Aus dem Talmud: „Achte auf deine Gedanken, denn sie werden Worte. Achte auf deine Worte, denn sie werden Handlungen. Achte auf deine Handlungen, denn sie werden Gewohnheiten. Achte auf deine Gewohnheiten, denn sie werden Charakter. Achte auf deinen Charakter, denn er wird dein Schicksal.“
Es gibt zunehmend eine Vielzahl an alarmierenden Studien und Veröffentlichungen, die vor den stressbedingten Folgen von Überforderung und überhöhten Erwartungen an Kindern im schulischen und familiären Umfeld warnen. Die Zahl der offenkundig an Stresssymptomen bis zum Burn-Out erkrankten Kinder und Jugendlichen scheint dramatisch zu steigen. Diese Tendenz macht sowohl das kritische Hinterfragen der Ursachenzusammenhänge wie auch die Etablierung von resilienzsteigernden Methoden notwendig. Es stehen viele verschiedene Entspannungsverfahren und –methoden zur Verfügung, die sich zum Einen an westeuropäisch geprägten Methoden, wie dem Autogenen Training nach Schultz oder der Progressiven Muskelentspannung nach Jacobson und andererseits an fernöstliche Methoden der Meditation orientieren. Darüber hinaus gibt es Methoden, die wie (Selbst)Hypnose seit Menschengedenken kulturübergreifend ihre Berechtigung haben. Mit dem Bezug auf die Einsatzbarkeit der Verfahren bei Kindern und Jugendlichen lassen sich die für Erwachsene geeigneten Methoden nicht unmodifiziert für Kinder und Jugendliche anwenden. Dennoch gibt es eine Vielzahl an kindgerechten Übungen, die Spaß und Freude machen und den Kindern Selbstwert und gesunden, achtsamen Umgang mit sich und Anderen ermöglichen. In diesem Artikel erhalten Sie einen kurzen Überblick über Ursachen krankmachenden Stresses, deren Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche, sowie einen Ausschnitt aus den möglichen resilienzsteigernden Übungen.
Weshalb ist das Thema „Entspannung für Kinder“ so aktuell?
Die Themen „Stress“ und „negative Stressbelastungen“ erscheinen in der Welt der Erwachsenen einen fast schon beängstigenden Raum einzunehmen. In unserer heutigen Gesellschaft mit ihren hohen Erwartungen an Leistung, Erfolg, Geld, Spaß und Freizeiterleben gehört der Satz „Ich fühle mich gestresst“ fast schon wie normal dazu. Leider scheinen die Wertevorstellungen in einer Welt des „Funktionieren-Müssens“ für unsere Kinder und Jugendliche im familiären, schulischen und freizeitbezogenem Umfeld ebenso selbstverständlich zu gelten.
Für das Schuljahr 2016/2017 hat das Institut für Therapie- und Gesundheitsforschung, Kiel, im Rahmen ihrer Erhebung zur Kinder- und Jugendgesundheit in Schulen (Präventionsradar) herausgearbeitet, dass bereits 43% aller Schüler und Schülerinnen oft oder sehr oft Stress erleben. Hierbei liegt die Quote bei Mädchen mit fast 50% deutlich höher, als bei Jungen. Die Forschungsergebnisse der Universität Bielefeld (Stress-Studie 2015: Burnout im Klassenzimmer; Wie gestresst sind Kinder und Jugendliche ich Deutschland?) belegen, dass bei Kindern ca. jedes sechste Kind und bei Jugendlichen etwa jeder fünfte deutlich unter massiven Stress leidet. Somit wird die wachsende Zahl an Burnout-Fällen bei Kindern und Jugendlichen deutlich. Umso dringender werden Antworten auf die Fragen gesucht, welche Handlungsoptionen Eltern und Schulen finden können, die schwächsten unserer Gesellschaft vor der „Stressfalle“ zu schützen. Hierauf finden wir unter anderem in der menschlichen Fähigkeit zur Entspannung Antworten. Dies gilt für Erwachsene und Kinder in gleichem Maße und ist gerade für Kinder in ihrer praktischen Ausgestaltung doch unterschiedlich.
Was sind die Folgen von Stress und Überforderung bei Kindern und Jugendlichen?
