Zivilisationskrankheiten | Zu klug, um gesund zu bleiben?

Von der Ausbreitung der Zivilisationskrankheiten und ihrer Bekämpfung

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Ein möglicher Grund, warum die Menschheit bisher – jedenfalls offiziell – keinen Besuch von außerirdischen Lebensformen bekommen hat, ist laut Alistair Nunn: Auf Planeten, deren Bewohner gelernt haben, wie man ins Weltall fliegt, explodieren die Gesundheitskosten genauso wie auf der Erde. Die Ressourcen, die zur Behandlung der sogenannten Zivilisationskrankheiten verwendet werden müssen, fehlen dann für die Erkundung des Universums. Der Molekularbiologe, der zurzeit in London forscht, gibt dafür eine Erklärung, die nur im ersten Moment widersinnig erscheint: Die Menschheit ist zu klug geworden, um gesund zu bleiben. Diese Hypothese nennt er das “intelligence paradox”.

Die Intelligenz wäre nicht der Rede wert, wenn sie nicht früher oder später zu Hypothesen und Lösungsvorschlägen für diese unerwünschte Entwicklung geführt hätte. Wissenschaftliche Studien zur explosionsartigen Ausbreitung der Zivilisationskrankheiten spätestens seit der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts gehen in die Tausende. Alistair Nunn macht dazu ebenfalls Vorschläge. Aber der Reihe nach.

Umgebung kontrollieren, Bedrohungen minimieren

Hunger, Durst, Hitze, Kälte, Krankheitserreger, Angriffe von hungrigen Raubtieren oder benachbarten Stämmen – diese Gefahren waren über Millionen Jahren Alltag für unsere Vorfahren. Genauso lange haben die frühen Menschen ihren Verstand eingesetzt, um zu lernen, wie sie ihre Umgebung kontrollieren und Bedrohungen minimieren können: Werkzeuge, die ältesten Vorboten unserer heutigen Zivilisation, wurden von Vor- und Frühmenschen bereits vor drei Millionen Jahren verwendet. Die ersten Feuer wurden nach heutigem Wissensstand von Menschen vor 1,7 Millionen Jahren angelegt, die ältesten gefundenen Speere schätzt man auf ein Alter von etwa 400.000 Jahren. Zum Vergleich: Die ersten Höhlenmalereien datiert man auf etwa 40.000 Jahre vor unserer Zeit.

Der frühe Mensch jagte und sammelte also, hungerte und fror immer wieder, wurde leicht Opfer von Keimen und Räubern und starb deshalb oft jung – nach heutigen Maßstäben. Um circa 10.000 vor Christus begannen Menschen an verschiedenen Orten auf der Welt langsam, Ackerbau und Viehzucht zu betreiben. Diese revolutionäre Entwicklung definiert den Beginn der Jungsteinzeit. Wenn wir von diesem Moment an auf die Zeitlinie der Menschheitsgeschichte blicken, können wir deutlich erkennen, wie der technische und gesellschaftliche Fortschritt an Fahrt aufnahm.

Leben auf dem Sofa

Ab der Erfindung des Rades um etwa 5000 vor Christus ging alles ganz schnell: Neben der sich entwickelnden Landwirtschaft, die durch Vorratshaltung einen immer beständigeren Nachschub an Nahrung sicherte, zogen kleine und große Helfer in den Alltag ein. Zuerst waren diese mechanischer Natur, später ermöglichten Elektrizität, Motorisierung und Automatisierung gewaltige zivilisatorische Sprünge – hin zu den ausgefeilten Technologien, die dem Menschen des 21. Jahrhunderts ein Leben auf dem Sofa ermöglichen. Er muss nur bereit sein, die gesundheitlichen Konsequenzen zu tragen.

