Verpiss Dich! Partnerschaft zwischen Gereiztheit und Gelassenheit

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Es ist wieder soweit. Mitten im zuvor freundschaftlichen Gespräch wechselt meine Freundin Anne schlagartig die Tonart, wird angriffslustig, legt jedes meiner Worte auf die Goldwaage, schlägt mit der flachen Hand auf den Tisch, springt schließlich wutentbrannt auf und rauscht aus dem Zimmer. Dabei ist sie keine echte Cholerikerin. Sie ist nicht prinzipiell leicht erregbar, unausgeglichen, jähzornig und zu Wutausbrüchen neigend, wie die Definition lautet. Nein, sie ist einfach hungrig! Schließlich fastet sie seit nun mehr als 5 Tagen und verzichtet auf Frühstück, Mittagessen und Abendbrot. Ihr Magen rumort, wie das drohende Knurren eines hungrigen Wolfes. Im Fachjournal Plos One wurde kürzlich eine Studie der Anglia Ruskin University (ARU) in Cambridge veröffentlicht, die den Zusammenhang zwischen sinkendem Blutzuckerspiegel und Reizbarkeit untersuchte. Sie kam zu dem Ergebnis, dass nicht nur emotionale Faktoren bei ständiger Reizbarkeit eine Rolle spielen können, sondern auch ein niedriger Blutzuckerspiegel. Wer fastet oder mit dem Rauchen aufhört leidet unter Entzugserscheinungen.

Auch die Nebenwirkungen verschiedener Medikamente, hormonelle Unregelmäßigkeiten oder Schlafmangel können eine Ursache für Reizbarkeit sein. Immerhin jeder 3. leidet unter Schlafmangel, bei den 19 bis 29-jährigen hat sich die Zahl der Schlaflosen in den letzten 10 Jahren sogar verdoppelt. Womit wir bei der zweiten Erklärung für Annes Reizbarkeit wären: Seit der CoronaPandemie arbeitet sie im Homeoffice. Ihre Partnerschaft gestaltet sich zunehmend schwierig, und sie findet kaum Möglichkeiten abzuschalten. Der Chef schickt auch um 22 Uhr noch eine Mail, die beantwortet werden soll, die Auftragslage ist insgesamt schlecht, meine Freundin wird von Existenzsorgen geplagt. Es geht ihr wie vielen Anderen, die sich in einer Ausnahmesituation befinden. Man droht an der Gesamtsituation zu verzweifeln.

Die meisten Menschen erleben in ihrem Leben mitunter Phasen von Unzufriedenheit, Einsamkeit oder Überlastung und Schmerz. Oft ist daran nicht der Partner schuld, sondern einfach das Leben selbst, das nun mal kein Rosengarten ist. Dazu kommt, dass wir vielfach schlicht keine Ahnung haben, was emotional mit uns los ist. Denn obwohl wir alle fühlen können, wissen wir trotzdem manchmal nicht, was sich unter den aufflammenden Emotionen verbirgt. Das Donald Trump als Prototyp des reizbaren, unkontrollierten und launischen Grantlers von jedem Erstsemester in Psychologie enttarnt werden kann in seiner Unsicherheit, nützt ihm selbst zunächst wenig. Wir müssen uns fragen: Bin ich wirklich unzufrieden mit dem Partner - oder von ihm verunsichert?

Bin ich hungrig - oder äußert sich meine Wut als Hunger? Sind möglicherweise Gefühle aus der Vergangenheit getriggert worden? Es lohnt sich genauer hinzusehen und die eigenen Gefühle zu hinterfragen. Wir sind für die Folgen unserer Emotionen selbst verantwortlich, niemand macht mich wütend, wenn in mir nicht schon ein Gefühl schlummert, das damit in Resonanz geht. Inzwischen hat sich meine Freundin wieder beruhigt. Sie hat bei einer Jogging-Runde um den Block Dampf abgelassen.

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Jetzt sitzen wir bei einer Tasse Tee und denken gemeinsam über Strategien nach. Lösungen für beide Seiten, für die Reizbaren und für diejenigen, die mit der Gereiztheit konfrontiert werden. Veränderung setzt Einsicht voraus, insbesondere aber die Erkenntnis, dass ich niemanden ändern kann, nur mich selbst. Gehöre ich also zu der Fraktion der Aufbrausenden, entrüsteten, leicht erregbaren Wutschnaubenden, mache ich es sicher längst wie Anne: Ich übernehme Verantwortung für die Auswirkungen meiner Gefühle, gehe ihnen auf den Grund und suche mir dazu womöglich professionelle Hilfe. Ich frage mich, was ich konkret tun kann, damit ich mich besser fühle. Mangelnde Selbstfürsorge ist eine häufige Ursache für Unzufriedenheit.

