Rollen- und Kontextbewusstsein als Entwicklungshebel in der Organisationsentwicklung

Wenn ich so auf die Entwicklungstrends in beruflichen und privaten Bereichen schaue, dann ist es nicht anders als mit den Modeerscheinungen der Kleiderstile in unseren Kleiderschränken.

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Es scheint so eine Art Wellen zu geben, die sich immer mal wiederholen. Und dennoch lässt sich in diesen sich scheinbar wiederholenden Wellenmustern eine Evolution, eine Weiterentwicklung erkennen, die vielen auf den ersten Blick nicht bewusst ist. Machen wir das mal an einem Beispiel fest. Wenn wir uns die Evolutionsstufen des sogenannten Zeitmanagements anschauen, wird es für mich besonders schön greifbar. Denn hier sehen wir, wie innerhalb der wiederkehrenden Wellen innerhalb unterschiedlicher Generationen das Zeitmanagement mit Salamitechnik und Co mehr und mehr zum Selbstmanagement mit ganz anderen Herausforderungen wurde.

zeitmanagement salamitechnik grafik klein

Während es in der Welle der ersten Generation noch darum ging, mit Methoden und Techniken die Arbeitslast effizienter zu bewältigen, somit neue Zeitfenster zu schaffen um besagte Zeit einzusparen, führte die Erkenntnis, dass eingesparte Zeit meist genauso schnell, wie sie eingespart wurde, wieder mit neuen ToDos gefüllt wird, zu der Weiterentwicklung der zweiten Generation.

Hier wurde gelernt, dass es sinnvoll ist, nicht nur die vorhandene Arbeitslast effizient zu managen, sondern auch mal kritisch zu hinterfragen, ob wir überhaupt die richtigen Dinge tun. Zu hinterfragen, ob das, was wir tun, überhaupt sinnvoll zu dem beiträgt, was wir erreichen möchten. Hier wurde vielen Menschen klar, dass Sie eigentlich ziellos ihre alltäglichen ToDo Listen abgearbeitet haben, und dass in vielen Bereichen gar keine wirkliche Bewusstheit über die angestrebten Ziele herrschte oder diese schlichtweg gar nicht richtig herausgearbeitet wurden. So lernten wir in der Generation der Effektivität, dass das Zielebewusstsein und das Ausarbeiten entsprechender Ziele unter zu Hilfenahme diverser Techniken und Tools eine Grundvoraussetzung darstellt, um erfolgreich wirtschaften und erfolgreiche Teams führen zu können. Im weiteren Verlauf der zweiten Generation wurde dann aber schnell klar, dass wir Menschen irgendwie unterschiedlich „ticken“.

Dass die effizienten Methoden, Techniken und Tools (Generation1), angereichert mit der fokussierten effektiven Ausrichtung auf ein perfekt ausgearbeitetes und kommuniziertes Ziel (Generation2), immer noch nicht reichen, um die Menschen, die maßgeblich daran beteiligt sind Ziele zu realisieren, gleichermaßen mitzunehmen. Auch hier war es die Erkenntnis, die den Anstoß lieferte, sich weiterentwickeln zu müssen. Es entstand zunehmend die Bewusstheit, dass wir Menschen unterschiedliche Wesen sind, die über unterschiedliche Fähigkeiten und Potenziale verfügen. Dazu kommt, dass innerhalb dieser Individualität eine zugrunde liegende PsychoLOGIK zu existieren scheint, die dafür sorgt, dass Menschen unterschiedliche Dinge brauchen, um sich zielführend in unternehmerische Vorhaben integrieren zu können, sich zu motivieren oder sich motivieren zu lassen.

Die dritte Generation wurde geboren, in der die intrinsische Motivation als Hebel für Leistung und Erfolg definiert wurde. Menschen erkannten individuelle Stärken, schlummernde Potenziale und welchen enormen Unterschied es macht, wenn ihnen erlaubt wird genau diese an der richtigen Stelle im Unternehmen einzusetzen. Überdurchschnittliche Leistungen wurden generiert, enorme Erfolge gefeiert. Mit den richtigen Methoden (Generation 1) gelang es, die eigene Leistungsfähigkeit zu optimieren und sich mit dem entsprechenden Mindset sowie entsprechendem Zustandsmanagement, Techniken immer wieder auf die optimalen Aufgaben mit dem größten Wirkhebel (Generation 2) zu fokussieren, sich immer wieder auf die geplanten Ziele einzuschwingen und die eigene Individualität, das individuelle Potenzial (Generation 3) als Wirkkraft-Beschleuniger zu nutzen.

