Mikrobiom - Verdauungsfeuer - Dysbiose - Silent Inflammation - Endotheliale Dysfunktion – Mitochondriales Energie Defizit Syndrom - Arthrose
„Willst Du gesund sein, dann achte auf Deine Ernährung und die Verdauung, wie ein Bauer auf sein Feld achtet, das er bestellt.“ (chinesisch)
Einer ausgewogenen, optimal auf die körperlichen Gegebenheiten und die saisonale Situation abgestimmten Ernährung kommt in den asiatischen Medizinsystemen (Ayurveda, Traditionelle Chinesische Medizin, Tibetische Medizin) eine viel größere Bedeutung zu als in der modernen westlichen Schulmedizin. Verdauungsstörungen gelten als Auslöser für nahezu alle chronischen Erkrankungen. Alle internistischen Krankheiten sind auf Fehlfunktionen im Verdauungsprozess, so wie ihn die Asiaten auffassen, zurückzuführen. Deshalb müssen wir zum besseren Verständnis näher auf die Begrifflichkeit der Verdauung eingehen. Dabei beziehe ich mich ausschließlich auf das tibetische Konzept der Verdauung und das so wichtige Verdauungsfeuer.
Der Nahrungsbrei (Chylus) wird durch Hohlorgane (Magen, Dünndarm, Dickdarm) aufgenommen und transportiert. Den Hohlorganen kommt dabei die Aufgabe zu, die Nahrung aufzunehmen, zu transportieren, zu resorbieren, den Nahrungsbrei aufzuschlüsseln (Nahrungstransformation), die Energie daraus zu gewinnen und den Vitalorganen (Lunge, Herz, Leber, Niere, Milz) ausreichend Energie zur Verfügung zu stellen. Gleichzeitig nehmen die Hohlorgane die Stoffwechselprodukte der Vitalorgane auf und sorgen für die Umwandlung, den Abtransport und die Ausscheidung der Stoffwechselendprodukte. Die resorbierenden Schleimhäute der Hohlorgane bilden eine gigantische, durch Falten und Zotten maximierte Oberfläche zum Austausch mit der Umwelt. Man kann sie auch als die größte, im Inneren des Körpers liegende Grenzfläche zur Umwelt ansehen. Um adäquat auf eindringende Fremdstoffe, Keime und Toxine reagieren zu können, beherbergt die Darmschleimhaut 80% des gesamten Immunsystems. So können die Abwehrzellen durch den ständigen Kontakt mit der Außenwelt lernen, zwischen krankmachenden oder unschädlichen Stoffen zu unterscheiden. Die Darmwand ist die Kinderstube unseres Immunsystems.
Eine biologisch wertvolle Nahrung kann uns in unserer Entwicklung unterstützen. Schädliches macht uns krank oder vergiftet uns.
So kann man die Zunahme der entzündlichen und funktionellen Magen-Darm-Erkrankungen (Obstipation, Reizdarmsyndrom, Lactoseunverträglichkeit, Glutenunverträglichkeit, M. Crohn, Colitis, Dickdarm-Karzinom) in den westlichen Industrieländern nur als Ausdruck einer zunehmenden Mangelernährung und Vergiftung der Bevölkerung durch industriell erzeugte (Insektizide, Düngemittel, Herbizide, gentechnisch manipulierte Pflanzen usw.) Lebens (?)-mittel interpretieren. Leben finden Sie in diesen Mitteln meist nicht mehr (Konservierungsstoffe, durch Strahlen sterilisiert), und das Leben wird durch diese Mittel auch nicht mehr nennenswert unterstützt.
Im Mund beginnt mit dem Abbeißen und dem Kauen der eigentliche Verdauungsprozess. Nach meiner Ansicht spielen aber schon die Nahrungsauswahl beim Einkauf und ein achtsamer Umgang mit den Erzeugern und den Lebensmitteln sowie während der Nahrungszubereitung eine nicht zu unterschätzende Rolle. Indem Sie Ihre Lebensmittel berühren, riechen und schmecken, beginnt in freudiger Vorbereitung auf die Nahrungsaufnahme ein Feuerwerk an Sekreten und Enzymen seine Tätigkeit. Manchmal, wenn Sie ganz aufmerksam und still sind, können Sie die freudige Erregung vor dem Essen schon hören, wenn die Magensaftsekretion beginnt.
„Wer gut kaut, hat schon halb verdaut.“ (Volksweisheit, Erfahrungsheilkunde)
Das Kauen dient nicht nur der Gesunderhaltung Ihrer Zähne, Kaumuskeln und Kieferknochen. Die Bewegungen der Gesichtsmuskulatur beim Kauen führen zu einer verbesserten Durchblutung der Mundschleimhaut und der Speicheldrüsen. Die Speicheldrüsen sorgen so für eine ausreichende Menge an Verdauungsenzymen. Die Druckbelastung der Kieferknochen schützt diese vor frühzeitigem Abbau und vor einer frühzeitigen Lockerung der Zähne.