Diese Konsequenzen sind die Zivilisationskrankheiten. Im englischen Sprachraum heißen sie bezeichnenderweise “lifestyle diseases”, also “durch den Lebensstil bedingte Erkrankungen”.  Welche Erkrankungen dazugehören, ist nicht scharf definiert. Weit vorne rangieren in allen Listen: Übergewicht (Adipositas), Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus Typ 2), Bluthochdruck (Hypertonie) oder eine Kombination dieser Erkrankungen bzw. ihrer Vorstufen (das “Metabolische Syndrom”, zu dessen Definition noch eine Entgleisung des Fettstoffwechsels gehört).

Archäologie, Anthropologie und Genetik haben die Annahme inzwischen auf ein starkes Fundament gestellt, dass der Mensch sich in den vergangenen 10.000 Jahren genetisch praktisch nicht mehr verändert hat. Das heißt, er hat sich zwar durch Lernen und Verstehen äußerlich an die modernen Lebensbedingungen angepasst, aber seine Zellen und seine Biochemie sind sozusagen auf vorsintflutlichem Stand.

Tägliche Bewegung fürs Überleben

Der Homo sapiens der Steinzeit musste sich praktisch täglich bewegen, um sein Überleben zu sichern. Er verzehrte zudem wahrscheinlich keine raffiniert komponierten Mehrgänge-Menüs, sondern die ursprünglichen Produkte: Pflanzen, Tiere, Eier.  Nicht nur von dem, was er aß, sondern auch davon, wie er aß, haben sich unsere heutigen Gewohnheiten stark entfernt: Zum Beispiel waren essbare Gewächse von der Saison mitgeprägt. Forscher gehen davon aus, dass Vor- und Frühmenschen seltener Nahrung aufnahmen als heutige Menschen. Überfluss und Mangel wechselten sich ab. Da man zur Jagd großer Tiere mit urtümlichen Waffen immer auch Glück braucht, ist es anders schwer vorstellbar. Dreimal am Tag essen und Snacks zwischendurch ist jedenfalls ein modernes Ernährungsmuster.  

Genau diese Herausforderungen an den menschlichen Organismus, die die Unstetigkeit mit sich brachte, darauf bauen viele Hypothesen und Erkenntnisse der aktuellen Wissenschaft, waren es, die den frühen Menschen fit und überlebensfähig hielten: Der Körper musste – und muss – Belastungen des inneren Gleichgewichts, die durch Anstrengung oder Nahrungsknappheit entstehen, ausgleichen. Welche Anpassungsleistungen der Organismus auf Zellebene erbringt, ist Gegenstand ausgedehnter Forschungen, z. B. in der Biochemie. Uneinigkeit besteht eher über Details: Diskutiert wird, welche Reize optimal sind, um den Menschen zu maximaler körperlicher und geistiger Leistung zu befähigen.

Verschiedene Wissenschaftsteams – auch Alistair Nunn und Kollegen – gehen davon aus, dass es im Wesentlichen die sogenannten hormetischen Reize sind, durch die der Mensch seine Regenerationsfähigkeit und Gesundheit steigert: Reize, die in kleiner Dosierung einen messbar positiven Einfluss auf den Körper ausüben, in höherer Dosierung jedoch schädlich wirken. Wenn sie gar nicht vorhanden sind, wirkt sich dies ebenfalls negativ aus. In geringer Dosierung, so die Idee, wird der Körper durch leichten Stress zu einer Anpassung seiner Biochemie (“adaptive stress response”) genötigt. Man spricht auch von “hormetischem Stress”.

Gesund durch hormetische Reize

Ein einfaches Beispiel für Hormesis, so heißt das zugrunde liegende Prinzip, ist die Schwerkraft. Es ist bekannt, dass der Stoffwechsel des Menschen in der Schwerelosigkeit Richtung Diabetes tendiert; der Widerstand, den die Anziehungskraft der Erdmasse bietet, ist beim Training in der Schwerelosigkeit nicht vollständig simulierbar. Wenn der Druck jedoch deutlich zunimmt, ein Phänomen, das Taucher besonders gut kennen, müssen Vorsichtsmaßnahmen ergriffen werden, damit der Körper durch starke Druckänderungen keinen Schaden nimmt. So muss das Auftauch-Tempo an die Dauer und Tiefe des Tauchgangs angepasst werden.

