Ist das Corona Virus ein Monster?
Diese Frage wurde in Workshops an den letzten Tagen vor Schließung der Kitas verstärkt von Kindern gestellt. Spürbar war, wie nahe dieses Thema auch den Kindern geht und für das sie in diesem Alter mit einer magischen Vorstellungskraft einen anderen Raum der Kommunikation und Ausdrucksmöglichkeiten benötigen als Erwachsene.
Die Gruppe der Vorschulkinder erzählte von Ängsten und Unbehagen und drückte ihre Missempfindungen aus. Die Frage, ob das Corona Virus ein Monster sei, fand zuerst einmal eher leise aus dem Mund eines Jungen den Weg in die Kindergruppe der 5-6jährigen. „Und wenn es so etwas wie ein Monster ist, wie sieht es dann genau aus?“, fragte der Junge dann schon mutiger geworden. „Ist es dann eine Fratze, in die man schaut? Ist tatsächlich die ganze Welt daran erkrankt,“ war eine weitere Frage sowie Überlegungen, ob es auch noch Gegenden gibt, wo Menschen ohne Corona Virus leben.
Als Therapeutin, die sich auf das Thema Angst und Furcht bei Kindern spezialisiert hat, versuchte ich so ruhig wie möglich auf die vielen Fragen einzugehen und spürte doch, dass auch mein Wissen sowie alle Informationen, die ich in den letzten Wochen aus unterschiedlichsten Medien erfahren hatte, nicht ausreichend waren, um solch ein existentielles Thema zu umfassen. Ein Moment von Neugierde, Leichtigkeit war jedoch erfahrbar als ich die Kinder fragte, ob sie eine Geschichte hören wollen und aus ihrer Fantasie heraus malen möchten. Alle zehn Kinder schauten mich an und wenn ich zuerst überlegte, ob ich selbst noch den Begriff Fantasie zu erklären habe, so war es doch sehr viel einfacher, die Kinder zu fragen, was denn Fantasie bedeuten könne.
Daraufhin antwortete ein 6 Jahre altes Mädchen, sehr knapp, kurz und umso prägnanter: „Fantasie zu haben heißt für mich, das Unmögliche möglich zu machen.“
Ich ermutigte das Mädchen, ihre Äußerung noch einmal zu wiederholen. „Fantasie heißt das Unmögliche möglich zu machen,“ sagte sie und es war sehr still im Raum. Ich fragte sie weiter, was sie dann malen würde und sie sagte: „Dann würde ich auch Unmögliches malen, etwas, was so gar nicht ist oder sein darf, aber es ist dann im Bild da, weil es dort sein darf.“ In ihrer Aussage, das Unmögliche möglich zu machen war bereits alles enthalten!
In einem Malprozess wurde alles zum Ausdruck gebracht - ohne Bewertung - und zwar so, wie es gerade in dem Moment von den Kindern empfunden wurde und gerade im Innern der Kinder lebendig war. Wenn die Kinder von dem regnerisch, nassen Wetter der letzten Wochen sprachen, wo sie kaum noch zum draußen spielen wollten, fragte ich sie beim Malen, wie es denn jetzt an ihrem Lieblingsplatz oder ihrer Lieblingslandschaft aussehe. Zuerst fantasierten sie Sandstrände, um dort in der Sonne Sandburgen zu bauen. Nacheinander imaginierten alle Kinder unterschiedliche Sandstrände, sandig gelb mit kleinen Sandburgen, ausgedehnt hohen und durch Brücken verbundenen Burgen, die auch mit Flaggen versehen wurden. Natürlich befand sich am Himmel immer die Sonne, die richtig warm strahlte. Auch das Thema Corona, das eingangs mit großem Unbehagen, Ängsten und vielen Fragen die Kinder erfüllte, ließ sich die Kinder beim Malen auf eine ganz andere Art und Weise als Erwachsene es wohl tun mit dem Thema auseinandersetzen. Einige Kinder zeichneten in die Ausmalvorlagen der HERZWESEN den Figuren auch Smartphones in die Hand. So könne man noch in Kontakt bleiben, sagten sie wohlwissend. Zu diesem Zeitpunkt war die kreativ-pädagogische Auseinandersetzung mit der Krise in den Malprozessen sehr hilfreich und unterstützend für die Vorschulkindergruppe.
Covid- 19 zog immer größere Kreise und so war die Schließung von Kitas und Schulen zum 16. März für alle Akteure vorhersehbar, denn schon eine Woche vorher wartete man von Tag zu Tag darauf, dass genau diese Maßnahme zum Tragen kam.