Mit dem Kauen beginnt die chemische Aufschlüsselung durch Vergrößerung der Oberfläche des Nahrungsbreis. Auf diese Weise erleichtern Sie den Verdauungsenzymen der Zucker- und Eiweißspaltung die spätere Arbeit. Wer schlecht kaut, verändert die Zusammensetzung des Speisebreis ungenügend und hat damit negativen Einfluss auf die Zusammensetzung (Fütterung) seines Mikrobioms. Gärung und Fäulnis durch mangelhafte Verdauung und verzögerte Passage im Darm sowie eine Fehlbesiedlung des Darmes mit Fäulnisbakterien sind die Folge.
Jeder Gourmet oder Weintrinker kennt den Effekt der Geschmacksentfaltung (Bukett) durch das Verweilen und Einspeicheln in der Mundhöhle. Erst das Kauen löst die Aromen, die dann die Geschmacksrezeptoren in der Nase anregen können. Kauen ist Schmecken! Neben den Verdauungsenzymen enthält unser Speichel antibakterielle und antivirale Botenstoffe, die im Magen-Darm-Kanal aktiv werden und so unser Immunsystem stimulieren. Durch das Kauen wird der Nahrungsbrei bereits im Mund entsäuert, so dass bei gutem Kauen das Säure-Basen-Gleichgewicht des Stoffwechsels geschont wird. Wenn Sie also unter einer chronischen Übersäuerung des Magens oder unter dem sogenannten Reiz-Darm-Syndrom leiden, analysieren Sie unbedingt Ihr Kauverhalten! Und greifen Sie bitte nicht gleich aus Gewohnheit zu den geliebten Protonenpumpen-Hemmern!
Unser gesamter Verdauungskanal, vom Mund bis zum Enddarm, ist mit einer Vielzahl an Mikroorganismen besiedelt. Der menschliche Körper stellt eigentlich einen Superorganismus dar, in dem sich Abermillionen von Spezies den Raum teilen. In der Mundhöhle beeinflusst der Nahrungsbrei zum ersten Mal dieses Mikrobiom. Der Mund- und Rachenraum ist mit verschiedenen Mikroorganismen besiedelt, die sich aus dem Speisebrei ernähren. Über die Zusammensetzung des Speisebreis beeinflussen Sie das Mischungsverhältnis dieser Mikroorganismen. Die Bakterien, der Speichel und der Nahrungsbrei bilden zusammen den Zahnbelag, der ein idealer Nährboden für die Mikroorganismen ist. Gutes Kauen und Einspeicheln reduziert die Plaquebildung und damit die Gefahr von Karies. Eine kohlenhydratreiche oder säurehaltige, schlecht gekaute Nahrung füttert im Mund besonders die Streptokokken und Lactobazillen. Dies führt zur Übersäuerung des Speisebreis und zur chemischen Demineralisation der Zahnsubstanz. Karies ist die Folge. Neue Forschungsergebnisse zeigen zudem einen Zusammenhang zwischen verschiedenen Spezies des Mikrobioms. Der im menschlichen Körper auf der Schleimhaut im Mund und Rachen, im Genitalbereich und im Verdauungstrakt bei 75% aller Menschen vorkommende Hefepilz Candida albicans produziert einen Botenstoff, der in den Streptokokken die Produktion zelleigener Antibiotika stimulieren kann. Als Folge einer Karies kann es so zur Zahnmarkentzündung, einer Pulpitis, kommen. Über den Wurzelkanal, den Kieferknochen und das Blutgefäßsystem erhält die Entzündung Kontakt zum gesamten Organismus und kann zum Herd einer chronischen Entzündungsreaktion mit der Ausschüttung von mannigfaltigen Entzündungsbotenstoffen (Zytokinen) werden, die sich im Organismus verteilen. Andererseits kann eine chronische Entzündung im Körper auch über die Blutzirkulation einen Zahn befallen.
Es ist sehr wichtig sich vor Augen zu führen, wie sinnvoll das korrekte Zerkleinern für die Nahrungsaufbereitung ist. Ein defekter Zahnstatus (schlechtsitzende Zahnprothesen, Schmerzen beim Kauen, Kiefergelenkkrachen), Karies, Pulpitis oder Parodontitis macht diese Bemühung zu nichte und das Desaster nimmt seinen Lauf. Einen verpatzten Start können Sie im Verlauf des Rennens nicht wieder aufholen. Bitte nehmen Sie sich die Zeit und kauen Sie jeden Bissen etwa 30mal. Das hat auch den Nebeneffekt, dass Ihr Essen etwas länger dauert und das Sättigungsgefühl eine Chance hat, schon aufzutreten, während Sie am Tisch sitzen. Dadurch vermeiden Sie ganz automatisch, zu viel zu essen!