Viele hormetische Reize kommen aus der Pflanzenwelt. Gemüse ist ein unverzichtbarer Bestandteil unserer Nahrung, wenn wir gesund bleiben wollen. Viele Gemüse und Gewürze, die wir gewohnt sind, enthalten jedoch Gifte gegen Fressfeinde und wären in größeren Mengen schädlich: Curcuma, Spinat, Grüner, Tee, Broccoli, um nur einige zu nennen. Auf der biochemischen Ebene kann man ihre Stresswirkung auf den menschlichen Körper bereits messen, bevor Symptome auftreten. Dass sie in den geringen Mengen, in denen wir sie essen, positive Wirkungen (z. B. Hemmung von Entzündungen und von Tumorwachstum) entfalten, ist ein hormetischer Effekt.

Auch körperliche Bewegung ist ein hormetischer Reiz. Bewegung setzt vor allem in der Muskulatur, aber auch in den Gefäßen und letztlich im gesamten Körper, eine Vielzahl biochemischer Aktionen und Reaktionen in Gang. Diese bringen den Körper dazu, sich an die Anforderungen anzupassen. Bekannt ist der Trainingseffekt: Kondition und Kraft lassen sich steigern. Trainiert man weniger, lassen sie wieder nach.

Der Biorhythmus – die innere Uhr

Einige weitere Faktoren verändern den Menschen metabolisch, das heißt in seinem Stoffwechsel, ebenfalls nachhaltig und nachteilig: häufige Abweichungen von seinem Biorhythmus und dauerhafte Stressbelastungen. Die Uhr der Steinzeit war der Lauf der Sonne, der Wechsel von Licht und Dunkelheit  bestimmte für das Tagtier Mensch Phasen von Ruhe und Aktivität.  Wenn der Mensch dauerhaft seine innere biologische Uhr ignorieren muss, zum Beispiel im Fall von Schichtarbeit, birgt dies schwerwiegende gesundheitliche Risiken. Vergleiche zwischen Personen, die regelmäßig nachts arbeiten müssen und Personen, die tagsüber arbeiten, zeigen mehr Fälle von Schlafstörungen, Depressionen und Bluthochdruck. Schlafstörungen und Depressionen sind auch von Jetlag-sensiblen Personen bekannt.

Als Antwort auf Stress kennt die Biologie seit Jahrmillionen den in der Tierwelt weit verbreiteten “Kampf-Flucht-Mechanismus”. Dieser dient dazu, den Menschen kurzzeitig in einen Zustand höchster Anspannung zu versetzen und seine Leistungsreserven zu mobilisieren, damit er sich aus der Gefahrenzone retten kann. Das geschieht über Signalwege in seinem Nerven- und Hormonsystem. Die Betonung liegt hier jedoch auf “kurzzeitig”. Langfristiger Stress greift zum Beispiel in die Signalwege des Hormons Cortisol ein und verursacht über eine Dauer-Aktivierung des Immunsystems chronische Schäden.

Typische Beispiele für die Auswirkungen von modernem Dauerstress sind Personen, die in einem aussterbenden Beruf arbeiten (Bergleute, Drucker), aber eine Hypothek für ihr Haus abzahlen müssen oder die allein einen dementen Angehörigen pflegen. Hypotheken, Demenz und vergleichbare Konstellationen waren nach allem, was man weiß, vor 10.000 Jahren noch unbekannt. Typische Folgen von Dauerstress sind – ähnlich denen, die entstehen, wenn man sich lange genug über den eigenen Biorhythmus hinwegsetzt – Schlaflosigkeit, Depressionen und Bluthochdruck.

Bewegen und Ruhen, Essen und Arbeiten, Schlafen und Wachen – die Muster des Alltags haben sich also grundlegend verändert, aber der Mensch braucht zum Erhalt seiner Leistungsfähigkeit eigentlich die Muster (oder vielmehr die Unregelmäßigkeiten) der vorzivilisatorischen Zeit. Somit lässt sich, wenn man die Definition weit fassen will, jede chronische Erkrankung als Zivilisationskrankheit einordnen, die mit dieser Kluft zwischen Soll- und Ist-Zustand im modernen Leben zu tun hat.

