Viele Eltern kennen es: Kinder und Jugendliche zeigen respektloses Verhalten gegenüber den eigenen Familienangehörigen, Pädagog*innen, Betreuungspersonen, etc.
Der Haussegen hängt schief, es wird gestritten, geschrien, beleidigt, Türen geschlagen, ignoriert….Pädagog*innen und Erzieher*innen und Eltern sind alarmiert.
Sind respektlose Kinder ein Zeichen unserer Zeit?
Zitate, wie z. B.
- Die Jugend achtet das Alter nicht mehr, zeigt bewusst ein ungepflegtes Aussehen, sinnt auf Umsturz, zeigt keine Lernbereitschaft und ist ablehnend gegen übernommenen Werten“[1], entstammt einer Tontafel der Sumerer ca. 3000 v. Chr.
- Oder Sokrates, „Die Kinder von heute sind Tyrannen. Sie widersprechen ihren Eltern, kleckern mit Essen und ärgern ihre Lehrer“[2]
- Und Aristoteles war der Meinung: „Ich habe überhaupt keine Hoffnung mehr in die Zukunft unseres Landes, wenn einmal unsere Jugend die Männer von morgen stellt. Unsere Jugend ist unerträglich, unverantwortlich und entsetzlich anzusehen“[3]
zeigen, dass junge Menschen schon in alten Kulturen im Kreuzfeuer der Kritik standen, aufgrund ihres Verhaltens, ihrer Eigenschaften und ihrer Persönlichkeiten. Doch zuerst ein Blick auf das Thema Respekt und die Frage:
Was ist Respekt und ist er überhaupt noch zeitgemäß?
Respekt wird als sozialer Kit in der Gesellschaft gesehen. Ohne Respekt wären unsere Beziehungen und unser soziales Verhalten nicht möglich. Es erlaubt ein menschliches Miteinander. Respekt von anderen Menschen zu erhalten, ist ein großer und wichtiger Wunsch der Menschen. Allerdings Respekt bekommen erfordert auch, dass man mit sich selbst respektvoll umgeht.
Schon Immanuel Kant wies 1785 daraufhin, dass Respekt gegenüber der eigenen Person wichtig sei. Denn, so Kant, „wer sich selbst respektiert, achtet seine eigene Würde als Mensch….Selbstrespekt ist eine zentrale Voraussetzung für ein selbstbestimmtes Leben.“ Erst über die Selbsterkenntnis können andere Menschen als gleichwertig angesehen werden.
Fazit: Respekt ist auch im 21. Jahrhundert eine wichtige Voraussetzung für ein friedliches, gedeihliches und menschliches Miteinander in Familie, Schulen, Erziehungseinrichtungen, Organisationen etc..
Ist Respekt gleich Respekt?
Verstanden wird Respekt, z. B. von älteren Generationen im Sinne von „Höflichkeit“. Für Andere ist Respekt gleichzusetzen mit „Achtung, Anerkennung oder Wertschätzung“. Im Arbeitskontext wird darunter auch Gehorsam und Autorität verstanden, im Sport wird Respekt oftmals gleichgesetzt mit Fairness. Im gesellschaftlichen Sinne spricht man von Toleranz. Hat man Unbehagen oder Angst vor Herausforderungen, Prüfungen oder Begegnungen, auch mit Tieren, spricht man ebenfalls von „Respekt haben“.
Respekt ist eine innere Haltung. Schon Kinder spüren, ob sie einen authentischen respektvollen Umgang erleben oder der Respekt nur aufgesetzt ist, um sie zu manipulieren. Sie nehmen instinktiv die Grundhaltung des Erwachsenen wahr, die dahintersteht.
Respektloses Verhalten im Umkehrschluss ist nicht nur die Abwesenheit eines respektvollen Umgangs, sondern es beschädigt Ansehen, Würde, Persönlichkeit und Identität eines Menschen und verletzt, misshandelt oder demütigt.
Die Fachwelt unterscheidet einerseits den respektvollen Umgang miteinander und meint damit „Achtung“. Andererseits kann man anderen Menschen Respekt entgegenbringen und deren Leistungen würdigen, z. B. bei Sportlern, Künstlern.
Wie äußert sich respektloses Verhalten bei Kindern?
