Menschen mit eingeschränkten sozialen Kontakten

(ÜBER-) LEBEN IN DER CORONA-PANDEMIE

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Die Corona-Pandemie hat unser soziales und gesellschaftliches Leben im Würgegriff, die Gefährlichkeit und Relevanz dieses unberechenbaren Virus kann keinem aufgeklärten Mitbürger entgangen sein.

Dennoch muß die Diskussion über Abwehrmaßnahmen an Breite und Tiefe gewinnen. Eine Ausgangssperre (Übersetzung des englischen Begriffes „lockdown“, der vielleicht auch schon zur Verschleierung benutzt wurde und durch Zusätze wie „Teil-“ (lockdown) oder „lockdown-light“ diese Tendenz unterstreicht), kann auf Dauer nicht die einzige Antwort auf die Gefahr sein, die Angst- und Bedrohungsrhetorik („Wellenbrecher“, „Überforderung des Gesundheitswesens“) muß durch die Sprache der Überzeugung und der Aufklärung ersetzt werden, auch wenn dieser Ansatz anstrengender sein mag.

Robuste und ökonomisch abgesicherte Menschen mögen diese bedrohliche Rhetorik eine Weile aushalten. Aber was macht sie mit weniger widerstandsfähigen , mit ängstlichen Menschen? Und wann werden auch die Robusten mürbe? (denn „Angst fressen Seele auf“)

Wie können wir durch gemeinsame, von innerer Überzeugung getragene Anstrengungen, an Stelle von bedrohlichen Anordnungen, dieser gewaltigen Herausforderung begegnen?

Einige Beispiele sollen das zunächst speziell erscheinende Problem beleuchten, auf das hier hingewiesen werden soll:

Eine 55j. Pat., gelernte Naturwissenschaftlerin, hat sich krankheitsbedingt mit verschiedenen Honorartätigkeiten lange über Wasser gehalten: durch die Schließung der Museen kann sie die gewohnten Führungen und Vorträge nicht mehr anbieten. Wegen ihrer Angst, sich in öffentlichen Verkehrsmitteln anzustecken, hat sie sich immer mehr in ihre kleine Wohnung zurückgezogen, sich sozial isoliert. Dadurch hat ihr ohnehin schlechtes Selbstwertgefühl gelitten. Die organischen und psychischen Symptome haben sich verstärkt.

Eine 75j. Pat., hat viele Jahre im Ausland gelebt und gearbeitet und ist im Rentenalter nach Deutschland zurückgekehrt. Sie lebt allein in einer Hochhaussiedlung. Arztkontakte meidet sie, benutzt auch aus Angst vor Ansteckung keine öffentlichen Verkehrsmittel. Kontakte zu suchen und ein soziales Leben zu führen ist unter diesen Bedingungen nicht möglich. Irgendwo in einer Hochhauswohnung lebt eine verlorene Seele.

Ein junger Student mit Mitte 20J. ist am Anfang seines Studiums plötzlich mit einem komplett digitalisierten Studiengang konfrontiert. Kontakte in der neuen Stadt kommen so nicht zustande, Ausgleich  durch Sport für die inneren Spannungen ist nicht mehr möglich. So wächst die Spannung in der kleinen Wohnung, die Depressivität ebenso.

Eine 30j. Afghanin, vor 1J. Als Flüchtling nach Deutschland gekommen, lebt in einem Flüchtlingsheim mit zwei anderen Frauen in einem Zimmer. In ihrer Heimat war sie als Sportlerin der Unterdrückung ausgesetzt, wurde an ihrer Universität Zeugin von Selbstmordanschlägen der Taliban mit Toten und Verletzten, fühlte sich ihres eigenen Lebens nicht mehr sicher und erhofft sich eine Perspektive in Deutschland. Durch die Pandemie sind aber die Kontakt- und Bildungsmöglichkeiten reduziert und sie ist den traumatischen Erlebnissen hilflos ausgeliefert.

Eine 55j. Krankenschwester, seit vielen Jahren in Deutschland lebend, wurde in ihrer beruflichen und sozialen Existenz durch einen Arbeitsunfall zurückgeworfen, hat sich mühsam in ihren Beruf zurückgekämpft, leidet aber unter sozialer Isolation, ist in ihrem Kontakt zu den Verwandten im Balkan aber stark eingeschränkt. Dies alles führt zu verstärkter Depressivität.

Diese und ähnliche Beschreibungen treffen auf viele Menschen in Deutschland zu. Sie leiden still und oft unbeachtet unter den gegenwärtigen Einschränkungen des sozialen Lebens. Diese Menschen gehen auch nicht auf die Straße, um auf sich aufmerksam zu machen.

Sie gehören zur großen Gruppe der psychisch Kranken, deren Antrieb oft nicht einmal ausreicht, ihr tägliches Leben zu bewältigen..

