Heute möchte ich dich in ein, mir persönlich wichtiges Thema, mitnehmen welches meiner Meinung nach leider noch zu den Tabuthemen gehört.
Mir liegt es am Herzen, weil ich selber jahrelang betroffen war, es wohl auf eine Art und Weise auch mein Leben lang sein werde und weil ich mittlerweile andere Menschen auf Ihrem persönlichen Heilweg begleiten darf und es in diesem Kontext, auch immer wieder mal um dieses Thema geht.
Wusstest du eigentlich, dass es verschiedene Varianten einer Essstörung gibt? Von Magersucht (Anorexie) oder Ess-Brech-Sucht (Bulimie) hat wahrscheinlich fast jeder schon mal gehört. Aber es gibt z.B. auch die Binge-Eating-Störung (regelmäßige Essanfälle, ohne gewichtsregulierende Maßnahmen) und noch einige andere Varianten, die aber nicht so häufig vorkommen, oder auch teilweise nicht so leicht einzuordnen sind.
Es gibt in der Regel mehrere Auslöser und Ursachen für eine Essstörung. Das Erforschen der Ursache ist für den Heilweg sehr wichtig, dafür kann es sehr wichtig sein, sich professionelle Unterstützung zu holen. Wenn ich das „warum“ für mich erkannt habe, kann es auch dazu beitragen, mir selber mehr Verständnis entgegen zu bringen und mich nicht „auch dafür“ noch zu verurteilen.
Einige mögliche Ursachen können sein:
- Individuelle Ursachen (erworbene Resilienz…)
- Persönliche Ursachen (Charaktereigenschaften…)
- Familiäre Ursachen
- Traumatische Erfahrungen
- Das öffentlich dargestellte Schönheitsideal, je nach Kultur und Umfeld
- Social Media
Anzeichen dafür, dass bei dir eine Ess-Störung vorliegen oder sich entwickeln könnte sind u.a.:
- deine Gedanken kreisen ständig um die Themen Essen, Gewicht, Kalorien zählen
- Nahrungsverweigerung oder aber auch unkontrollierte und heimliche Essanfälle
- Ablehnung des eigenen Körpers, starker eigener Kritiker
- regelmäßiges emotionales Essen
- Diätenwahn (mein Einstieg war damals, dass ich mir nur noch von Light-Produkten ernährt habe)
Das als kleiner Rundum – Einblick, da es bestimmt auch Menschen gibt, die sich mit dieser Thematik noch nie befasst haben, weil es sie selbst nicht betrifft und sie vielleicht auch denken, dass es sicherlich auch niemanden in ihrem Umfeld betrifft.
Ich selber war mein Leben lang schlank, in der Kindheit sogar phasenweise eher viel zu dünn. Von daher kann ich mit dem heutigen Blick auf mich sagen, dass ich nie wirklich unter Gewichtsproblemen im Sinne „von übergewichtig“ litt. Aber meine Eigenwahrnehmung war jahrelang eine andere und ist sie auch heute noch, allerdings ganz selten.
Wie bereits erwähnt, war mein Einstieg in die Essstörung damals, dass ich mich eine Zeitlang ausschließlich von Light Produkten ernährt habe. In dieser Zeit kam dann eine unglückliche, von mir herbei geführte Trennung dazu, unter der ich sehr gelitten habe und die Auslöser für meine erste Ess-Brech-Attacke war. Ich sehe es vor meinem inneren Auge noch genau vor mir, wann und wo das erste Mal war und wie sehr ich mich dabei überwinden musste.
Die Bulimie hatte mich nach und nach immer mehr „im Griff“, bestimmte meinen Alltag, mein Körperempfinden und meinen Selbstwert. Die aktive Zeit damit sollte dann über 15 Jahre lang dauern.
Vielleicht wunderst du dich über das Wort „aktiv“?! Das habe ich bewusst gewählt, weil ich die Zeit danach, mein JETZT, als passive Zeit bezeichnen würde. In meiner Wahrnehmung, verhält es sich dabei wie bei einem ehemaligen Alkoholiker, der zwar trocken ist, aber in den meisten Fällen, sein Leben lang, besonders auf sich achten darf, um nicht rückfällig zu werden. Nur leider gibt es für Menschen die eine Ess-Störung bewältigt haben, keine wirkliche Bezeichnung.
Wie habe ich es geschafft, die Bulimie hinter mir zu lassen?
Das war ein langer Weg, auf dem ich sehr viel und sehr intensiv an mir gearbeitet habe. Ich habe eine Gesprächs-Therapie gemacht, war aus anderen Gründen in einer stationären Traumatherapie-Einrichtung und habe mich selber jahrelang weitergebildet, um mir und meinem wahren Kern näher zu kommen, um irgendwann auch endlich eine gesunde, glückliche Beziehung zuzulassen. Durch die „richtige“ Beziehung im Außen, kam dann nach und nach auch die Kraft und der Wunsch, eine gesündere Beziehung zu mir selber aufzubauen, wahrzunehmen, wie sehr die 15 Jahre Bulimie mich und meinen Körper bereits in Mitleidenschaft gezogen haben.
