Copyright: Anna von Oertzen
„Machs gut!!, ruft Eva über die Schulter, nimmt die Sporttasche und den Schlüssel und verläßt das Haus. Mit einem geräuschvollen Krachen fällt die Tür ins Schloss.
Franz, der auf dem Sofa sitzt, zuckt zusammen. Mißbilligend schüttelt er den Kopf, schon wieder lässt sie mich allein. Schon wieder ist seine Frau unterwegs - ohne ihn. Er schaltet den Fernseher ein, es ist Freitag Vormittag, im Programm nur Quizsendungen oder Serien wie „Verbotene Liebe“. Er bleibt trotzdem sitzen, schaut, ohne Interesse, auf den Bildschirm. Als Eva vier Stunden später zurückkommt, sitzt ihr Ehemann immer noch auf dem Sofa, „Was gibts zu essen“, fragt er. Sie zuckt mit den Schultern. „Keine Ahnung, worauf hast Du denn Lust?“ „Ist es zu viel verlangt, dass du dir Gedanken machst, was ich essen möchte? Du hättest mich wenigstens fragen können. Und die Fenster sind auch so dreckig, die müssten mal wieder geputzt werden. Aber immer bist du unterwegs mit irgendwem.“ Kommentarlos geht Eva in die Küche und bereitet das Mittagessen zu. Sie essen schweigend, mürrisch schaut er aus dem Fenster. „Wollen wir einen Spaziergang machen?“, fragt Eva später. Er schüttelt den Kopf, „ich will in Ruhe lesen“.
Viele Paare in langjährigen Beziehungen kennen diese oder ähnliche Situationen. Man meint den anderen zu kennen, man weiß, was der andere denkt, alle Themen sind schon einmal besprochen worden oder ausgekämpft. Die heiklen Klippen werden umschifft, bevor es unangenehm werden kann. Zahlreiche Studien belegen, dass Paare oft nur noch wenige Minuten täglich miteinander sprechen. Doch Austausch und Anteilnahme am Leben des Anderen schaffen erst die Vertrautheit und Nähe, die wir uns alle wünschen. Beziehungen und Nähe sind grundlegende menschliche Bedürfnisse, die uns helfen, uns verbunden und geliebt zu fühlen.
Wie kann es also dazu kommen, dass die Resonanz fehlt, dass wir einander fremd werden und verstummen?
„Ich halte es schon lange nicht mehr aus. Er fragt nichts, will nichts mehr von mir wissen. Ich funktioniere nur noch“, hat Eva vor kurzem ihrer Freundin erzählt. Eva lebt schon längere Zeit ihr eigenes Leben, tauscht sich in ihrem Freundeskreis aus, unternimmt das, was ihr zu Hause fehlt, mit anderen. Dabei hatte sie sich gewünscht, gerade im Alter, mit ihrem Mann ein interessantes und aktives Leben zu führen. Doch seitdem er nicht mehr arbeitet, scheinen seine Neugier und sein Wille erloschen. „Er wirkt, als sei er gar nicht anwesend und manchmal frage ich mich, wo er mit seinen Gedanken eigentlich ist. Er war auch vorher schon ein eher schweigsamer Mann gewesen, doch durch den gemeinsamen Alltag, die Reisen, die Aufgaben mit den Kindern fiel es nicht so auf.“ Die wenigen Gespräche gleichen eher aneinandergereihten Monologen. Er wartet ab, bis sie geredet hat und bringt dann Gedanken vor, die häufig nichts mit dem zuvor Gesagten zu tun haben. Ein tiefer Riß geht durch diese Partnerschaft, ist das noch zu kitten?
Da sein, anwesend sein, präsent sein - das bedeutet in der Gegenwart zu sein. Aufmerksam sich selbst gegenüber, aber auch gegenüber der Umgebung. Den Duft, die Temperatur, die Geräusche wahrzunehmen und darauf zu reagieren. Aufmerksam sein gegenüber dem Leben, offen sein für Überraschungen. Die Frage
„Wie war Dein Tag?“ reicht dafür nicht aus. Eine innige Umarmung, ein unerwarteter Kuss, eine heimlich geplante, gemeinsame Unternehmung, sind ebenso wichtig wie die Frage nach den Geschehnissen des Tages. Hast Du heute etwas besonders Schönes erlebt? Hast Du Dich heute geärgert? Womit kann ich Dir heute eine Freude machen?