Bei allem Erfolg stellte sich jedoch zunehmend die Bewusstheit ein, dass Leistungserhalt nicht immer auch Gesundheitserhalt bedeutet. Darüber hinaus wird klar, dass ein enormer Fokus auf berufliche Rollen und Erfolge meist an anderer Stelle einen zu zahlenden Preis einfordert. So schleicht sich zum Ende dieser Generation die Erkenntnis ein, dass Arbeit allein nun auch nicht alles ist.So mancher Mensch startet(e) in die vierte Generation mit Nachwehen eines Burnouts oder den zu verarbeitenden Verlusten von zerrütteten Ehen, gescheiterten Beziehungen, zerbrochenen Freundschaften, die den enormen Fokus auf die berufliche Rolle nicht mehr ausgleichen konnten.

mann erschoepft burnout klein

Ab hier fängt übrigens ein Bewusstsein für „die Rolle“, für ein: „Ich bin mehr als nur mein Beruf!“ an. Es entsteht ein Gewahrsein dafür, dass ich viele(s) bin, dass ich ein berufliches und ein privates Wesen bin. Und in der heutigen Zeit wird uns in dieser Phase zunehmend bewusst, wie komplex und vielschichtig die Rollen-Konstrukte sind, in denen wir tagtäglich agieren. So manchem Menschen schwirrt erstmal der Kopf, wenn er sich wirklich auf die Ausarbeitung seines Rollenprofils einlässt und dann vor der Erkenntnis sitzt, dass er deutlich mehr Rollen füllt, als er an den Fingern seiner Hände abzählen könnte- und das meist tagtäglich.

Hier stellt sich zunehmend die Erkenntnis ein, dass wir Körper-, Geist-, Seele- und Umfeldfaktoren haben, die dazu beitragen, ob wir gesund sind und bleiben, ob und wie wir zu unserem Leistungserhalt beitragen. Ab hier wird auch häufig die individuelle Sinnfrage gestellt, das Bedürfnis nach einem Leben, das sich nach Lebendigkeit anfühlt, nach leben statt gelebt werden. Und so manch einer stellt sich hier kritisch die Frage, wessen Leben er da eigentlich gerade lebt. Wieder andere erliegen dem großen Missverständnis, ihre zur Verfügung stehende Lebenszeit nun gleichermaßen auf all ihre Rollen aufteilen zu wollen, was schlichtweg nicht möglich ist und zu noch mehr erlebter Unzufriedenheit führt.

Die große Lernaufgabe hier ist auch: ich alleine kann das nicht machen. Egal wie ausgefeilt ich die Methoden und Techniken anwende, die ich vielleicht sogar auch weiter ausgebaut habe, damit ich für Körper, Geist und Seele etwas tun kann (Generation 1), egal wie gut ich mein Wirken darauf ausrichte, genau zu dem beizutragen, was ich erreichen möchte (Generation 2), egal wie bemüht ich meine Talente und Potenziale einbringe (Generation 3)…, ich stoße an die Grenzen meiner eigenen Wirkkraft, spüre, dass ich mich nicht zeitlich gleich aufteilen kann, um all meinen Rollen gleichermaßen gerecht zu werden (Generation 4) und erkenne, dass ich alleine nicht die Macht habe alles umzusetzen, was ich möchte. Es braucht auch die anderen.

Die Demut der eigenen Grenzerfahrung kann uns dann in die fünfte Generation leiten. Weg vom „all about me“, hin zu wirklichem Miteinander. Das Erkennen von Quality-Time in der Beziehung braucht halt auch den anderen mit seiner Individualität, seinen Wünschen und Bedürfnissen und seiner Bereitschaft und der Lust gerade dann mit mir in Kontakt zu gehen, wenn ich das auch möchte.