Persönliche Erfahrungen in den 4 Wochen mit Kontaktbeschränkungen
Während ich die ersten Wochen mit Dokumentationen, Vorbereitungen der neuen Kurse, Fortbildungen für die Erzieherinnen sowie dem Schreiben neuer Artikel für Fachmagazine verbrachte, erhielt ich auch über Mail oder Telefon die Verbindung zu den Kitas und Schulen aufrecht. Für die Kinder reichte ich österliche Ausmalbilder von den HERZWESEN®-Handpuppen weiter. Und auch ich erhielt aus den Kitas persönliche Ostergrüße und gemalte Bilder von Kindern in der Notbetreuung. Aus allen persönlichen Grüßen und Worten ließ es sich sozusagen herauslesen, wie sehr Erzieher*innen und Pädagog*innen ein gemeinsames Ziel verfolgen - weiterhin die Kinder und ihre Eltern erreichen zu wollen.
Die Zeit der Osterferien nutzte ich als Chance meine Tagesabläufe neu zu strukturieren. Der geplante Urlaub war längst abgesagt, neu integriert in meinen Tagesablauf war die Zeit für Life-Yoga, an das ich jeden Mittwoch um 11 Uhr erinnert wurde sowie der Austausch guter links zu Social media Kanälen mit Bewegungs- und Beschäftigungsangeboten für Kinder und Eltern unter den hiesigen Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut*innen.
Wandern - sich auf den Weg machen
Ausgestattet mit Kamera und Diktiergerät am Handy, machte ich mich wandernd auf den Weg, um die nahegelegenen Städte und Dörfer, die ich bislang nur aus dem Auto auf dem Weg zu Kitas und Grundschulen kennengelernt hatte, zu erkunden. Einerseits sollten diese kleinen Ausflüge dazu dienen, Wandertipps und Ausflugsmöglichkeiten als Tipp per Mail an die Eltern weiterzuleiten, andererseits sollten Bilder von Blumen und Bäumen sowie selbstgestaltete Ausmalbilder für Kinder eine Motivation sein, die Zeit für Naturerfahrungen zu nutzen. Ich selbst nehme mich auch neugierig und offen wahr für das, was ich alles auf dem Weg entdecken kann. Was den Praxis Transfer anbelangt –gerne gebe ich schnell umsetzbare und für eine Familie praktikable und praktische Tipps, die auch individualisierbar sind und berichte von meinen Erfahrungen in den Fortbildungen für pädagogische Fachkräfte.
In dieser Osterzeit – jenseits von Corona und allen medialen Erfahrungen wollte ich den Wert von Naturerfahrungen selbst erkunden. Bereits auf meiner ersten Wanderung in einen nahegelegenen Stadtteil gelangte ich am Ende eines kleinen Waldstück in eine Neubausiedlung. Bereits von Weitem begrüßte mich ein Geschwisterpaar, das mich noch aus einem Vorkurs in einer Kita in Erinnerung hatte. Die Kinder wirkten fröhlich, fuhren Fahrrad in der Anliegerstraße und auf dem Gehweg konnte man sehen, dass im Laufe der letzten Tage bunte Bilder aus Kreide entstanden waren. Was es heißt „Social distance“ zu halten, brauchte keiner mehr den Kindern mit Worten zu erklären, sie hatten es verinnerlicht. Am Ende der Straße sah ich weitere Kinder und alle Kinder hielten einen gebührenden Abstand zueinander, während sie es doch vortrefflich verstanden, miteinander zu spielen und sich in guten Absprachen leichttaten, um immer wieder neue Spiele zu überlegen. Mühelos gelang es mit den Kindern ins Gespräch zu kommen und dabei großen Abstand zu wahren, wenn sie von ihren Erfahrungen berichteten. Wenn die Kinder davon erzählten, dass sie sehr viel gemalt und lange geschlafen haben, so gab es auch den Raum für Erfahrungen, die sicher für viele Kinder neu waren. Mit den Eltern zusammen frühstücken und Abendessen sei so richtig schön, so sagten sie. Das Arbeiten im „Homeoffice“ der Eltern war an diesem Tag das, worüber die Kinder am meisten berichtet haben. Einerseits wirkte der Begriff schon vertraut und in ihr Vokabular integriert, andererseits jedoch mischt sich auch etwas Unzufriedenheit ein, wenn die Kinder davon erzählten, dass sie sich lange alleine beschäftigen müssen. In den Kitas und Schulen sei ja immer etwas zu tun gewesen, da die Erzieherinnen und Pädagoginnen auch Dinge mit ihnen geplant hätten, erzählten sie. Neugierig seien sie auf die Wochenpläne, die ihnen per mail zugesandt würden, berichteten sie. Jetzt müssten sie die Wochenpläne mit den Eltern zusammen durchschauen. In der erste Woche sei das auch toll gewesen, dass sie am Computer gesessen haben, die Aufgaben ausdrucken durften, allerdings sei es auch ganz schön schwierig so ganz ohne Anleitung an die Hausaufgaben ranzugehen.