Wieviel soll man bei einer Mahlzeit überhaupt essen? Die Hälfte des Magens sollte mit fester Nahrung gefüllt werden, ein Viertel mit Flüssigkeit, und das verbleibende Viertel sollte leer bleiben, um Platz für die Verdauungsbewegung zu haben. Wenn das Fassungsvermögen eines durchschnittlichen Magens etwa 2 Liter beträgt, so können also 1000ml feste Nahrung und 250ml flüssige Nahrung aufgenommen werden. Das Trinken von (warmem) Wasser nach der Mahlzeit stillt nicht nur den Durst, sondern dient auch der Verteilung und Durchmengung der Nahrung im Körper. Und bitte essen Sie erst wieder, wenn Sie tatsächlich Hunger verspüren und nicht, weil es Zeit für das Essen ist.
Wind – rLung
Bezeichnung für die Kraft und Bewegung, die die Speiseröhre zum Schlucken und der Darm für die Bewegung braucht (Peristaltik), nennt die Tibetische Medizin den lebenserhaltenden Wind (sog zin rlung). Die Wind-Energie (rLung) gilt als Synonym für das bewegende Prinzip.
Im Magen findet die mechanische Vermengung des Speisebreis und die Durchmischung mit der Magensäure statt. Mit Hilfe der, in der Tibetischen Medizin als „zerkleinernder Schleim“ (bad kan myag jed) und „Feuer anfachender Wind“ (me nyam rlung) bezeichneten Kräfte beginnt durch die Magensäure die Aufspaltung der Nahrungsbestandteile. Die als „der Feuer anfachende Wind“ bezeichnete Subkategorie der Wirkkraft Wind ist im Magen- und Darmtrakt lokalisiert. Symbolisch ist dieser Wind wie die Luft zu sehen, die eine Flamme unter dem Suppenkessel zum Brennen braucht. Der Wind bewegt den Nahrungsbrei von der Speiseröhre durch den Magen in den Zwölffinger-, Dünn- und Dickdarm (Peristaltik). Seine korrekte Funktion bewirkt die gesamte Verdauung (Resorption und Absorption), die Trennung von Unverdaulichem und Verdaulichem, den Transport des Nahrungsbreies und der daraus gewonnenen Nährstoffe. Er eliminiert auch im Darm Toxine aus dem Nahrungsbrei (Bakterien, Pollen, Sporen, Viren etc.). Gelingt diese Separation der Gifte nicht, kommt es zur Entzündung der Darmschleimhaut und der Darmwand. Wie wir wissen, ist der Großteil des Immunsystems in der Darmwand lokalisiert. Hier werden Immunzellen geprägt, körpereigene von körperfremden Substanzen zu differenzieren. Hier wird aber auch das Immunsystem im Bedarfsfall aktiviert.
Schleim - bad kan
Aus tibetischer Sicht wird im Magen besonders die Resorption der süßen Qualität in der Nahrung, die aus dem Wirken der Elemente Erde und Wasser im Nahrungsmittel enthalten ist (siehe auch ausführlich im Kapitel „Ernährungsumstellung oder Kunstgelenk“), gefördert und die körpereigene Wirkkraft „Schleim“ (bad kan) vermehrt. Als Resultat dieses mechanischen und enzymatischen Prozesses entsteht der Nahrungsbrei – Chylus. Der Chylus ist die Essenz der Nährstoffe und stellt die Grundlage für die Versorgung aller Organe und Gewebe mit den Grundbausteinen des Lebens sowie für den weiteren Stoffwechsel, die Reifung und das Wachstum überhaupt dar. Als Nebenprodukt entsteht der, auch in der Schulmedizin bekannte Mucos – der im Magen lokalisierte „zerkleinernde Schleim“.