Seit einiger Zeit kann Anne es ihrem Mann Peter gar nicht mehr recht machen. Kocht sie, putzt er ihr hinterher. Fragt sie beim gemeinsamen Spaziergang, ob sie an der nächsten Ecke rechts oder links gehen, fährt er sie an, dass sie doch nicht ständig alles kontrollieren müsse, er wisse schon welchen Weg sie gehen müssten. Im gemeinsamen Gespräch gibt es nichts, was sie vorbringen kann, ihre Beiträge sind entweder dumm, oder unreflektiert, sie könne nicht denken und laufe Binsenweisheiten hinterher. Spricht sie ihn darauf an, dass sie sich nicht wertgeschätzt fühlt, wehrt er ab und entgegnet, sie solle nicht so empfindlich sein. Anne fühlt sich ungerecht behandelt, nicht wertgeschätzt und nicht gesehen. Peter ist genervt von Annes Art zu kochen, zu gehen, zu essen und sogar von ihrer Art zu atmen. Die Situation scheint festgefahren, weil Peter Anne daran Schuld gibt ihn zu triggern. Anne findet Peter zunehmend ungenießbar, sie wird selbst mürrisch und abweisend. So schaukelt sich die Situation weiter und weiter auf, bis …..ja, was wird wohl als nächstes passieren? Zwei Varianten sind denkbar.

  • Anne erträgt die Geringschätzung nicht mehr und reicht die Scheidung ein. Peter kämpft verbissen um sein Recht, er versteht nicht warum Anne so ein Theater veranstaltet und lässt es zum Rosenkrieg kommen. Er ist froh, sie loszuwerden.

  • Anne und Peter erkennen, dass sie Unterstützung benötigen und vereinbaren einen Termin beim Paarberater. Sie verstehen, dass beide sich zunächst über ihre eigenen Gefühle klar werden müssen, bevor sie sie ihrem Partner zur Last legen. Peter sucht sich einen Ausgleich, indem er seine Freundschaften wieder mehr pflegt, Anne schafft sich gezielt Ruhepausen und hält diese auch ein. Beide lernen Selbstfürsorge. Sie beginnen Kommunikationstools zu nutzen, wie zum Beispiel „Ich-Botschaften“ und gestalten ihren Austausch neu. Dadurch erleben sie ihre Zweisamkeit wieder als bereichernde Erfahrung.

Dieses zweite Szenario muss keine Märchenerzählung sein. Beziehung lebt immer von beidseitigem Verständnis für das So-sein des Anderen und von der Bereitschaft, etwas füreinander zu tun. Wie kann das gelingen?

Die erste Regel lautet: Du wirst nie von jemandem destruktiv kritisiert werden, dem es emotional besser geht. Wir sind selten die Ursache für die Gefühlsausbrüche unserer Liebsten. Es reicht zunächst, sich nicht vom akuten Gefühlsstrudel des Anderen mitreissen zu lassen und ein ruhiges, neutrales Statement zu setzen. „Ich finde dein Verhalten mir gegenüber unangemessen und beende vorläufig das Gespräch an dieser Stelle“. Damit ist eine Grenze markiert und der Standpunkt klargemacht. In einer ruhigeren Konstellation kann man dann noch einmal nachhaken. Was hat Dich so aufgeregt, was war los mit dir? Der Zorn eines Partners mag völlig unberechtigt sein, könnte aber die Augen öffnen für etwas, was in der Beziehung bislang übersehen wurde. Aufmerksames Zuhören ist eines der wertvollsten Geschenke, das man einem Anderen geben kann. Die französische Philosophin Simone Weil wusste, dass Zuhören „die seltenste und reinste Form der Großzügigkeit“ ist.

In einer Liebesbeziehung kann man fragen: Was kann ich tun, damit es Dir besser geht? Und wenn die leidigen Themen zur Sprache kommen, ist nichts wichtiger, als genau hinzuhören. Nichts nimmt einem überforderten, gereizten Partner mehr die Luft aus den Segeln und damit die Last von den Schultern, als der Satz: „Lass mich das für dich tun!“

Hier geht es nicht um die mangelnde Fähigkeit Grenzen zu setzen. Eine Partnerschaft ist kein Bedürfnisbefriedigungsbüro. Wer mit sich selbst zufrieden ist, wer ganz bei sich bleiben kann, muss keine Zäune um sich ziehen. Hier geht es nur um die Unterstützung des emotional bedürftigeren Partners. Oft steckt hinter dem ruppigen Verhalten das unausgesprochene Bedürfnis nach Bindung. Der Konflikt wird generiert, als eine unbewusste Möglichkeit, wieder in Kontakt zu kommen. Reibung erzeugt Wärme. Die Herausforderung liegt darin, die verbindenden Elemente in der Auseinandersetzung zu finden. Für beide Seiten gilt: Was Du vom Anderen erwartest, schenkst Du Dir selbst nicht. Um die eigenen unerfüllten Bedürfnisse zu stillen, kann es nötig sein, genau das zu schenken, wessen man selbst am meisten bedarf.

Autor: Anna von Oertzen
Thema: Partnerschaft zwischen Gereiztheit und Gelassenheit
Webseite: https://www.annavonoertzen.net

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