Beinahe täglich werden wir in den Medien mit der Suchtproblematik Prominenter konfrontiert.
Aktuell hat uns die Berichterstattung über die Exzesse des Jan Ullrich in ihren Bann gezogen. International flimmerten die verstörenden Aufnahmen des US Schauspieler und oscarprämierten Drehbuchautor Ben Affleck, des Spice-Girls Mel B. und das schockierende Obduktionsergebnis der Cranberries-Sängerin Dolores O'Riordan über den Bildschirm. Und gerade jetzt bricht Jenny Elvers ihr Schweigen und beschreibt in ihrer soeben veröffentlichten Biographie „Wackeljahre“, ihren langjährigen Suchtverlauf.
Alkoholabhängigkeit ist jedoch kein Phänomen Prominenter, sondern trifft Menschen aller gesellschaftlicher Schichten. Es ist deshalb an der Zeit mit der Mär aufzuräumen, Alkoholiker seien eine Spezies, die man eher in Bahnhofsgegenden oder an Trinkhallen antrifft. Nein, Alkoholiker sind Menschen wie Du und Ich.
Mittlerweile fünfzig Jahre nachdem in der Bundesrepublik die Alkoholabhängigkeit als psychische Erkrankung anerkannt wurde und seitdem Betroffene und Angehörige die Möglichkeit wahrnehmen können, ihre Belange aktiv, selbstbewusst und erfolgreich in Fachkliniken, Therapieeinrichtungen und Selbsthilfeorganisationen der Öffentlichkeit, Krankenkassen und Rentenversicherer gegenüber durchzusetzen, sind Stigmatisierung, Diskriminierung und Ausgrenzung alkoholabhängiger Menschen nach wie vor als gegeben anzusehen, sind gesellschaftlich geächtet und leider traurige Realität, auch wenn in anderen Formen und unter veränderten gesellschaftlichen Bedingungen. Ein Ende der Ausgrenzung ist immer noch nicht in Sicht.
Es gilt also, der Unwissenheit und den nebulösen Vorstellungen der überwiegenden Mehrheit unserer Gesellschaft über die Alkoholabhängigkeit als Krankheit, sich mit dieser Thematik in der hier gebotenen Kürze auseinander zu setzen.
Die Früherkennung der Suchtkrankheit stellt hierzulande nach wie vor das Hauptproblem bei der Behandlung von Suchtkranken dar. Das liegt weniger an den diagnostischen Feststellungen als vielmehr an der Stigmatisierung durch die Diagnose Suchterkrankung selbst. Denn für die überwiegende Mehrzahl Suchtkranker beginnt der eigentliche Leidensweg jetzt erst so richtig. Häufig liegt es an der bisweilen diskriminierenden Zuordnung der Krankheit, die ihr vom sozialen Umfeld des Betroffenen aufgestempelt wird, mehr als an der Symptomatik selbst. Der Suchtkrankheit im Besonderen der Alkoholabhängigkeit wird von der Mehrheit unserer Gesellschaft leider noch immer der Status einer Krankheit abgesprochen und sie wird vielmehr als selbstverschuldetes und asoziales Verhalten angesehen. Vermeintlich folgerichtig wird dann auch vom Betroffenen selbst gefordert, dass er sich "einfach zusammennehmen soll", um seinem übermäßigen Konsum zu entsagen. Womit das Scheitern und die Ausweglosigkeit des Betroffenen schon vorprogrammiert scheint. Ein Scheitern, dass ihm mit dem Vorwurf angelastet wird, dass eine Hilfestellung und Behandlung für ihn nicht sinnvoll, weil nicht zielführend wäre. Im Zusammenhang mit der damit einhergehenden Forderung nach lebenslanger Abstinenz als einziges Ziel stellt sich auch die Frage, ob die Gesellschaft, wenn wir von diesen Menschen lebenslange Abstinenz verlangen und meinen, Willensstärke wäre zur Erreichung dieses Ziels ausreichend, nicht eine Forderung in den Raum stellen, die als kaum erfüllbar vom Alkoholabhängigen wahrgenommen und gefühlt wird.