Galle – tri pa
Vom Magen gelangt der Nahrungsbrei in den Dünndarm. Hier erfolgt unter der Einwirkung der Enzyme aus der Bauchspeicheldrüse, der Gallenblase und der Leber die weitere Verdauung und Resorption. Die in der Tibetischen Medizin „verdauende Galle“ (tri pa ju jed) genannte Wirkkraft ermöglicht die Resorption von Saurem und Scharfem, das dem Element Feuer in den Lebensmitteln entspricht. Die körpereigene Wirkkraft „Galle“ (tri pa) wird durch saure und scharfe Nahrungsmittel angeregt. Die verdauende Galle entfaltet ihre Wirkung im Magen, Dünndarm und Dickdarm. Sie bewirkt die Trennung der Nahrungsessenzen von den Abfallprodukten. Die nunmehr in die einzelnen Grundbausteine aufgeschlüsselten Nahrungsbestandteile (Zucker, Eiweiß, Fette) werden über das Pfortadersystem zur Leber und zur Milz weitertransportiert, wo sie zur Produktion aller körpereigenen Substrate dienen. Das Blut, beladen mit den Substraten aus Leber und Milz, zirkuliert im Organismus und versorgt alle Gewebe und Organe mit Körperwärme und Nährstoffen. Die, durch die Leber synthetisierten Substrate wie Zucker, Proteine und Fette dienen zum Aufbau der Körperbestandteile: Muskeln, Knorpel, Bindegewebe, Nerven, Fett, Knochen und Knochenmark und Blut. Die verdauende Galle, symbolisch das Feuer unter dem Kochtopf, ist über die Blutversorgung für die Aufrechterhaltung der Körpertemperatur und Körperkraft verantwortlich.
Die Darmwand ist das größte und wichtigste lymphatische Organ und somit hauptverantwortlich für die körpereigenen Abwehrmechanismen des menschlichen Organismus. Das erscheint logisch, wenn man den Darm (innere Abgrenzung des Körpers) neben der Hautoberfläche (äußere Abgrenzung des Körpers) als wichtigste Barriere des Organismus gegen eindringende Giftstoffe betrachtet. Die Darmoberfläche ist etwa 200mal größer als die der Haut. Diese Oberflächenvergrößerung dient der besseren Aufnahme von Nährstoffen, stellt aber auch ein erhöhtes Risiko für das Eindringen gefährlicher Gärungs- und Fäulnistoxine, schädlicher Mikroorganismen oder von Umweltgiften dar.
Den Darm besiedeln etwa 40 bis 100 Billionen Mikroorganismen aus bis zu 2000 verschiedenen Arten, mehr, als es jemals Menschen auf der Erde geben wird! Über 50% aller Zellen des menschlichen Organismus sind Bakterien und somit körperfremd!
So finden sich immunmodulierende Mikroben wie Escherichiae und Enterococcus, die Schleimhaut schützende wie Bifidus, Bacteroides und Lactobacillus, Schleim bildende Mikroben wie Faecalibacterium prausnitzii und Akkermansia muciniphilia sowie eiweißspaltende Mikroben der Arten Proteus, Klebsiella, Pseudomonas, Enterobacter und Citrobacter.
Die Erforschung der Vielfalt in unserem Darm steht erst ganz am Anfang! Dabei müssen endgültig die Ansichten der großen und geschätzten Mediziner Robert Koch und Paul Ehrlich, die in den Mikroorganismen ausschließlich zu bekämpfende Krankheitserreger sahen, überwunden werden. Auch hier müssen die Karten neu gemischt und viele überkommene Lehrmeinungen über Bord geworfen werden!
Die Vielfalt der in uns lebenden Mikroorganismen, auch als Darmbiom oder Mikrobiota bezeichnet, ist nicht nur für unsere Verdauung wichtig, sondern auch für die Entwicklung und Reifung eines gesunden Immunsystems. So kontrollieren die Darmbakterien eindringende Krankheitserreger oder machen diese durch enzymatische Reaktionen unschädlich. Sie sind an der Synthese lebenswichtiger Vitamine (Vitamin K) und Nährstoffe (Aminosäure Tryptophan) ebenso beteiligt, wie am Abbau von Medikamenten. Wenn Sie sich schon immer gefragt haben, warum ein Medikament bei jemandem geholfen, bei einem anderen aber versagt hat, so kann das auch an der Besiedlung, dem Mischungsverhältnis und der Aktivität verschiedener Bakterienstämme im Darm der Betroffenen gelegen haben. So konnten aktuelle Studien der Harvard Medical School belegen, dass einige Bakterien in der Lage sind, Tumorzellen bei Brustkrebs-Patientinnen vor dem Angriff durch Chemotherapeutika zu schützen, indem die Bakterien Enzyme herstellen, die die Chemotherapeutika wirkungslos machen.
