Petra* und Ben* sind seit 17 Jahren ein Paar, 12 Jahre davon verheiratet. Sie lernten sich mit Mitte 20 kennen und 6 Jahre später kam ihr Sohn Leon* auf die Welt. Ben machte Karriere, Petra betreute Leon und arbeitet nach der Elternzeit in Teilzeit. Ihr Zusammenleben beschreiben sie als harmonisch, Sex würde jedoch seit mehreren Jahren keine Rolle mehr spielen. Sie seien eine „gute WG“. Beide seien traurig und hilflos, Trennung stünde schon seit längerem im Raum, sei aber aufgrund des gemeinsamen Sohnes bislang nicht erfolgt.
Renate* und Jürgen*, beide Ende 50, sind seit 29 Jahren zusammen. Die gemeinsame Tochter ist erwachsen und ausgezogen. Seit Jahren spielt sich zu Hause das gleiche Muster ab: er nimmt seine Frau als stets angestrengt wahr und er könne ihr nichts recht machen. Sie dagegen findet ihr Mann sehe sie gar nicht mehr, sie sei nur noch die Haushälterin. Im Laufe der Beziehung hatte Jürgen 2 Affären, die Renate zwar verletzt haben, er sie jedoch als „nichts Ernsthaftes“ beschreibt. Erst vor Kurzem hat er eine dritte Affäre beendet, als Renate drohte sich zu trennen.
Dies sind nur zwei Beispiele für Beziehungen, in denen die Partner eine Krise erleben und der Gedanke an Trennung aufkommt. Die positiven Gefühle gegenüber dem Anderen wie Liebe, Vertrauen und Wertschätzung nehmen ab und Unzufriedenheit, Frustration und Hilflosigkeit wachsen an. Dennoch wird an der Beziehung festgehalten. Vom Gedanken zur tatsächlichen Umsetzung einer Trennung dauert es oft lange, denn Trennung bedeutet immer auch Loslassen. Das Loslassen von Vertrautem, das Loslassen vom lange gehegten Bild einer gemeinsamen Zukunft, das Geborgenheit und Miteinander versprach. Dazu kommen u.a. noch finanzielle Sorgen, der Gedanke an zukünftige Einsamkeit, das Verlassen des gemeinsamen Freundeskreises, ggf. die Sorge um das Wohlergehen der Kinder und manchmal der Wunsch, den Partner nicht verletzen zu wollen und die Angst vor seiner/ihrer Reaktion. Eine so große Veränderung, der Sprung ins kalte Wasser der Ungewissheit, ist für viele Menschen schwierig und sie ziehen Altbekanntes vor - auch wenn es weh tut. Der Leidensdruck wächst mit der Zeit und jeder zieht für sich selbst die Grenze, ab der der Druck so groß wird, dass eine Trennung besser aussieht als weiter zusammen zu bleiben.
Dazu kommen noch die Gefühle für den Partner, bei denen das Erspüren, ob es nur noch Gewohnheit oder doch noch Liebe ist, oft schwer fällt. Ist es bei Petra und Ben noch Liebe oder nur noch Vertrautheit und elterliche Zuneigung? Steckt in der andauernden Auseinandersetzung zwischen Renate und Jürgen noch der Funken der Liebe oder geht es nur noch um Macht, Geringschätzung und Distanz?
Diese Befürchtungen ballen sich wie ein großes Knäuel zu einer Angst vor der Trennung zusammen, die Menschen lange in Beziehungen verharren lässt. Partner distanzieren sich voneinander, manche beginnen nebeneinanderher zu leben, funktionieren noch als Team wie Petra und Ben, jedoch nicht mehr als Mann und Frau, nicht mehr als Liebespaar.
Andere gehen in stete Auseinandersetzung, z.B. rund um den Haushalt wie bei Renate und Jürgen, und verdrängen so die dahinter liegenden Eheprobleme, die dann oftmals durch Affären ihren Raum finden.
Die Angst, die eine Trennung uns macht, hat aber auch einen positiven Sinn: sie hält uns davon ab, unsere Beziehung zu rasch aufzugeben.
Solange beide Partner gewillt sind in die Rettung der Beziehung zu investieren, kann Paartherapie sinnvoll sein um die besagte Situation zu benennen und sie den Bedürfnissen beider Partner entsprechend zu verändern. Hierzu darf sich jeder die Zeit nehmen, die es braucht.
Daher gilt es bei der Frage „Gehen oder Bleiben“ zuerst herauszufinden ob:
- ich mich aus einer unerträglichen Situation befreien oder
- ich mich von meinem Partner trennen will.
Zwischen beidem zu unterscheiden ist – gerade wenn Angst im Spiel ist – oftmals nicht leicht.
