Die harmonische Familie

Wenn jemand von einer harmonischen Familie spricht, drängt sich für mich sofort folgendes Hochglanzbild auf:

harmonische-familie

Vater, Mutter, Kind oder auch zwei. Alle natürlich mehr oder weniger sportlich und gut aussehend. Der Vater ist beruflich erfolgreich, zugleich aber auch viel zu Hause um sich um die Erziehung und seine Frau zu kümmern. Natürlich entspannt, gut gelaunt, einfühlsam und verständnisvoll. Die Mutter ist ebenfalls stets entspannt, gut gelaunt, liebevoll und geduldig mit ihrer Familie. Ihren Haushalt und die Erziehung hat sie fest im Griff und zwar spielerisch. Nebenher geht sie noch einige Stunden in der Woche arbeiten.  Sie ist ja auch emanzipiert. Die Kinder sind nett, verständnisvoll, adrett und gehen aus eigenem Antrieb aufs Gymnasium.  An Regeln halten sie sich sowieso und zwar von Geburt an. So oder so ähnlich stellen sich die meisten eine harmonische und funktionierende Familie vor. Es wird uns ja auch so in der Werbung, in Elternratgebern und Zeitschriften suggeriert.

Das Ergebnis erlebe ich fast täglich bei meiner Arbeit in der Praxis oder Vorträgen. Mütter oder auch Väter, die von diesem Bild extrem verunsichert und durchweicht sind mit schlechtem Gewissen und Schuldgefühlen. Sie sitzen weinend in meiner Praxis und berichten mir, dass sie vollkommen versagt haben und sich als schlechte Eltern und Versager fühlen. Dabei haben sie sich das Leben als Familie so harmonisch und erfüllend vorgestellt. Die Kinder streiten, weigern sich trotz ausgefeiltester Bettgehrituale zu schlafen. Der Mann vergisst den Hochzeitstag. Die Mutter erlebt sich im Umgang mit den Kindern als ungeduldig, manchmal sogar unfair. Nicht zu vergessen der Haushalt, welcher sich längst nicht so spielerisch erledigen lässt.

Doch weiter jagen wir dieser Vorstellung der Harmonischen Familie hinterher und merken, wie wir uns von diesem Ideal entfernen.  Unsere Unzufriedenheit und damit auch Schuldgefühle werden immer größer.

Aber muss eine Familie bilderbuchhaft idyllisch und romantisch sein?! NEIN!

In einer Familie prallen zu viele unterschiedliche Charaktere, Vorstellungen und Erfahrungen aufeinander. Dazu kommt das große Thema Erziehung. Und Erziehung kann von Natur aus unmöglich ohne Reibung stattfinden. Kinder suchen und brauchen Grenzen und Wege aufgezeigt um sich gesund und stabil entwickeln zu können.

Jaja, das wissen wir ja alles. Alles schon in Ratgebern gelesen. Aber was es bedeutet, dass wissen wir erst, wenn uns der Zweijährige in seiner Trotzphase zur Weißglut bringt oder uns die Lehrerin zum Gespräch zitiert.

Wenn wir vor dem fast unlösbaren Problem stehen, wie wir unser Kind zum Schlafen bringen und dabei das große Wort URVERTRAUEN  wie ein Damoklesschwert über uns schwebt. Wird dieses Wort ja fast wie eine Drohung in so vielen Ratgeber genannt.

Wir dürfen unsere Kinder nicht schimpfen. Kinder dürfen nicht weinen, keine negative Erfahrung machen, denn wer weiß was mit ihrem Urvertrauen geschieht. 

Zum Thema Erziehung, Regeln, Konsequenzen und Urvertrauen komm ich gern noch ein anderes mal. Heute geht es ja um die harmonische Familie.

Was wäre wenn wir die Harmonische Familie anders deuten, skizzieren, vielleicht sogar umbenennen in sichere Familie oder stabile Familie, gesunde Familie? Wie würde sich dann das Bild, unser Gefühl dazu verändern?  