Gleichzeitig können Bakterien aber auch durch chemische Umwandlung die Toxizität von Medikamenten enorm erhöhen. Die unterschiedliche Wirksamkeit von Medikamenten bei gleicher Diagnose an verschieden Patienten wird so verständlich. Es gibt Bakterienstämme (Helicobacter pylori), die die Aufnahme von Medikamenten (Levodopa bei M.Parkinson) verhindern. Das Bakterium Eggerthella lenta kann die Wirkung des wichtigen und altbewährten Herzmedikamentes Digoxin stark beeinträchtigen. Eine Nahrungsumstellung mit Anreicherung der Aminosäure Arginin, also eine Änderung in der „Fütterung“ von Eggerthella lenta, kann diesen Effekt verhindern. Verschiedene Bakterienarten können darüber hinaus miteinander Informationen, ja sogar ihr Erbgut austauschen (Epigenetik, Resistenzplasmide). Dies kann man negativ sehen, indem Antibiotikaresistenzen oder Wirkstoffresistenzen von Bakterienstamm zu Bakterienstamm weitergegeben werden, oder aber auch durchaus positiv, indem die uns besiedelnden Bakterienspezies miteinander lernen, auf veränderte Lebens- und Umweltbedingungen während der Evolution zu reagieren, um uns so über die Jahrtausende anzupassen, zu optimieren und so unser Überleben als Art und ganz uneigennützig auch das Überleben ihres Wirtsorganismus zu sichern.
Darmfehlbesiedlungen oder Dysbiosen können durch industriell hergestellte Nahrungsmittel, durch verlangsamte Darmpassage bei Fehlernährung mit zu geringer Aufnahme von Ballaststoffen, durch zu häufigen Antibiotikaeinsatz oder durch die Aufnahme von Antibiotika über das Trinkwasser, durch Weichmacher, Lösungsmittel, Nahrungsmittelzusätze wie Emulgatoren oder Konservierungsstoffe u.v.m. ausgelöst werden. Sie führen zur Überladung des Darmes mit Toxinen, die die Funktion des Darmes weiter schädigen. Auch die Aufnahme von Kunststoffen über die Nahrungskette (Mikroplastik) bewirkt eine chronische Entzündungsreaktion der Darmwand. Leider werden Kunststoffe nun sogar in den Tiefen der Ozeane nachgewiesen und sind längst, wie auch die Antibiotikarückstände, in unserer Nahrungskette angekommen. All diese Gifte verursachen zunächst eine lokale Entzündung der Darmschleimhaut, die zu einer Aktivierung des lokalen Immunsystems und einer unspezifischen immunologischen Abwehrreaktion führt. Darmfehlbesiedlungen können allerdings auch durch medizinische Maßnahmen, wie Chemotherapie, Antibiotikatherapie oder Bestrahlungen ausgelöst werden.
Die Darmwand verfügt über ein ausgeklügeltes Schutzsystem zum kontrollierten Stoffaustausch. Zwischen den einzelnen Zellen der Darmschleimhaut befindet sich eine aus Eiweiß bestehende Kittsubstanz zur Abdichtung der interzellulären Transportspalten (tight junctions). Diese Kitt-Eiweiße unterliegen einer bedarfsabhängigen gezielten Steuerung. Das steuernde Enzym heißt Zonulin und gilt als Biomarker für die Durchlässigkeit der Darmwand. Durch Gärungs- und Fäulnistoxine, pathogene Keime oder die Einwirkung chemischer Substanzen werden die Abdichtungsproteine zerstört. Nunmehr können größere Partikel, zum Beispiel Fremdeiweiße, Makromoleküle und langkettige Fettsäuren aus dem Nahrungsbrei die Darmwand passieren und in das lokale Lymphsystem eindringen.
Abb.17 Schema Ausschnitt Darmwand, Darmepithel bei leaky-gut-Syndrom
In der Darmwand werden diese Partikel als körperfremd erkannt und führen zu einer entsprechenden immunologischen Reizantwort. Dies kann bei längerer Zeitdauer zu einer Reduktion oder dem Verlust der Immuntoleranz führen.
Die erhöhte Durchlässigkeit der Darmwand ist heute bekannt als leaky-gut-syndrom („Der durchlässige Darm“). Die im Blut zirkulierenden Antikörper (Abb.16), bakteriellen Endotoxine und Zellen der unspezifischen Immunreaktion (Makrophagen, erhöhte Immunantwort gegen bakterielle Endotoxine in Form von Antikörpern gegen Lipopolysaccharide LPS-Ak), die in der Darmwand aktiviert wurden, können u.a. körpereigenes Gewebe als fremdartig identifizieren und zu einer entsprechenden Entzündungsreaktion (Autoaggression, Autoimmunkrankheiten, Allergien) ohne eine limitierende anti-entzündliche Gegenreaktion führen. Bakterielle Endotoxine gelten dabei als Hauptauslöser der Entstehung und Persistenz einer chronischen subklinischen Entzündung, der silent inflammation. Eine fortwährende Ausschüttung von Entzündungsmediatoren (Zytokinen) führt zu schleichenden Gewebeschäden und zum fortgesetzten Verbrauch und zur Überlastung der kompensatorischen Systeme (Antioxidanzien). Andere Ursachen für eine chronisch schleichende Entzündung können Umweltgifte, Schwermetallbelastung, Übergewicht, Nikotin und chronischer Stress sein.
