Allergien sind „mega-in“. Kaum jemand, der nicht auf irgendetwas allergisch reagiert. Dabei ist dieser Trend noch gar nicht so alt.
Nach einer Studie der Phillips-Universität (Marburg) war vor rund 100 Jahren nur 1% der Bevölkerung allergisch, in den 1980er-Jahren waren es dann bereits 20% und im Jahr 2010 ging man von 30% Allergikern aus. Die Europäische Akademie für Allergie und klinische Immunologie (EAACI) prognostizierte, dass im Jahre 2015 jeder zweite Europäer unter Allergien leiden wird. Gerade über Nahrungsmittelallergien und Unverträglichkeiten klagen 2022 viele.
Über die Gründe dieser Entwicklung wird nach wie vor gestritten. Unser modernes Leben bietet mannigfaltige Einflüsse, die unser – in Millionen Jahren entwickeltes – Immunsystem überfordern. Einige Tausend Jahre sind für die Evolution kein langer Zeitraum. Wir „ticken“ heute nicht viel anders, als unsere Vorfahren, auch wenn wir statt Trommeln jetzt Smartphones für die Kommunikation verwenden…
Auf der einen Seite fehlen uns Faktoren, die uns seit vielen Generationen begleitet haben, beispielsweise Schmutz und Parasiten, mit denen unser Immunsystem umzugehen gelernt hat. Dafür haben wir eine Reihe neuer Reize bekommen, denen unser Organismus erst seit kurzer Zeit ausgesetzt ist. Hier eine – unvollständige – Aufzählung:
- Exotische Früchte und Gewürze aus der ganzen Welt. Normalerweise adaptiert sich unser Immunsystem (und unser Darm) in den ersten Lebensjahren an die jeweilige Umwelt. Da unsere Vorfahren in der Regel sich ihr Leben lang in der gleichen Umgebung aufhielten und die gleiche Nahrung zu sich nahmen, wird unser Immunsystem durch ständig neue (oder veränderte Nahrungsmittel) überfordert. Jedes Mal, wenn wir etwas „Neues“ essen, muss das Immunsystem entscheiden, ob es den Stoff nun als Freund oder Feind einstuft – und entsprechend reagiert. Es liegt auf der Hand, dass es umso mehr Fehleinschätzungen gibt, je mehr Entscheidungen getroffen werden müssen.
- Rund 20.000 chemische Zusätze in Nahrung, Medikamenten, Kosmetik, Putzmittel, Pflanzenschutzmitteln usw., die unser Stoffwechsel zum großen Teil nicht verarbeiten kann.
- Sehr frühen Kontakt mit Krankheitserregern durch Impfungen (Gerade die „modernen“ – weil bequemen – Mehrfachimpfungen stehen hier im Verdacht. Inzwischen gibt es bereits 7-fach-Impfungen. Und immer mehr Kleinkinder zeigen bereits Allergiesymptome.) Grundsätzlich ist die Idee, eine frühzeitige Immunisierung vorzunehmen, nicht falsch, denn in den ersten Lebensjahren ist das Immunsystem noch am anpassungsfähigsten. Es ist aber auch unter Experten umstritten, ob es sinnvoll ist, bereits in den ersten Lebensmonaten sieben ernsthafte Krankheitserreger auf einmal auf das Immunsystem loszulassen, nur, weil es leichter ist, Eltern für eine Injektion in die Praxis zu bekommen, als zu mehreren in zeitlichen Abständen.
- Zunahme von Kaiserschnitt-Geburten. Normalerweise wird der, bei der Geburt noch keimfreie Darm des Neugeborenen über den Geburtsweg mit den Vaginalbakterien der Mutter „beimpft“, die sich dann dort ausbreiten. Diese natürliche Darmflora ist optimal an die Umweltbedingungen, sowie die Ernährung durch Muttermilch angepasst (wenn die Mutter eine gesunde Vaginalflora hatte). Beim Kaiserschnitt wird dieser wichtige Teil der Geburt ausgelassen – und es setzen sich dann die Keime fest, die gerade in der Umgebung vorhanden sind. Das sind aber nicht die, die das Neugeborene braucht. Dadurch entwickelt sich eine unnatürliche Darmflora und die Folge ist ein erhöhtes Risiko für Allergien und Autoimmunerkrankungen, wie Typ 1-Diabetes.