Nach einer breit angelegten Studie der Universität Bremen, des Robert-Koch-Institutes Berlin und der Klinik für Kinder- und Jugendpsychologie Hamburg (bereits aus dem Jahr 2014), sehen die Forscher bei rund einem Fünftel der Drei- bis 17-Jährigen in Deutschland die Gefahr, psychisch auffällig zu werden.
Die Folgen von massiven Stress und Überforderung bei Kindern und Jugendlichen sind u.a.:
- Kopfschmerzen
- Schlafstörungen
- Rückenschmerzen
- Schwindel
- Bauchschmerzen
Neben den rein somatischen Beschwerden zeigen sich:
- Ein niedrigeres Wohlbefinden
- Niedrigeres Selbstwertgefühl
- Vermehrt auffälliges und problemhaftes Verhalten bis hin zu gesteigertem Aggressionspotential
- Eine schlechtere Beziehungsqualität zu den Eltern und zu Gleichaltrigen sowie vermehrt Streit zwischen ihnen und den Eltern
- Vermehrte Schulunlust
- Eine weniger optimistische Wahrnehmung ihrer selbst und geringere Lebenszufriedenheit
- Eine erheblich geminderte Problemlösungskompetenz
Hinzu können psychische Probleme bei stark gestressten Kindern und Jugendlichen kommen, wozu allen voran depressive Symptome und sozialer Rückzug zählen.
Wo liegen die Ursachen für das massive Stresserleben bei Kindern und Jugendlichen?
Die Belastungsschwerpunkte, die zu den körperlichen Beschwerden infolge von Stress führen können, sind nach den einschlägigen Studien zusammengefasst:
- Schulische Belastung. Hierbei ist zu bemerken, dass mit zunehmendem Alter der Kinder, die wahrgenommene schulische Belastung zunimmt und in Jahrgangsstufe 10 den höchsten Wert erreicht.
- Gewalterfahrung und Mobbing an der Schule. Hierzu zählen bspw. gewaltsamer Diebstahl, geschlagen oder getreten werden. Nach den Präventionsradar (Erhebung zur Kinder- und Jugendgesundheit in Schulen des Instituts für Therapie – und Gesundheitsforschung, Kiel, siehe oben) beschriebenen Ergebnissen ist ca. jeder zehnte Schüler bzw. Schülerin regelmäßig betroffen.
- Konsumverhalten. Der häufige Konsum von Energydrinks liegt mit 10% der Klassen 5 und 6 bis zur Klasse 9 und 10 mit 14% durchaus bemerkenswert hoch, die Betreffenden berichten gerade hier von Schlafstörungen und hoher Hinzu kommen Alkoholkonsum, Rauschtrinken, Zigarettenkonsum und der Konsum von Cannabis. Ein eigenes besonderes Thema stellt grundsätzliche die Ernährung dar.
- Mangelnde Selbstbestimmtheit der Kinder in der Freizeit. Hierunter ist die Möglichkeit zu verstehen, dass Kinder ihre Zeit so gestalten können, dass sie auch Dinge tun, die ihnen wirklich Spaß machen. Die Terminkalender sind bereits für Kinder voll und gut durchorganisiert. Das lässt den Kindern selbst kaum eine Wahl dessen, was sie leisten wollen und was als Leistung von ihnen erwartet wird.
- Mangelnde Freizeit von Kindern. Gestresste Kinder äußern häufig keine Zeit zu haben und mehr Zeit zum Spielen oder für eigene Interessen haben zu wollen. Die Wahrnehmung der betreffenden Eltern ist jedoch, dass sie sich Sorgen über eine ungenügende Förderung der Kinder machen.
- Keine Selbstbestimmtheit in der Familie. Gestresste Kinder haben den Eindruck mangelnder Selbstwirksamkeit in der Familie und die Erfahrung, dass Andere über ihre Freizeit verfügen und sie nicht nach ihrer Meinung gefragt werden.
- Hoher Erwartungsdruck. Ein Bedürfnis von Kindern ist es, die Eltern glücklich und zufrieden zu machen. Demgegenüber haben Kinder häufig die subjektive Erfahrung, den Erwartungen der Eltern eher nicht gerecht zu werden. Dies betrifft in hohem Maße die schulische Leistung.
Gestresste Kinder nehmen den Erwartungsdruck der Eltern viel intensiver wahr. Sie haben das Gefühl, die Aufgaben und Leistungen nicht zu schaffen.