Respektloses Verhalten von Kindern gegenüber Erwachsenen zeigt sich in verschiedenen Verhaltensweisen:
- Verbale Entgleisungen (Schimpfwörter, Schreien, Beleidigungen, Wutanfälle, verbale Übergriffe, abfällige Bemerkungen über Geschlecht, Herkunft, Aussehen, Alter, Hautfarbe, Demütigungen, Erniedrigungen..)
- Nonverbales Verhalten (abfällige Gesten, herabwürdigende Mimik, Türen schlagen, Ignoranz..)
- Passive Aggressionen (Ignorieren von Eltern, Nichtausführen von Arbeitsaufträgen, Nichtachtung von Autoritäten..)
- Aktive Aggressionen (körperliche Gewalt,..)
Diese Liste ließe sich sicher beliebig erweitern. Wichtig ist die Abgrenzung von Respektlosigkeit zu pathologischen Störungen von Kindern und Jugendlichen.
Wann wird aus Respektlosigkeit der Kinder eine ernstzunehmende psychiatrische Störung?
Ein Beispiel dafür ist die Störung (F91.0[4]): Auf den familiären Rahmen beschränkte Störung des Sozialverhaltens.
Diese umfasst dissoziales oder aggressives Verhalten (und nicht nur oppositionelles, aufsässiges oder trotziges Verhalten), das vollständig oder fast völlig auf den häuslichen Rahmen oder auf Interaktionen mit Mitgliedern der Kernfamilie oder der unmittelbaren Lebensgemeinschaft beschränkt ist.[5]
Störungen des Sozialverhaltens bedeutet nicht kindischen Unfug oder Aufmüpfigkeit, frech und respektlos sein oder die Auflehnung (pubertierender) Jugendlicher. Es wiegt schwerer – es ist geprägt von dissozialem und aggressivem Verhalten, welches sich wiederholend und anhaltend zeigt. Sozialgestörte Kinder und Jugendliche sind schon sehr heftig „drauf“. Streit, Tyrannei, Grausamkeiten, Tierquälerei, kriminelle Handlungen in Form von Eigentumsdelikten, Körperverletzung etc.. Oftmals fallen sie den Behörden und Pädagog*innen schon früh im Kindesalter und im Schulalter auf, da sie aus der alterstypischen Norm des sozialen Verhaltens fallen.
Was heißt das nun konkret für betroffene Eltern, Erzieher*innen, Lehrer*innen etc.?
Wie können Eltern feststellen, ob die eigenen Kinder ein alterstypisches, eher oppositionelles Trotzverhalten, an den Tag legen oder sich in Form aggressiven Verhaltens, beobachtbar gegenüber Mensch und Tier, zeigen?
Hier helfen Gespräche mit Kontaktpersonen der Kinder, wie z. B. Lehrer*innen, Erzieher*innen, Betreuungspersonen. Durch fundiertes Wissen und langjährige Erfahrung haben sie ein fast untrügliches Gespür dafür, ob sich das Verhalten des Kindes eher „normal“ oder normal mit leichter Abweichung ins Respektlose darstellt oder eher heftig oder sehr heftig von der altersüblichen Norm abweicht.
Schnell ärgerlich werdende Kinder, Kinder, die nicht gehorchen und sich Anweisungen und Regeln widersetzen oder ständig Andere beschuldigen, schnell beleidigt sind oder schnell beleidigend werden. Sich wegen allem und jedem mit anderen Menschen anlegen, womöglich selbst sehr empfindlich und nachtragend sind und vielleicht auch noch boshaftes Verhalten zeigen – all das, so nervig und anstrengend dies für Eltern sein mag – diese Verhaltensweisen fallen eher in das Raster des normalen Verhaltens.
Sollten aber ständig Gegenstände zerstört werden, egal ob eigenes Eigentum oder Fremdeigentum, Lebewesen gequält werden, Waffen eingesetzt werden, Grausamkeiten verübt oder körperliche und seelische Gewalt an den Tag gelegt werden, sich die Verhaltensweisen immer stärker kriminalisieren, verschiedentliche Behörden sich bei den Eltern melden, dann wäre es an der Zeit, Fachleute einzuschalten, um gegebenenfalls auch rechtzeitig Maßnahmen einzuleiten.
Ist die Fähigkeit „Respekt entgegenzubringen“ angeboren oder wird sie den Kindern anerzogen: Gene (Anlage) versus Erziehung (Umwelteinflüsse)?