- Unser Immunsystem ist gewöhnt, sich mit Krankheiten auseinanderzusetzen – in seinem eigenen Tempo. Das bedeutet eben auch, dass manche Krankheiten nicht von heute auf Morgen „abgeschaltet“ werden dürfen, wie das moderne Arzneimittel (Antibiotika) teilweise versprechen. Zum Glück beginnt hier langsam ein Umdenken, nicht zuletzt wegen der zunehmenden Resistenzen, weil sich die Erreger inzwischen schneller an die Antibiotika anpassen, als die Pharmazeuten neue entwickeln können. Bei viralen Infektionen werden nicht nur Antikörper, sondern auch die Abwehrzellen selbst vermehrt gebildet. Bei einer „natürlich“ verlaufenden Infektion reguliert sich das Immunsystem anschließend in der Regel selbst. Bei einer unterbrochenen Infektion bilden sich zwar Antikörper, aber das Training der Abwehrzellen bleibt aus. Dadurch kommt es zu einem Ungleichgewicht im Immunsystem, welches das Risiko für die Entwicklung von Allergien erhöht.
- Hektik und Stress des modernen Lebens mit seiner Reizüberflutung und Aktivitätsübersättigung führen bei vielen Menschen zu einer unbewussten inneren Abwehrhaltung gegen äußere Einflüsse. Wir reagieren „allergisch“ auf unsere Umwelt – und das spiegelt sich oft auch in körperlichen Allergien wieder. Allergiker machen oft die Erfahrungen, dass ihre Beschwerden in „stressigen Zeiten“ zunehmen. Und in der Praxis mache ich oft die Beobachtung, dass Menschen, die besonders „pingelig“ oder „kritisch“ wirken, auch recht häufig multiple Allergien oder Unverträglichkeiten beklagen. Und wer ist heute nicht oft „genervt“?
Soviel zu den Ursachen. Sicher ist diese Aufzählung nicht vollständig. Es werden immer wieder neue Ursachen oder begünstigende Faktoren diskutiert. Kein Wunder bei der zunehmenden Verbreitung von allergischen und autoimmunen Erkrankungen. Man hat den Eindruck, der moderne Mensch kommt immer mehr in Konflikt mit seiner Umwelt, ein Preis des heutigen Lebensstils.
Bei den Nahrungsmitteln muss man noch unterscheiden in echte Allergien und Unverträglichkeiten
Bei einer Allergie sind die beteiligten Antikörper vom Typ IgE. Ursprünglich waren diese für die Bekämpfung von Parasiten „zuständig“. Parasiten kennen wir in den Industrienationen aber kaum noch, also sind die IgE „arbeitslos“ – und bekämpfen jetzt harmlose Stoffe wie Pollen oder eben Nahrungsmittelbestandteile. Bei einer echten Allergie erfolgen die Reaktionen typischerweise sehr schnell, oft schon im Mund. Schwellen beispielsweise beim Essen die Zunge oder der Rachen an, dann ist das ein deutlicher Hinweis auf eine Allergie. Ebenso, wenn die Nase anfängt zu laufen oder die Lippen brennen.
Davon zu unterscheiden sind die Unverträglichkeiten. Diese beruhen entweder auf einem Enzymmangel beispielsweise bei der Unverträglichkeit von Milch aufgrund des, beim Erwachsenen häufigen, Laktasemangels. Milch ist eine Nahrung für Kleinkinder und daher bildet sich das Verdauungsenzym Laktase, das den Milchzucker für uns verdaubar macht, nach der Kindheit nach und nach zurück. Wir Mitteleuropäer können nur aufgrund einer Mutation vor rund 40.000 Jahren überhaupt als Erwachsene Milch verdauen. Andere Kulturkreise können das nicht.
Ähnlich sieht es bei der Unverträglichkeit von Fructose, also Fruchtzucker aus. Hier fehlt ein bestimmtes Transporteiweiß, das den Fruchtzucker aus dem Darm ins Blut befördert. Jeder Mensch hat seine individuelle Fruchtzuckergrenze, über der er Probleme bekommt. Bei manchen Menschen liegt ein vollständiger genetisch bedingter Mangel des Proteins vor – sie vertragen keinen Fruchtzucker und daher auch nur wenig Obst und bestimmte Gemüse.