- Versagensängste und Überforderung. Gerade die Fokussierung auf die Leistungs- und Erwartungserfüllung beschert gestressten Kindern eine erhöhte Angst vor eigenem Versagen. Dies betrifft vorwiegend auch die schulischen Leistungen. Auch hier weicht die Wahrnehmung der Eltern gestresster Kinder von deren Erleben deutlich ab. Nur etwa ein Drittel der Eltern gestresster Kinder befürchten, ihre Kinder zu überfordern. Gerade bei Kindern mit hoher Stresswahrnehmung sind meist die Eltern der Auffassung, alles zu tun, um ihre Kinder zu fördern oder haben die erklärte Erwartung, dass das Kind gut in der Schule ist.
- Stress kann bei Schülern zu vermehrter Anfälligkeit für ein Suchtverhalten führen. Hierzu zählen im Wesentlichen Aufputschmittel, stark gesüßte Energy Drinks, Alkoholkonsum und Cannabis.
- Wenn Kinder zu Hause zu viel mithelfen müssen. Gerade Kinder und Jugendliche, die über einen hohen Stresslevel klagen und Anzeichen von niedergeschlagener depressiver Stimmung zeigen, fühlen sich oft in eine Rolle im eigenen familiären Umfeld hineingedrängt, die jedoch für die Eltern bestimmt ist.
Wo und wie können Eltern und Schule bei dem Faktor „Stress“ ansetzen?
Kinder nicht zu fördern und auch nicht zu fordern, ist keine wirkliche Option. Die Vorstellung und Erwartung, dass eine möglichst frühe und intensive Förderung der Kinder ein Garant auf einen guten Weg in die Zukunft ist, kann die Kinder schnell über deren individuelle Leistungsgrenze führen und somit genau das Gegenteil bewirken und der damit einhergehende negativ empfundene Stress krank machen.
Betrachtet man die Stressfaktoren wie frühes Aufstehen, Frühförderung bereits im Kleinkindalter, lange Schulwege, hoher schulischer Leistungsdruck, Hausaufgaben und Lernanforderungen am Nachmittag, Nachhilfetermine, Sportverein, Musikunterricht etc. sowie die oben genannten familiären, schulischen und psychischen Belastungen, ergeben sich folgende Schwerpunktbereiche, die für das Stresserleben von Kindern und Jugendlichen verantwortlich sind. Diese lassen sich in drei Bereiche zusammenfassen:
- Gesellschaftliche und organisatorische Rahmenbedingungen z.B. im schulischen Umfeld
- Das familiäre System, in dem die Kinder eingebettet sind und in dem sie erzogen, gefördert und gefordert werden
- Fehlende Kenntnisse und Selbsthilfemethoden zur konkreten Steigerung der Resilienz, d.h. einem eigenen robusteren Umgang mit stressverursachenden Umweltbedingungen.
Entspannung bei Kindern und Jugendlichen – eine gezielte Resilienzsteigerung
Manche Rahmenbedingungen lassen sich ungeachtet aller Selbstreflexion und kritischem Hinterfragen der eigenen elterlichen Erwartungen und des Verhaltens nicht oder nur schwer verändern. Daher erscheint es notwendig und sinnvoll den Kindern und Jugendlichen Methoden zur Entspannung frühzeitig näher zu bringen. Hinter dem Schlagwort „Entspannung“ verbergen sich viele Varianten und Methoden, die zum Zielhaben die Konzentration und Aufmerksamkeit zu steigern und das allgemeine Wohlbefinden zu steigern. Somit werden die Kinder und Jugendlichen für den Schulalltag fit gemacht und können den Umgang mit Stress, Prüfungen und allgemeinen Schwierigkeiten in sozialen Kontakten gesünder und stabiler meistern.
1 Meditation
Meditation bedeutet im lateinischen „nachdenken, nachsinnen, überlegen“. Es handelt sich hierbei um eine in vielen Religionen und Kulturen ausgeübte (spirituelle) Praxis seinen Geist zu sammeln und zu beruhigen. Dies geschieht durch Konzentrations- und Achtsamkeitsübungen. Der angestrebte Bewusstseinszustand wird u.a. als im Hier und Jetzt sein, in sich ruhend, frei von Gedanken sein beschrieben. Die Meditation bezieht sich nicht nur auf die fernöstlichen Praktiken, sondern findet genauso ihre Anwendung in der christlichen Tradition.
