Wie baut man Beziehungen auf?

Obwohl für die meisten Menschen eine Beziehung von großer Wichtigkeit ist, die Menschheit von Anfang an auf Paarbeziehung gepolt ist, finden die meisten Menschen Partnerschaften schwierig. Während Liebe unglaubliche Freude hervorrufen kann, bringt uns unser Liebesleben oft das größte Leid.

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Als „Generation beziehungsunfähig“ sind sie gerade in aller Munde: Junge Erwachsene, die es sich angeblich im Singleleben bequem machen, weil ihre Suche nach dem perfekten Partner über Datingportale immer wieder scheitert, und sie vor lauter Selbstoptimierung ohnehin keine Zeit haben, sich auf eine Beziehung mit einem anderen Menschen einzulassen. 

„Eine Fehleinschätzung“ meint die Diplompsychologin und Expertin für Bindungsangst und Bestsellerautorin Stefanie Stahl. Sie sagt, schwierige Beziehungen und kaputte Ehen hat es schon immer gegeben.... einerseits... und andererseits ist der Bindungswunsch als angeborenes Grundbedürfnis in jedem Menschen vorhanden. Ihre Überzeugung ist, die allermeisten Menschen haben folglich das Potential, eine glückliche Partnerschaft aufzubauen und zu leben. 

Dieses Potential zu erkennen, die vorhandenen Ressourcen auszubauen, dazu zu lernen, sich weiter zu entwickeln und Veränderung zuzulassen, sind die Voraussetzungen für eine erfüllte Liebesbeziehung und deren aktiven Gestaltung. Es geht also hier um die Frage der inneren Einstellung. Zentral hierbei ist es, den Selbstwert zu stärken sowie die Balance zwischen Anpassung und Selbstbehauptung zu finden. 

Doch wie gelingt uns das?

Sehen wir uns mal an, was Liebe ist. Die ursprüngliche Liebe ist die Mutterliebe. Sie ist vorerst einseitig. Die Mutter liebt, so hat es die Natur vorgesehen, ihr Neugeborenes ohne Erwartungshaltung, sie nimmt es so an, wie es ist. Sie ist verliebt, vernarrt in dieses für sie hübscheste Wesen der Welt. 

Mit der Entwicklung des Kindes verändert sich aber diese ursprüngliche Haltung. Im Idealfall würde die Mutter für eine Balance zwischen „Raum lassen“ und „Halt geben“ sorgen. 

Sie sehen, ich benutze den Konjunktiv. Die (wir) Mütter bringen wie alle anderen Menschen auch ihre (unsere) Lebensgeschichte mit in diese Beziehung und entwickeln Erwartungshaltungen bezüglich ihrer (unserer) Kinder und stellen mehr oder weniger starke Forderungen an das heranwachsende Kind. Es soll schließlich in die Familie, in die Sozialisation mit ihrer Kultur passen.

Die Paarbeziehung ist eine Fortsetzung der ursprünglichen Mutter-Kind-Beziehung und biologisch gewollt. Das menschliche Neugeborene kommt wenig ausgereift und so hilflos auf die Welt ...  Der Kopf muss durch den Geburtskanal passen, daher ist das Gehirn noch nicht ausgereift und wächst im Laufe der Zeit mit dem Kopfumfang. ... Für die Aufzucht des Kleinen sind deshalb idealerweise beide Elternteile wichtig. Die Biologie sorgt sogar dafür, dass Menschen in glücklichen Beziehungen gesünder sind, ein stabileres Immunsystem haben, damit beide Eltern dem Nachwuchs für die erste wichtigste Zeit erhalten bleiben. Daraus resultiert die Sehnsucht der Menschen nach einer gelingenden Beziehung.

Beziehungen sind so individuell wie die Menschen selbst, die eine Beziehung miteinander eingehen (wollen) Deshalb ist die Frage, bevor ich eine Beziehung aufbaue: Welche Art von Beziehung wünsche ich mir. Was ist mir wichtig/ unwichtig? Worauf kann ich verzichten? Was will ich unbedingt oder auf keinen Fall? Welche Erwartungen habe ich an den Partner/ die Partnerin? Möchte ich vorrangig Spaß erleben, Feste feiern, Sinnlichkeit zB. beim Kochen, Essen und Trinken erleben, bei der Sexualität? Lege ich wert auf gemeinsame Kinobesuche, Theaterveranstaltungen? Brauche ich einen Reisebegleiter, einen Sportpartner? 