Neben diesen Basis-Unverträglichkeiten gibt es noch die so genannten IgG-vermittelten Nahrungsmittelunverträglichkeiten. Hier bildet der Körper gegen bestimmte, oft häufig konsumierte, Nahrungsmittel Antikörper, die in der Folge unangenehme Reaktionen auslösen. Diese müssen nicht auf den Darm beschränkt bleiben, sondern können sich in Form von chronischen Entzündungsprozessen im ganzen Organismus bemerkbar machen, beispielsweise in den Gelenken.
Ein Hinweis auf eine mögliche Unverträglichkeit ist es, wenn die Beschwerden wie Magendruck oder Unwohlsein etwa 1-2 Stunden nach dem Essen auftreten.
Oft sind IgG-Unverträglichkeiten eine Folge von zugrundeliegenden Basis-Unverträglichkeiten wie Laktose-(Milchzucker-) oder Fructose-Unverträglichkeit.
Der Darm wird dadurch gereizt und im Laufe der Zeit entwickelt sich ein so genannter „Leaky gut“, ein „löchriger Darm“. Die innerste Schicht des Darmes, die Darmschleimhaut ist sehr dünn und teilweise durchlässig, damit wir Nährstoffe aufnehmen können. Kommt es nun zu häufigen Reizungen oder zu Entzündungen, dann wird die Schicht an einigen Stellen permanent durchlässig und es kommen nun auch Stoffe durch, die eigentlich im Darm bleiben sollten, wie Nahrungsbestandteile oder Bakterien. Dies ruft das Immunsystem auf den Plan und ein lokaler Krieg beginnt. Die gebildeten Antikörper führen zu lokalen Entzündungen, was das Leaky gut vergrößert. Immer mehr Nahrungsbestandteile treten durch und werden als „Feinde“ erkannt, die bekämpft werden.
Wird das Geschehen nicht gestoppt und die eigentlichen Ursachen behoben – was ein längerer Prozess ist – dann werden immer mehr Nahrungsmittel „problematisch“.
Was kann man bei einer Nahrungsmittelallergie oder Unverträglichkeit tun?
Wenn der Verdacht auf Nahrungsmittelallergien oder Unverträglichkeiten besteht, dann ist es notwendig, im Labor eine Blutprobe auf entsprechende IgE- und/oder IgG-Antikörper zu untersuchen. Das Ergebnis ist dann eine Liste, die zeigt, auf welche Nahrungsmittel man reagiert – und wie stark die Reaktion ist.
Die Nahrungsmittel mit besonders starken Reaktionen müssen für einige Zeit gemieden werden. Gute Labore erstellen nicht nur eine Liste, sondern liefern auch ein individuelles Rezeptbuch mit vielen alternativen Gerichten mit. So kann man sich leichter umstellen.
Das Ziel ist es aber in der Regel nicht, nun für alle Zeit auf alle gefundenen Nahrungsmittel zu verzichten. Meist sind es nur wenige Schlüsselnahrungsmittel (wie Milch oder Gluten), die hinter dem Ganzen stecken. Diese müssen manchmal dauerhaft gemieden werden, während später hinzugekommene Unverträglichkeiten sich wieder abbauen.
Dazu ist unbedingt notwendig, die Schonzeit für den Darm dafür zu nutzen, die geschädigte Darmschleimhaut und die, meist ebenfalls gestörte, Darmflora wiederaufzubauen. Das kann durchaus einige Monate dauern.
Die Laboruntersuchung ist also nur ein Teil der gesamten Therapie, bestehend aus (meist) vorübergehender Nahrungsmittelkarenz, Darmschleimhautsanierung und Darmfloralenkung.
Auch eventuelle Co-Faktoren wie falsche Essverhalten (schnelles Essen, wenig Kauen) oder viel Stress müssen berücksichtigt werden, damit eine dauerhafte Gesundung erfolgen kann.
Autor: Rudolf Hege, Heilpraktiker/Dipl. Btw.
Thema: Nahrungsmittelallergien und Nahrungsmittelunverträglichkeiten erkennen und behandeln
Webseite: https://heilpraxis-hege.de