffwechslung von Rohkost wird der Verdauungstrakt eher geschwächt. Eine ballaststoffreiche, nach den 5 Elementen ausgewogene und frisch gekochte Mahlzeit stärkt das Qi, unterstützt alle Organe in ihrer Funktion und ist langanhaltend sättigend. Nebenbeschäftigungen wie Lesen, Fernsehen, Arbeiten etc. sind nicht empfehlenswert. Nur ein Essen in entspannter Atmosphäre und in Ruhe genossen, dazu zählt auch ein gründliches langsames Kauen der Nahrungsmittel, kann wirklich vollständig verdaut werden.
Die chinesische Ernährungslehre bietet uns mühelos die Möglichkeit aktiv auf unsere Gesunderhaltung einzuwirken und Körper, Geist und Seele in Balance zu halten.
Autor: Marion Schön, Heilpraktikerin
Thema: Ernährungsweise nach der Chinesischen Ernährungslehre
Webseite: http://www.tcm-praxis-schoen.de
Literatur:
- Katharina Ziegelbauer: TCM Praxis – traditionelle Chinesische Medizin – Einfache Anwendungen in der Ernährung 06. Juni 2019
- Andreas Kalg: Chinesische Arzneipflanzen Wesensmerkmale und Klinische Anwendung 1. Auflage 2009
- Christiane Seifert: Die 5 Elemente Küche gesund essen nach der chinesischen Ernährungslehre Oktober 2007
- Uwe Siedentopp: Deutsche Zeitschrift für Akupunktur 59, 41-44 (2016) Bitter – mehr als ein Geschmack
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