Wie soziale Bedürfnisse unsere täglichen Entscheidungen und Verhaltensweisen beeinflussen.
Täglich treffen wir Entscheidungen und glauben, dass wir diese „frei“ fällen würden. Vieles von dem, was uns bei der Entscheidungsfindung beeinflusst, passiert auf einer unbewussten Ebene. Unsere Motivation(en), gewählten Ziele und Wünsche werden auch von sozialen Bedürfnissen geprägt. Aspekte, wie eine Zugehörigkeit zu einer Gruppe, der Wunsch nach Anerkennung oder Respekt oder Ängste, die aus Sicherheitsbedürfnissen heraus entstehen (können), können Entscheidungen in die eine oder andere Richtung beeinflussen. Wir Menschen sind soziale Wesen und haben daher soziale Bedürfnisse, wie z.B. Kontakte mit anderen Menschen, Verbundenheit oder Austausch. Was und wie wir etwas äußern, kann von der Frage abhängig sein, wie wir zu den Kommunikationspartner*innen stehen.
In seinem Ursprung bedeutet sozial (von lateinisch socius)„teilnehmend, in Verbindung stehend, zugesellt“[1]. Heute wird der Begriff häufig auch als „das Gemeinwohl oder die Gesellschaft betreffend“ oder im Sinne von „hilfsbereit und an die Mitmenschen denkend, sie umsorgend“ verwendet.[2] Evolutionär betrachtet war die Gemeinschaft ein positiver Faktor zum Überleben, Weiterentwickeln und erhöhte die Sicherheit.
Auch heute noch gilt: „gemeinsam ist es leichter“ und wir nutzen Partnerschaften oder Verbünde / Gruppen, um gemeinsam Herausforderungen zu bewältigen oder von Erfahrungen und Fähigkeiten anderer zu profitieren. Heutzutage wollen wir in der Regel andere Bedürfnisse befriedigen als unsere Vorfahren und doch wollen wir Grundbedürfnisse erfüllen - wie ein Gefühl von Zugehörigkeit, das wir z.B. in Freundschaften, Partnerschaften oder anderen sozialen Beziehungen (Beruf, Hobby, Nachbarschaft) ausleben.
Einer der Pioniere und wichtigsten Forscher zum Thema der menschlichen, sozialen Bedürfnisse ist der amerikanische Psychologe Abraham Maslow (1908–1970). Die „Maslowsche Bedürfnishierarchie“ oder auch „Maslowsche Bedürfnispyramide“ verdeutlicht (vereinfacht) die sozialen (Grund)Bedürfnisse von Menschen. Darin werden die 5 Aspekte „Physiologische Bedürfnisse“, „Sicherheitsbedürfnisse“, „Soziale Bedürfnisse“, „Individualbedürfnisse“ und „Selbstverwirklichung“ als eine Art „Stufe“ beschrieben. Menschen streben eine höhere Stufe regelmäßig erst dann an, wenn die Bedürfnisse der darunter liegenden Stufe (mindestens zu einem Teil) erfüllt sind.[2]
Während es sich bei den ersten 4 Punkten der Bedürfnishierarchie um Defizitbedürfnisse oder Mangelbedürfnisse handelt, folgen dann Wachstumsbedürfnisse (auch „unstillbare Bedürfnisse“ genannt). Sind die Bedürfnisse nicht oder nur in geringem Maße erfüllt, kann dies Probleme und Störungen zur Folge haben. Während sich unerfüllte Wachstumsbedürfnisse eher in psychischen Störungsbildern zeigen (Selbstwertthemen, Minderwertigkeitskomplex), können Mangelbedürfnisse sowohl psychische (neurotische Störungen [ICD-10 F4] wie z.B. Angst- oder Zwangsstörungen, Belastungsreaktionen oder dissoziative Störungen) als auch physische Störungen (körperlich, psychosomatisch) begründen. Bei besonders prägenden oder traumatischen Erlebnissen wäre auch an PTBS oder Persönlichkeitsstörungen bzw. -änderungen [ICD-10 F6] zu denken.[2]
„Physiologische Bedürfnisse“
Zu diesen essentiellen Grundbedürfnissen (tlw. auch Existenzbedürfnisse) zählen u.a. lebenserhaltende Faktoren wie Nahrung und Wasser, Schlaf (Regenerationsphase) oder basaler Schutz (vor Naturgewalten wie Wind, Wetter und Kälte) wie ein einfacher Unterschlupf.