Im Zusammenhang mit einer solchen Familie lesen und hören wir die Schlagworte Vertrauen, Akzeptanz, Wertschätzung und Respekt. Starke Worte. Doch was bedeuten diese? 

Vertrauen, Wertschätzung und Respekt bedeutet nicht zurücklehnen und es sich gemütlich machen.

Eine gesunde und stabile Familie bedeutet vor allem viel und harte Arbeit mit allen Familienmitgliedern vor allem aber auch immer mit sich selbst

Vertrauen und Sicherheit.  Es ist jedem klar, dass Menschen ein großes Bedürfnis nach Sicherheit und Verlässlichkeit haben. 

Ist es nicht ein unglaublich tolles Gefühl, wenn ich mich einfach sinken lassen kann. Mich bedingungslos hingeben kann, ohne Wenn und Aber.  Wenn ich genau weiß ich kann mich auf mein Gegenüber vollkommen verlassen? Egal wie zickig oder übellaunig ich bin? Egal was ich für einen Mist angestellt habe? 

Auch dient ein Danebenbenehmen unbewusst der Überprüfung. Ist meine Beziehung immer noch sicher? Gilt heute immer noch das, was vor 3 Wochen galt?

Und genau darin liegt die harte und stetige Arbeit. Egal wie müde wir sind, egal wie abgenervt, es bedeutet präsent sein. Es bedeutet nicht, wie heute viel und oft missverstanden, dem anderen alles recht zu machen und den Kindern jeden Wunsch von den Augen abzulesen und umgehend zu erfüllen. Nein! Es bedeutet auch mal NEIN sagen, es bedeutet auch mal Aushalten, Diskussionen und dieses böse Wort Streit.

Denn auch bei Diskussionen und Streit lieben wir. Wir streiten nur um Dinge die uns wichtig sind. Beziehung bedeutet auch Auseinandersetzung.

Auseinandersetzung mit uns, unseren Erfahrungen und Erwartungen, Ängsten und Verletzlichkeiten aber auch mit all diesen Dingen bei unserem Gegenüber.

Ich schweife ab und komme wieder zurück zu Sicherheit und Vertrauen. Wir vermitteln weder Sicherheit noch Vertrauen, wenn wir stetig versuchen perfekt zu sein und uns lehrbuchhaft zu verhalten. Im Gegenteil. Unser Gegenüber spürt, dass wir „unecht“ sind, unsicher. 

Seien Sie Sie selbst, mal genervt und ungeduldig, mal ungerecht, müde und launisch aber echt und präsent. DAS vermittelt Sicherheit.  Es vermittelt ungeheuer viel Sicherheit und Geborgenheit wenn ein Kind spürt, dass es ganz klare Grenzen gibt, die jeden Tag gleich sind und Sie jeden Tag neu für diese Grenzen einstehen.  Dieses Gefühl ich, ich kann mich einfach sinken lassen. Meine Mama und mein Papa wissen was sie tun und ich kann mich verlassen.

Akzeptanz, Wertschätzung und Respekt. Auch das sind so wohlklingende Worte. Aber auch diese Worte bedeuten ständige Arbeit mit uns und unserem

Gegenüber. Es klingt so einfach unser Gegenüber anzunehmen und zu Wertschätzen.  Aber auch das ist Schwerstarbeit und bringt uns immer wieder an unsere Grenzen. Denn es bedeutet immer wieder über unseren eigenen Schatten zu springen. Oh ja, dass ist unangenehm. 

Bedeutet es wirklich, dass uns unsere Kinder uns nicht lieben und Wertschätzen, wenn sie vergessen haben den Muttertagstisch zu decken? Bedeutet es wirklich, dass unser Partner uns nicht liebt und achtet, wenn er einen wichtigen gemeinsamen Termin vergisst? 

Und schwupp sind wir schon bei unseren eigenen Erwartungen gelandet. Akzeptanz, Wertschätzung und Respekt bedeutet auch immer wieder unsere eigenen Erwartungen zu überprüfen und zu korrigieren. 