Ich allein kann auch die Kultur innerhalb meines beruflichen Teams oder meiner Organisation nicht  drehen. Kultur macht man nicht allein, Kultur entsteht aus dem, wie sich die an ihr beteiligten Menschen einbringen und zu was sie beitragen wollen und können. Individuelle und gemeinsame Werte werden wichtiger und miteinander thematisiert. Die Sehnsucht nach co-kreativen Prozessen steigt, in denen ein „multiple Win“ für alle Beteiligten generiert werden will. Die Sehnsucht danach, sich einander möglichst viel Raum für eigenes Können, Wirken und Sein zu lassen und dennoch gemeinsame Erfolge zu generieren. Diese fünfte Generation möchte so viel Gutes, strotzt vor Enthusiasmus und eignet sich die neuesten Tools und Techniken an, um mit der Komplexität der Herausforderungen im besten Sinne umgehen zu können (Generation 1).

Agile Methoden, Techniken, Tools werden mit Hochdruck in die Organisationen gedrückt, weil die Chance in ihnen erkannt wird. Neue Aufgaben werden generiert, neue Projektteams und Strukturen implementiert, die dem Wirken der neuen Generation dienen sollen (Generation 2). Persönlichkeitstests, ob DISG, MBTI, Insides, LPP, REISS und wie sie nicht alle heißen, versuchen das „Wie tickst Du“ und das „Wie kann ich dein Potenzial maximal einbringen und nutzen“ in die Organisationen zu bringen, um Kommunikationsstrukturen und Führungs- und Förderungstechniken effektiv und effizient zum Wohle der Organisation in Teams zu nutzen (Generation 3).
Und an dieser Stelle wird leider wieder vergessen, dass innerhalb der Organisation Menschen arbeiten und wirken, die sich nicht alle im gleichen Tempo innerhalb der Generationen linear kausal mitentwickelt haben. Die Reife und Bewusstheit dieser Menschen trägt maßgeblich dazu bei, was innerhalb der Organisation möglich ist.

Aus meiner Erfahrung heraus werden wirklich gute und nützliche Methoden zu schnell in den Markt gepresst und landen bei Anwendern, die die Methode und was es zur nützlichen Umsetzung von dieser wirklich braucht, nicht vollumfänglich durchdrungen haben. Viele tolle agile Methoden landen in Teams, deren Mitarbeiter noch gar nicht die Lernerfahrungen und Lernschritte gemacht haben, die es braucht, um wirklich bewusst und agil arbeiten oder gar führen zu können. Und hier wäre eher Nachreifen dran statt auf Teufel komm raus Methoden rein- und durchdrücken zu wollen, die dann scheitern müssen, obwohl sie eigentlich Gold wert gewesen wären, wenn man es einfach gut und bewusst vorbereitet hätte.

Was meine ich an dieser Stelle mit Vorbereiten, Nachreifen und wichtigen Lernschritten? Wenn mich Führungskräfte fragen, was ich ihnen empfehle, wenn sie wirklich was verändern wollen, dann ist meine Empfehlung die Investition in das Schulen und Trainieren von Rollen- und Kontextbewusstsein von Mitarbeitern und Teams. (Und zuerst natürlich in die eigene - aber das versteht sich hoffentlich von selbst.)

Eine hohe Rollen- und Kontextbewusstheit stellt einen enormen Hebel dar, sowohl in der individuellen Persönlichkeitsentwicklung als auch in der Entwicklung von Organisationen und Teams, um sie auf Beine zu stellen, die zukünftigen Wandlungen gesund und stabil begegnen können.

Auch wenn es sich an einer bestimmten Stelle empfiehlt sich einen externen Berater, Coach oder Entwicklungsbegleiter an die Seite zu holen, der sich damit auskennt, können viele Lernschritte in diesem Bereich auch im konsequenten Selbstcoaching gelernt werden.

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Autor: Treya- Silke Koch
Thema: Rollen- und Kontextbewusstsein als Entwicklungshebel in der Organisationsentwicklung
Webseite: http://www.treya.online

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