Eine Mutter stand an ihrer Haustüre und winkte mir freundlich zu und sagte, dass es für sie eine sehr schwierige Zeit sei neben dem Homeoffice Tagesstrukturen für zwei Kinder zu erstellen, die Hausaufgaben des Erstklässlers und der Zweitklässlerin zu begleiten. Daneben müsse sie auch die Einkäufe bewältigen, lange Zeiten dafür investieren, insgesamt vielmehr planen als mal eben nach der Arbeit in den Discounter zu fahren. Und am Abend merke sie schon, dass alle doch ganz schön müde seien, und auch in der Nacht würden die Kinder öfters wieder zu den Eltern ins Bett kommen, weil sie schlecht geträumt haben. Am Morgen sei sie wie gerädert, aber da warte schon wieder das Homeoffice und das fordere sie ganz schön.
Was die Kinder betrifft, so waren die Formulierungen an diesem Gründonnerstag einhellig: Wir wünschen uns wieder, dass alles so wird wie vorher! Sie vermissten den Kindergarten oder die Schule, ihre Freunde, Freizeitaktivitäten wie Sportverein oder Malkurs. Vor allem waren viele Kinder traurig, dass sie Omas und Opas über Ostern nicht sehen durften. Auch wenn allen Kindern der Grund bewusst war und sie verstanden, dass sie so auch dazu beitragen konnten, die Großeltern vor einer Ansteckung mit dem Virus zu schützen, so war es mir bei diesen Begegnungen wichtig, dass die Kinder auch von ihrer Traurigkeit berichten durften und ihre Gefühle auch so in Ordnung waren, denn die meisten Familien hatten ihr Osterfest ganz anders geplant. Jetzt hatten auch alle gute Lösungen gefunden und entweder ein Päckchen an Oma und Opa verschickt oder mit entsprechendem Abstand das Osterkörbchen an die Haustür gebracht und sich daran erfreut, dass Opa und Oma ihnen vom Fenster aus zugewinkt haben.
An diesem Tag wanderte ich weiter und in einem weiteren Wohngebiet traf ich wieder auf Kinder, die ich aus einer anderen Kita kenne. Auch hier zeigt sich im Spiel wie die Kinder das Thema der Kontaktbeschränkungen durch das Corona-Virus für sich verarbeiten. Auch hier begrüßen mich die Kinder sehr freundlich und zeigen mir gleich, was sie gemalt haben. Ein 6-jähriger Junge aus einem Kurs erzählt besonders stolz: „Nicht so wie auf den kleinen Blättern im Kindergarten habe ich gemalt, sondern ich habe den ganzen Gehweg mit einem Regenbogen ausgemalt,“ sagt er. Seine kleine Schwester steht lächelnd neben ihm und zeigt auf einen bunten und wunderschön gemalten Schmetterling. Ich frage ihn, ob ich den Schmetterling fotografieren dürfe, und ein wenig zurückhaltend antwortet er mir, dass er mir dann auch gerne von dem Schmetterling erzählen wolle. Der sei ja auch vorher ein Kokon gewesen und aus dem sei dann auch der bunte Schmetterling geworden. Der bunte Flieger, der einen breiten Raum des Gehweges einnimmt, spannt weit seine Flügel auf und es erscheint so, als könne er gerade fliegen, wohin er wolle.
Spürbar wird wie wichtig dem Jungen das Thema Freiheit ist. Er erzählt mit ernster Stimme wie schade er es findet, dass sie nicht in den Urlaub nach Mallorca geflogen seien. Die Großeltern seien dort zum Überwintern und haben dort ein großes Haus. Oma und Opa fehlen der Familie – dies ist spürbar und im Moment gibt es auch noch keine Perspektive, wann sie die Zwei wiedersehen werden. In der Familie wird das Medium Skype regelmäßig genutzt, erzählt der Junge, und da könne er zumindest abends die Großeltern sehen und sich mit ihnen unterhalten. Aber das sei ja nicht richtig, sowie wenn man mit Opa und Oma in echt zusammen sei und kuscheln und knuddeln und spielen könne, sagt er. Und das ist ja auch wirklich so und ich rede es auch in dem Moment nicht weg, sondern sage ihm, dass ich ihn gut verstehen könne. Auch hier in dieser Siedlung habe ich auf der Straße sehr schnell Kontakt zu den Kindern gefunden. Und auch so manche Erwachsene geht ans Fenster, öffnet es und fragt nach, wer ich sei und meist antworten die Kinder dann auch schon, woher sie mich kennen.