Wertschätzung und Respekt haben was mit der eigenen Geschichte, Erfahrungen und Verletzlichkeiten zu tun. 

Mit Einfühlungsvermögen und damit, manche Dinge einfach mal so zu akzeptieren wie sie sind ohne alles ständig ändern und perfekt haben zu wollen. Es gibt kein Perfekt! Und wie sage ich immer zu gerne?! „Perfekt ist langweilig“

Wenn wir jeden Tag die perfekten Kinder, den perfekten Mann um uns haben, so ist das sicher ein zwei Tage ganz nett. Wird aber unglaublich schnell langweilig und ödet uns an. Es wird selbstverständlich und gewöhnlich. Selbstverständliches und gewöhnliches verliert seinen Reiz. Ich behaupte wir brauchen Reibung. Erst das macht das Leben und Beziehungen lebendig. Wir können damit wachsen.

Sie sehen schon, ich rede nicht von rosaroten Blumenwiesen, stets strahlenden und glücklichen Menschen, die ohne Streit, kleinen Enttäuschungen und Misserfolgen zusammenleben. Ich möchte Ihnen aber keinesfalls das Leben als Familie schlechte reden bzw schreiben.

Ich möchte Ihnen MUT und SELBSTSICHERHEIT geben im Umgang mit Ihrer sicher nicht perfekten Bilderbuchfamilie. Schwupp und schon ist sie doch perfekt.

Trauen Sie sich sie selbst zu sein.  Unperfekt und geliebt. Trauen Sie sich NEIN zu sagen und Ihre Grenzen aufzuzeigen. Trauen sie sich statt um 18.00 Uhr erst um 18:27 Abend zu essen weil sie vorher noch telefoniert haben. Genießen Sie es bei strahlendem Sonnenschein in der Sonne zu liegen während die Küche aussieht wie ein Schlachtfeld. Streiten oder diskutieren Sie mit Ihrem Partner und Ihren Kindern während Sie trotzdem einen in einer wunderbaren und stabilen Beziehung leben.

Eine Familie muss nicht romantisch, verträumt und stets harmonisch und ohne Reiberein sein um eine tolle und stabile Familie zu sein.  Jede Familie ist anders. Hat eigene Werte und Vorstellungen, ihre ganz eigenen Regeln. Und das ist auch vollkommen in Ordnung. Familie und Beziehung bedeutet stets Arbeit und nicht bequemes Zurücklehen. So darf es ruhig auch mal unbequem und chaotisch sein, wenn man sich trotzdem umeinander bemüht und nie damit aufhört. Wenn jeder mehr oder weniger häufig bereit ist wieder ein oder zwei Augen zuzudrücken, locker zu lassen um wieder aufeinander zuzugehen und zwar egal wie verletzt man war.

Im Gegenteil, sie werden, zwar nicht heute oder morgen, merken wie dieses natürliche und gesunde Zusammenleben als Familie jeden einzelnen in der Chaostruppe wachsen lässt. Man lernt zu zurückzustecken, auszuhalten, mit Ungerechtigkeiten umzugehen und gleichzeitig manches gelassener zu sehen.  Es ist was wunderbares, wachsen und stark werden zu dürfen und zu spüren, wie fest verwurzelt man ist.

Ich hoffe Sie können nun mit etwas entspannteren Augen auf ihre Chaotsruppe blicken und einfach mal lächeln, wenn etwas nicht so läuft wie sie es sich gewünscht haben. Der Familienausflug ins Wasser fällt oder Weihnachten ein Desaster war. Lächeln Sie und genießen Sie ihr ganz persönliches Familienchaos ohne alles in Frage zu stellen. All das gibt Sicherheit und Stabilität und verleiht ihrer Familien ihren ganz einen Charme und herrliche Erinnerungen. 

Autor: Sonja Schmidt , Heilpraktiker für Psychotherapie
Thema: Die harmonische Familie
Webseite: http://www.psychotherapie-in-balance.de

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