Der nächste Schritt war dann, eine Ent-scheidung für mich zu treffen, für das Leben, für einen gesunden Körper, bzw. für den Weg dorthin. Und vor allem auch, mich selber nicht dafür zu verurteilen, was ich mir und meinem Körper jahrelang angetan habe. Wenn ich es schon besser gewusst und gekonnt hätte, hätte ich es sicherlich anders gemacht.
Das braucht Zeit und in vielen Fällen, je nach Ausprägung der Erkrankung, denn eine Ess-Störung ist eine Krankheit, auch professionelle Unterstützung!
Heute lebe ich gerne, ich liebe es gut zu Essen und zu genießen. Allerdings immer in Maßen und achte darauf, mich nicht zu überessen. Wenn ich etwas „schnucke“, dann nehme ich immer 3, damit es nicht zu viel wird und kippen könnte…. 3 Plätzchen, 3 Stücke Schokolade…. Mir ist sehr bewusst, dass ich wohl immer ein anderes Körperempfinden haben werde, als Menschen, die keine Ess-Störung haben oder hatten und dass es auch für mich, nicht nur wegen dem Essen, auch aus vielen anderen Gründen, essentiell ist, wirklich achtsam mit mir zu sein.
Zu wissen, wo ich mal war und fühlen zu können, wo ich heute bin und mittlerweile selber andere Menschen auf ihrem persönlichen Heilweg begleiten darf, ist dabei wohl die stärkste Motivation „dran zu bleiben“ und immer besser wahrzunehmen, was mir guttut und was mein Körper und meine Seele mir sagen möchte. Dazu gehört auch meine täglichen Rituale nicht zu vernachlässigen. (Zu diesem Thema habe ich bereits übrigens auch mal einen Artikel auf dieser Plattform geschrieben „Rituale im Alltag“.)
Für immer geheilt?!
Nein, sicher nicht. Aber heute bin ich stabil, bin nicht mehr haltlos und in der Lage meine Bedürfnisse, meine Grenzen und meinen Körper wahrzunehmen. Außerdem lebe ich mittlerweile gerne und liebe das Gefühl von Vitalität und Gesundheit auf allen Ebenen. Das war früher (noch) nicht der Fall. Jetzt bin ich es mir wert, dass es mir gut geht und bin auch bereit einiges aktiv dafür zu tun.
Meine Empfehlung an dich, wenn du dich hier wieder findest, aber noch keinen Ausweg für dich siehst:
- ein ganz wichtiger Schritt ist es, ehrlich zu sich selber zu sein und nach Möglichkeit dir einzugestehen, dass du Hilfe brauchst
- Informiere dich, dort wo Hilfe angeboten wird, bzw. auch wo du Hintergrundinformationen erhältst, in denen du dich wieder finden kannst (auch um zu spüren, dass du nicht alleine damit bist). Achte bitte darauf, dabei nicht auf destruktive Informationskanäle zuzugreifen, die es ja leider auch gibt.
- Vertraue dich jemandem an! Am besten natürlich einer Person, die damit auch gut umgehen kann und gemeinsam mit dir nach weiteren Schritten schauen kann. Z.B. Hausarzt, Heilpraktiker, Beratungsstelle für Ess-Störungen, Vertrauenslehrer…
Es gibt Hilfe und keiner von uns, muss da alleine durch. Wir tendieren wohl grundsätzlich immer noch dazu, zu viele Dinge mit uns selber auszumachen, dabei muss das gar nicht (mehr) sein.
Vielleicht habe ich dir mit einem kleinen Auszug aus meiner Geschichte, etwas Mut und Hoffnung machen können. Wenn es so ist, freue ich mich von Herzen. Weil ich auch weiß, dass alle Erfahrungen die ich in meinem Leben gemacht habe, nicht ohne Grund geschehen sind und ich sie Heute genau dafür nutzen möchte.
Abschließend möchte ich uns Alle einladen, noch ein Stückweit achtsamer zu werden (im Umgang mit uns selbst, aber auch im Umgang mit anderen), besser hinzuschauen und vielleicht dabei auch etwas mutiger zu werden.
Wenn dir auffällt, dass es einem Menschen nicht gut geht, er Hilfe braucht und dieses mit viel Anstrengung zu überspielen versucht, dreh dich nicht weg, steig nicht in das kleine Schauspiel ein, erlaube dir die Person in einem vertrauten Moment anzusprechen, ihr zu zeigen, dass du sie siehst und da bist. Das alleine kann schon vieles verändern. Wenn der eine Teil weniger wegschaut, wird sich der andere Teil, wahrscheinlich auch öfters trauen, nach Hilfe zu fragen, oder überhaupt erstmal zu sagen oder zu zeigen: „Ich kann nicht mehr!“
Ich danke dir für deine Zeit, die du mir und diesem wichtigen Thema bis hierhin geschenkt hast und wünsche dir unendlich viel Selbst-Liebe, eigene Wertschätzung und ein tragendes Umfeld, das bedingungsfrei für einander da ist.
Autor: Judith Julia Hahn, Heilpraktikerin & Bewusstseins-Coach
Thema: Leben nach einer Ess-„Störung“
Webseite: https://www.heilpraxis-hahn.de
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