Vital im Alter: eine Herausforderung

Bedingt durch chronische Erkrankungen erleben Menschen ihr Alter häufig nicht in einem vitalen und leistungsfähigen Zustand. Viele Senioren sterben nicht aus guter Gesundheit heraus, sondern – wie man regelmäßig in Todesanzeigen lesen kann – “nach langem, schweren Leiden”.  Zivilisationskrankheiten kommen nicht zuletzt deshalb so deutlich zum Tragen, weil Menschen in Europa, Nordamerika und in Nationen mit ähnlichem Lebensstil und -standard heute im Durchschnitt um 80 Jahre alt werden. Alt genug, dass die Symptome sichtbar werden, die auftreten, wenn ein Körper jahrzehntelang entsprechenden Risiken ausgesetzt war, einerlei, ob es sich um individuelle Verhaltensmuster (z. B. Überernährung) oder um externe Risikofaktoren (z. B. Arbeit mit Giften ohne Schutz) handelt.

Während die Menschheit also die Grundlagen für ein relativ sicheres und langfristiges Überleben aller schafft – zum Beispiel Nahrungsmittelkonservierung und –vorratshaltung, beheizte Wohnhäuser, Gesetzeswerke und Alarmanlagen, Sozial- und Gesundheitssysteme – schaltet sie im gleichen Maße den wichtigsten Anreiz für den Einzelnen aus, seinen Körper zu bewegen: das Überleben selbst. Mit anderen Worten: Anrufe beim Pizzaservice lösen ein Problem, schaffen aber auch welche.

Der ausgedehnte Aufenthalt in Komfortzonen aller Art ist jedoch nicht der einzige Grund für die rasante Zunahme von Zivilisationskrankheiten. Der andere Grund ist die Auswahl der Alternativen: Wie sollte man sich denn stattdessen verhalten? Nach Jahrtausenden zeitlicher Entfernung vom ursprünglichen Leben und unter dem Druck, mit den Gegebenheiten des Jetzt zurechtzukommen, herrscht viel Verwirrung über den besten Weg.

Ein großer Personenkreis setzt bei der Behandlung von Zivilisationskrankheiten auf die moderne Medizin und Pharmakologie. Blutdrucksenker, Entzündungshemmer, Chemotherapeutika, Hormone wie Insulin und Cortisol lindern die Symptome. Operative Eingriffe wie z. B. Magenverkleinerungen bei Fettleibigkeit helfen in ausweglos scheinenden Fällen, und Implantate wie beispielsweise Herzschrittmacher oder Stents zur Aufdehnung von Blutgefäßen retten Leben.

Verhalten ändern und vorbeugen

Zugleich wird die Zahl derer immer größer, die genauer wissen wollen, wie man sein Leben bis ins hohe Alter gesund und unabhängig vom Medizin- und Arzneimittelbetrieb leben und genießen kann. Dieser Personenkreis setzt auf Verhaltensänderungen und auf Vorbeugung.

Die Lösungen liegen in genau den Bereichen, in denen sich das moderne Leben vom Steinzeitleben unterscheidet: Bewegung, Ernährung, Lebensrhythmen, Stressmuster, soziale Einbindung, Lebenssinn. Das Glied, das alle diese Faktoren miteinander verbindet, scheint das Immunsystem zu sein.

Das Immunsystem als verbindendes Glied

Man weiß heute über das Immunsystem, dass es Informationen sowohl von innen aus allen Körperorganen als auch von außen aus allen Sinneskanälen bezieht, um über Gefahren sofort informiert zu sein. Krankheitserreger sind dabei eine mögliche Gefahr von vielen. Denn nur so kann das Immunsystem seine Aufgabe richtig wahrnehmen, das Individuum vor Gefahr zu beschützen. Das tut es, indem es bei Stress – als Stress gilt hier jede Veränderung des inneren Gleichgewichts über einen bestimmten Punkt hinaus – für Entzündung sorgt.