Wenn es in Extremfällen eine Frage des Überlebens ist, können unsere Ur-Instinkte geweckt werden. Angst (z.B. vor dem Verhungern/Verdursten) kann unser Verhalten verändern. Bei Angst wird unser Körper in einen Alarmzustand versetzt. Durch die Ausschüttung von Adrenalin und Noradrenalin erhöht sich die Herzfrequenz, die Extremitäten und das Gehirn werden stärker durchblutet, so dass wir wacher, aktiviert und handlungsfähig sind. Typischerweise treten hier 3 Reaktionsmuster auf: Kampf, Flucht oder Erstarren.
Grundsätzlich ist Menschen ein Überlebenswille (unbedingter Lebenserhaltungstrieb) immanent. Für die Befriedigung der physiologischen Grundbedürfnisse reagieren wir in Extremsituationen gegebenenfalls auch extrem. Mit dem zumindest teilweisen Erreichen dieser Grundbedürfnisse wenden wir uns der nächsten Stufe zu.[3]
„Sicherheitsbedürfnisse“
In dieser Stufe wollen „…körperliche und seelische Sicherheit [und eine] materielle Grundsicherung (Arbeit, Wohnung, Familie, Gesundheit)“[4] erfüllt werden. Diese Faktoren orientieren sich nicht mehr nur am unmittelbaren (aktuellen) Überleben, sondern beinhalten schon einen Zukunftsorientierung (Stabilität). Oft unterschätzen wir den Wert von Gesundheit, da wir meist in einem gesunden Zustand leben. Ein Schnupfen kann dann manchmal auf wunderbare Weise Dankbarkeit lehren.
In Deutschland finden wir auch die Sicherheitsbedürfnisse regelmäßig erfüllt. Wenn wir jedoch in andere Länder schauen, können durch Krieg und Flucht grundlegende Sicherheitsbedürfnisse verletzt werden. In alltäglichen Situationen zeigt sich dieses Grundbedürfnis manchmal in kleinen Entscheidungen. Wir bevorzugen in unklaren Situationen oft Vertrautes/Bekanntes gegenüber Unbekanntem. Gewohnheiten geben uns Sicherheit und Stabilität. Wenn wir -insbesondere in der Kindheit und Jugend- Situationen erleben (mussten), in denen wir uns unsicher, ausgeliefert, ohnmächtig oder einen Kontrollverlust fühlten, kann dies zu zwanghaftem Verhalten (ICD-10 F42) führen.[3]
Durch Zwangshandlungen versuchen Menschen die übermächtige Angst vor (erneutem) Kontrollverlust und Hilflosigkeit zu kompensieren. Einerseits wird die zugrundeliegende Angst eingedämmt, andererseits zwingen diese Verhaltensweisen die Betroffenen zu unerwünschten und belastenden Handlungs- und Denkweisen. Obwohl sich betroffene Menschen der Unsinnigkeit ihres Verhaltens bewusst sind, können sie sich nicht (erfolgreich) dagegen wehren. Sie versuchen es dennoch (kraftzehrend), was gleichermaßen sogar diagnostisches Kriterium ist.[3]
„Soziale Bedürfnisse“
Durch zumindest grundlegend erfüllte Sicherheitsbedürfnisse kann sich ein Mensch dem nächsten Aspekt -der sozialen Verbundenheit- zuwenden. Soziale Interaktionen, die Pflege von Kontakten und Beziehungen und Gefühle von Verbundenheit bzw. Zugehörigkeit werden angestrebt. Wir pflegen soziale Interaktionen und kommunikativen Austausch sowohl zu Bezugspersonen (Familie, Freunde, Bekannte) als auch im beruflichen (Vorgesetzte, Kolleg*innen, Kunden, etc.) oder sonstigem privaten Kontext (Nachbarn, Hobbys, Urlaub, Alltagssituationen).Ein solcher Austausch kann sowohl eine Stimulation kognitiver Fähigkeiten als auch sozialer Kompetenzen sein. Menschen wollen regelmäßig Verbundenheit, Zugehörigkeit, Gemeinschaft, Zuneigung und/oder Beziehungen erleben. Ebenso sehnen wir uns nach Liebe und Intimität.[3]
In der Pubertät erleben junge Menschen die Suche nach sich selbst und ihrem Platz in der Welt. Das beinhaltet auch die Suche nach Zugehörigkeit. Um Zugehörigkeit zu erreichen und dieses Bedürfnis zu erfüllen, unterwerfen wir uns dann ggf. sozialen Normen oder Gruppenregeln. Dass wir von allgemeinen oder speziellen sozialen Regeln nicht frei sind, erleben wir manchmal auch als Erwachsene, z.B. als „Gruppenzwang“ oder gesellschaftliche Konventionen. Dieser Gruppenzwang muss oft nicht einmal ausgesprochen werden. Wir verhalten uns so, wie wir glauben, dass „man“ es von uns erwartet (soziale Rollen, „ungeschriebene Gesetze“).
