... oder wie objektiv unsere Sinne wirklich sind.
Gemeinhin denken wir in erster Linie an die menschlichen Sinne, wenn es um das Thema Wahrnehmung geht, also, wie wir die Dinge in unserer nahen Umgebung sehen, hören, fühlen, riechen oder schmecken. Wir nehmen etwas wahr, also ist es auch so, wie wir es in diesem Augenblick empfinden. Häufig sind wir später doch sehr erstaunt, wenn uns begleitende Menschen über einen gemeinsam erlebten Sachverhalt im Nachhinein komplett anders berichten, als wir das selbst tun würden. Schließlich waren wir ja alle Zeugen desselben Vorgangs, dann sollten ja eigentlich auch die wahrgenommenen Inhalte zumindest in etwa übereinstimmen! Sind unsere Sinne am Ende gar nicht so objektiv, wie wir immer dachten? Und falls ja, wie und durch was sind sie denn dann bitte beeinflussbar?
Wie wir die Welt wahrnehmen
Oberflächlich betrachtet würden wir sagen, dass zum Beispiel der Vorgang des Sehens ein im Wesentlichen sehr mechanischer Vorgang ist, der bei allen Menschen und Tieren gleichermaßen abläuft. Licht tritt durch die Pupille ins Auge ein, trifft auf die Sensoren der Netzhaut und wird in für das Gehirn verarbeitbare Nervenimpulse umgewandelt. Auf diese Weise müsste also auch das Ergebnis der Wahrnehmung eines Objekts oder Sachverhalts nahezu identisch ausfallen. Wie wir alle wissen, ist aber genau das nicht der Fall. Insgesamt ist die menschliche Wahrnehmung ein sehr komplexer Prozess, der von einer Vielzahl von Faktoren beeinflusst werden kann. Diese Faktoren interagieren miteinander und bestimmen, wie wir die Welt um uns herum wahrnehmen und verstehen. Individuelle Erfahrungen, Erwartungen, Emotionen, Aufmerksamkeit, Kognition, kulturelle Hintergründe, soziale Interaktionen oder auch ganz banal der körperliche Gesundheitszustand der Augen variieren von Mensch zu Mensch. Aber sehen wir uns diese Faktoren vielleicht kurz im Detail an.
1. Die Sinnesorgane
Die Wahrnehmung basiert auf den Informationen, die unsere Sinnesorgane (Augen, Ohren, Nase, Mund und Haut) aus der Umwelt aufnehmen. Jedes Sinnesorgan ist für die Aufnahme spezifischer Reize verantwortlich, zum Beispiel Licht für das Sehen, Schallwellen für das Hören und chemische Moleküle für das Riechen und Schmecken. Welche dieser Reize für die anschließende Bewertung der erfassten „Daten“ für das Gehirn höhere Priorität hat, hängt oft auch von der persönlichen Veranlagung ab. Grundsätzlich sind die meisten Menschen eher „Augentiere“.
Das bedeutet, dass der Großteil der Wahrnehmung von dem abhängt, was wir sehen. Sichtbare Inhalte werden bevorzugt, während die übrigen Sinnesreize eher in den „Wahrnehmungshintergrund“ rutschen. Die Art und Qualität der Wahrnehmung hängt also auch schon von der priorisierten Erfassungsmethode ab.
2. Individuelle Erfahrungen
Unsere Wahrnehmung wird zudem stark von den individuellen Erfahrungen geprägt. Frühere Erlebnisse und Erinnerungen formen unsere Sichtweise auf die Welt und beeinflussen, wie wir neue Informationen interpretieren und bewerten. Jemand, der zum Beispiel mit dem Fliegen schlechte Erfahrungen gemacht hat, wird das Erlebnis eines Linienflugs in den Urlaub sicherlich ganz anders einstufen, als Personen ohne Flugangst.
3. Die eigene Erwartungshaltung
Unsere Erwartungen darüber, wie sich bestimmte Situationen oder Objekte verhalten sollten, beeinflussen, wie wir sie wahrnehmen. Erwartungen können unsere Wahrnehmung lenken und sogar dazu führen, dass wir manche Informationen bevorzugt aufnehmen oder ignorieren. Wir sehen de facto also oft genau das, was wir zu sehen glauben und nicht umgekehrt, wie viele Menschen immer behaupten.
4. Unsere Emotionen
Auch Emotionen haben einen erheblichen Einfluss auf unsere Wahrnehmung. Wenn wir beispielsweise glücklich oder ängstlich sind, können wir die gleiche Situation plötzlich ganz anders wahrnehmen als in einem eher neutralen Zustand. Der durch den jeweiligen Hormoncocktail im Körper ausgelöste Gefühlszustand, sorgt zum Beispiel im Falle des Verliebtseins zur sprichwörtlichen rosa Brille. Situationen werden dadurch anders, zumeist viel unbeschwerter und unkritischer wahrgenommen, als sie das im „nüchternen Zustand“ wohl würden. Interessanterweise führt oft sogar die gegenteilige Emotion Angst zu einer ähnlichen Verminderung der Wahrnehmungsqualität, wenn auch aus einem ganz anderen Motiv heraus. Hier ist es der Drang, einer unangenehmen Situation möglichst schnell entfliehen zu wollen, der zu einer meist ebenso oberflächlichen Wahrnehmungstiefe führen kann, wie im Flirtfalle.