Daraus folgt, dass der Mensch in der modernen Welt permanent mit Entzündung kämpft, ein Konzept, das wissenschaftlich inzwischen gut unterfüttert ist. Die “Cafeteria-Diät” (Zucker, Fett, Teigwaren, Abwesenheit von Obst und Gemüse), chronische Belastungen und Bewegungsmangel verhindern, dass der Organismus immunologisch zur Ruhe kommt. Die chronische niedriggradige Entzündung (“chronic low grade inflammation”) setzt ihrerseits den Organismus unter Stress und macht ihn über verschiedene Mechanismen anfällig für chronische Erkrankungen – ein Teufelskreis.

Für den Psychoneuroimmunologen Leo Pruimboom ist die chronische niedriggradige Entzündung “die Ursache aller Ursachen”, auf die sich letztlich alle Zivilisationskrankheiten zurückführen lassen. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Symptome sich psychisch oder körperlich zeigen: Im Blut von depressiven Personen werden ebenso regelmäßig erhöhte Entzündungswerte gefunden wie im Blut von übergewichtigen Personen oder Diabetikern.

Die Vielfalt der Zivilisationskrankheiten kann leicht darüber hinwegtäuschen, dass ihnen einige wenige zentrale Mechanismen zugrunde liegen. Aber wenn man sich vor Augen hält, dass viele chronische Erkrankungen nur Schritte auf dem Weg zu weiteren, fataleren chronischen Erkrankungen darstellen (sehr oft steht am Ende der Kausalkette eine Herz- oder Gefäßerkrankung), wird das Bild klarer.

Kausalketten – Wege in die chronische Krankheit

Beleuchten wir beispielhaft eine von vielen möglichen Kausalketten, die zu Zivilisationserkrankungen führen. Sie beginnt mit dem regelmäßigen Konsum von Zucker – einer in ihrer reinen Form sehr modernen Energiequelle – und zuckerreichen Nahrungsmitteln und Getränken:

Zum ersten ist Zucker Futter für einen Keim, der im Mundraum fast aller Menschen vorkommt, Streptococcus mutans. Dieses Bakterium vermehrt sich bei reichlichem Zuckerangebot in der Nahrung und zerstört bei ungenügendem Zähneputzen den Zahnschmelz: Karies ist die Folge. Die schwarzen faulen Stellen in den Zähnen werden in der Regel mit körperfremden Materialien gefüllt, oder die Zähne werden, wenn sie abgestorben sind, gezogen und durch Prothesen oder Implantate ersetzt. Diese körperfremden Materialien haben zum Teil Giftwirkungen oder erzeugen – über weitere biochemische Mechanismen – Allergien.

Zum zweiten ist Zucker ein Dickmacher: Wer viel Zucker konsumiert, neigt dazu, zu viel zu essen. Wer Nahrungsmittel isst, die viele Kalorien enthalten, z. B. “Zucker-Fett-Bomben” wie Schokoriegel, fördert zudem die Entzündungsneigung des Körpers über die “postprandiale Entzündungsreaktion” (postprandial = nach der Mahlzeit). Das bedeutet: Der Körper versteht energiereiche Nahrung als Warnsignal und mobilisiert Immunzellen. Wer ständig snackt, hält sich demnach dauerhaft entzündet. Nicht zuletzt produziert das Bauchfett, das der Mensch einlagert, selbst Entzündungssubstanzen.

Zum dritten löst, wann immer wir etwas essen, der Nahrungsreiz in unserem Magen-Darm-Trakt eine Vielzahl von Aktivitäten aus. Besonders gefordert ist dabei die Bauchspeicheldrüse. Sie produziert Verdauungssäfte, die sie in den Darm abgibt, den sogenannten Bauchspeichel, und ein Hormon, das in unserem Körper viele Funktionen hat: Insulin. Eine lebenswichtige Aufgabe von Insulin ist es, den Zucker aus der Nahrung über das Blut in unsere Zellen zu schleusen. Häufiges und zuckerhaltiges Essen belastet  die Bauchspeicheldrüse stark: Sie muss dann oft und viel produzieren, und zwar Insulin und Bauchspeichel. Damit ist die Drüse auf Dauer überfordert.

