Autogenes Training 2021 - bewährt oder überholt?

Wenn es um Entspannung geht oder um Möglichkeiten, selbst etwas für die eigene Gesundheit zu tun, wird immer wieder das Autogene Training erwähnt.

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In vielen Reha-Einrichtungen wird Autogenes Training angeboten, Krankenkassen zahlen Zuschüsse zum Erlernen der Methode, was kann sie tatsächlich bewirken?

Noch nicht ganz 100 Jahre gibt es dieses Entspannungsverfahren, das der deutsche Arzt Johannes Heinrich Schultz (1884–1970) auf der Basis seiner Erfahrungen mit Patienten, die er mit Hypnose behandelt hatte, entwickelte. Er erkannte, dass diese nicht nur den durch die Hypnose hervorgerufenen wohlig entspannten Zustand genossen, sondern auch vielfältige positive Auswirkungen auf ihr Befinden beschrieben. Aufgrund dieser Beobachtungen und des Wissens, dass jede durch einen Hypnotiseur induzierte Hypnose im Grunde eine durch den Hypnotisierten selbst veranlasste Umschaltung darstellt, bei der die Vorstellung von Entspannungsphänomenen diese letztendlich hervorruft, entwickelte er sein ausgesprochen universell anwendbares Verfahren.

Er beabsichtigte, den Patienten, die eigenverantwortlich („autogen“) an ihrer Therapie mitwirken wollten, diese Möglichkeit in Form einer Selbstentspannungstechnik zur Verfügung zu stellen. Die durch ihn formulierten Grundlagen und seine Anleitung zur Durchführung sind im Laufe der Zeit ergänzt und an die veränderten Umstände der heutigen Zeit angepasst worden, ihre Wirksamkeit und der Nutzen sind nach wie vor gegeben.

Beleg dafür sind nicht nur die vielen Erfahrungsberichte, sondern auch einige wissenschaftliche Untersuchungen, die die positive Wirkung des Autogenen Trainings u. A. bei psychosomatischen Störungen, Schlafstörungen und auch Angststörungen nachweisen. Da der Aufwand zum Erlernen der Methode allerdings wesentlich höher als bei anderen Entspannungstechniken ist, wurden vergleichsweise wenige Studien durchgeführt, obwohl das Autogene Training bereits in Prävention, Rehabilitation und Therapie sehr vielseitig und erfolgreich eingesetzt wird.

Grundsätzlich können die meisten Menschen von autogenem Training profitieren, lediglich bei Psychosen, hypochondrischer Persönlichkeitsstörung und einigen neurologischen Erkrankungen sollte vorher der behandelnde Arzt konsultiert werden. Auch der Einsatz in der Geburtsvorbereitung ist selbstverständlich mit dem Gynäkologen/der Gynäkologin abzustimmen, ist aber für die meisten werdenden Mütter sinnvoll und von großem Nutzen.

Bestehen keine Kontraindikationen, gibt es zwei aus meiner Sicht relevante Faktoren, die über den Erfolg entscheiden werden. Zum einen ist das die Bereitschaft und Beharrlichkeit des Trainierenden, das Autogene Training zu einem stabilen Bestandteil des Alltags zu machen und zum anderen sind es die Bedingungen, unter denen er es erlernt. Nicht nur die Kompetenz des Lehrers bzw. Übungsleiters spielen hier eine nicht zu unterschätzende Rolle, sondern auch, ob es innerhalb einer Gruppe oder im Einzelsetting vermittelt wird. So ist der Erfahrungsaustausch in einer Gruppe sehr förderlich, es mag aber andererseits nicht jedermanns Sache sein, im Beisein weitgehend fremder Menschen in eine sehr tiefe Entspannung einzutauchen.

Aus meiner Sicht kann es von sehr großem Vorteil sein, die Methode an den Trainierenden weitestgehend anzupassen, sie ihm sozusagen „auf den Leib zu schneidern“. Das ist nur im Einzelsetting, unter Umständen auch in einer kleinen Gruppe möglich.