Will ich eine Familie gründen, ist mir dabei Sicherheit wichtig? Fürsorge, versorgt sein? Wohlfühlen? Kann ich auf meine Karriere verzichten? Was hat für mich Priorität im Leben.? Wäre ein Partner/ eine Partnerin auf Augenhöhe mein Ideal, oder möchte ich dominieren oder gar mich unterordnen? 

Wie ist der Stellenwert der Kommunikation bezüglich Sachlichkeit, Organisation, Konzepten, Gefühlen, Fantasien... Was bedeutet mir die intellektuelle Kommunikation, die spirituelle? Die körperliche, emotionale und geistige Nahrung... sind diese für mich gleichbedeutend oder gibt es einen Schwerpunkt? 

Ausschlaggebend für meine Vorstellungen von Beziehung sind meine Muster und Prägungen, die ich in der Kindheit erworben habe, meine Fähigkeit zur Selbstdistanzierung und Selbstreflexion und mein Entwicklungspotenzial, das heißt, mich anpassen und mich verändern zu können bei gleichzeitiger Erhaltung der Authentizität. 

Die verschiedenen Ebenen der Paarbeziehung nach Wolinsky

  • Die Ebene der äußeren Welt – Kinder, Karriere, Reisen, die Lebensumstände
  • Die biologische Ebene – Essen, Trinken, Kochen, Schlafen, Sex, Lernen
  • Die Ebene des Denkens – Werte, Glaubenssätze, Gedanken, Konzepte, Fantasien
  • Die Ebene des Fühlens – Furcht, Hoffnung, Freude, Hass, Ärger, Eifersucht
  • Die Ebene der Essenz – Annehmen, unbedingte Liebe, Vergebung, Mitgefühl
  • Die spirituelle Ebene – Gewahrsein des Bewusstseins, das uns alle miteinander verbindet

Die erste Ebene, die der äußeren Welt, bildet bei dem Aufbau einer Beziehung das Fundament. Darauf können die anderen Ebenen gestellt werden. Idealerweise existieren sie dann in einer Beziehung gleichberechtigt miteinander, wobei mal die eine, mal die andere Vorrang haben kann. Liebende können Sinn auf mehreren Ebenen miteinander erleben und sie können einzelne oder mehrere Ebenen bespielen. Schwierigkeiten auf einer Ebene können dann durch den Wechsel auf eine andere Ebene aufgefangen werden. Der Paartherapeut Wilhelm Schmid (Universität Erfurt) sagt in seinem Buch „Die Liebe atmen lassen“ : „Die Liebe kann am besten atmen, wenn sie zwischen den verschiedenen Ebenen hin und her wandern kann und einer dem anderen auch einmal auf dessen Ebene entgegen kommt, denn eine große Schwierigkeit der Liebe liegt darin, dass die Bedürfnisse der Liebenden nicht immer auf derselben Ebene liegen. Die Liebe neu erfinden, das ist gleichbedeutend damit, die Liebe atmen zu lassen, Atmung auch zwischen Nähe zueinander und der Distanz zuzulassen, die jeder braucht, um sich wieder auf sich selbst zu besinnen“. 

Im Problemfall, z.B. in einer Krise oder bei Entwicklungsverweigerung (z.B. Konfliktscheue, Verbarrikadieren des Inneren, Persönlichkeitsstörungen) können auch Ebenen komplett vernachlässigt, missachtet ignoriert oder gar geleugnet werden. Wenn beide Partner dies nicht bemerken, kann die Beziehung weiter „funktionieren“, so lange, bis eine Person in dieser Beziehung das Ungleichgewicht erkennt und damit unglücklich ist. Wenn der Andere sich verschließt gegen das Hinsehen und die Weiterentwicklung, besteht eine große Gefahr des Scheiterns. Wolfgang Hantel-Quitmann, Professor für Klinische und Familienpsychologie in Hamburg sagt dazu: „Wenn keine Bewältigungsstrategien da sind, keine Entwicklungen stattfinden, können Beziehungen daran scheitern. Die wahren Ehebrecher sind die, die sich weigern, Veränderung zu akzeptieren- die der eigenen Person, des anderen, der Beziehung“. 

Deshalb ist es sehr wichtig, den Aufbau einer Beziehung, der einmal vollzogen worden ist, immer wieder mit der Realität abzugleichen. Leben, Liebe und Beziehung sind keine starren Gebilde sondern der Bewegung und der Veränderung unterworfen. 