Als größtes lymphatisches Organ ist die Darmwand so auch an der Entstehung verschiedenster Krankheiten (u.a. Zöliakie, Typ-1-Diabetes, M. Bechterew, Allergien, Autoimmunkrankheiten, Multiple Sklerose, Kollagenosen und Rheuma) mitverantwortlich.
Eine Untersuchung der Uni Freiburg kam zu dem Ergebnis, dass das Darmbiom einen dramatischen Einfluss auf das Immunsystem haben kann. Die im zentralen Nervensystem agierenden Immunzellen funktionieren nur dann korrekt, wenn sie durch die Darmbakterien mit bestimmten Substanzen, den kurzkettigen Fettsäuren, versorgt werden. Bei Patienten mit laeky-gut-Syndrom findet sich aber eine vermehrte Penetration von langkettigen Fettsäuren durch die Darmwand (s.o.). Im Blut von MS-Patienten werden weniger kurzkettige Fettsäuren nachgewiesen als bei Gesunden. Behandelte man dieses Missverhältnis durch zusätzliche Gabe von kurzkettigen Fettsäuren mit einem Zusatz von Propionsäure, reduzierte sich die Zahl der Entzündungszellen im Blut der Patienten. Eine pflanzenbetonte Kost mit einem erhöhten Anteil an Ballaststoffen wie Apfelschalen, Vollkörnern, Hülsenfrüchten oder Nüssen erhöhte die Propionsäurebildung der Bakterien (Akkermansia muciniphilia) im Darm (Abb.16). Wir wissen inzwischen, dass die Propionsäure eine der wichtigsten Energiequellen der Zellen der Darmschleimhaut ist. Werden zu wenig Ballaststoffe mit der Nahrung aufgenommen, wie es in den Industrieländern leider regelhaft der Fall ist, können die Darmbakterien nicht genügend Propionsäure produzieren. Das Epithel wird geschädigt und die leaky- gut- Symptomatik weiter verstärkt. Es kommt zur Expression von Entzündungszellen, wie Monozyten, Phagozyten und Lymphozyten in der Darmschleimhaut. Die unspezifische Entzündung nimmt als silent inflammation (stumme Entzündung) ihren Lauf.
Diabetes mellitus gilt, ebenso wie Adipositas, als häufige Begleiterkrankung der Arthrose (Komorbidität). Im frühen Stadium des Diabetes mellitus Typ1 zeigt sich eine entzündliche Infiltration der insulinproduzierenden Langerhans-Inselzellen in der Bauchspeicheldrüse durch zytotoxische Lymphzellen und Makrophagen. Gleichzeitig weisen die Gelenke von Diabetes mellitus -Patientinnen und -Patienten eine stärker ausgeprägte Gelenkschleimhautentzündung (Synovitis) mit einer hohen Konzentration von Entzündungsmediatoren (Interleukin IL-6) in der Gelenkflüssigkeit auf. Dabei besteht ein Zusammenhang zwischen dem Entzündungsgrad und der Schmerzhaftigkeit der Gelenke (Eitner).
Eine besondere Bedeutung kommt der gestörten Immuntoleranz bei den sogenannten Autoimmunerkrankungen (Rheumatoide Arthritis, Neurodermitis, Asthma bronchiale, Vasculitis, Stomatitis, Uveitis, Allergien u.a.) und den chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (M. Crohn, Colitis ulcerosa) zu. Das leaky-gut-Syndrom führt durch die gestörte Immunbarriere der Darmschleimhaut zu einer vermehrten Antigenpräsentation, die eine chronisch schleichende, unspezifische Entzündung im lymphatischen Gewebe der Darmwand (silent inflammation) verursacht. Sie erinnern sich? 80% des Immunsystems sitzen in der Darmschleimhaut. Der fortdauernde Antigenkontakt aus dem Nahrungsbrei prägt im Normalfall die Zellen des Immunsystems auf körpereigenes und körperfremdes Material. Die Reizüberflutung der Darmwand beim leaky- gut-Syndrom überfordert die Kompensationsmöglichkeiten der Schleimhaut mit der Folge einer Dysregulation des Immunsystems. Über die Blutversorgung der Darmschleimhaut wird diese nun zusätzlich durch die Entzündungsmediatoren von innen geschädigt und der anfänglich noch lokale Entzündungsprozess unterhalten und verstärkt. Diese lokale Entzündung der Darmwand, aber auch die über das Blut einsetzende systemische Entzündung, die silent inflammation, führt zum oxidativen und nitrosativen Stress und somit zum massiven Verbrauch von Antioxidantien und zur Bildung freier Radikale, die die betroffenen Organe und Gewebe überschwemmen und schädigen. Die freien Radikale führen zu