Zwischen Selbstmitleid und Selbstliebe

KEINER LIEBT MICH!

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Wer hat diesen Satz noch nicht gedacht? Fast alle Menschen erleben Pechsträhnen: Beziehungen werden problematisch oder zerbrechen, die Arbeit türmt sich, geht dann noch das Auto kaputt oder die Wohnung wird gekündigt, ist die Krise komplett. Man fühlt sich mutterseelenallein, von allen guten Geistern verlassen und denkt vielleicht, dass es keine Liebe mehr gibt.

Solche Krisen müssen ernst genommen werden. Sie bdrohen unser Selbstverständnis, unsere Ansichten vom Leben und unser Verhältnis zu anderen Menschen. Doch glücklicherweise bewältigen viele Menschen – ob allein oder mithilfe eines Therapeuten – ihre Krisen und gehen sogar gestärkt daraus hervor.

Was ist aber mit den Menschen, die sehr oft in ihrem Leben ein krisenhaftes Gefühl haben? Wie entsteht so ein anhaltendes Gefühl? Welche Auswirkungen hat es auf die Biografie? Und welche Lösungen gibt es, dennoch ein erfülltes Leben zu führen? Diese Fragen beleuchtet der folgende Artikel.

Die Wunde der Ungeliebten

Schon in mit diesem metaphorischen Buchtitel deutet der Psychotherapeut Peter Schellenbaum an, dass psychische Befindlichkeiten eine Ursache und eine Geschichte haben. Der Autor teilt die anerkannte Auffassung, dass am Anfang einer Seelenleidens eine psychische Wunde steht. Aus heutiger Sicht würde man sagen, dass ein Trauma den Kristallisationskern für ein dysfunktionales psychisches Geschehen bildet.

Die Trauma-Forschung nahm ihren Anfang nach dem ersten Weltkrieg, als man beobachtete, dass Soldaten sich so verhielten, als wären sie noch im Schützengraben. Etwas musste mit ihnen passiert sein, was ihre Wahrnehmung der Gegenwart überlagerte und sie in vergangenen Bildern festhielt. Aber was?

Ein Schocktrauma wie Krieg, Gewalt, Unfälle oder Naturkatastrophen überfordert unsere psychischen Verarbeitungskompetenzen. Wir sind ohnmächtig einem überwältigenden Geschehen ausgeliefert. Da wir äußerlich nicht viel verändern können, bleibt nur die Möglichkeit in unserem Innern etwas zu ändern. Um uns vor dem Schlimmen zu schützen, schaltet sich unsere Psyche gewissermaßen ab. Den Vorgang nennt man Dissoziation und es ist, als würden wir sagen: „Alles was hier passiert, passiert nicht wirklich (mir)!“

Psycho- bzw. Entwicklungstraumata

Moderne Autoren wie Franz Ruppert, Pete Walker und Dami Charf beschreiben auch andere Ereignisse, die zu Trauma-Folgestörungen führen können. Der Wunsch einer werdenden Mutter ihr Kind abzutreiben, die permanente lieblose Zurückweisung von Kindern, der psychische oder körperliche Missbrauch, das Zusammenleben mit schwer traumatisierten Menschen und das eigene Ausüben von Untaten können solche Ereignisse sein, die schon in der früheren psychologischen Literatur teilweise als wiederholte Mini-Traumata beschrieben wurden.

Auch bei dieser Form der Traumatisierung kommt es zu Abspaltungen (Dissoziationen) des psychischen Erlebens. Bestimmte Erfahrungen werden nicht mehr gefühlt, sondern „weggepackt“.

Spätestens seit Sigmund Freud wissen wir, dass auch verdrängte psychische Inhalte eine Wirkung haben. Die zentrale Wirkung ist, dass aus der Erfahrung, ein Opfer geworden zu sein, eine Opferhaltung entsteht, die massiv die Wahrnehmung und das Verhalten dieses Menschens prägt.

Das berühmte halbgefüllte Glas wird von diesen Menschen meistens als halbleer bewertet. Viele Erfahrungen, die man objektiv nach positiven und negativen Aspekten untersuchen sollte, werden automatisch abgewertet. Unter dem Motto „Immer ich!“, „Mal wieder typisch!“, „Es reicht nie!“ usw. wirken hier alte unbewusste Glaubenssätze und vergällen die Möglichkeiten der Gegenwart.

Kommen betroffene Menschen mit anderen zusammen, sind sie oft gelähmt von negativen Erwartungen, wie abgelehnt zu werden, angegriffen zu werden oder ähnliches. Das führt zu einem eher passiven und devoten Verhalten, was die Anderen einlädt, negative Projektionen zu entwickeln oder sich sogar an ihnen abzureagieren. So erzeugt die negative Erwartung das Alte immer wieder neu. Diese Self-Fullfilling-Prophecy ist wirklich tragisch und dramatisch. Ihre Folgen können sein  ewiges Selbstmitleid, aber auch innere Leere, Sinnlosigkeit, Weinerlichkeit, Unruhe, Vergleich mit anderen, innerer Dialog, sich falsch fühlen. Die entsprechenden Diagnosen lauten dann Vermeidungsverhalten, Süchte, Ängste und Depressionen, Auto-Aggressionen bis hin zu Suizidalität.

Wege aus dem Selbstmitleid

In der Regel zeigt sich, dass Menschen mit einem ausgeprägten Selbstmitleid auch einen triftigen Grund dafür haben. Mehrheitlich haben sie ernsthafte Traumata erlitten, die sie ohne fachliche Hilfe nicht überwinden konnten. Deshalb bleiben sie oft in der unbewussten Opferhaltung bzw. -strategie gefangen.