„Wurden einst die Bindung zwischen zwei Menschen in unseren Regionen von außen, von Religion, Tradition und Konvention gewährleistet oder auch erzwungen, muss sie nun von innen kommen, und dabei geht es nicht immer nur um Gefühle. Liebe ist auch eine Entscheidung, die jeder für sich selber treffen muss. Das ist die neue Philosophie der Liebe“, sagt Schmid. Und es geht auch um die Entscheidung, Verantwortung für die jeweilige Beziehung zu übernehmen.

Wie sieht also heute in den meisten Fällen der Beginn einer Beziehung aus und wie ausbau- /aufbaufähig kann ein solcher Beginn sein? 

DAS BEZIEHUNGSDREIECK nach US-Forscher Robert J. Sternberg

beziehungsdreieck

Am Beginn einer Beziehung steht meistens die Verliebtheit. Es macht klick... und der Mensch hat sich verliebt...... in die Augen des Anderen, in deren Leuchten, in eine Mimik, ein Lächeln, eine Gestik, eine Bewegung, in die Melodie der Stimme, in den athletischen Körper oder die elfenhafte Figur usw... oder auch in gewisse Charaktereigenschaften. 

Die Partnerwahl dabei geschieht unbewusst. Meistens spielen Prägungen aus der Kindheit eine entscheidende Rolle. Bei der Verliebtheit steht die Leidenschaft im Vordergrund. Leidenschaft beinhaltet Aufregung, Energie, Begeisterung, Feuer, das Gefühl, vom Anderen magnetisch angezogen zu werden, für ihn entflammt zu sein. Leidenschaft verläuft vergleichbar einer Sucht. Dieselben Hirnareale werden aktiviert wie bei einer Heroinabhängigkeit. Zunächst wird man bei jeder Begegnung mit der Person, der man verfallen ist, von Glücksgefühlen überschwemmt, der Dopaminspiegel steigt. Mit der Zeit können weitere Begegnungen zur Gewöhnung führen, der Dopaminspiegel fällt und im ungünstigen Fall verlangt man nach mehr Anregung, z.B. auch außerhalb der Beziehung. Man hat dann z.B. Affären.  Der Dopaminspiegel steigt wieder. Man kann sich wie bei einer Sucht hochschaukeln. Das erzeugt Stress und schadet der Gesundheit. In Rattenversuchen (Versuche von Beach und Jordan, 1956, Coolidge- Effekt) hat man festgestellt, dass bei Rattenmännchen, denen wechselnde Rattenweibchen in den Käfig gesetzt wurden, der Dopaminspiegel stieg, weil sie ständig aufregenden Sex hatten, und letztendlich an dem hohen Stresspegel gestorben sind. Rattenmännchen, die mit immer derselben Partnerin zusammen waren,  hatten weniger Sex und weniger Stress, bildeten aber das Kuschel-und Bindungshormon Oxytocin, das z.B. auch bei der Geburt und der Mutter-Kind-Beziehung eine wichtige Rolle spielt. Es stärkt das Immunsystem auch in glücklichen Partnerschaften. 

Diese hauptsächlich körperliche Verliebtheitsphase kann von einem halben Jahr bis zu 2 Jahren anhalten. Mein sehr verehrter Professor Randolf Ochsmann von der Johannes Gutenberg Universität Mainz, (inzwischen emeritiert), bei dem ich meine Ausbildung für Logotherapie absolvierte, sagte immer scherzhaft: „In der Verliebtheitsphase darf man keine Entscheidungen treffen. Man kann ein Pfund Butter kaufen, ein neues Kleid oder einen Mantel, ein Autokauf kann schon in die Hose gehen“. Man ist also in der Verliebtheitsphase in einem absoluten Ausnahmezustand. Er ist aber schön und man sollte ihn genießen, den Dingen ihren Lauf lassen und abwarten.

DIE WEITERENTWICKLUNG DES BEZIEHUNGSDREIECKS (nach R.J. Sternberg und R. Ochsmann)

erweitertes beziehungsdreieck

Viele Paare gehen aber auf dieser Grundlage eine Verbindlichkeit ein, sie heiraten und genießen den Honeymoon, der bald zu einem unschönen Erwachen führen kann. Viele Hollywood-Ehen basieren auf solch einem Konstrukt. Das führt oft zu Scheidungen und erneuten Verliebtheits-Ehen. Solche verblendeten Liebesgeschichten können unendlich so weitergehen. 

Viele unserer jungen Menschen sind heutzutage viel vorsichtiger, prüfen sich länger. Sie sind nicht bindungsscheuer, wie oft behauptet wird,  sondern kritischer und selbstbewusster. Da hat eine Weiterentwicklung im Sinne der Evolution stattgefunden.