Da der Ablauf auf permanenten Formeln basiert, die die bildhafte Vorstellung des Praktizierenden anregen und ausrichten, um diesen nach und nach immer tiefer ins eigene Innere und damit in eine wohlige und heilsame Entspannung zu führen, können diese, einmal „passend gemacht“, ihre Wirkung dann schneller und umfassender entfalten. Je angenehmer und leichter man in den Zustand der Ruhe und physiologischen Harmonie kommt, umso selbstverständlicher wird man das bei immer mehr Gelegenheiten des Alltags bewusst und auch unbewusst anwenden. Erfahrene Praktiker können sich in der Schlange an der Kasse mal eben kurz entspannen, Ärger und Stress in ein paar Atemzügen loslassen, Anspannungen im Körper lösen, ohne dass es von anderen bemerkt wird. Das mentale Aufwärmen kalter Hände und Füße ist schon mit relativ wenig Routine möglich und ein Bonus, der insbesondere uns Frauen gut zu statten kommt.

Die Nebenwirkungen regelmäßigen Trainings, wie Regulierung von Kreislauf, Blutdruck und Immunsystem, bessere Stresstoleranz, Gelassenheit und Lebensfreude, um nur einige zu nennen, sind durchaus erwünscht.

Wie geht das nun konkret?

frau sitzen entspannen

Nachdem man eine bequeme Haltung im Sitzen oder Liegen eingenommen hat, schließt man die Augen und konzentriert sich in Gedanken auf die erste Formel. Die ist dazu ausgelegt ist, zunächst einmal Ruhe und eine Wendung nach innen zu vermitteln. Deshalb bezeichnet man sie auch als „Ruhetönung“. Danach werden weitere fünf bzw. sechs Formeln angewendet. Deren spezielle Formulierung und Reihenfolge wird recht unterschiedlich gehandhabt. Hier spielen Hintergrund und Erfahrung des jeweiligen Lehrers bzw. Therapeuten eine große Rolle.

Nach der Ruhetönung, die auch zwischen den folgenden Formeln immer wieder eingesetzt wird, bewirkt man über die Vorstellung von Schwere bzw. Wärme eine Konzentration auf den Körper, die in der Folge diese Schwere und Wärme im Körper tatsächlich hervorruft. Dies geschieht zwangsläufig, indem die sich entspannenden Blutgefäße nun leichter mehr Blutvolumen transportieren, was dort durch die verbesserte Durchblutung des Gewebes messbare Gewichtszunahme und Temperaturerhöhung hervorbringt.

Es leuchtet ein, dass schon allein dieser Effekt, regelmäßig herbeigeführt, äußerst heilsame körperliche Konsequenzen hat.

Doch zurück zum Ablauf des Autogenen Trainings, wo sich nun die Formeln anschließen, die sich speziell auf Atmung, Herz und Solarplexus beziehen. Die wiederum bewirken eine Vertiefung und Harmonisierung der Atmung, eine Regulierung des Herzschlags und schließlich eine Umschaltung auf Entspannung, Regenerierung und Erholung aller körperlichen und psychischen Vorgänge.

Schließlich schaltet man wieder auf Alltags-Aktivität um, indem man kurz mehrmals die Arme anspannt, bewusst tief einatmet und die Augen öffnet. Nach dieser „Rücknahme“ fühlt man sich erfahrungsgemäß ausgeruht, gelassen und wohl in seiner Haut.

Natürlich kann man das Autogene Training auch vor dem Einschlafen praktizieren, dann legt man sich statt der Rücknahme einfach in seine gewohnte Schlafposition und gleitet leicht in den erholsamen Schlaf.

Bei so viel Gewinn, den es verspricht, wo ist nun der Haken bei der Sache?