Das Trainieren von Achtsamkeit und der Konzentrationsmediation sind Teilaspekte der Meditation als eine Art passiver Meditation. Yoga stellt ein Teilaspekt der aktiven Meditation dar.
2 Achtsamkeitsübungen und Achtsamkeitsmeditationsübungen
Ungeachtet der unterschiedlichsten Begriffsdefinitionen versteht man unter Achtsamkeit, sich selbst im Hier und Jetzt gezielt auf eine Sache zu konzentrieren und diese mit allen Sinnen wahrzunehmen und das Wahrzunehmende nicht zu bewerten. Mit dieser inneren Haltung werden unbewussten Reaktionen sowohl bei andrängenden Gedanken wie auch spürbaren Körperempfinden abgeschwächt. Dieser Effekt reduziert das Stressempfinden und fördert die Gesundheit.
Achtsamkeit kann somit in allen Lebensbereichen Anwendung finden. Zunächst bedeutet die Schulung von Achtsamkeit eine gesteigerte Selbstwahrnehmung der eigenen Gedanken und Gefühle ohne diese zu bewerten. In den Achtsamkeitsübungen beobachtet man genaugenommen sich selbst, wie aus einer Metaperspektive und nimmt bewusst wahr, welche Gedanken kommen, sich gerade aufdrängen, welche körperlichen Gefühle wahrnehmbar sind, die unter Umständen mit den eigenen Gedanken in direkter Verbindung stehen. Insbesondere bei negativen Gefühlen wie Angst, Unruhe, Unwohlsein und bei belastenden Gedanken z.B. an eine Prüfung oder ein Referat fällt es schwer diese Gefühle ohne Bewertung anzunehmen. Wer möchte schon negative Gefühle zulassen? Doch gerade in der wertungsfreien Beobachtung liegt der Schlüssel, die eigenen automatisch ablaufenden, unbewussten Stressreaktionen abzubauen. Man kann Achtsamkeit in seiner Wirkung als eine Umleitung der Aufmerksamkeit auf Gefühle im Körper und ein Fließenlassen der Gefühle und Gedanken bezeichnen. Somit wird eine Distanzierung von belastenden Gedanken und Gefühlen erreicht, die die Psyche und den Körper beruhigen und entspannen.
Die so trainierte eigene achtsame Haltung verbessert so nicht nur die Konzentrationsfähigkeit (man kann dies auch als eine Art der verbesserten Selbstregulierung der Aufmerksamkeit bezeichnen), sondern auch die Selbstregulierung der Emotionen. Damit verbessert ein Achtsamkeitstraining die Problem- und Konfliktlösungskompetenz.
Die Eigenachtsamkeit und damit die eigene innere Haltung zielen darauf ab, die inneren emotionalen Vorgänge, die sich über Gedanken, Bilder und (körperliche) Gefühle offenbaren mit einer möglichst nicht bewertenden offenen Gelassenheit anzunehmen. Für das Training der eigenen inneren Achtsamkeit eignen sich Meditationstechniken. Diese trainieren im Kern die Wahrnehmung dessen, was genau in der Zeit jetzt, der Gegenwart, ist. Es ist ein Training der Wahrnehmung des gegenwärtigen Zustands.
Zwischen Achtsamkeitsmeditation, Selbsthypnose und Entspannungstechniken bestehen zwar erhebliche Unterschiede, doch es ist ihnen gemeinsam zu lernen, sich selbst mit seinen eigenen Gefühlen und Gedanken wahrzunehmen. So können Eltern ihre Kinder dazu anleiten, sich zunächst auf die eigene Atmung zu konzentrieren. Die Atmung ist für alle Menschen ein idealer automatisch ablaufender körperlicher Vorgang, den man hervorragend beobachten kann, um so ganz von alleine eine entspannende Dissoziation zu erreichen. Darüber hinaus, können Eltern ihre Kinder anleiten, ihre Wahrnehmung direkt auf ihre eigenen Gefühle im Körper zu lenken oder zu beobachten, welche Gedanken ihnen gerade durch den Kopf gehen. Hierzu ist es immer hilfreich, gewisse Vorschläge zu bieten, die aber möglichst offen gehalten werden sollten. Z.B., „Was hast du heute erlebt?“ oder „Was denkst Du, wenn Du an den Tag morgen denkst?“.