Diese letztlich für keinen der Beteiligten, seien es nun Ärzte, Therapeuten, Berater, Angehörige oder Betroffene selbst, unbefriedigende Situation macht es notwendig, sich nicht nur mit therapeutischen Behandlungsfragen, sondern vorrangig auch mit Fragen des persönlichen Umgangs mit der Suchtproblematik in unserer Gesellschaft im Allgemeinen und im Umgang mit Betroffenen im Besonderen zu beschäftigen. In diesem Zusammenhang stellt sich also die Frage, wieso wir Alkoholexzesse und medial präsente Alkoholabhängigkeit bei prominenten Mitbürgern tolerieren, aber dem Menschen von nebenan den Weg aus der Sucht mit Diskriminerungsfloskeln versperren und ihn weiterhin seelisches Spießrutenlaufen lassen. Was ist zu tun?
Eine eher kindliche Vorstellung ist die, dass sich die Medien verstärkt mit der Volkskrankheit Nr. 1
nicht nur auf die Berichterstattung „abgestürzter“ Prominenter konzentrieren, sondern solche Ereignisse zum Anlass nehmen sollten, auf die Problematik der Erkrankung in allen gesellschaftlichen Schichten mit Hinweisen auf Ersthilfe, fachliche Beratung und Betreuung hinzuweisen.
Zu kritisieren ist auch an dieser Stelle die zurückhaltende Position der weit über 1.400 Beratungsstellen in der Bundesrepublik, die sich professionell mit der Erkrankung auseinandersetzen. Sie sind es, die sich eine bislang eher vernachlässigten Öffentlichkeitsarbeit zum Auftrag machen müssten und offensiv Vorträge, Veranstaltungen und Workshops in ihren Gemeinden und Städten anbieten.
Diesem Anspruch hat sich der Autor, Gründer und Vorstand der autonomen Psychosozialen Suchtberatungsstelle ZenSIS e.V. in Frankfurt, Michael Roth schon lange zu eigen gemacht. Die von ihm ins Leben gerufenen und mit der Beratungsstelle kooperierenden Selbsthilfegruppen und Gesprächskreise zählen ebenso zum umfassenden Angebot der Beratung, Betreuung und Nachsorge, wie aber auch die Durchführung kultureller Veranstaltungen und Vorträge, die sich u.a. suchtspezifisch mit der Thematik der Prävention und Rückfallprophylaxe auseinandersetzen.
Immenses Presseecho fand vergangenes Jahr zum Beispiel das von ihm organisierte und für die Bundesrepublik erstmalig durchgeführte Rock Event "ROCK vs. STIGMA" unter Mitwirkung der RODGAU MONOTONES und 4 weiteren Bands statt. Ein weiteres Benefiz Concert mit den BLIND FOUNDATION unter dem Motto: "NIGHT of INCLUSION" konnte in dem einmaligen Ambiente des "Logenhaus Nachtclub" in Frankfurt im März d.J. das Publikum begeistern.
Besonderen Fokus legt Michael Roth auf seine internationalen Kontakte und den damit wichtigen permanenten fachlichen Erfahrungsaustausch. Dies belegt auch seine Teilnahme in den Jahren 2008, 2009 und 2010 am Weiterbildungsprogramm PIR Professional In Residence des Betty Ford Center in Rancho Mirage, Calif. USA, zertifiziert nach NAADAC National Association of Alcoholism and Drug Abuse Counselor. Im Oktober 2012 erhielt er die intern. Zertifizierung Certified Peer Recovery Coach durch das International Alcohol and Drug Abuse Certification Board Atlanta USA und ist Mitglied der ACA American Counseling Association und der Addictions Professionals Networking. Sein aktives Mitwirken bei den durch amerikanische Fachorganisationen initiierten Kampagnen, wie z.B. "Break the Stigma" und "Heroes in Recovery", dokumentieren seine Aktivitäten weit über die Grenzen der Bundesrepublik hinaus.
Foto: Michael Roth im Erfahrungsaustausch mit seinem Gast Prof. Munehiro Toyoyama der University of Economics, Osaka Japan im August 2018.
Autor: Michael Roth
Thema: Alkoholabhängigkeit | Wider die Stigmatisierung
Webseite: http://www.michael-roth.org