In den ersten Wochen der Corona-bedingten Kontaktbeschränkungen gab es immer wieder Stimmen, die vor der Vereinsamung von Menschen in dieser Zeit warnten. Um es vorweg zu nehmen, solche Ängste sind unbegründet.
Alleinsein bedeutet nicht Einsamsein
Es gibt Millionen Menschen, die zwar alleine leben aber dabei ein sozial ausgefülltes Leben führen, sei es durch Familie, Freunde, Beruf oder soziales Engagement. Wer grundsätzlich über ausreichend soziale Bindungen verfügt, der verliert diese nicht, nur weil der persönliche Kontakt kurzfristig durch die Kommunikation per Telefon, virtuellem Netzwerk oder Videochat ersetzt wird.
Einsamkeit entsteht vielmehr, wenn sich das Gefühl einstellt von anderen nicht beachtet, nicht gebraucht und nicht geliebt zu werden. Wenn man mit den bestehenden Beziehungen unzufrieden ist, kann man inmitten von Menschen einsam sein.
Phasen der Einsamkeit
Kurzfristige Einsamkeit
Dazu kann es kommen, wenn ein Mensch durch Job- oder Wohnortwechsel, den Verlust eines Beziehungspartners oder Wechsel des Freundeskreises wichtige soziale Bindungen verliert. Wer jedoch bis zu diesem Zeitpunkt keine sozialen Probleme hatte, findet meist nach einer Phase der Anpassung/Neuorientierung wieder sozialen Anschluss.
Beginnende Isolation
Wenn es nicht gelingt neue Beziehungen zu knüpfen und das Gefühl der Einsamkeit bleibt, dann kann das dazu führen, dass ein Mensch sich allmählich zurückzieht. Noch bestehende Kontakte werden vernachlässigt, und aus Angst vor Zurückweisung stellt sich soziale Trägheit ein. Dies kann auf Mitmenschen desinteressiert oder abweisend wirken und damit neue Kontakte erschweren.
Chronische Einsamkeit
Die Person hat sich vollständig zurückgezogen, fühlt sich unwohl in Gesellschaft und bricht auch letzte soziale Kontakte ab. Da das Feedback und die Auseinandersetzung im Alltag mit z.B. Beziehungspartnern oder Freunden fehlt, wird der oder die Betroffene eigenbrötlerisch, was sich auch in Marotten oder einem vernachlässigten Äußeren widerspiegeln kann. Schlimmer jedoch ist, was Einsamkeit auf Dauer in einem Menschen anrichtet.
Einsamkeit nährt sich selbst
Der 2018 verstorbene Einsamkeitsforscher John Cacioppo von der Universität Chicago hat nachgewiesen, dass sich die Aktivität bestimmter Hirnareale bei einsamen Menschen verändert und die für Bedrohung und Gefahr zuständigen Bereiche besonders aktiv werden. Daraus resultiert seiner Meinung nach eine erhöhte Ablehnungshaltung und Aggressivität, die dann ihrerseits zur Ablehnung durch Mitmenschen führt.
Der Betroffene schafft also durch sein Verhalten eine Realität, die vorher vielleicht nur in seiner Vorstellung existent war, hervorgerufen durch ein geringes Selbstwertgefühl und die Überzeugung, für Andere nicht attraktiv und liebenswert zu sein. Häufig mündet Einsamkeit in einer Depression, umgekehrt kann aber auch eine Depression zu Einsamkeit führen. Und auch das Auftreten und der Verlauf chronischer Krankheiten wird durch Einsamkeit negativ beeinflusst.
Einsamkeit in der Gesellschaft
Wenn man die Ergebnisse verschiedener Studien zusammenfasst (z.B. Studie des Institut der deutschen Wirtschaft), so kann man sagen, dass knapp jeder Zehnte Bundesbürger unter Einsamkeit leidet (Tendenz zuletzt leicht abnehmend), wobei Frauen mit einem Anteil von ca. 60% häufiger von Einsamkeit betroffen sind als Männer. Zudem nimmt die Einsamkeit bei jungen Menschen überdurchschnittlich zu.
Wege aus der Einsamkeit
Klar, der offensichtlichste Weg aus der Einsamkeit liegt im Aufbau von Beziehungen. Doch wie stelle ich das an, wenn das Selbstvertrauen geschwächt ist und sich eine Scheu im Umgang mit Anderen entwickelt hat.
- Geben Sie sich nicht die Schuld an Ihrer Einsamkeit. Es ist passiert, und nun machen Sie sich daran, das zu ändern. Machen Sie sich nicht selbst klein.
- Was auch immer Sie unternehmen, erwarten Sie nicht sofort große Erfolge. Wenn man sich über einen längeren Zeitraum in eine schwierige Situation hineinmanövriert hat, so braucht es auch wieder einige Zeit, dort herauszufinden. Belohnen Sie sich stattdessen nach jedem Teilerfolg mit etwas, das sie gerne mögen.
- Konzentrieren Sie sich wieder auf das Positive in Ihrem Leben, die Dinge, in denen Sie gut sind, z.B. im Beruf. Erst wenn Sie sich selbst wertschätzen, können Sie das auch von Ihren Mitmenschen erwarten. Und die Zeit der Einsamkeit hatte ja nicht nur Schlechtes. Vielleicht haben Sie sich in der Zeit auf andere Themen konzentriert, die Sie regeln konnten und wo es Erfolge zu verzeichnen gibt.
- Suchen Sie wieder den Kontakt zu Menschen. Schauen und lächeln Sie die Menschen an, denen Sie begegnen. Rufen Sie Freunde oder Familienangehörige an, diese werden sich freuen nach langer Zeit der Trennung wieder von Ihnen zu hören. Greifen Sie frühere Hobbys auf, die sie mit Gleichgesinnten zusammenbringen.
- Seien Sie nicht zu wählerisch. Nicht jeder neue Kontakt muss gleich ein bester Freund werden. Mit dem Einen teilt man vielleicht nur das Hobby, mit einer Anderen kann man ausgehen oder philosophieren und ein Dritter ist vielleicht nur Sportpartner. Sie wissen nicht, welche Freunde diese Leute haben, und vielleicht lernen Sie über einen lockeren Kontakt den passenden Menschen für eine intensivere Beziehung kennen.
- Helfen Sie anderen! Kaum etwas schafft mehr Vertrauen in die eigene Person als die Dankbarkeit von Mitmenschen, denen Sie geholfen haben, z.B. in einem Ehrenamt oder am Arbeitsplatz.
- Lassen Sie sich helfen. Wenn Sie alleine nicht weiterkommen und das Problem bestehen bleibt, suchen Sie sich professionelle Unterstützung. Jeder Zehnte in Deutschland fühlt sich einsam, Sie sind also keineswegs ein komplizierter Einzelfall. Ein neutraler Ansprechpartner hilft in die Spur zu kommen und darin zu bleiben.
Einsamkeit ist nicht gleich Alleinsein sondern ein Gefühl des Nicht-Gebraucht-Werdens, das Selbstvertrauen und Gesundheit schwächt und sich selbst verstärkt, sofern man nichts dagegen unternimmt. Einsamkeit betrifft Millionen Mitbürger, und der Weg heraus aus der Einsamkeit ist ein Weg der kleinen Schritte, wenn nötig mit Hilfe professioneller Unterstützung.
Autor: Erik Bender
Thema: Was Einsamkeit aus Menschen macht
Webseite: https://www.erikbender.de
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