Ganz einfach, all das funktioniert nur, wenn man es auf Dauer anwendet. So wie in den allermeisten Fällen das durch eine Diät abgehungerte Gewicht nach deren Ende bei der Rückkehr in die alten Essgewohnheiten kurzfristig wieder ersetzt und oft sogar noch vermehrt wird, ist es auch hier. Bis auf den Jo-Jo-Effekt, der glücklicherweise nicht einsetzt, kehrt die alte Stresslabilität nach einiger Zeit zurück, wenn man meint, es geht einem jetzt so gut, dass man die täglichen paar Minuten Auszeit nicht mehr braucht. Und wenn sich dann die Muskeln wieder verhärten und der Körper vermehrt im Kampf-Modus verharrt, kehren auch ganz zuverlässig die alten Symptome zurück. Das Autogene Training hat also versagt!?!

Hinzu kommt noch, dass es einiges an Zeit braucht, bis man so fit im Autogenen Training ist, dass man es leicht im Akut-Fall auch in Kurzform anwenden kann. Hier sollte man für das Aneignen der Technik einige Wochen einplanen, in denen man täglich mindestens eine Viertelstunde dafür reserviert. Häufig wird sogar für diese Anfangszeit noch mehr Zeit veranschlagt. Je nach Quelle wird in der ersten Zeit ein tägliches Praktizieren von mindestens dreimal je ca. fünf Minuten oder einmal 15 bis 20 Minuten empfohlen, das dann, wenn schon beim kurzen gedanklichen „Antippen“ der Formeln der gewünschte Effekt sofort eintritt, reduziert werden kann. Aus meiner persönlichen Erfahrung empfehle ich eine Kombination der 5-Minuten-Routinen mit längeren AT-Entspannungen (15-20 Minuten), in denen man dann das Wohlgefühl im umgeschalteten Körper genießen kann. Der Körper wiederum nutzt natürlich diese Phase auch zu seiner Regeneration, so dass nach der Rücknahme die Wirkung noch längere Zeit zu spüren ist. Das ist zum Beispiel eine wunderbare Methode, um nach einem möglicherweise aufreibenden Arbeitstag ganz entspannt und erholt in den Feierabend mit der Familie zu gehen.

Darüber hinaus können in der Entspannung, die durch die Anwendung der Formeln herbeigeführt ist, ganz gezielt Vorsätze zur Selbstbeeinflussung eingesetzt werden. Diese wirken als starke Suggestion nach der Rücknahme im Alltag weiter und entfalten dadurch ihre Wirkung ganz sanft und im Einklang mit den Lebensumständen. Häufiges Wiederholen verstärkt und beschleunigt den Effekt.

Beispiele für die Wirkung dieser formelhaften Vorsatzbildung sind in großer Zahl beschrieben und reichen vom erfolgreichen Einsatz bei Süchten, Schmerzen, Schlafproblemen, Allergien und Asthma bis hin zur Persönlichkeitsentwicklung und Verbesserung der Leistungsfähigkeit, z.B. bei Sportlern.

Einen Aspekt möchte ich zu guter Letzt noch hinzufügen. Viel Positives wird über die Wirkung der Meditation auf Körper und Psyche berichtet. Das Autogene Training ist meines Erachtens von seinem Wirkprinzip her sehr ähnlich. Es stellt sicher eine Alternative für all diejenigen dar, denen es feste Strukturen und vorgegebene Schritt-für-Schritt-Abläufe erleichtern, sich umzugewöhnen. Der umfassend belegte wissenschaftliche Hintergrund sollte auch verbissene Skeptiker überzeugen, dass man nicht „daran glauben muss“, damit es wirkt. Es ist es allerdings kein Wundermittel, das man ab und zu anwenden kann, wenn gerade einmal Zeit ist oder Not am Mann. Es braucht Geduld, Konsequenz und vor allem alltägliche Anwendung. Das vorausgesetzt, lohnt sich ein Versuch in jedem Fall.

Autor: Sabine Schmidt-Weidner
Thema: Autogenes Training 2021 - bewährt oder überholt?
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