„Individualbedürfnisse“
Die Individualbedürfnisse unterteilte Maslow in zwei Kategorien:
- „den Wunsch nach (mentaler/körperlicher) Stärke, Erfolg, Unabhängigkeit und Freiheit,
- den Wunsch nach Ansehen, Prestige, Wertschätzung, Achtung und Wichtigkeit, also eine passive Komponente unserer Selbstachtung, die nur von anderen Menschen für uns erfüllt werden kann“[4]
Anerkennung, Wertschätzung oder Bewunderung von anderen zu erhalten, kann für Menschen eine Motivation sein, beruflich oder privat aktiv zu sein oder zu werden. Erfolgreich zu sein, kann uns finanziell unabhängig machen und gewisse Freiheiten ermöglichen. In unserem Streben nach Erfolg, Wertschätzung und Wohlstand zeigt sich das Vorhandensein von Individualbedürfnissen.[3]
„Selbstverwirklichung“
Sollte die vorangehende Stufe der Individualbedürfnisse ausreichend erfüllt sein, beginnen Menschen, nach SelbstverwirklICHung zu streben. Das „Ich“ rückt in den Vordergrund. Der Mensch „…will seine Talente, Potenziale und Kreativität entfalten, sich in seiner Persönlichkeit und seinen Fähigkeiten weiterentwickeln und sein Leben gestalten und ihm einen Sinn geben.“ Es geht nicht mehr um Tätigkeiten, die das „sorglose Leben“ oder „ein Leben in [gewissem] Wohlstand“ ermöglichen. Von nun an sollen eigene Potentiale ausgelebt und eigene (von wirtschaftlichen/finanziellen Faktoren unabhängige) Ziele verfolgt werden.[3]
Am Ende seines Lebens (1970) veränderte und erweiterte Maslow sein Pyramidenmodell um 3 Stufen
- Transzendenz
(als höchste Stufe, Religion, Erleuchtung, über den weltlichen Dingen stehende Aspekte) - Ästhetische Bedürfnisse
(wie Schönheit, Kunst, Ordnung) - Kognitive Bedürfnisse
(wie Wissensdurst, eigene Meinungen, Streben nach Fortschritt)[5]
Die neue oberste Stufe darin wurde die „Transzendenz“, „…eine das individuelle Selbst überschreitende Dimension oder etwas, das außerhalb des beobachtbaren Systems liegt. Diese Erweiterung reflektiert Maslows Weg von der humanistischen zur transpersonalen Psychologie.“[4] Obwohl die achtstufige Pyramide seine letzte und damit aktuellere Version darstellt, hat sich die fünfstufige Pyramide weiter verbreitet.
Maslows Modell veranschaulicht menschliche Bedürfnisse und die daraus entstehenden Motive / Motivationen. Letztlich bleibt es ein Modell und kann daher nie die individuellen Aspekte eines einzelnen Menschen umfänglich erfassen. Hinzu kommt meines Erachtens, dass Bedürfnisse nicht nur persönlich, sondern auch kontextbezogen unterschiedlich sein können. Das Milieu, in dem ein Mensch aufwächst oder lebt, sein Alter oder Lebensereignisse (life event) können Einfluss haben. So haben Kinder oft andere (vordergründige) Bedürfnisse als Erwachsene. Für Kranke oder Sterbende können sich Prioritäten ganz neu sortieren. (Hierzu empfehle ich als mögliche Lektüre „5 Dinge, die Sterbende am meisten bereuen“ von Bronnie Ware.
Uns unserer Bedürfnisse bewusst zu sein oder zu werden, kann uns helfen, manche Entscheidung besser zu verstehen und andere bewusster zu fällen.
Autor: Steffen Zöhl
Thema: Was versteht man unter sozialen Bedürfnissen?
Webseite: https://www.derzuhoerer-berlin.de
Quellenangaben:
- [1] Siehe https://de.wiktionary.org/wiki/sozial
- [2] Vgl. https://de.wiktionary.org/wiki/sozial
- [3] Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Maslowsche_Bed%C3%BCrfnishierarchie
- [4] Siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Maslowsche_Bed%C3%BCrfnishierarchie
- [5] Vgl. https://www.buchhaltung-einfach-sicher.de/bwl/beduerfnispyramide und https://de.wikipedia.org/wiki/Maslowsche_Bed%C3%BCrfnishierarchie
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