Was gibt also einer Beziehung die erwünschte Stabilität. Was gehört zum Aufbau dazu? Wenn Intimität in einer Beziehung fehlt, fehlt ihr die Fülle, die Erfüllung, die Nahrung, die Glückseligkeit. 

Wenn Partner eine Liebesbeziehung eingehen, hegen sie insgeheim die Erwartung, der Partner reagiere auf jede intime Offenbarung mit Wertschätzung, Anerkennung und Liebe. In der anfänglichen Verliebtheit besteht der Wunsch, diese positiven Gefühle zu erhalten. Man hat die Sehnsucht nach (nicht nur körperlicher) Innigkeit und Gemeinsamkeit. Am Anfang befürchtet man, diese Gefühle der Übereinstimmung und Harmonie könnten verloren gehen. Man neigt dazu, die Erwartungen des Anderen zu erfüllen. 

Das ist eine Bewegung, die nach außen gerichtet ist. Ich gebe mich hin und teile diese meine positiven Gefühle mit einem anderen Menschen. Für die meisten Menschen bedeutet Intimität ein Zustand, innerhalb dessen sie sich vom Partner gesehen, akzeptiert und bestätigt fühlen. Dieser Zustand erlaubt dem Menschen, sich dem Partner zu öffnen, der sich wiederum möglicherweise von seinem Partner gesehen, akzeptiert und bestätigt fühlt, so dass eine positive Wechselwirkung und gegenseitige Bestätigung in Gang gesetzt werden, die die intime Basis der Beziehung bilden, der physischen/ sexuellen und der psychischen. Dies ist schön und wohltuend . Aber es gibt darüber hinaus noch eine andere Art von Intimität. 

David Schnarch, der amerikanische Beziehungs- und Sexualtherapeut fragt, was steckt dahinter, was ist die treibende Kraft für diese „Verschmelzung“. Es ist die Sehnsucht nach einem  Menschen, der uns das Gefühl gibt, liebenswert und wertvoll zu sein, weil wir oft selbst daran zweifeln. Es geht also darum „Ich will etwas von Dir“ anstatt „Ich  habe, bin etwas, was ich mit Dir teilen möchte“. Sexuelle und psychische Intimität setzt allerdings nach Schnarch auch die Fähigkeit voraus, sich dem Partner so zu zeigen, wie man wirklich ist, also sich auch mit sich selbst zu konfrontieren. Dazu braucht es Mut und Reife. Dies ist aber nicht unbedingt die Voraussetzung zum Aufbau der Intimität in einer Beziehung, sondern kann auch in Verbundenheit mit einem Partner wachsen und sich entwickeln. Diese Art von Intimität dient der authentischen Selbstfindung, der Selbsterkenntnis und führt schließlich zur Selbstliebe und trägt somit zum Aufbau einer gelingenden Beziehung bei. 

Intimität heißt also, einen Anderen in das Innerste, den Kern der eigenen Persönlichkeit zu lassen, ihn teilnehmen zu lassen an den eigenen wahrhaftigen Gefühlen, den Ängsten, Wünschen, Zweifeln und Hoffnungen.

Beziehungsspiele (Maria-Anne Gallen)

Du und ich wir spielen ein Spiel. Du spielst es nach Deinen Regeln, ich spiel es nach meinen Regeln. Du kennst Deine Regeln nicht, ich kenne meine Regeln nicht. Und doch bestimmen die Regeln, was gespielt wird. Wenn Dir das Spiel nicht mehr gefällt und mir das Spiel nicht mehr gefällt, dann sollten wir vielleicht kurz das Spiel unterbrechen, uns zusammensetzen und uns unsere Regeln anschauen. Du kannst mir viel über meine Regeln sagen, ich kann Dir viel über Deine Regeln sagen. Und wir können uns entscheiden, das Spiel anders zu spielen, wenn wir unser Regelwerk besser kennen.

Es ist nicht einfach, eine stabile und tiefgründige Beziehung aufzubauen. Man wird ständig dabei herausgefordert. Aber David Schnarch sagt dazu:

„Eine wunderbare Paarbeziehung macht das Leben nicht leicht oder schmerzlos. Es macht die Mühe nur lohnender und den Schmerz sinnvoller“.

Autor: Birgit Mück, Logotherapie und Existenzanalyse
Thema: Wie baut man Beziehungen auf?
Webseite: http://www.birgit-mueck.de

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