Franz ist es nicht gewohnt solche Fragen zu stellen. Seit seiner Pensionierung sitzt er immer öfter stundenlang zu Hause auf dem Sofa. Sein Leben hat sich verändert, das Leben seiner Frau nicht. Sie war immer schon der aktive Part in der Beziehung gewesen. Und wenn sie jetzt doch einmal das Haus verlassen und zum Beispiel essen gehen, sitzen sie sich schweigend gegenüber. Seine Frau erzählt manchmal von Freunden und Freundinnen, die er gar nicht kennt, von den Gesprächen, die sie mit ihnen führt, den Kinofilmen die sie gesehen hat und er hat nichts zu erwidern. Er ist ratlos, wie diese sprachlose Situation zu ändern wäre.
Gibt es denn keinerlei Berührungspunkte mehr, keinerlei Übereinstimmung?
Intimität kennt er nur als sexuelles Begehren, aber nicht als Interesse an den Gedankenwelt des anderen. Nähe erschöpft sich für ihn in der Sexualität. Sich anlehnen können, kuschen, Halt geben und Halt bekommen durch Gleichklang, das ist ihm fremd.
„Machs gut!!, ruft Eva über die Schulter, nimmt die Sporttasche und den Schlüssel und verläßt das Haus. Mit einem geräuschvollen Krachen fällt die Tür ins Schloss.
Franz, der auf dem Sofa sitzt, lächelt. Ihr Temperament hat sich über die Jahre nicht geändert. Er steht auf und geht in die Küche. Er weiß, dass sie heute nach dem Sport erschöpft, aber glücklich nach Hause kommen wird und hat sich vorgenommen sie mit einem selbstgekochten Essen zu überraschen. Dazu hat er extra ein Rezept aus dem Internet herausgesucht und beginnt jetzt damit die Zutaten auf dem Schneidebrett aufzureihen. Er hat das noch nie vorher gemacht. Während er schnippelt und würzt, denkt er darüber nach mit welcher Leichtigkeit seine Frau das alles jahrelang erledigt hat. Er freut sich darauf, später mit ihr beim Essen darüber zu sprechen. Über die geplante Radtour, die er mit seinem langjährigen Freund Lothar in zwei Wochen machen wird, will er auch noch mit ihr reden.
„Ich finde schön, dass wir beide allein sein können und uns doch nicht einsam fühlen müssen“, denkt er. „Und was für ein Glück, dass wir jeder für sich ein erfülltes Leben haben, es tut gut, sich darüber auszutauschen.“
Oftmals werden Einsamkeit und Alleinsein synonym verwendet, obwohl die Bedeutung unterschiedlich ist. Einsamkeit beschreibt das Gefühl des Getrennt seins von anderen Menschen, während Alleinsein einfach bedeutet, das man ohne Gesellschaft ist. Man kann allein sein, ohne einsam zu sein. Eine wichtige Zutat für eine tiefe, bedeutsame Beziehung sind Empathie und Mitgefühl. Diese Fähigkeiten erlauben es, uns in die Lage unseres Partners zu versetzen und seine Emotionen zu verstehen. Ohne Empathie kann es schwierig sein, wahre Nähe zu erreichen, da wir nicht in der Lage sind, uns vollständig auf unsere Partner einzulassen. Wir wollen nicht mit unserem Partner verschmelzen, sondern den anderen lieben, ohne uns selbst aufzugeben. Empathie erlaubt erst wahres Mitgefühl - wenn wir nicht bereit sind, die Bedürfnisse unseres Partners anzuerkennen und darauf einzugehen, können wir keine dauerhafte Verbindung aufbauen. Selbst wenn wir uns bemühen, eine gesunde Balance zwischen Nähe und Distanz zu finden oder wenn wir unsere Ängste überwinden wollen um echte Nähe zuzulassen, wird dies ohne Empathie und Mitgefühl kaum möglich sein.
Fazit: Frage nicht, was die Beziehung für Dich tun kann, frage, was Du für die Beziehung tun kannst!
Autor: Anna von Oertzen
Thema: Einsamkeit in der Beziehung
Webseite: https://www.annavonoertzen.net
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