Zur Eigenwahrnehmung gehört auch beispielweise das gezielte und bewusste Wahrnehmen dessen, was gerade jetzt getan wird. Z.B. die eigene Sinneswahrnehmung beim Essen. Hierzu gehört die Reizfreiheit von außen, d.h. kein Fernsehen oder andere Ablenkungen, die die Konzentration der Kinder stören, das Schweigen und die Konzentration der Sinne ganz auf das Essen. Wie schmecken die Nahrungsmittel? Wie fühlen Sie sich an? Wie riechen sie? Wie verändert sich der Geschmack, wenn man diese länger im Mund behält? Welcher Geschmack entfaltet sich bei längerem Kauen? Wenn Eltern und Kinder Freude an einem gezielten Üben der Wahrnehmung haben, kann man durchaus die Augen verbinden oder geschlossen lassen und sich so völlig unabhängig von dem äußeren Eindruck der Sinneserfahrung öffnen.
Achtsamen Wahrnehmen lässt sich so auch auf das reine Erfühlen (Haptik) konzentrieren, indem spielerisch ausgewählte Gegenstände in einer Kiste mit geschlossenen oder verbundenen Augen erfühlt werden. Hierdurch werden die haptische Wahrnehmungsfähigkeit und auch die Fähigkeit zur sprachlichen Beschreibung der Gefühle gefördert.
In der Interaktion mit anderen Menschen, sei es den Eltern oder anderen Kindern, kann die achtsame Wahrnehmung eigener Gefühle trainiert werden. Nähe und Distanz zu anderen Menschen wird achtsam erlebt. Wie nah darf mir jemand kommen, ohne dass es mir unangenehm ist? Auch gibt es bestimmte interaktive Übungen, die einem Menschen im Allgemeinen und hier Kinder im Besonderen spürbar werden lassen, wie es sich anfühlt Nähe und mögliche körperliche Berührungen zu zulassen oder diese auszuführen. Beispielsweise bedeckt ein Kind das andere, dessen Augen geschlossen oder verbunden sind mit z.B. Bierdeckeln und nimmt diese wieder achtsam vom Körper. Der besondere Reiz dieser Achtsamkeitsübung ist es, während des in sich Hineinspürens einerseits die Wirkung des „Geschehenlassens“ und auf der anderen Seite eines „respektvollen und schützenden Umgangs“ mit dem Anderen zu erfahren. Hier geht es beispielsweise um die Hinwendung zu einem achtsamen Umgang mit Anderen. Wer gelernt hat, Eigenachtsamkeit zu erfahren, dem fällt es im Umgang mit Dritten leichter, Achtsamkeit zu praktizieren.
Eine weitere Möglichkeit des achtsamen Erlebens eigener Gefühle ist die Gehmeditation. Es geht bei der Gehmeditation um ein bewusstes Erleben eigener körperlicher Gefühle bei der Ausführung der Gehbewegung. Je langsamer das Gehen ausgeführt wird, desto intensiver kann die Konzentration auf die eigene Wahrnehmung erfolgen. Die Kombination aus Bewegung (Gehen, sich fortbewegen) und der bewussten Beachtung eigener Wahrnehmung „entschleunigt“ den Moment. Eine Fixierung auf eine reine schnelle Zielerreichung wird aufgelöst. Den unbewussten Gedanken und dem Entfalten von Gefühlswahrnehmungen wird Raum gegeben.
Es gibt hier viele weitere Möglichkeiten, die eigene Achtsamkeit zu trainieren. Viele dieser Übungen eignen sich auch für Kinder. Allerdings ist der Zeitrahmen hierfür angemessen kindgerecht zu wählen. Bei Kindergartenkindern reichen oft schon 5 – 10 Minuten. Stillephasen in der Meditation sind aufgrund der kurzen Aufmerksamkeitsphase von Kindern mit 1 Minute ausreichend. Auch bei Grundschulkindern reichen einige wenige Minuten der täglichen Übung. Bei Kindern ab dem Alter von 10-12 Jahren sollte man eine altersgerechte, d.h. nicht zu kindliche Sprache wählen. Auch besteht die Gefahr, dass eine zu sehr an die Jugendsprache angelehnte Ausdrucksweise lächerlich wirken könnte. Abwechslung und eine interessante Gestaltung ist hier ein Schlüssel zum Erfolg.
