An diesem Morgen hat Sina verschlafen. „Wie konnte ich nur vergessen, den Wecker zu stellen?“ Endlich in der Arbeit angekommen, wird gerade ein begehrter Auftrag verteilt, ihr Kollege bekommt den Zuschlag. Und dann sagt auch noch ihre beste Freundin das Treffen für den Abend ab, auf das sie sich so gefreut hat. Für Sina ist der Tag gelaufen. Missmutig sitzt sie an ihrem Schreibtisch und kann sich gar nicht mehr konzentrieren. Kennen Sie das auch, missmutig zu sein? Haben Sie bei diesem Wort einen Menschen oder eine Situation vor Augen?
Den Mut vermissen
Wenn wir missmutig sind, dann „vermissen“ wir im wahrsten Sinne des Wortes unseren „Mut“, aber auch Leichtigkeit und Lebensfreude. Dahinter können viele verschiedene Emotionen stehen, z.B. Traurigkeit, Ärger, Wut, Hilflosigkeit, Ohnmacht, Hoffnungslosigkeit, psychischer und physischer Schmerz, Misstrauen und vieles mehr. Bei Sina waren es vermutlich einige dieser Gefühle. Erinnern Sie sich an eine Situation, in der Sie missmutig waren?
Missmut als Haltung
Missmut ist nicht nur eine Emotion, es ist durchaus auch eine Haltung. Denn die Körperhaltung verändert sich dadurch, wir gehen gebückter, langsamer und schlurfender, der Blick ist mehr auf den Boden oder ins Leere gerichtet. Menschen mit Depressionen wirken deshalb oft missmutig, und irgendwie sind sie das ja auch, einfach mutlos. Bestimmt saß Sina auch eher gebeugt oder zusammengesunken und klein an ihrem Schreibtisch und nicht aufrecht und groß.
Wie will ich damit umgehen, wenn mir der Mut verloren gegangen ist?
Vielleicht kann es zuerst einmal hilfreich sein, die Emotionen und die körperlichen Befindlichkeiten einfach da sein zu lassen. In der westlichen Welt haben wir gelernt, unerwünschte Gefühle „wegzumachen“ bzw. sie erst gar nicht aufkommen zu lassen. Wir schneiden uns von unseren Emotionen und Bedürfnissen ab, um unangenehmes nicht fühlen zu müssen. Damit trennen wir auch ein Stück von uns ab. Wir trauen uns nicht zu uns zu stehen aus Angst vor Ablehnung oder Ausgrenzung. Wir sagen JA, obwohl wir NEIN meinen, um nicht als kompliziert zu gelten und beliebt zu sein. All das basiert auf Angst.
Sina hat sich über sich selbst geärgert, weil sie den Wecker nicht gestellt hatte. Auch als dem Kollegen die begehrte Aufgabe zugeteilt wurde, hat sie ihren Groll heruntergeschluckt und nicht den Mut gehabt zu zeigen, wie wichtig ihr das Projekt ist und ihre Fähigkeiten in den Vordergrund zu stellen. Und als dann noch der Termin von der Freundin abgesagt wurde, hat sie ihre Enttäuschung hinter einem „Klar, gar kein Problem“ versteckt. Vielleicht hat sie gehofft, dass die unangenehmen Emotionen durch Verdrängen verschwinden oder sie lieber gemocht wird, wenn sie alles unkommentiert lässt. Doch das Gegenteil war der Fall, sie hat sich noch schlechter gefühlt.
Wie wäre es, stattdessen „Selbstfreundlichkeit“ zu wählen mit allem, was ich bin und nicht bin, was auch Freundlichkeit meinen Mitmenschen gegenüber einschließt. Mir persönlich ist dieser Begriff sympathischer als das große Wort „Selbstliebe“.
Wie geht Achtsamkeit und Selbstfreundlichkeit, wenn ich missmutig bin?
Kommen wir nochmal zurück zum Annehmen der Emotionen. In der körperorientierten Psychotherapie, die ich unter anderem in meiner Arbeit als Heilpraktikerin für Psychotherapie praktiziere, aber vor allem in der buddhistischen Psychologie geht es in erster Linie um Akzeptanz. Das heißt nicht „aushalten“, sondern den Widerstand gegen das, was ist aufzugeben und Frieden zu finden. Es kann sehr hilfreich sein, erst einmal ein paar tiefe Atemzüge zu nehmen und zu spüren, wie sich das gerade anfühlt. Wo im Körper spüre ich den Missmut? Und in welcher Qualität spüre ich ihn? Kribbelt es, krampft es, fühlt es sich heiß oder kalt an, ein mulmiges Gefühl, Schmerzen? Und mit „spüren“ meine ich wahrnehmen, was ist, ohne es zu bewerten. Lassen, was da ist. Hier gibt es kein gut oder schlecht. Hier darf Vertrauen wachsen, dass ich die Emotion halten kann und dass jedes Gefühl auch wieder geht, genauso wie es gekommen ist, wie die Wellen des Ozeans. Je mehr wir uns damit beschäftigen, es weghaben zu wollen, desto länger bleibt es und desto bedrohlicher kann es sich für uns anfühlen. Wenn wir unseren Missmut einfach nur beobachten, ohne uns damit zu identifizieren, kommen wir uns selbst näher und verlieren immer mehr die Angst vor ungeliebten Gefühlen. Ich bin mehr als meine Gefühle!