In der Folge entsteht – langsam über Jahre – Diabetes mellitus Typ 2: Der Zucker wird von den Zellen immer schlechter aufgenommen, denn es ist nicht mehr genügend Insulin da, das ihnen das Signal zur Zuckeraufnahme gibt. Der sogenannte Blutzuckerwert steigt. Das ist potentiell lebensbedrohlich, denn wenn der Wert eine bestimmte Grenze erreicht, fällt der Mensch ins Koma. Aus diesem erwacht er möglicherweise nicht mehr. Für Personen, die ihr Leben nicht rechtzeitig umstellen auf eine Lebensweise, die die Bauchspeicheldrüse schont, gibt es Medikamente, die entweder die Drüse zur Mobilisierung ihrer letzten Reserven zwingen oder die das Hormon Insulin ersetzen. Der Patient “muss spritzen”.

Weniger spektakulär, aber deswegen kaum weniger schädlich, ist ein Zuwenig an Bauchspeichel: Die darin enthaltenen Substanzen spalten die Nahrung, die wir essen, auf. Ohne genügend Bauchspeichel werden die Proteine, Kohlenhydrate, Fette, Ballaststoffe und andere chemische Verbindungen nicht genügend zerkleinert. In der Folge können die Vitamine, Mineral- und Nährstoffe den Körper nur teilweise erreichen. Mangelerscheinungen sind die Folge. In ihrer Extremform können auch diese tödlich enden.

Zuviel Zucker im Blut und die Folgen

Die “Verzuckerung” des Blutes im Verlaufe der Entstehung des Typ-2-Diabetes führt dazu, dass das Blut nicht mehr bis in die feinsten Kapillaren vordringen kann. So können unter anderem Polyneuropathien (schmerzhafte Funktionsstörungen der Nerven), Verschlechterungen der Sehfähigkeit, Nierenschäden und Gefäßerkrankungen wie Arteriosklerose entstehen. Wenn der Herzmuskel selbst schlechter mit Blut versorgt wird, kann das Herz seine Leistung nicht mehr erbringen. Dann spricht man von Herzinsuffizienz.

Verschiedene der genannten Symptome führen wahrscheinlich dazu, dass die betroffene Person sich weniger bewegen wird: Die Leistungsfähigkeit sinkt, die Schmerzen werden durch Bewegung schlimmer. Folgen können Muskelschwund, Verminderung der Knochendichte und verstärktes Übergewicht sein. Die Folge von Muskelschwund ist ein verstärktes Risiko zu fallen. Zusammen mit verringerter Knochendichte oder Osteoporose steigt dabei die Wahrscheinlichkeit, sich ein Bein oder die Hüfte zu brechen. Die nächste Station ist also Krankenhaus. An Bewegung ist jetzt erst einmal nicht mehr zu denken – dann geht es irgendwann langsam wieder los mit dem Gehbock. Die Spirale nach unten dreht sich schneller.

Eine Überlebensstrategie wird nun dringlich. Umdenken und anders handeln als bisher scheinen gute Zutaten zu sein.

Diese 35 Zivilisationskrankheiten und Symptome werden durch zu wenig Bewegung (mit-)verursacht:

35 Zivilisationskrankheiten und Symptome

Literatur:

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Wikipedia (de.wikipedia.org). Stichworte: “Feuer”, “Höhlenmalerei”, “Rad”, “Speer”, “Werkzeug”

Mehr Literatur bei der Autorin.

Autor: Claudia Peschl
Thema: Zivilisationskrankheiten
Webseite: https://www.heilpraxis-peschl.de

Autorenprofil Claudia Peschl:

Claudia Peschl, Heilpraktikerin in Kranenburg/Niederrhein, Spezialgebiet: klinische Psycho-Neuro-Immunologie

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