einer Schädigung der Gefäßinnenwand und so kommt es in Folge der silent inflammation zur endothelialen Dysfunktion mit weitreichenden Konsequenzen für die Mikro- und Makrozirkulation und somit für die Nährstoffsituation der Gewebe und Organe. Die Gefäßinnenwand, das Endothel, regelt u.a. die Weite der Blutgefäße und den Blutfluss, die Durchlässigkeit der Gefäßwand (Permeabilität) und damit die Nährstoffsituation der Gewebe sowie die Fließeigenschaften des zirkulierenden Blutes. Oxidativer Stress hat die Ansammlung von aggressiven Sauerstoffmolekülen, den Sauerstoffradikalen, zur Folge, die u.a. die Gefäßwandpermeabilität schädigen. Unmittelbare Auswirkung hat die endotheliale Dysfunktion auf die Kraftwerke in den Zellen aller Gewebe, die Mitochondrien. Durch den eintretenden Substrat- und Sauerstoffmangel sind diese nicht mehr in der Lage, die mitochondriale Atmungskette zur Energiegewinnung aufrechtzuhalten. Ein Mitochondriales Energiedefizit ist die Folge. Es wird zu wenig intrazelluläres ATP produziert. Chronische Müdigkeit und Erschöpfung (burn out), chronische Muskel- und Weichteilschmerzen (Weichteilrheumatismus, Fibromyalgie, Fasciitis) oder starke Stimmungsschwankungen bis hin zur Erschöpfung und Depression (chronic fatigue) können den erhöhten Verbrauch von Antioxidantien und die schädliche Wirkung freier Radikale bei einer silent inflammation anzeigen.
Die Makromoleküle, die durch die geschädigte Darmwand gelangen können, lagern sich in der Grundsubstanz des Bindegewebes mit der Folge einer Übersäuerung ab. Es kommt zur chronischen Bindegewebsentzündung. Klinische Symptome sind u.a. wiederkehrende Schleimbeutel- und Sehnenansatz-Entzündungen, Fascitis, Cellulitis, Fibromyalgie oder Weichteilrheumatismus.
Der Pischinger Raum, auch Extrazellularmatrix (ECM) oder Interzellularsubstanz, ist die Transitstrecke des gesamten Stoffwechsels, gebildet aus Proteoglykanen, Strukturproteinen wie Kollagen und Elastin und Fibronektin. Alle Nährstoffe und Substrate passieren auf ihrem Weg aus den Blutkapillaren zu den Zielzellen in allen Geweben per Diffusion die Interzellularsubstanz. Diese ist sehr reich mit vegetativen Nervenfasern durchzogen und hat so Anschluss zum vegetativen Nervensystem, dem autonomen Nervensystem unseres Organismus, gebildet aus Sympathikus und Parasympathikus und zum Endokrinum, womit es Kontakt zum Hormonsystem erhält.
Das Nervengeflecht, dass unseren Bauchraum durchzieht, ist durch mehr Nervenzellen und Nervenleitungen gekennzeichnet als unser Großhirn. „Vertraue Deinem Bauchgefühl!“ – ist eine Redewendung, die jeder schon einmal gehört und vielleicht einmal im Leben, bei der Partnerwahl, erfolgreich praktiziert hat. Klar ist aber auch, wie sehr seelische Probleme uns „auf den Magen schlagen“ oder uns „eine Laus über die Leber läuft“. Unser moderner Lebensstil mit alltäglicher Hektik, zu wenig Zeit zur Nahrungsaufnahme, geschweige denn genügend Zeit zur Nahrungszubereitung, minderwertiges Fastfood, überkalorische Ernährung und überbordender Zucker- und Fleischkonsum tun ein Übriges! Medikamente, Alkohol und Umweltgifte - der Darm muss alles schlucken!
Durch Verdauungsstörungen und fortgesetzten oxidativen Stress werden in der Extrazellularmatrix (ECM, Bindegewebe) vermehrt Radikale gebildet und es resultiert eine Übersäuerung (Acidose) und Verschlackung. Resultat ist eine Verlängerung oder gar Blockade der Diffusionsstrecke zwischen Blutkapillare und Zelle mit der Folge eines intrazellulären Energie- und Substratmangels. Die Zelle kann in ihren Kraftwerken, den Mitochondrien, ohne Nährstoffe, insbesondere ohne Sauerstoff, keine Energie produzieren. Sie stirbt. Darüber hinaus werden durch die Übersäuerung der ECM entzündungsfördernde Enzyme, die Zytokine wie Interleukine (1,6,9) und Tumornekrosefaktor alpha freigesetzt – die silent inflammation nimmt nun im Gewebe (Gelenkknorpel, Blutgefäße, Muskulatur, Bindegewebe, Nervengewebe, Schilddrüse, Bauchspeicheldrüse) ihren Lauf.