Die Autobahn in meinem Kopf – Neuronale Vernetzungen
Und ich bin auch mehr als meine Gedanken, denn unsere Gefühle folgen unseren Gedanken. Es ist keine neue Errungenschaft von mir, dass wir mit unseren Gedanken mehr Lebensfreude und Leichtigkeit in unser Leben bringen können, aber eben auch das Gegenteil. Wir wissen heute, dass sich unsere neuronalen Autobahnen so vernetzen, wie wir sie „bedienen“. Wenn ich also immer die alten Gedanken denke, bekomme ich auch die alten Ergebnisse. Wenn ich die eine Straße in meinem Gehirn nicht mehr nutzen möchte, funktioniert das nicht, indem ich die ganze Zeit darauf schaue und mich über die schwarzen Autos ärgere. Vielmehr brauche ich einen neuen Weg, auf den ich bunte Autos setze. Je mehr farbige Fahrzeuge ich darauf setze, desto breiter wird die bunte Autobahn, die dunkle dafür kleiner. Angebot und Nachfrage sozusagen. Als ich vor einigen Jahren als Angstpatientin stationär in einer Psychosomatischen Klinik aufgenommen wurde, fragte mich meine Therapeutin: „Was soll anstatt der Angst in Ihr Leben treten? Wenn Sie die Angst einfach weghaben wollen, konzentrieren Sie sich nur auf die Angst. Sie brauchen einen Ersatz.“ So einfach und doch so schwer.
Erste Schritte
Vielleicht hätte es Sina geholfen, sich wegen des vergessenen Weckers ein freundliches Wort zu schenken, z.B. „Das kann schon mal passieren, ich bin ein Mensch und keine Maschine“. Und den Ärger wegen der Situation in der Arbeit erst einmal wahrzunehmen und zu spüren, an welcher Stelle im Körper diese Emotion eine Befindlichkeit auslöst. Eventuell hätte sie dann sogar so etwas wie Frieden verspürt oder die Motivation, bei der nächsten Gelegenheit zu zeigen, was sie kann. Wenn sie ihre Enttäuschung über die Absage der Freundin gegenüber ausgesprochen hätte, hätte sich dort unter Umständen die Emotion entladen und beruhigen können und ihre Freundin hätte sie vielleicht sogar getröstet.
Es klingt wirklich erst einmal anstrengend, neue Wege zu beschreiten. Aber mal ganz ehrlich: Wenn ich immer wieder den gleichen selbstschädigenden Pfad beschreite, ist es nicht viel anstrengender, immer wieder am gleichen Punkt in der Sackgasse zu landen? Wie viel Lebensfreude könnte ich gewinnen, wenn ich mich in Achtsamkeit übe? Sich selbst wertfrei wahrzunehmen ist schon der erste Schritt!
Alte Muster und Überzeugungen
Der nächste Schritt könnte die Reflexion sein. Was hat mich so missmutig werden lassen? Welche Situation? Bei Sina könnte es durchaus der hohe Anspruch an sie selbst bezüglich Pünktlichkeit oder Unfehlbarkeit gewesen sein. Ihr Ärger über ihren mangelnden Mut, im Job mehr auf sich aufmerksam zu machen. Und bei ihrer Freundin das Gefühl, zurückgewiesen zu werden und die Angst vor Einsamkeit.
Die schlechte Nachricht: Es liegt meist nicht an den anderen, sondern an uns und wie wir aufgrund unserer bisherigen Erlebnisse geprägt wurden. Die gute Nachricht: Wir können wählen, wie wir damit umgehen und uns heil werden lassen!
Wähle ich Frieden oder Veränderung oder beides?
Wie kann ich mit dem Grund für meinen Missmut umgehen? Auch hier habe ich die Wahl. Ich darf wählen zwischen Frieden oder Veränderung. Manche Dinge bzw. Situationen kann ich verändern, bei anderen kann ich auch den Frieden wählen. Frieden mit mir selbst, anderen Menschen und Situationen. Ich setze hier die Begriffe Liebe und Frieden auf eine Zeile. Jede*r hat da für sich seine persönliche Definition. Es ist richtig und wichtig, hier zu sich zu stehen und seine eigene Begrifflichkeit und individuelle „Achtsamkeitspraxis“ zu finden.
Was die Wissenschaft weiß ist, dass Achtsamkeit und Meditation uns helfen, einen leichteren Umgang mit unseren zu Gefühlen zu gewinnen, wieder in unsere Mitte zu kommen und gesund zu bleiben oder zu werden.
Vielleicht fassen wir einfach mal wieder den Mut, unseren Missmut wahrzunehmen und da sein zu lassen, tiefer in unseren inneren Ozean einzutauchen, damit uns die Wellen an der Oberfläche nicht mehr so beeindrucken und bedrohen. Das alles braucht anfangs kleine Schritte und beständige Übung. Zu gewinnen gibt’s das Leben!
Lassen wir also den Mut wieder zurückkehren in unser Leben und stellen uns jeden Tag die Frage: Wo war ich heute mutig? Wofür bin ich dankbar? Wo war ich heute freundlich zu mir? Wo wähle ich Veränderung und wo wähle ich Frieden? Und wo braucht es beides?
Und wie der schöne wahre Kalenderspruch sagt: Mut ist nicht die Abwesenheit von Angst!
Autor: Petra Kappelmeier, Heilpraktikerin für Psychotherapie
Thema: Missmut mit Achtsamkeit begegnen
Webseite: https://www.petra-kappelmeier.de
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