Bei der Arbeit mit Kindern halte ich es für wichtig, einen festen Rahmen zu geben, der neben einer einfühlsamen Hinführung zu den Übungen, einer Durchführung in einem von Akzeptanz und Schutz gewährendem Rahmen, auch eine Nachbesprechung der Wahrnehmungen und Erfahrungen der Kinder beinhaltet. Nur so verstehen die Kinder den Sinn der Übungen und es fällt ihnen leichter das Erlebte in die eigene innere Welt und auf sich selbst zu übertragen. Alleine die Erfahrungen auszusprechen und den eigenen Gefühlen Worte zu verleihen, hilft ihnen die Erfahrungen zu verinnerlichen und auch unbewusst anzuwenden.
3 Yoga
Yoga allgemein stellt eine der wohl populärsten Formen der Meditation da. Gerade für Kinder ist die Kombination aus fantasievollen Geschichten mit körperlichen Yogastellungen mit viel Spaß und Freude verbunden. Wer sich für Kinderyoga näher interessiert, dem sei die Web-Site https://www.yoga-vidya.de/kinderyoga/ empfohlen.
4 Selbsthypnose
Der hypnotische Prozess (denn Hypnotisiertsein ist kein Zustand, sondern ein Prozess) wird durch eine Trance eingeleitet. Diese Trance beginnt in der Regel zuerst mit Entspannungsübungen und leitet dann zu einer immer fokussierenden Eigenwahrnehmung über, die die Wahrnehmung der Außenwelt zurückdrängt und den Zugang zu eigenem unbewussten Denken ermöglicht. Selbsthypnose will gelernt sein, ist aber bei weitem nicht so schwierig, wie es den Anschein haben mag. Es gibt eine Vielzahl an Audiomaterial, welches zur Selbsthypnose anleitet. Das bekannte Entspannungsverfahren des „Autogenen Trainings“ nach Schultz beispielsweise ist letztlich eine Selbsthypnosetechnik, dessen entspannende Wirkungsweise auf das vegetative Nervensystem nachgewiesen ist. Der eher abstrakte und formalisierte Ablauf dieser Technik lässt diese für jüngere Kinder eher wenig praktikabel erscheinen. Für jüngere Kinder eignen sich vielmehr Fantasie- oder Tagtraumreisen. Im Rahmen meiner klinischen Hypnosesitzungen verwende ich selbst gerne den „Bodyscan“ bei der Entspannungseinleitung der Hypnosesitzungen. Unter dem Bodyscan darf man sich vorstellen, dass die eigene Aufmerksamkeit auf bestimmte Körperpartien gelenkt wird. In einer meist liegenden Position und geschlossenen Augen konzentriert sich der Übende z.B. auf das, was er gerade in seinen Füßen, Beinen, Händen etc. fühlt. Gerade am Anfang darf man hierbei ruhig Hilfestellung geben. Z.B. erwartete Gefühle von Schwere, das Fühlen einer harten oder weichen Unterlage, die Wärme einer Decke etc. Viele Erwachsene haben Schwierigkeiten in der Wahrnehmung eigener Gefühle und noch mehr Probleme, Worte für das Wahrgenommene zu finden. So dürfen wir von Kindern nicht erwarten, dass sie ohne Anleitung diese Fähigkeiten ausbauen können. Weitere hilfreiche Techniken sind bspw. die Konzentration der Wahrnehmung auf die Atmung. Z.B. über die Aufforderung: „Fühle einmal in Deinen Bauch hinein und spüre, wie Dein Bauch sich beim Einatmen hebt und beim Ausatmen wieder senkt.“
Der Bodyscan ist ein Teil der Progressiven Muskelentspannung (abgekürzt: PME oder PMR) nach Jacobson. Dieses Entspannungsverfahren basiert auf bewusster Körperwahrnehmung, die durch das gezielte Anspannen und Entspannen von bestimmten Muskelpartien trainiert wird. Eine kindgerechte Form dieser für Erwachsene streng formalisierten Übungen sollte in spielerische Form in Geschichten eingebaut werden.