Entscheidend für ein funktionsfähiges Darmbiom ist ein ausgewogenes Verhältnis aller Mikroorganismen. Eine gesunde, vollwertige Ernährung, die Wert auf die Qualität der Nahrungsmittel legt, Probiotics, auf natürlichem Weg gesäuerte Lebensmittel, Vitamine, Spurenelemente, Mineralien und gutes Wasser helfen uns, dieses sensible und natürliche Gleichgewicht zu erhalten oder ein durch industrielle Nahrungsmittel, Antibiotika, Chemotherapie, Fehlernährung, nach Erkrankung, Stress, Nikotinkonsum oder Alkoholkonsum gestörtes Gleichgewicht wiederherzustellen. Bitterstoffe oder Gewürze erhöhen das Verdauungsfeuer durch Anregung der verdauenden Galle. Sie kennen das, wenn Sie vor oder nach einer fetthaltigen Mahlzeit einen Magenbitter zur Verdauung trinken oder Ihnen nach dem Genuss einer thailändischen Suppe mit Chili oder Ingwer plötzlich heiß wird! Als biologischer Schutzschild für Ihren Darm eignen sich besonders pflanzliche Bitterstoffe und antimikrobielle Pflanzenmischungen aus Langpfeffer (Piper longum), Schwarzkümmel (Nigella sativa), Knoblauch (Allium sativum), Curcuma (Curcuma longa), Vitamin C, Galgant (Galenga) und Ingwer (Zingiberaceae). Ich werde später in den Kapiteln über die Ernährungsumstellung und Materia Medica noch darauf zurückkommen.
Merke: Erst das fein abgestimmte Zusammenspiel von zerkleinerndem Schleim, verdauender Galle und feuerähnlichem Wind ermöglicht ein gesundes und aktives Verdauungsfeuer, ähnlich einer sauberen und gut ausgestatten Küche. Dieses äußerst subtile und störanfällige Zusammenspiel nennt die Tibetische Medizin „Verdauungsfeuer“. Ähnlich einer häuslichen Kochstelle entspricht der zerkleinernde Schleim dem Wasser im Kochkessel, die verdauende Galle dem Feuer (Öl) unter dem Kessel und der, das Feuer anfachende Wind dem Sauerstoff für das Kochfeuer. Wird das Verdauungsfeuer gestört, geschwächt oder kommt es gar zum Erliegen, drohen dem Organismus durch Dysbiose, leaky- gut- Syndrom, silent Inflammation und endotheliale Dysfunktion weitreichende Konsequenzen, die alle Organe, Organsysteme oder Gewebe betreffen können, die nach aktueller schulmedizinischer Meinung primär nichts mit der Verdauung und nichts miteinander zu tun zu haben scheinen, so zum Beispiel Reizdarmsyndrom, Laktoseunverträglichkeit, Glutenunverträglichkeit, Meteorismus, Obstipation, Adipositas, Migräne, Allergien, chronische Erschöpfung, chronisch entzündliche Krankheiten wie Rheuma, Psoriasis, Neurodermitis, Hashimoto-Thyreoiditis, Herz-Kreislauf-Krankheiten bis hin zum Herzinfarkt, Multiple Sklerose, Alzheimer und die Arthrose.
Das verbindende Substrat dieser systemischen Auswirkungen scheint das Mitochondriale Energie Defizit zu sein.
Silent Inflammation und Endotheliale Dysfunktion sind die Bindeglieder der bisher unverstandenen Komorbiditäten. Ihren Ausgang nehmen sie alle mit hoher Wahrscheinlichkeit im lymphatischen Gewebe der Darmwand.
Eine ganzheitliche und vor allem ursächliche Behandlung der resultierenden Krankheitsbilder wird diese Gegebenheiten berücksichtigen müssen und sich trotz unterschiedlicher systemischer oder lokaler Manifestationen immer wieder im Grundmuster gleichen.
Eine Regulation der Verdauung mit Wiederherstellung des Mikrobioms und des Verdauungsfeuers, die Behandlung der silent inflammation und die Korrektur der Übersäuerung des Pischinger Raumes, die Bekämpfung der Folgen der endothelialen Dysfunktion mit ihrem Energie- und Substratmangel vor Ort müssen essentielle Bestandteile einer ganzheitlichen, individualisierten und vor allem kausalen Therapie sein!
Autor: Dr. med. Tassilo König, Facharzt für Orthopädie
Thema: Arthrose und Verdauung - wie geht das zusammen?
Webseite: https://www.orthopaedie-warburg.de