Um hier zu einer Antwort zu finden können diese Fragen hilfreich sein:
1.) Welche Wünsche und Vorstellungen habe ich in dieser Beziehung?
Z.B. Land- oder -Stadtleben? Aktiv sein oder Sofa? Welche Vorstellung von Familie habe ich? Ist mir eine Partnerschaft auf Augenhöhe wichtig? Und anschließend zu schauen: Sind diese Wünsche mit meinem Partner tatsächlich zu erreichen?
2.) Welche Gedanken und Ängste beschäftigen mich wenn ich an Trennung denke?
Hier hilft es, sich wie im Brainstorming alle Gedanken zu notieren ohne sie zu bewerten. Z.B. ist ein häufig genannter Gedanke, der Menschen in einer unglücklichen Beziehung hält, die Sorge um die ggf. betroffenen Kinder. Eltern haben Angst, wie die Kinder die Trennung erleben, wie sie damit umgehen einen Elternteil zu „verlieren“, sie haben den verständlichen Wunsch, sie sollen doch in einer richtigen Familie aufwachsen. Und auch hier wird anschließend geschaut, wie realistisch und fundiert diese sind. Verlieren die Kinder den Elternteil wirklich? Wie erleben wohl die Kinder die derzeitige Situation? Was bedeutet „richtige Familie“ für mich und biete ich meinen Kindern wirklich ein positives Beziehungsvorbild?
3.) Habe ich noch die Kraft und den Wunsch für meinen Partner in diesen Prozess zu gehen - und geht mein Partner diesen Weg mit?
An einer Beziehung zu arbeiten erfordert Energie, und die Arbeit beginnt bei sich selbst und nicht beim Partner. Können oder möchten ich oder mein Partner diese Energie nicht mehr aufbringen, ist in der Beziehung oft nicht mehr die Liebe vorhanden, die für diese Arbeit an ihr nötig ist.
Diese Fragen helfen, sich zu sortieren. Wichtiger jedoch ist es, den Blick nicht nur auf die Beziehung und den Partner, sondern auf sich selbst zu richten. Hier kann psychologische Beratung unterstützen. Was ist es, was meine Ängste entstehen lässt? Habe ich z.B. Angst vor Einsamkeit? Damit ist manchmal die Idee verbunden, selbst nicht attraktiv oder liebenswert genug zu sein. Dann hilft es, sein Selbstwertgefühl zu stärken. Lähmen mich Schuldgefühle, z.B. der Gedanke was meine Eltern oder andere zu einer Trennung sagen würden? Hier ist es sinnvoll sich mit seinen verinnerlichten Glaubenssätzen aus Kindheit und Jugend auseinander zu setzen. Diese könnten u.a. sein „Meine Bedürfnisse zählen nicht, die der anderen sind wichtiger“ oder „Sei immer lieb“. Erkenne ich mein Grundmuster, kann ich mir einen positiven Glaubenssatz als Gegengewicht bilden: „Ich kümmere mich gut um meine Bedürfnisse und nehme mich wichtig“. Sich selbst ein solides Fundament zu geben baut Ängste effektiver ab als jede Pro-/Contra Liste es vermag!
Wenn ich mir sicher bin dass ich mich trennen möchte, jedoch aus Sorge um den Anderen und seinen Schmerz zögere, ist es wichtig zu realisieren: egal ob ich bleibe oder gehe, mein Partner wird verletzt werden. Entweder in der Beziehung, in der ich ihm/ihr nicht die Liebe geben kann, die er oder sie verdient, oder durch die Trennung. Die Beziehung wird sich zunehmend verschlechtern und beide Partner belasten. Hier ist es oftmals sinnvoller, die Trennung auszusprechen bevor aus Frustration und Hilflosigkeit die Wertschätzung ganz verloren geht.
Um sich trotz aller Ängste zu trennen, bedarf es vor allem: Mut. Wenn man in der Lage ist, sich selbst das Scheitern der Beziehung zu vergeben und zu sehen, dass man gerade wegen der Trennung ein mutiger, für sich selbst einstehender Mensch ist, erleichtert dies häufig den Weg, sich in Achtung und Respekt von dem Partner zu verabschieden.
Bei Petra und Ben ist dies so geschehen und sie haben es geschafft, auch nach der Trennung für ihren Sohn gemeinsam liebevoll als Eltern zu agieren. Renate und Jürgen haben sich beide mit ihren Wünschen, aber auch Verletzungen geöffnet und dabei die Liebe zwischen ihnen wieder neu entdeckt.
* Namen geändert
Autor: Nicola Backhaus
Thema: Angst vor der Trennung vom Partner
Webseite: https://beratungspraxis-schenefeld.de
#Angst, #Beziehung, #Familie, #Krisen, #Trennung, #Konflikte, #Probleme, #Unzufriedenheit