Traumatische Erfahrungen der Eltern psychisch kranker Kinder
Die Geburt eines Kindes mit einer psychischen Krankheit sowie die Manifestation der Symptome im späteren Leben haben traumatische Auswirkungen auf die Eltern.
Mit der Diagnose bekommen die Eltern das Gefühl, dass ihr ideales Kind weg ist. Das Leben, die Erwartungen und die Träume, Eltern auf konventionelle Weise zu sein, finden ein jähes Ende. Darüber hinaus tragen die spezifischen Symptome, die mit der Neurodiversität und dem psychischen Zustand verbunden sind, zur Mehrdeutigkeit der Situation bei. Ein Kind mit einer Autismus-Spektrum-Störung beispielsweise scheint trotz seiner körperlichen Anwesenheit emotional abwesend oder distanziert zu sein. In anderen Fällen machen eine scheinbar normale Entwicklung in den ersten Lebensjahren, unsichere Diagnosen und Prognosen diesen Verlust noch uneindeutiger. Die Eltern müssen sich von der erwarteten Bindung und der Qualität der Beziehungen verabschieden, und sind gezwungen, eine Elternreise mit einem Kind zu beginnen, das sie nicht ganz verstehen. Für viele fühlt sich der Verlust ihres Wunschkindes wie ein "psychologischer Tod" an (Bravo-Benítez et al., 2019).
Abgesehen davon sind die Eltern mit einer Reihe von Verlusten konfrontiert. Während sie sich um ein Kind mit besonderen Bedürfnissen kümmern, sind sie gezwungen, Aktivitäten und Lebensstile aufzugeben, die sie bisher hatten. Sie werden ihr unabhängiges Leben und ihre Kontrolle verlieren. Sie werden mit dem Verlust ihrer eigenen Identität, ihres Selbstwertgefühls, ihres Selbstvertrauens und ihrer Selbstwirksamkeit konfrontiert. Das Gefühl, nicht gut genug zu sein, wird an die Stelle von belebenden Gefühlen, wie Freude, Hoffnung, Ausgeglichenheit und Glück, treten. Auf der Beziehungsebene können die sozialen Interaktionen auf unterstützende Netzwerke reduziert werden, was zum Verlust von Freundschaften und zur Verringerung der sozialen Aktivitäten führt.
Auf einen Verlust folgt in der Regel eine Trauerphase. Wenn das Kind am Leben ist, wird von den Eltern nicht erwartet, dass sie trauern und andere Gefühle zu diesem unklaren Verlust äußern. Das Umfeld kann den unvollständigen Verlust kaum verstehen und sich daher kaum in die Erfahrungen dieser Familien einfühlen. Stattdessen sehen sich die Betreuer oft mit Schuldzuweisungen, Scham und Vorwürfen konfrontiert. Überfordert mit neuen Aufgaben und Informationen, verlieren die Eltern ihre Verbindung zu sich selbst. Ihnen fehlt einfach die Zeit, und der Raum, um ihre Gefühle zu entdecken. Es ist jedoch nicht einfach, emotional weiterzukommen, ohne diesen Verlust und die damit verbundenen Gefühle anzuerkennen und zu akzeptieren.
Der Schmerz über den unklaren Verlust ist nie endgültig; er zieht sich durch die gesamte Entwicklung eines Kindes und markiert jeden verpassten Meilenstein mit Leid und Traurigkeit.
Die Sehnsucht nach einem imaginären Leben, inspiriert durch Begegnungen auf dem Spielplatz, Beobachtungen von Freunden mit Kindern, unwirkliche Bilder in den sozialen Medien, halten Eltern davon ab, ihre eigenen guten und schlechten Zeiten zu erkunden. Die immer wieder auftauchende unsichtbare Trauer findet selten eine Lösung. Dieser Schmerz kann Eltern ihr ganzes Leben lang begleiten und ihr Leben chronisch unglücklich machen.
In der verdrängten Erfahrung des nicht anerkannten und ungelösten Schmerzes versuchen Eltern oft, sich durch Vermeiden und Einfrieren sich vor dem Leiden zu schützen. Unbewusst wagen sie sich erst nach Feierabend auf den Spielplatz um die Begegnung mit den anderen Eltern und ihren neurotypischen Kindern zu vermeiden. Sie ziehen sich oft aus der Teilnahme an Veranstaltungen für Familien zurück. Sie erstarren, wenn ihr Kind die erwarteten Verhaltensweisen herausfordert, und vermeiden diese Situationen erneut. Sie funktionieren ohne Selbstwahrnehmung und schalten den emotionalen Teil ihres Selbst aus. Diese Maßnahmen sind zwar in manchen Fällen hilfreich, fördern aber nur weitere Frustration, ein Gefühl der Ungerechtigkeit, Unsicherheit und Wut auf sich selbst und andere.
