[Kolumne] Es ist so einfach, wenn irgendetwas schief läuft ist die Schule schuld, wenn das nicht überzeugend ist, dann ist es eben der Staat.

Ja, mir ist durchaus bewusst, dass die meisten Schultoiletten heruntergekommen und verdreckt sind, in den wenigsten Schulen eine nützliche Internetverbindung möglich ist und langsam auch schon die interaktive Whiteboards ihren Geist aufgeben. Sicherlich gibt es an vielen Ecken Verbesserungsbedarf. Das Geld reicht vorne und hinten nicht und die Leidtragenden sind oft die Schüler. Wir reden immer davon, wie wichtig Bildung ist und dass unsere Jugend unsere Zukunft ist. Doch da ein paar findige Politiker genau im Wahlkampf verkündeten, es würde keinen erneuten Lockdown geben, haben wir Inzidenzen von 300 und Schüler, die täglich zur Schule gehen. Die Geimpften und Genesenen müssen sich nicht mehr testen, obwohl sie genauso krank sein könnten, und die, die sich noch testen müssen, bekommen meist von den Eltern aus Zeitnot einfach nur eine Unterschrift. Wir sind ja geimpft, was soll schon passieren? So muss ich wieder mehr Schüler in der Quarantäne telefonisch betreuen, weil sie sich eben doch angesteckt haben. Und das meist trotz voller Impfung. Die Eltern gehen natürlich völlig normal zur Arbeit und die Klassen, in denen mehrere Schüler erkrankt sind, kommen ganz normal zum Unterricht.
Natürlich ist mir auch völlig klar, dass unsere Wirtschaft einen weiteren Lockdown nur schwer überstehen würde, viele Kinder unter den Kontaktverboten und dem veränderten Unterricht mehr als nur leiden. Aber ist es das wert? Sollte nicht mindestens Szenario B eine Alternative sein und die Schüler wochenweise wechseln? Sollten wir nicht jetzt noch einmal die Zähne zusammenbeißen und den Rest des Jahres vernünftig sein? Wer will schon eine Generation, die noch in Jahren unter long covid Symptomen leidet oder gar Schlimmeres? Als Erwachsene empfinde ich meine Impfung als solidarische Pflicht, jeder von uns sollte so vernünftig sein. Doch immer mehr Experten machen deutlich, dass die Impfschäden bei Kindern deutlich höher als bei Erwachsenen sein können und eine Impfung daher nur bei Vorerkrankungen sinnvoll ist. Aber sie dann in die Schule schicken und einer täglichen unsichtbaren Gefahr aussetzen, weil keiner sich traut, einen erneuten Lockdown trotz Versprechen zu verhängen? Selbst wenn die Kleinen dann nur einen kleinen Schnupfen oder Kopfschmerzen haben, wen können sie in der Zwischenzeit alles angesteckt haben? Wer von denen wird diese Infektion nicht so leicht wegstecken wie die Kinder? Es geht also nicht nur um die Erkrankung der einzelnen Kinder, sondern um die unsichtbare Gefahr, andere anzustecken. Die Horrorvorstellung, die Oma meines besten Freundes anzustecken, die das trotz Impfung nicht überlebt. Wer weiß wirklich, wie hoch seine Antikörper noch sind? Kennt jeder seinen Herzfehler oder ist der vielleicht unentdeckt? Wer will damit leben? Ich nicht.
Es ist unsere erste Pandemie, und sicher nicht die letzte. Wir werden lernen müssen, mit so etwas umzugehen. Das bringt die Globalisierung und die Möglichkeit, am Morgen nach London und dann abends nach Paris zu jetten eben mit sich. Aber wir sollten auch unsere Grenzen kennen, jetzt mit hunderten Karneval zu feiern, Weihnachtsmärkte zu besuchen oder den Skiurlaub zu machen, ist eben nicht nur unsere eigene Gefahr. Die eigene Gesundheit zu gefährden, das ist jedem selbst überlassen. Der Fahrradfahrer ohne Helm, der übertriebener Alkoholkonsum oder die Zigarette, das muss jeder Erwachsene für sich selbst entscheiden. Aber gegen solch einen Virus kann ich mich kaum schützen, vor allem, wenn es unsichtbar ist und ich einen völlig normalen Alltag führe. Mit Umarmung der Freunde, gemeinsames Lachen auf der Fete oder eben Lernen auf engstem Raum. Es sind eben nicht mehr nur die hustenden Mitmenschen mit Kopfschmerzen und Fieber, die mich nur in einem Umkreis von 2 Metern anstecken können. Es sind Kinder, die von ihrer Erkrankung gar nichts wissen, es sind Mutationen, die ansteckender als Masern sind. Und unsere Todeszahlen sind dieses Jahr höher als zur gleichen Zeit im letzten Jahr, als wir noch keine Impfungen hatten. Selbstverständlich sehne auch ich mich nach Konzerten, Urlaub und Freunden. Aber ich sehne mich auch danach, meine Rente noch zu erleben. Ich sehne mich danach, meine Schüler in 20 Jahren mit ihren eigenen Kindern zu sehen. Ich sehne mich danach, Schüler nicht trösten zu müssen, weil ihre Eltern Corona nicht überlebt haben. Über 2000 Kinder haben in Deutschland beide Eltern an Corona verloren, wie soll ich denen erklären, dass mir der Weihnachtsmarkt wichtiger war? Und noch mal, es geht nicht um meine eigene Gesundheit. Es geht darum, dass wir irgendwann alle wieder ohne Sorgen feiern und shoppen können und eben auch unsere Kinder in die Schule schicken können.
Wie heißt es doch so schön: Lieber eine Maske im Gesicht als einen Zettel am Fuß.
Autor: Anke Wachtendorf - Schülercoach, Lern- und Erziehungsberatung, Verlagsautorin
Thema: Wahlversprechen – auf wessen Kosten?
Webseite: http://www.schuelercoaching-wachtendorf.de
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