Die Stiftung Deutsche Depressionshilfe hat kürzlich eine aktuelle Studie vorgestellt, die nachweist, daß Menschen mit Depressionen viel stärker unter den Folgen des Lockdown leiden als die Allgemeinbevölkerung. Die Einschränkungen des sozialen Lebens und der Behandlungsmöglichkeiten hätten zu erheblichen Antriebsstörungen, zu Ängsten, Grübelzwängen, zu Konflikten und Streit geführt. Wir reden allein bei dieser Gruppe von 5 Millionen erkrankten Bundesbürgern.

Die Aufzählung von allen Bevölkerungsgruppen mit ähnlichen Belastungen und Einschränkungen würde viele Seiten füllen, es zählten dazu auch Bewohner von Alten- und Pflegeheimen, chronisch Kranke, allein Lebende, Obdachlose und Flüchtlinge. Allerdings spüren auch die so genannten Leistungsträger der Gesellschaft (noch latente) Belastungen, die allgemeine Spannung steigt, Streit und Gewalt nehmen zu, sicher auch deshalb, weil die Gefahr unsichtbar, schwer zu greifen und eine Dauer der Belastungen und damit der Perspektive schwer zu fassen ist.

Diese sehr große Zahl von Bürgern, bei denen sich der Mangel an sozialen Kontakten (auch mangels Kompensationsmöglichkeiten) massiv auswirkt, wird in der aktuellen politischen Diskussion kaum erwähnt, nicht gewürdigt und keine Lösungsmöglichkeit entwickelt. Die gesundheitliche Integrität dieser Menschen wird nicht gewürdigt. Corona steht überall im Vordergrund. Auch wenn dies zu Recht geschieht, muß das Gleichgewicht  in der Beachtung wieder hergestellt werden, denn die in diesen Bevölkerungsgruppen unweigerlich zu erwartenden gesundheitlichen und sozialen Schäden werden der Gesellschaft eines Tages in Rechnung gestellt werden.

Was folgt aus dieser Darstellung?

Die Seuche, hervorgerufen durch ein unberechenbares und heimtückisches Virus muß eingedämmt werden. Dabei darf aber das Gleichgewicht nicht aus den Augen verloren werden. Soziale Kontakte sind wichtig für Gesundheit, sozialen Ausgleich und Widerstandsfähigkeit gegen Erkrankungen und ein Gebot der Humanität. Der Mensch als soziales Wesen muß in seiner Komplexität wahrgenommen werden. In allen Krisen der Menschheit spielte die Kultur eine tragende Rolle in der Bewältigung.

Im Deutschland des Jahres 2020 wird diese amputiert:

DAS IST BESCHÄMEND FÜR DAS LAND DER DICHTER UND DENKER!

Wenn die Anzahl der Kontakte als Kern des Übels (der ungehinderten Verbreitung) angesehen wird, ist es offenbar verführerisch, mit der Heckenschnittmethode (fast) alle Kontakte zu unterbinden. Dabei wird der immense Schaden am Körper der Gesellschaft hingenommen. Die Katastrophen- und Angstrhetorik entspringt sicher einer guten Absicht, geht aber wegen ihrer Brutalität und Mißachtung der komplexen gesellschaftlichen Zusammenhänge ins Leere.

Dabei führt auch die radikale , keine echte Perspektive aufzeigende Sprache ins argumentative Abseits.

Befragungen legen nahe, daß die Mehrheit der Bevölkerung (noch) hinter diesen Maßnahmen steht. Beobachtungen des Verhaltens von Menschenansammlungen legen aber den Verdacht nahe, daß viele der Meinung sind, daß der Nachbar sein Verhalten ändern müsse, bei einem selber sei aber alles vorbildlich.

Von einer Regierung kann erwartet werden, daß sie auf dem schmalen Grat zwischen wirksamer Infektionsbekämpfung und komplexen sozialen und gesundheitlichen Bedürfnissen dauerhafte Konzepte entwickelt, die aus innerer Überzeugung von der Bevölkerung unterstützt werden.

Fachleute aus verschiedenen Bereichen stehen für diese beispiellose Herausforderung zur Verfügung, eine Regierung muß sie nur klug moderieren. Natürlich ist ein differenziertes Konzept viel schwerer zu entwickeln als den Holzhammer zu schwingen!

Mit der aktuellen rabulistischen Sprache kann diese Unterfangen nicht nachhaltig gelingen: Aufklärung und Information muß an deren Stelle rücken, damit die Bürger sich mitgenommen fühlen. Die schwarze Pädagogik muß abgelöst werden durch eine konstruktive und Perspektiven aufzeigende Pädagogik, die kreativ und innovativ ist.

Auch die Kassandras der Republik sollten ihre Kompetenzen in die Entwicklung solcher gesellschaftlichen Konzepte einbringen!

Dr. med. Herbert Menzel - Berlin, 19.11.2020

Autor: Dr. med. Herbert Menzel, Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie
Thema: Menschen mit eingeschränkten sozialen Kontakten
Webseite: https://www.doktor-menzel.de

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