Für die Eltern
Traumatische Situationen lassen uns hilflos und hoffnungslos zurück. Denken Sie daran, dass ein Trauma wie eine Wunde ist, die vielleicht eine Narbe hinterlässt; es verändert nicht Ihre Qualität als Mensch. Ihr Kind ist anders, und Sie sind in Ordnung: Sie haben die gleichen Träume, Ideen und Werte. Wenn Sie dies lesen, befinden Sie sich auf dem Weg der Besserung. Emotionale Heilung braucht Raum und Zeit:
- Zeit, die Phasen der Trauer zu durchlaufen. Jede Phase hat ihre eigene Bedeutung: Verleugnung verlangsamt die Zeit; Wut hilft Ihnen, Ihre Gefühle auszudrücken und Ihre Verletzlichkeit zu überwinden; Verhandeln ist notwendig, um mit Hilflosigkeit und Schuldgefühlen umzugehen; Depression hilft Ihnen zu erkennen, was der Verlust für Sie bedeutet. Es geht darum, die neue Normalität zu akzeptieren.
- Ein sicherer Raum für Selbsterforschung und Diskussionen, ein Platz, um den Schmerz und die Verletzung auszudrücken, ein Ort, um sich neu zu strukturieren und Wege und einen neuen Sinn im Leben zu finden. Der Sinn liegt nicht in den Krankheiten/Symptomen/Störungen selbst; der Sinn liegt darin, wie Sie Ihr Leben mit diesem Wissen weiter leben und sich Menschlichkeit, Liebe, Freundlichkeit, positive Gefühle und Perspektiven bewahren.
Was können Sie tun?
- Erkennen Sie Ihren Verlust, sprechen Sie mit einer Ihnen nahestehenden Person, schreiben Sie Tagebuch, wenden Sie sich an einen Psychotherapeuten und schließen Sie sich einer Selbsthilfegruppe an.
- Werden Sie Ihr bester Freund, zeigen Sie Selbstmitgefühl und verzeihen Sie sich, dass Sie menschlich sind.
- Akzeptieren Sie Ihre emotionalen Reaktionen, wie Trauer, Wut und Angst. Dies sind Ihre Schutzreaktionen auf das, was passiert ist.
- Achten Sie auf sich selbst und sorgen Sie dafür, dass Sie genügend essen, schlafen und sich bewegen.
- Informieren Sie sich über die Krankheit, die Bewältigung und die Möglichkeiten des Lebens mit einer körperlichen oder geistigen Erkrankung.
Nehmen Sie das Hier und Jetzt an und blicken Sie nach vorne in eine Zukunft, die Vielfalt beinhaltet. Das braucht Zeit. Sie sind nicht allein. Ihr Kind ist anders, UND Sie sind in Ordnung. Sie werden es schaffen.
Für Freunde, Nachbarn und die Gemeinschaft
Trauer und Schmerz sind sehr individuell. Ihre Ideen, wie man sie aufhalten oder beheben kann, können die Gefühle der Eltern noch verstärken. Wenn Sie helfen möchten, seien Sie da. Seien Sie bereit, Schmerz, Wut, Angst und Schuldgefühle mitzuerleben. Hier geht es nicht um Sie. Es geht um ein trauerndes Elternteil, das versucht, zu verstehen, was vor sich geht. Bleiben Sie bei dem, was Sie beobachten: "Ich sehe, dass es schwer ist. Ich bin da."
Bitten Sie nicht darum, anzurufen, wenn sie Hilfe brauchen. Warten Sie nicht auf einen Telefonanruf. Machen Sie konkrete Angebote, um ein geregeltes Alltagsleben zu ermöglichen. Stellen Sie keine Vermutungen an, sondern fragen Sie zuerst. "Ich gehe morgen Lebensmittel einkaufen. Kann ich dir etwas mitbringen?"
Wenn Sie nicht so nah sind, wenden Sie sich nicht ab oder ignorieren Sie sie, scheuen Sie sich nicht, aufmerksam zu sein und zu fragen, wie es ihnen geht, sagen Sie ein paar nette Worte, geben Sie ihnen das Gefühl, willkommen zu sein. Soziale Verbundenheit ist ein großartiges Gegenmittel gegen Stress und Angst.
Autor: Anna Sizorina, IIPB Privatinstitut für Psychotherapie (nach HeilPrG),Beratung und Coaching
Thema: Familien mit Kindern mit ASD und anderen psychischen Störungen
Webseite: https://sizorina-psychology.com
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Autorenprofil Anna Sizorina:
Als emotional fokussierte Therapeutin (EFT) mit dem Schwerpunkt Trauma und Verlust arbeite ich mit Paaren und Einzelpersonen und unterstütze sie im Trauerprozess auf dem Weg zu Akzeptanz, inneren Frieden und Heilung. Ich arbeite auf Englisch und Deutsch
Quellen:
- Ahlström, G. (2007). Experiences of loss and chronic sorrow in persons with severe chronic illness. Journal of Clinical Nursing, 16(3a), 76-83.
- Bravo-Benítez, J., Pérez-Marfil, M. N., Román-Alegre, B., & Cruz-Quintana, F. (2019). Grief experiences in family caregivers of children with autism spectrum disorder (ASD). International journal of environmental research and public health, 16(23), 4821.
- Kübler-Ross, E., & Kessler, D. (2005). On grief and grieving: Finding the meaning of grief through the five stages of loss. Simon and Schuster.
- Yılmaz, B., Azak, M., & Şahin, N. (2021). Mental health of parents of children with autism spectrum disorder during COVID-19 pandemic: A systematic review. World Journal of Psychiatry, 11(7), 388.
- Fyhr, G. (2002). Den "förbjudna" sorgen: om förväntningar och sorg kring det funktionshindrade barnet. Svenska fören. för psykisk hälsa (Sfph).
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