5 Fantasiereisen
Kinder geben ihren Träumen und Fantasien viel mehr Raum, als Erwachsene und integrieren ihre Träume und Fantasien spielerisch in ihren Alltag. Man kann sagen, dass Kinder sich in einer Art Dauertrance befinden. Meist reicht einfach zu sagen, „komm, schließe mal Deine Augen und stelle Dir mal vor, dass …“, um Kinder in eine Fantasie- und Traumwelt zu entführen. Die Funktion von Träumen und besonders auch von Tag- oder sogenannte Wachträume ist es, den Kontakt mit unserer Umwelt und unserer Gesundheit zu organisieren und harmonisieren. Erwachsene, Eltern oder Lehrer sehen häufig nicht gerne, wenn Kinder vor sich hinträumen. Sie meinen, dass das Kind eher faul oder unproduktiv ist und unterbrechen diese Träume daher gerne. Wenn die Kinder vor sich hinträumen, scheinen sie eine eingeschränkte oder gar keine Aufmerksamkeit für ihre Umgebung zu haben, was sie auch möglicherweise tatsächlich haben. Doch kann es durchaus sein, dass sie in diesen Zuständen eine umfassendere und klarere Wahrnehmung ihrer Umwelt haben, als wenn die Aufmerksamkeit auf eine Aufgabe gerichtet ist. Man darf davon ausgehen, dass sich Kinder in diesen Phasen vom Alltag erholen und auch zusätzlich kreativ sein können. Daher sind diese Phasen sowohl für die körperliche wie psychische Gesundheit der Kinder wichtig.
Tagträume lassen sich gezielt über Fantasiereisen herbeiführen. Wer kennt nicht den Wunsch der Kinder eine Gutenachtgeschichte vorgelesen zu bekommen. Das Vorlesen ist eine wichtige Form Zuwendung dem Kind zu zeigen, Zeit und Fürsorge dem Kind gegenüber zu geben. Dies ist ein Bestandteil der liebevollen Eltern-Kind-Beziehung und fördert die innere Sicherheit des Kindes wertvoll zu sein, was wiederum ganz entscheidend für einen gesunden Umgang mit sich und anderen Menschen ist. Ergänzend bspw. zu dem Ritual der Gutenachtgeschichte sollten Kinder nach einer Fantasiereise die Gelegenheit bekommen über Ihre Eindrücke und Gefühle zu sprechen. Sie spüren dann, dass sie mit Ihren Gefühlen nicht alleine sind, Ängste werden reduziert und kreative Ressourcen aktiviert. Die Reaktion der erwachsenen Vorlesenden entscheidet darüber, was das Kind im Umgang mit der Außenwelt lernen muss. Fantasiereisen ermöglichen in einer spielerischen einfachen Form Werte zu vermitteln, ein hilfreiches Selbstbild zu entwickeln und Fähigkeiten zu erlernen, Konflikte zu lösen. Stichworte hierzu sind beispielweise:
- sich selbst anzunehmen, zu spüren und zu akzeptieren
- die Umwelt besser wahrzunehmen und neugierig die Beziehungen zu gestalten
- sich als wertvoll zu empfinden und sich selbst sowie seinen Körper achtsam zu behandeln
- positive Eigenschaften und Fähigkeiten wahrzunehmen und diese auszubauen
Besonders wertvoll sind metaphernartige Geschichten, wie sie z.B. von Milton Erickson bei seiner Arbeit mit Kindern gerne eingesetzt wurden. Je jünger die Kinder sind, desto einfacher und kürzer sollten die Geschichten gehalten sein. In der Literatur gibt es eine Vielzahl an Fantasiegeschichten für Kinder, die auch vom Vorlesenden flexibel auf das Alter der Kinder angepasst werden können.
Gerne empfehle ich in diesem Zusammenhang das Buch von Daniel Wilk, Ein Käfer schaukelt auf einem Blatt, Entspannungs- und Wohlfühlgeschichten für Kinder jeden Alters, Carl-Auer-Verlag, 2014.
Lesetipp für Kinder: Lilli - Eine Geschichte für Kinder und Kindgebliebene
Autor: Dipl.-Wirtsch.-Ing. Ulrich Kritzner, Heilpraktiker für Psychotherapie
Thema: Entspannung für Kinder
Webseite: http://www.psychotherapie-kritzner.de