Menschliches Verhalten basiert auf einer genetischen Grundlage – wird aber durch Umwelteinflüsse (Erziehung, etc.) angepasst.
Spielen Gene und Umwelterfahrungen im menschlichen Gehirn zusammen, wird Ausmaß und Richtung bestimmt, in welches Wachstum der Nervenzellen und die Verschaltung in den Synapsen gesteuert werden kann. So ist das „soziale“ Lächeln angeboren, welches wir Menschen schon früh im Leben zur Festigung von Bindungen und zur Kommunikation einsetzen, auch bei blinden Menschen erkennbar.
Welche Erziehung zum respektvollen Umgang könnten Eltern ihren Kindern angedeihen lassen?
Schon in frühen Lebensjahren erlernen die Kinder, was erwünschtes und weniger erwünschtes Verhalten ist. Sie nehmen sich uns Erwachsene zum Vorbild. Was können wir als Eltern tun?
- Eine stabile und intensive Bindung an eine Bezugsperson ist die Basis für eine gesunde psychische und physische Entwicklung eines Kindes. Kinder, die Fürsorge und Schutz erfahren haben, entwickeln eine gesunde, stabile Persönlichkeit und sind offen für ihre Mitmenschen. So kann schlechtes Benehmen der Kinder sich gar nicht erst kultivieren, denn Bindungsstörungen führen zu Verhaltensauffälligkeiten.
- Kinder, die von ihren Eltern Mitgefühl beigebracht bekommen, haben die besten Voraussetzungen auch als Heranwachsende Mitgefühl gegenüber Lebewesen, Flora und Fauna, Eigentum anderer etc. zu zeigen. Zeigt sich ein Kinder ungezogen, können Eltern direkt und höflich erklären, warum es durch sein Verhalten andere Menschen verletzt.
- Respektloses Verhalten sollte auch gleich von den Eltern angesprochen werden und mit einer Erklärung versehen werden, warum das Verhalten des Kindes respektlos war. Eventuell gibt es sogar einen Grund, warum Kinder sich respektlos verhalten?
- Respektloses Verhalten hat Konsequenzen in der Erziehung, wenn Kinder dies erfahren, kann man seiner Forderung nach einem respektvollen Umgang Nachdruck verleihen.
- Streit, Machtkämpfe, Geschrei etc. sollte im Gespräch vermieden werden. Am besten, aber auch am schwierigsten ist es für Eltern, in solchen Situationen ruhig und gelassen zu bleiben.
- Aufrichtig und ehrlich gegenüber den Kindern zu sein - in altersgemäßer Art und Weise - gibt den Kinder Sicherheit. Kinder spüren genau, ob etwas ehrlich gemeint ist.
- Wenn Eltern sich einen respektvollen Umgang der Kinder mit deren Umfeld wünschen, sollten auch die Eltern einen respektvollen Umgang mit den Kindern pflegen, so werden Kränkungen auf allen Seiten vermieden, z. B. Achten der Grenzen der Kinder und ihrer Privatsphäre.
- Sind Eltern mit ihrem Latein am Ende, gibt es viele Ansprechpartner in Schule, karitativen Einrichtungen, Therapeut*innen etc., die mit Rat und Tat unterstützen können.
Eltern haben einen großen Einfluss auf die Entwicklung ihrer Kinder, auch, was den Respekt und den respektvollen Umgang mit anderen Lebewesen betrifft.
Lernen Kinder einen respektvollen Umgang mit anderen Menschen kommt ihnen dies in ihrem Leben immer wieder zugute, sei es in Schule, Beruf, Ausbildung, Familie und Freunde.
Autor: Petra Kirstein, Heilpraktikerin für Psychotherapie
Thema: Respektloses Verhalten bei Kindern
Webseite: https://www.psychotherapie-kirstein.de
Quellen:
- [1] Tontafel der Sumerer, ca. 3000 v. Chr.
- [2] Sokrates, 470-399 v. Chr.
- [3] Aristoteles, 384-322 v. Chr.
- [4] codiert im ICD-10 (= Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme, 10. Revision).unter dem Kapitel V, F90-F98: Verhaltens- und emotionale Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend; https://www.icd-code.de/icd/code/F90-F98.html, Zugriff am 19.07.2021
- [5] https://www.icd-code.de/suche/icd/code/F91.-.html?sp=Ssozialverhalten
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