Malen für Kinder als Ressource
Mit einer Dame, die ihr Fenster österlich geschmückt hat, komme ich spontan ins Gespräch. Sie hat eine Seite eines Fensters besonders geschmückt. Mit weißer Glasmalfarbe hat sie ein wunderbares Bild gezaubert, das einen Osterhasen auf Ostereiersuche zeigt. Daneben geschrieben hat sie Worte, die in dieser Zeit eine besondere Bedeutung haben. Wir bleiben zuhause, Maske zeigen, Händewaschen. Sie fragt nach, ob mir das Bild gut gefalle und weshalb ich es fotografieren wolle. Ich sage ihr, dass ich die Fotografie gerne für einen Artikel nutzen wolle und sie freut sich und erzählt von sich, dass sie alleine lebe und kinderlos sei. Aber sie beobachte oft in den letzten Tagen die Kinder auf der Straße und dies sei ihr Beitrag in der Situation, wenn sie die Kinder mit diesem selbstgemalten Bild erfreuen könne.
Mit Kindern auf den Wanderungen ins Gespräch kommen
Mit vielen Kinder und Eltern bin ich ganz spontan ins Gespräch gekommen. In Wohngegenden sah ich Menschen, die Bücherkisten, Spielsachen für Kinder, aber auch sehr viel gut erhaltene Dinge des täglichen Bedarfs in Wäschekörben vor die Haustür gestellt haben. Und öfters war es so, wenn ich mich für etwas interessierte, ein Buch in die Hand nahm, dass Menschen an die Türe gekommen sind und mich ermutigt haben ein Kinderbuch mitzunehmen und insgesamt auch froh waren über ihre Aktion mit einem Mensch ins Gespräch zu kommen.
Diese Erfahrungen, die ich auf Wanderungen durch Wälder und Orte in meiner Umgebung gemacht habe, sind auch für mich ganz neue Erfahrungen in dieser österlichen Zeit. Ist diese, die ganze Welt überwältigende Krise auch eine Chance, dass wir uns menschlich gesehen verändern und auch unter Wahrung von „Social distancing“ uns näher begegnen? Das Miteinander hat sich verändert, soviel ist erfahrbar geworden.
Und doch ist es wichtig, dass wir uns in kleinsten Schrittchen auf Kita und Schule, die Eltern nach und nach wieder auf ihren Job vorbereiten. Für all das - und darin bin ich mir sicher – werden wir auch wieder neue Abläufe und Strukturen finden müssen. Wichtig wird es sein, dass wir achtsam mit all diesen Veränderungen umgehen, uns nicht überfordern und den Weg individuell in der Familie zu einem Alltagsgeschehen zurückfinden. Auch Erzieherinnen und PädagogInnen haben in diesen Wochen die Auswirkungen der Corona Krise in ihren Familien erlebt und brauchen nach diesen langen Kontaktbeschränkungen eine Zeit der Anpassung an alle die neuen Herausforderungen.
Der Weg der kleinen Schritte
Aus meiner über 25jährigen Praxiserfahrung hat sich immer schon“ der Weg der kleinen Schritte“ bewährt. Er funktioniert, ist leichter integrierbar und beinhaltet auch immer wieder die Möglichkeit anzuhalten, zu schauen, was gut davon funktioniert und was auch noch einmal verändert werden darf. Immer jedoch liegt die größte Ressource in jedem Mensch selbst – das menschliche Miteinander während der Osterzeit, das ich erlebte, mag ein Beispiel hierfür sein.
Lesetipp für Kinder: Lilli - Eine Geschichte für Kinder und Kindgebliebene
Autor: Marie-Anne Raithel, Heilpraktikerin für Psychotherapie
Thema: Kinder und die Corona Krise
Webseite: https://www.herzwesen.de
Autorenprofil Marie-Anne Raithel:
Heilpraktikerin für Psychotherapie
Coach DVNLP/ systemische Ausrichtung
EMDR-Therapeutin (VDH/DGMT)
Sozial-emotionales Kompetenztraining
HERZWESEN® - Lernen mit allen Sinnen
– präventiv und resilienzfördernd –