5. Die Aufmerksamkeit
Was wir bewusst wahrnehmen, wird stark von unserer Aufmerksamkeit gesteuert. Unsere Fähigkeit, Informationen zu verarbeiten, hängt insbesondere davon ab, wie wir unsere Aufmerksamkeit auf bestimmte Reize lenken und andere ausblenden. Der Unterschied zwischen bewusster und unbewusster Wahrnehmung zeigt, dass unser Gehirn sowohl bewusste als auch unbewusste Prozesse nutzt, um die Welt um uns herum zu interpretieren. Bewusste Wahrnehmung ermöglicht es uns, gezielt Informationen zu verarbeiten und unsere Aufmerksamkeit zu steuern. Unbewusste Wahrnehmung hingegen hilft uns, große Mengen an Informationen schnell zu verarbeiten und Handlungen auf der Grundlage von implizitem Wissen und Erfahrungen durchzuführen. Beide Arten der Wahrnehmung sind wichtig, um uns in unserer Umgebung zurechtzufinden und angemessen auf verschiedene Situationen reagieren zu können.
6. Die Kognition
Unsere Denkprozesse und kognitiven Fähigkeiten spielen zudem eine wichtige Rolle bei der Wahrnehmung. Logisches Denken, Vorstellungskraft, Mustererkennung und Problemlösung beeinflussen, wie wir die Welt um uns herum interpretieren. Die grundlegenden geistigen Fähigkeiten, Ausbildungsniveau und entsprechendes Training hinterlassen also ebenfalls einen einschlägigen Fußabdruck auf dem Boden der Wahrnehmung.
7. Die kulturellen Hintergründe
Die Kultur, in der wir aufwachsen, beeinflusst unsere Wahrnehmung oft auf subtile Weise. Unterschiedliche Kulturen haben unterschiedliche Wertvorstellungen, Normen und Vorlieben, die sich auf unsere Interpretation von Ereignissen und Informationen auswirken können. Das was in bestimmten Erdteilen als völlig normal und alltäglich angesehen wird, kann in einem Land auf der anderen Hälfte des Globus komplett anders eingestuft und beurteilt werden.
8. Soziale Interaktionen
Ganz entscheidend für die eigene Wahrnehmung sind häufig auch die sozialen Hintergründe eines Menschen. Seine soziale Umgebung, in der er sich befindet oder aufgewachsen ist, kann dessen Wahrnehmung entscheidend beeinflussen. Ähnlich wie die kulturellen Muster, können ebenso die Meinungen und Reaktionen anderer Menschen uns dazu bringen, unsere eigene Wahrnehmung anzupassen oder zu ändern. Zu beobachten ist gerade dieses Phänomen im Umgang der Bevölkerung mit den sozialen Medien, verglichen mit Wahrnehmungsprozessen, die noch in Prä-social-Media-Zeiten abliefen. Während damals bestenfalls die nähere, tägliche Umgebung eines Menschen wahrnehmungsverändernd wirken konnte, ist der „Beeinflussungsradius“ heute um ein Vielfaches angewachsen und fast schon global geprägt.
9. Körperliche Gesundheit
Nicht zuletzt kann selbstverständlich ganz banal auch unsere körperliche Verfassung die eigene Wahrnehmung nachhaltig beeinflussen. Müdigkeit, Krankheiten oder Medikamente können sich auf unsere Sinnesorgane auswirken und unsere Wahrnehmungsfähigkeit beeinträchtigen.
Fazit
Wahrnehmung ist also keine rein sachliche Angelegenheit, wie auf den ersten Blick gemeinhin vielleicht vermutet werden könnte. Wie das Individuum Mensch scheinbar objektive Sachverhalte wahrnimmt und anschließend bewertet ist von der Vielzahl der dargestellten Faktoren abhängig. Was so manchem Anwalt und Richter bei der Zeugenbefragung Sorgenfalten und mindestens ebensoviele graue Haare bescheren kann, bietet gleichzeitig im gesundheitlich präventiven oder therapeutischen Bereich einen sehr interessanten Ansatzpunkt.
Wenn unterschiedliche Einflüsse zu unterschiedlichen Wahrnehmungen führen, dann ist es auf diesem Wege eben zum Beispiel auch möglich, die Stresswahrnehmung gezielt „herunterregeln“ zu können. Denn nicht alleine die Sicht auf das äußerliche Stresspotenzial beeinflusst die negative Wirkung auf den menschlichen Organismus, sondern vielmehr die zugrundeliegenden „Einflussparameter“. Negative Wahrnehmungen haben damit keinen starren objektiven Charakter, sondern sind mit gezieltem Coaching oder Training durchaus auf positive Weise veränderbar.
Autor: Dirk Stegner
Thema: Welche Eigenschaften beeinflussen die Wahrnehmung?
Webseite: https://www.der-natur-coach.de
Autorenprofil Dirk Stegner:
Der gebürtige Coburger, Jahrgang 1972, lebt und arbeitet als Natur-Coach, Autor und psychologischer Berater in seiner Heimatstadt Coburg. Nach dem Studium der Wirtschaftsinformatik und der langjährigen Tätigkeit als IT- und Internetfachmann, begann er sich bereits vor mehr als 15 Jahren aufgrund eigener gesundheitlicher Probleme mit alternativen Behandlungsmethoden für stress- und angstbedingte Erkrankungen auseinanderzusetzen.
Dirk Stegner bietet auch regelmäßig Vorträge, Workshops und Seminare zu seinen Buch- und Publikationsthemen an.
Publikationen des Autors:
-
In Wahrheit ich - Wie die Sichtweisen anderer mein Leben bestimm(t)en.
- Taschenbuch (12x19cm), 116 Seiten, 11.99 EUR (ISBN: 978-3-7460-9848-7)
- EBook (ePub, kpf), 6.99 EUR (ISBN: 978-3-7528-8180-6)
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