Das Wort widerborstig ist an sich von gestern, aber wir erleben uns und andere natürlich auch heute noch so: Wir sind störrisch oder kompromissunfähig, wir sind rechthaberisch oder dickköpfig. Begriffe hierfür gibt es so einige.
Was jedoch dahinter steht, ist wichtig. Wir sind „dagegen“. Gegen was auch immer. Den unsinnigen Termin für den Betriebsausflug, die Meinung des Gegenübers, die unmögliche Regel im Haus, das Vorgehen des Vorgesetzten, den ignorantischen Vorschlag des Partners bei der Urlaubsplanung. Und das ist doch auch unser gutes Recht, oder?
Beim genauen Draufschauen auf Widerborstigkeit gibt es jedoch zwei grundlegende Kräfte in uns, die im Außen ein „Nein“ signalisieren sollen. Und es ist relevant, diese zu kennen.
Die erste Grundkraft ist das Wahrnehmen einer (in uns gut abgewogenen und klar empfundenen) Wahrheit. Diese können wir sozusagen in aller Ruhe und aus unserer entspannten Überzeugung kommunizieren. So kann mir ein Termin für den Betriebsausflug aus persönlichen Gründen nicht passen. Und ich kommuniziere dies in aller Ruhe und Klarheit.
Die zweite Grundkraft ist auch eine innere Wahrheit, jedoch haben wir den Eindruck, diese kämpferisch durchsetzen zu müssen. Wir mobilisieren zusätzliche Energien. Wir meinen dass wir sie benötigen, um anderen standhalten zu können, oder diese von unserer „Wahrheit“ zu überzeugen. Dies bedarf jedoch sehr viel zusätzlichen Energieaufwand und -einsatz. Es braucht mehr Kraft – da wir glauben, gegen andere nur mit Kampfeinsatz eine Chance zu haben. Und wenn wir noch genauer hinsehen, so verstehen wir, dass dieser Impuls aus einem sich-unterlegen-fühlenden Anteil in uns kommt: Wir haben den Eindruck, dass wir, wenn wir einfach „nur“ unsere Meinung/Idee/Wunsch/etc. äußern, nicht durchsetzungskräftig genug sind. Aber ist das wirklich wahr?
- Stellen Sie sich einfach vor, Sie haben ein Gegenüber, das bei der Lösungssuche zu einem Problem stur und bockig auf seiner Position beharrt. Egal, was Sie sagen – das Gegenüber bleibt bei seiner Haltung. Das mag für Sie sehr undurchdringbar wirken und vielleicht ist die Person voller Deutlichkeit präsent. Oder Sie spüren die Kraft dahinter, aber überzeugt Sie damit diese Person mit ihrer Position?
- Wenn Sie im Gegenzug ein Gegenüber haben, das ruhig und klar seine Meinung, seine Idee oder seine Wünsche vertritt. Wie wirkt so eine Person auf Sie? Genau.
Und hier ist exakt der Haken an unserer Widerborstigkeit: Wir haben gar nicht die Überzeugungskraft, die wir uns so sehr wünschen. Im Gegenteil. Wir setzen so viel Kraft ein und erreichen eher Gegenwehr, Ablehnung oder Rückzug von anderen!
Woran das liegt?
Die Widerborstigkeit kommt aus einer kindlichen Energie, die klare Haltung jedoch ist eine erwachsene Kraft. In der kindlichen Energie fühlen wir uns instinktiv im Nachteil, unterlegen, müssen voll Power fahren – zumindest glauben wir das. Bei der erwachsenen Kraft agieren wir aus innerer Klarheit heraus, manchmal ist es uns sogar egal, was das Außen dazu meint – wir sind einfach damit klar. Bei der kindlichen Energie hätten wir (tief in uns) gerne das Okay oder das Verständnis des Außen als Feedback. Und darum kämpfen wir.
Grob gesprochen: Die Kampfenergie geht also gegen das Außen und reagiert, die erwachsene Energie kommt aus dem Inneren, sie agiert.
Was also tun, wenn andere dickköpfig, uneinsichtig oder trotzig agieren?
Unter´m Strich haben wir es hier mit Widerstand zu tun. Und der verändert sich nicht, wenn wir mit den gleichen Mitteln (z.B. bekämpfen, dagegen-argumentieren, moralisieren, etc.) vorgehen. Also: Widerstehen Sie Ihren inneren Impulsen, gleich oder ähnlich wie eine widerborstige Person zu reagieren.
Tun Sie das Gegenteil Ihrer instinkthaften Impulse: Versuchen Sie, den Widerstand des anderen zu verstehen. Stellen Sie solche Fragen: Warum ist diese Position dem Gegenüber so wichtig? Wie kommt die Person zu dieser Einschätzung? Was ist der Hintergrund für diesen Wunsch, aus welchem Grund möchte der andere genau das?
Vielleicht merken Sie: Das ist manchmal gar nicht so einfach. Einfacher ist es mit Gegenargumenten in eine Endlosspirale zu gehen. Einfacher wäre es, den anderen als bockig oder stur oder ignorant zu bezeichnen und sich abzuwenden. Einfacher wäre es, ärgerlich zu sein und nicht zu verstehen was den anderen da reitet.
Aber wenn Sie Lust auf die herausforderndere und gleichzeitig sinn- und wertvollere Reaktion haben:
- Reagieren Sie nicht sofort.
- Atmen Sie mehrmals lieber in Ruhe weiter und hören Sie zu.
- Vielleicht bemerken Sie, dass zuhören schwer fällt: Machen Sie sich klar, dass Sie mit einer instinktiven Reaktion die Sache nicht verbessern.
- Fragen Sie dann nach. Versuchen Sie zu verstehen – und zwar aufrichtig. Was ist der Hintergrund.., woran liegt es.., wie kommt es.., warum ist das für den andern wichtig.., etc?
- Hören Sie wieder gut zu. Häufig glauben wir, dass wir mit Zuhören signalisieren, dass wir die Meinung teilen. Das ist ein Irrglaube.
Zuhören bedeutet: Ich höre dich. Ich versuche, dich zu verstehen. Ich muss damit nicht einverstanden sein – das wäre erst die nächste Stufe. - Falls es Aspekte gibt, die Sie verstehen können oder mit denen Sie eventuell sogar einverstanden sind: Geben Sie dazu Rückmeldung. Sie werden feststellen: Allein durch das Feedback zu Einigkeiten verändert sich ihre Gesprächsdynamik positiv.
- Unterschiede im Denken, der Wahrnehmung, den Interessen, den Wünschen oder Zielen sind einfach auch normal. Legen Sie die sich unterscheidenden Aspekte nun auf den Tisch und schauen Sie nun gemeinsam darauf. Was fällt uns ein, wie wir damit nun umgehen können? Der Fokus dabei liegt auf dem gemeinsamen
Nicht alles, was uns an Unterschieden im Leben begegnet, können wir damit aus der Welt schaffen oder egalisieren. Und das wäre auch gar nicht wünschenswert. Die Vielfalt macht das Leben aus. Mit dieser Haltung können Sie manche auftretenden Unterschiede möglicherweise auch besser stehen lassen.
Und finden zu mehr gegenseitigem Sich-sein-lassen und vielleicht sogar zu Frieden.
Autor: Heike Hasenfuß, Training & Beratung
Thema: Widerborstigkeit
Webseite: https://www.hasenfuss-training.de
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