Die Aufgabe für diese Menschen lautet, ein gesundes Selbstgefühl bis hin zur Selbstliebe zu entwickeln. Denn „ein Mensch, er sich nicht selbst liebt, ist wie ein Fass ohne Boden. Keine Trophäe dieser Welt kann das Loch stopfen, was deine Selbstablehnung in dir offen hält.“ Doch wie stärke ich meine Selbstliebe? Wie gewinne ich auf brüchigem Boden Land?

Achtsamkeit und Kontakt

Traumatisierte Menschen kreisen, wie oben gezeigt, um alte unbewältigte Erfahrungen und verharren beispielsweise im permanenten Selbstmitleid. Um aus diesem System auszutreten helfen alle Erfahrungen der wirklichen Gegenwart. Eine wunderbare Achtsamkeitsübung ist, einmal täglich an einem Lieblingsplatz am besten in der Natur sich für ein paar Augenblicke bewusstzumachen, was man sieht, hört, riecht, ggf. schmeckt und fühlt. Am nächsten Tag beobacht man zusätzlich, was sich verändert hat.

Alle achtsamen Bewegungen wie schwimmen, Yoga und Qi Gong können sehr gut helfen, aus dem inneren Gefühlskaroussell herauszutreten und wieder stärker in Kontakt zu treten mit der Wirklichkeit und eigene Gefühle und Bedürfnisse zu spüren. Als besonders wirksam haben Berührungen wie bei Massagen und beim Kuscheln erwiesen, um anzukommen in unserem eigenen Körper und uns selbst wahrzunehmen.

Therapeutische Arbeit

Wer gefangen ist in häufigen Selbstmitleid, hat in der Regel wirklich Schlimmes erlebt. Um dieses Schlimme aufzuarbeiten und integrieren zu können, braucht es einen sicheren Raum. Einen solchen Raum bietet eine Psychotherapie, in der unter der Leitung einer geschulten Person die eigene Biografie bearbeitet werden kann. Eine guter Therapeut, eine gute Therapeutin wird den Menschen zunächst stärken und seine gesunden Anteile entfalten, um dann behutsam den erlittenen Traumata zu begegnen und sie heilsam zu versorgen.

Mittlerweile verfügt die Psychotherapie auch über viele Skills, die helfen kritische Stimmungen wie Spannungszustände, Gefühle von Leere und Sinnlosigkeit, Ängste und Selbstmitleid-Attacken zu überwinden. Dazu gehören z.B. der Gedankenstopp, die 5-4-3-2-1-Methode, Atemübungen usw. Wer hier mehr wissen möchte, kann sich über das Internet vorinformieren. Ratsam ist aber, die Techniken unter fachlicher Begleitung zu lernen.

Die eigene biografische Melodie erspüren

Traumatisierte Menschen werden von starken Gefühlsschwankungen hin und hergeworfen und verlieren leicht den Boden unter ihren Füßen. Dann neigen sie auch zu vergessen, was sie in ihrem Leben schon alles bewältigt haben und welches Netzwerk sie von phantastischen Menschen sie haben, die ihnen beistehen und ihr Leben bereichern. Doch wie macht man diese Ressourcen bewusst?

Dominik Spenst rät in seinem 6-Minuten-Tagebuch dazu, morgens das Gefühl der Dankbarkeit zuschulen und kurz aufzuschreiben, wofür man dankbar ist. Dann beschreibt man in wenigen Worten, wie man den heutigen Tag wundervoll macht und notiert anschließend eine positive Selbstbekräftigung wie Alles nur halb so schlimm! oder Ich werde das schon schaffen! Abends fragt man sich, was man heute für jemanden Gutes getan hat, was man morgen besser macht und hält tolle Ereignisse des Tages fest. Wenn man eine solche regelmäßige Übung etwa zwei Monate durchhält, stellen sich Veränderungen ein. Durch die bewusste Gestaltung der Tage und ihre Wertschätzung beginnt, die eigene biografische Melodie zu spüren.

Fazit

Im gesellschaftlichen Diskurs wird Selbstmitleid eher abfällig bewertet. Dabei wird leicht übersehen, dass dahinter oft eine ernsthafte psychische Ursache verborgen liegt. Das enthebt die Betroffenen nicht von der Verantwortung, sich den Ursachen zu stellen und diese zu bewältigen. Sonst bleiben sie gefangen, in einem narzistischen Kosmos von Gefühlen, die oft wenig mit der Gegenwart zu tun haben. Im Gegenteil: Mit ihrem Selbstmitleid versuchen diese Menschen ihre Umfeld unbewusst zu manipulieren. Liebevoll ist das nicht, weder zu sich selbst noch zu anderen.

Irgendwann – häufig wenn der Leidensdruck groß geworden ist – kommt dann der Punkt der Entscheidung.

Vielleicht fängt es mit kleinen Veränderungen an, oft muss aber eine 180-Grad-Wende her. Es ist der Punkt, wo jemand anfängt, sich selbst, das Leben und andere Menschen völlig neu zu sehen und beginnt, alle Unwahrheiten in seinem Leben aufzuspüren und aufzuheben und es ist der Punkt, wo jemand anfängt sich selbst in das Zentrum seines Lebens zu stellen und seine Energie und Aufmerksamkeit einsetzt, um herauszufinden, wer er oder sie wirklich ist, was er braucht und was er zu geben hat.

Autor: Peter Klapprot, Heilpraktiker für Psychotherapie
Thema: Zwischen Selbstmitleid und Selbstliebe
Webseite: https://www.psychotherapie-ruhr.de

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